Crazy Colours
Der Boden unter meinen lederbeschuhten Füßen ist dunkler als meine Stimmung. Würde jemand eine Liste der zehn hässlichsten Orte der Welt erstellen wollen, das hier wäre mein Vorschlag für die ungeschlagene Nummer eins.
Die Autos stehen dicht gedrängt in den viel zu kleinen mit weißer Farbe auf den grauen Asphalt gepinselten Parklücken. Man wird schon bald seine liebe Not damit haben, die Türen eines der Gefährte zu öffnen, ohne eine andere Karosserie zu demolieren.
Rechts von mir sind einige kleine Hecken gepflanzt, die den Blick auf die Autobahn versperren. Doch man kann das monotone Summen, das Hupen und das Schlittern mühelos hören. Wie sehr sehne ich mich nach der Geschwindigkeit, nach dem totalen Kick des Fahrens auf der Überholspur. Ich will unter Rock-Musikeinfluss das Gaspedal bis zum Anschlag durchdrücken und davonschießen wie eine Kanonenkugel …
Aber daraus wird nichts. Ich habe kurz vor der Auffahrt auf den Highway einen Baum gerammt und nun torkele ich durch die Nacht und versuche, Hilfe zu finden. Ich könnte ohne Zweifel mit dem Wagen wieder los fahren, aber die Batterie ist zu meinem Pech vollkommen abgestorben.
Auf der bis jetzt erfolglosen Suche nach einem netten Menschen mit Überbrückungskabeln bin ich zwanzig Minuten an den Straßenrändern des Highways entlang gelaufen und habe nun endlich diesen Rastplatz gefunden.
Von Laubbäumen umringt steht hinter den Parkbuchten ein kleines Trucker-Restaurant. Sieht sicher alles im Sommer ganz toll aus, aber im herrschenden Januar, sind die Bäume kahl und die Scheiben des Restaurants verdreckt und beschlagen. Ich sehe, wie das Licht durch die Fensterscheibe leuchtet. Es ist offen. Immerhin etwas also, denke ich.
Ich bewege mich langsam auf die Eingangstür zu, da trete ich nur einen winzigen Schritt neben ein Eichhörnchen. Es ist in der Dunkelheit kaum zu erkennen und flitzt nach meiner unbeabsichtigten Attacke in die Hecken hinein, die die Autobahn verstecken sollen. Wo es wohl leben mag in dieser kalten Jahreszeit, wenn alle schützenden Blätter von den Ahornbäumen abgefallen sind?
Ich reiße mich zusammen und mache wieder ein paar Schritte auf das Restaurant zu. Interessiert starre ich nach oben und sehe das rot-weiße Schild, welches verkündet: »24-Stunden-Steakhouse – das Einzige in ganz Oregon!« Darauf hat die Welt gewartet, denke ich sarkastisch und mache mir ein Bild vom Rest des Gebäudes.
Alles ist in den rot-weißen Grundtönen gestrichen und mutet sehr strukturiert, durchdacht an. Da hat sich ein Hobby-Designer richtig Mühe gegeben.
Rot-weiß, so wie die Pfefferminz-Bonbons, die meine kleine Schwester immer gelutscht hat …
Bevor sie überfahren wurde, von einem betrunkenen, fetten Trucker, der vor Gericht noch seine Liebe zu guten Steaks erwähnt hatte …
Mist, ich kann das hier nicht! Alles erinnert mich an diese grauenvollen Ereignisse. Ich habe lange genug um meine Schwester geweint. Da denkt man, eine Sache ist abgeschlossen, und dann passiert einem so was hier. Ich muss eine andere Anlaufstelle für meine Suche nach Hilfe finden. Man kann es nennen, wie man will, Verfolgungswahn, Schizophrenie, Psychose … Alles erinnert mich an diesen schrecklichen Unfall.
Wäre ja alles nicht so schlimm gewesen, hätte dieser Typ keine Fahrerflucht begangen. Jeder, der mir hier begegnen kann, könnte meine kleine Susi auf dem Gewissen haben. Er musste sich nur für Trucks interessieren, und schon gehörte er zum Kreis der Verdächtigen. Klar, ich weiß selbst, dass das paranoid ist, aber ich werde es nie überwinden, was in der Nacht des 23. Novembers letztes Jahr passiert ist …
Ich muss weg von diesem vermaledeiten Rastplatz! Mit energischen Schritten gehe ich wieder zwischen den Parkreihen entlang, da beginnt eines der Autos auf einmal zu hupen. Was will denn der Idiot? Sitzt da in einem dunklen Wagen vor einem Restaurant herum und wartet auf Beute …
Ich renne so schnell, dass sich meine Beine zu überschlagen drohen. Auf einem der kahlen Äste lässt sich eine Eule nieder und krächzt gruselerregend.
Was zur Hölle …?
Ich habe jetzt den Highway erreicht und lehne mich erschöpft an eine Leitplanke an. Mit dem Daumen in der Höhe erbreche ich auf den geteerten Boden. Das war einfach zu viel für mich …
Als ich nach etlicher Zeit endlich von einem Sportwagen bemerkt werde, springe ich freudig in die Höhe und laufe auf die Tür zu.
Der Fahrer öffnet das elektrische Fenster und fragt mich: »Wohin wollen Sie denn, mein Guter?«
»Einfach nur weg von hier«, sage ich schnell und steige in den Wagen ein. Der Beifahrersitz ist leer, ich muss nicht erst irgendetwas wegräumen.
»Herzlich willkommen in meiner guten alten Kiste«, begrüßt mich der männliche Fahrer und reicht mir die Hand.
Ich drücke sie fest und schaue ihm dabei ins Gesicht. Erst jetzt fällt mir auf, dass er erstaunlich dick ist …
Auf seinem T-Shirt ist der Schriftzug »Fleisch ist mein Gemüse« zu lesen …
Er hat einen Duftspender in Steak-Form …
Und auf dem Armaturenbrett liegt eine Broschüre über die Mitgliedschaft im Oregon Truckers Club …
Entsetzt schreie ich auf und öffne die Tür des fahrenden Camaro. Der Mann schaut mir verdutzt hinterher, als ich mich über die Fahrbahn abrolle. Ich habe gerade noch Glück, dass mich keiner der Wagen mitnimmt und ernsthaft verletzt.
»Idiot!«, ruft er mir hinterher, als ich mich am Straßenrand wieder aufrappele.
Ich schaue dem Auto verstört hinterher. Erst jetzt merke ich, dass es in den Farben rot und weiß lackiert ist …
Ich renne aus einem spontanen Impuls heraus in das Gestrüpp jenseits der Leitplanke und fange an zu kreischen.
Nach etwa einer Minute wilden Drauflosrennens stolpere ich über einen Baumstumpf und lande mit dem Gesicht im kalten, matschigen Morast.
»Was für ein kranker Drecks-Trip«, stöhne ich noch, dann empfängt mich eine gnädige Ohnmacht.