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Code Samanta Fox

jbk

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17.06.2003
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Code Samanta Fox

„Code Samanta Fox? Ist das ihr ernst?“
„Glauben Sie, ich rede hier zum Spaß? Glauben Sie das?“
„Nein, nein Sir, natürlich nicht- aber..:“
„Kein aber! Ich befehle Ihnen, Samanta Fox auszuführen und es diesen Monstern heimzuzahlen. Unverzüglich!“
„Jawohl, Sir!“
Jakob verließ die Kommandozentrale und eilte den sterilen Korridor mit den weißen Neonröhren entlang. „Er befielt tatsächlich Samanta Fox“ dachte er, und seine Gedanken wurden von der Vorstellung bestimmt, welche Auswirkungen das haben würde. Schließlich ging es hier nicht um eine Lappalie, nein; die Auswirkungen würden global und schrecklich sein. Nichts wäre danach wie früher, obwohl schon jetzt alles nichts mehr von dem hatte, wie Jakob es aus seiner Jugend kannte. Seit Jahren hatte er weder frische Luft geschnuppert oder auch nur eine Blume zu Gesicht bekommen- wie jeder, der in der Zone 15 untergebracht war. Es waren die kleinen Dinge, die er so schmerzlich vermisste. Nachts träumte er davon, wie er als Kind durch die Wälder gerannt war und mit anderen Kindern Räuber und Gendarm gespielt hatte. Die Kinder von heute wussten nicht einmal, wie die Wälder aussahen, die es einst gegeben hatte, da oben, hunderte Meter über ihnen. Auch das Spiel hatte sich verändert: es hieß jetzt Amerika gegen die Rabbis und wurde im unterirdischen Labyrinth gespielt.
Jakob kam an der Sicherheitsschleuse an, wo seine Identität überprüft wurde. Nachdem er passiert war, kam er in einen anderen, größeren Raum als die Zentrale. Es war die Mensa.
„Hey Jakob“, rief eine Stimme aus der Nähe, „du machst ja ein Gesicht, als wärst du bei Tag über die Erde gewandert.“ Der scherzende Unterton vermochte ihn nicht aufzumuntern. Er gehörte zu Max, einem alten Freund, der an einem der vielen Tische saß und aus einer Konserve aß.
Jakob kam zu ihm und setzte sich an den Tisch: „Code Samanta Fox ist befohlen worden“, sagte er nach einigen Sekunden zerreißenden Schweigens.
„Was? Nein… aber, aber das… das würde ja bedeuten…“ Max ließ den Löffel auf den Boden fallen, und das Geräusch von Metall auf Stein zerschnitt die Stille.
„Es ist wahr. General Pole gab mir den Befehl, der unverzüglich auszuführen ist.“ Bei diesen Worten klang Jakobs Stimme resignierend.
„Aber warum, warum Samanta Fox? Gibt es keine andere Lösung?“
„Scheinbar nicht. Die Rabbis müssen etwas Schlimmes getan haben, etwas Unverzeiliches…“
„Aber Jakob, willst du den Befehl wirklich ausführen? Denk nur an die Folgen! Schon jetzt können wir unseren Kindern nur den Bruchteil dessen bieten, was eine mittelprächtige Kindheit zu nennen ist. Doch danach- danach ist alles vorbei! Danach lohnt es nicht mehr, Leben in die Welt zu setzen, weil das Leben nicht mehr leben kann. Wie sollen wir das verantworten, wie? Sag es mir, Jakob. Wie können wir ein zweites Mal Gott spielen? Ist denn der Krieg so mächtig, dass er uns selbst zerstört?“
Nach dieser Appellrede legte sich wieder die Decke des Schweigens über die Mensa. Wortlos schauten sich die beiden an: ihre Augen sprachen die Sprache der Verzweiflung, ihre Körper die der Angst. Doch Jakobs Füße standen beide auf dem Boden, weder wackelig noch nervös. Innerlich wusste er, dass er die Wahl nicht hat oder die Chance, das Unvermeidliche aufzuhalten. Es musste getan werden, wenn nicht durch ihn, dann durch jemand anderes, der vielleicht nicht mehr die Erinnerung an schöne Tage im Sommer hatte, als die Sonne noch mit angenehmen 40 Grad auf die Erde schien. Wie lange ist das nun her? 15 Jahre, ja, 15 lange Jahre lebte er jetzt schon wie ein Hase im Käfig, den er nicht verlassen konnte, weil sonst die Katze leichte Beute haben würde. Die metaphorischen Erinnerungen an Tiere schmerzten innerlich sehr. Sie waren Inbild einer unbeschwerten Zeit, die lange zurücklag und nie mehr wiederkehren würde.
„Ich muss weiter, Max. Es muss getan werden.“
Jakob verließ seinen Freund, nicht ohne die Bedrückung in seiner Körpersprache offen gelesen zu haben. Auch Max hatte Erinnerungen an die Zeit vor dem Tag O, die, so schien es, mit jedem seiner Worte verglühten wie das Leben auf der Erde.
Jakob ging wieder einen Korridor entlang, und auch hier brannte das helle Neonlicht unbarmherzig von der Decke. Es war die Art von Licht, das all die Sorgen und Befürchtungen einer Person schonungslos beleuchtete und dabei noch spöttisch mit dem Finger auf einen zu zeigen schien. Er hatte dieses Licht immer schon gehasst und sich nie daran gewöhnen können. Je länger er hier unten lebte, desto intensiver wurde die Sehnsucht nach der Sonne aus seiner Jugend. Dieses Licht erinnerte ihn immer schmerzlich daran, dass er das Sonnenlicht nie wieder zu Gesicht bekäme.
Er durchschritt drei weitere Schleusen, tief in Gedanken verhangen, Szenarien der Apokalypse in seinem Kopf durchdenkend.
„Es ist soweit- hab ich Recht? Nun kommt es über uns, das Ende, der Beginn der absoluten Dunkelheit, nicht wahr?“ Ein alter Mann mit weißem Bart saß in einer Höhlennische und sprach Jakob mit dunkel- heiserer Stimme an. Ihre Augen trafen sich im Dämmerlicht, das jenseits der Korridore vorherrschte.
„Was meinen Sie?“ fragte Jakob, wohl wissend, dass er die Antwort bereits ahnte.
„Setz dich, mein Freund, setz dich zu mir.“
Jakob wartete den Bruchteil einiger Sekunden, dann setzte er sich neben den alten Mann.
„Nun?“
„Wie lange ich hier unten schon sitze, weiß ich nicht. Stunden, Tage, Wochen, Monate- das Gefühl für Zeit hab ich verloren. Es gibt das Gestern, das Heute und das Morgen. Gestern noch sah ich mich auf der Erde leben und meine Schüler unterrichten. Heute sitze ich hier und warte ab, dass sich meine Visionen Morgen bestätigen. Als du hier entlang gingst, kam mir die Eingebung, dass das Morgen naht.“
„Sie meinen das Ende, die absolute Dunkelheit?“
„Irgendwann im Gestern las ich oft stundenlang die Gedanken anderer Menschen in Büchern, in denen über das Ende der Welt geschrieben wurde. Es lebte einst ein Mann, der sagte, die Welt sei krank und müsse vom übel befreit werden. Als ich dich sah, sah ich den Mann vor meinen Augen, der die Prophezeiung erfüllt. Das Morgen ist nicht mehr weit, nicht mehr weit- gar nicht mehr weit…“
Jakob saß und verfolgte die Worte des greisen Mannes. Prophezeiung? Das Morgen?
„Ich werde dich verlassen, alter Mann.“, sagte Jakob und erhob sich. „Und du könntest recht haben mit deinen Worten, obwohl du mir ziemlich verstört vorkommst.“
„Bei weitem doch wohl nicht so verstört, wie es ein Mann sein muss, der mit einem Knopfdruck über die Existenz eines Planeten entscheidet.“
Jakob wollte antworten, doch er verbiss sie sich und ging weiter, während er den alten Mann noch eine Zeit lang singen hörte: „Highway to hell!“
Der Weg, den Jakob ging, führte durch eine Art Labyrinth, welches er innerhalb der 15 Jahre auswendig und im Schlaf kannte. Gerade wollte er die Schleuse zum Waffenraum betreten, da sah er ein Kind, ein Mädchen, das auf ihn zulief und „Peng! Peng!“ schrie.
„Du bist tot, Rabbi!“ sagte die helle Stimme, während der Zeigefinger der kleinen Hand zu einer Pistole geformt war. „Tot bist du!“
Jakob sah auf den Zwerg hernieder, sah die Freude in den Augen des Kindes, ihn, den Rabbi, erschossen zu haben. „Kinder sind der Spiegel der Gesellschaft, in der sie aufwachsen“, dachte sich Jakob. Er nahm die Kleine auf den Arm.
„Sag mal“, begann er: „Weißt du, was ein Rabbi ist?“
„Ja, unser Feind!“ sagte das Mädchen.
„Aber warum ist er unser Feind?“
„Weil er kein Mensch ist. Mama sagt, Rabbis sind Monster. Und Monster sind böse. Es soll aber nichts böse sein, und deshalb schieße ich sie tot.“
Die Worte des Mädchens drangen tief in Jakob ein. „Die kindliche Sicht ist so begrenzt und doch so treffend.“, dachte er und musste sich an die Worte von General Pole erinnern.
Auch er wollte das Böse besiegen, indem er selbst zum Bösen wurde.
„Weißt du, Kleines..:“
„Ich heiße Samanta“, sagte das Mädchen.
„Samanta…“ Jakob stoppte. Die kleine hieß tatsächlich Samanta. Samanta, die ihr Leben noch vor sich hatte, solange er, Jakob, nicht das tat, wozu ihm befohlen wurde.
„Samanta, Kleines: es gab einmal eine Zeit, wo alle Menschen sich lieb hatten.“, fing Jakob zu erzählen an. „Alle mochten sich gegenseitig und keiner hasste den anderen. Auch Amerika und die Rabbis schossen sich nicht tot…“ Jakob stoppte wieder. In Gedanken ging er den Hergang der Katastrophe noch einmal durch. Es stimmte nicht, was er Samanta erzählte. Amerika und die Rabbis schossen sich schon gegenseitig tot, doch er hatte versuchen wollen, dem Kind eine schöne Geschichte von Liebe und Frieden zu erzählen. Damals, vor 25 Jahren, schossen Flugzeuge wie brennende Pfeile ins Herz der amerikanischen Gesellschaft und begannen so die bittere Auseinadersetzung, den Krieg. Sofort danach kämpfte man in Afghanistan gegen die Achse des Bösen, und vier Jahre später zogen amerikanische Truppen im mittleren Osten ein und richteten erneut ein Blutbad der Verwüstung und des Todes an. Viele Menschen starben, mehr Frauen und Kinder als Männer. Man wollte den Nachwuchs schwächen, um so die Zahl der Feinde in Zukunft zu dezimieren. Er selbst war in diesem Krieg dabei gewesen, hatte gekämpft und getötet. Er hatte auch keine andere Wahl: jeder Soldat, der nicht bereit war, zu kämpfen, musste in Straflagern im eigenen Land hart und bis zur völligen Erschöpfung arbeiten. Die Strafen für Kriegsdienstverweigerer waren drakonisch!
Der Krieg dauerte sechs Jahre. Es gab zahlreiche Verluste auf beiden Seiten und in beiden Ländern wurde erbittert gekämpft, bis zu dem Tag O, der wie eine Strafe Gottes über die Menschheit hereinbrach. Am 4. Juli 2012 explodierten über Amerika Bomben einer schrecklichen Technologie: extrem beständige Fluorkohlenwasserstoffbomben, die eine drastische Erwärmung der Atmosphäre von über 40 Grad innerhalb eines Jahres nach sich zogen. Als Vergeltung schoss man eine Atombombe Richtung mittlerer Osten, die verheerende Vernichtung anrichtete.
So war das. Und jetzt wurde von Jakob verlangt, Code Samanta Fox auszuführen.
Jakobs Stirn lag in Falten, als das kleine Mädchen wieder zu reden begann: „Was hast du denn?“, fragte sie.
„Nichts, Samanta, ist schon gut.“, antwortete Jakob und ließ sie zurück.
Er betrat die Schleuse und kam in den Waffenraum. Von hier aus musste synchron mit der Kommandozentrale ein Code eingegeben und ein Schlüssel umgedreht werden, damit das Arsenal aktiviert werden konnte.
„Bin in Position, Sir General Pole!“, gab Jakob per Funk durch.
„Machen sie sich bereit, Jakob! Wir werden sie vernichten, auch wenn wir dabei draufgehen könnten!“, trieb der General Jakob an, den letzten Schritt auch auszuführen.
„Start in fünf, vier, drei, zwei, eins; los!“
Nichts geschah. Jakob hatte es nicht fertig gebracht, den Schlüssel nach der Codeeingabe umzudrehen.
Erschöpft brach er neben dem Pult zusammen.

Als er wieder die Augen öffnete, fand er sich in einem Raum wieder, der etwa so groß wie die Mensa und so eingerichtet wie die Kommandozentrale war. Ein hoch gewachsener Mann trat auf ihn zu, der irgendwie dem General ähnelte.
„Jakob Bundy?“, sagte der Mann.
„Ja?“, stammelte Jakob, der noch ziemlich benommen war.
„Leider haben sie den Test nicht bestanden. Ihr Verhalten im „Virtual War“ war nicht unseren Vorstellungen entsprechend. Sie haben es versäumt, den Gegner auszuschalten, als sie die einmalige Gelegenheit dazu hatten. Ich teile ihnen hiermit mit, dass sie nicht am Krieg gegen den mittleren Osten teilnehmen werden.“
Der Mann drehte sich um und ging.
Jakob saß, sagte nichts, dachte nichts. Er war ausgemustert worden.

 

Hallo und danke für eure Statements; freut mich, dass euch die Geschichte zu gefallen scheint und ihr geantwortet habt.
@Fabian: du hast vielleicht sogar recht, dass die Geschichte besser unter Sonstige laufen sollte.

@Existence:
Gut, es ist wohl nicht sogleich verständlich, dass es ein Kampf "Amerikaner gegen Rabbis" ist. Doch bedenke bitte, dass sich die Geschichte in der Zukunft abspielt und der Krieg bis zu dieser Zeit eine andere Wendung genommen hat. Jetzt, so stelle ich mir vor, heißen die Gegner nicht mehr Osama bin Laden oder andere Terrorgruppen, sondern sind zusammengefasst unter dem Begriff "Rabbis". Hätte ich vielleicht im Txt drauf eingehen können. Next time...

 

Dein Text strozt ja nur so vor Zitaten. Ob gewollt oder nicht, entdeckte ich Abwandlungen von Volksweisheiten bis zum Rambo-Satz.
Was deine Geschichte zum Durchschnitt hin rettet, ist das Lied es alten Mannes: Highway to hell.
Das gibt bei mir immer Bonuspunkte.

Grüße...
morti

 

@morti:
Ok, anfangs dachte ich, dass deine Kritik berechtigt ist. Ungewollt kann man sehr wohl das finden, was du ansprachst.
Doch stelle dir eine Welt vor, die abgeschottet unter der Erde liegt. In dieser Isolation zaelt das Volk mehr als das Individuum. Deshalb werden wohl auch Volksweisheiten in diese Welt Einzug halten.
Zum Rambo_Satz (welcher?) ist gleiches zu sagen.Im Krieg befindlich, muss die Sprache auch kriegerische Zuege annehmen.
Der Satz des Alten ist mir erst spaet eingefallen, doch- wie ich finde- passt er ziemlich gut- woertlich wie als Erinnerung an alte Zeiten.
Alles in allem: danke fuer deine Kritik. Ich finde, auch wenn Kritiken hart ausfallen, so sind sie immer noch besser, als wenn keine darstehen wuerde.
Deshalb an alle: LEST MEHR GESCHICHTEN!!! :)

 

Meine Meinung.
Das Zitat was ich übrigens meinte war:
Um einen Krieg zu gewinnen, musst du selbst zum Krieg werden. So ähnlich findet sich der Satz auch in deiner Geschichte.

Grüße...
morti

 

Morti:
Und was sagst du zu Plot, Realitaetsbezug und persoenliche Gedanken?

 

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