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Cocktails in Kellerbars

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01.09.2024
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Cocktails in Kellerbars

Niedergemachte Briefkästen. Fahrradschrott im Gang zum Hof. Jugendstile im Treppenhaus. So hell und aufgeräumt erscheint Tanja die Wohnung wie ein Versprechen. Sie hatte mit der Bude eines unbelehrbaren Junggesellen und geborenen Untermieters gerechnet. Tanja kommt in den Korridor, jahrelang wird sie täglich da ankommen. Doch jetzt sieht sie zum ersten Mal, dass Wayne ein Tageslichtbad besitzt. Es ist halbhoch mit schwarzem Schiefer verkleidet.

Sie streift Flipflops ab. Bei jedem Schritt schmeichelt das Parkett ihren Sohlen. Wer hat schon eine Wohnung mit Parkett? Der unerwartete Luxus gehört zur Urszene ihrer Zeit mit Wayne, zu Tanjas Eintritt in sein Leben. Plötzlich weiß Tanja nicht mehr, mit wem sie es zu tun hat. Sie denkt an Roger, der Zuhause auf sie wartet. In der Wohnung herrscht eine kristalline Ordnung.

„Wer macht hier sauber?", fragt Tanja.

„Die Reinigungskraft meiner Mutter."

„Sind wir hochwohlgeboren?"

Tanjas Erbitterung überwindet mühelos die Barriere der Höflichkeit. Wayne lässt sich nicht provozieren. Er holt den Bembel aus der Kühlung und schenkt in Gläser mit Goldrand ein. Sie standen lange als Leihgabe seiner Familie im Historischen Museum.

Tanja hat noch keinen privaten Bembel gesehen. Apfelwein schmeckt der Holsteinerin nicht. Sie findet nicht aus ihrer Gereiztheit.

„Schoppe", sagt Wayne. Das ist sein Apfelweintrinkwort. Er kramt nach Musik, findet aber nichts passend. Tanja betrachtet antike Ansichten von Frankfurt an den Wänden. Mit den tauben Fingern der Fremdheit streift sie eine Musiktruhe, Wayne wohnt in einem Museum. Die Truhe gehörte seiner Wagner-Oma, die lange Witwe war.

„Wieso hast du keinen Freund?", fragt Wayne. Das beschäftigt ihn, er hatte noch nie eine Freundin, die nicht erst einmal einen Mann verlassen musste.

„Ich habe mich vor kurzem getrennt", behauptet Tanja. Wahr ist, dass es einen Trennungsversuch gab. Wahr ist, dass sich Tanja meistens von Roger getrennt fühlt.

Wie oft hatte Tanja drei Jobs und kein Auskommen. Waynes unverdienter Wohlstand stört sie beim Sondieren der Lage. Die Zeichen dynastisch-gediegener Bürgerlichkeit erzwingen Abgrenzung. Bis eben war Wayne für Tanja der klassische Herr Lehmann, siehe Sven Regener; ein Kneipentyp mit unscharfer Trennlinie zwischen Arbeit und Leben. Ein Vertreter des Bierkastenstils. Zugehörig dem modernen Gesinde. Auf eine ansehnliche Weise prekär. Deklassiert zwar, doch mit dem Wesentlichen versorgt.

Aus Trotz zitiert Tanja ihren Onkel Hinkemann mit dem Holsteiner Originalsound. Hinkemann treibt an der Küste seiner Herkunft Kurtaxe bei Touristen ein. Im Sommer schlafen die Touristen in den Kinderzimmern der Einheimischen. Für den eigenen Nachwuchs stehen Klappbetten in Kellern und Mansarden. Die Touristen frühstückten im Wohnzimmer. Die Kinder werden in der Küche abgespeist. Man setzt sie zur Unterhaltung ein und lässt sie Beete aus Muschelschalen anlegen.

Die Touristen liebkosen künstlich verwitterte Galionsfiguren und fotografieren den für sie extra bereitgestellten maritimen Kitsch. Daneben gibt es ehrliche Sehenswürdigkeiten, so wie eine tausend Jahre alte Kirche und einen Taufstein aus dem 13. Jahrhundert.

Der dörfliche Alltag vollzieht sich fern des Seebad-Remmidemmis in Randlagen. Die wahrhaft Eingesessenen, wahrhaft im Unterschied zu jenen, die sich in vor-gründerzeitlichen Kapitänshäusern vor ein paar Jahren erst eingenistet haben, inzwischen aber ein eigenes, das Ursprüngliche überflügelndes Milieu bilden, vermeiden Promenaden. Begründungslos lebt in ihnen der Hochsee-Hochmut jener Vorfahren weiter, die als Walfänger im Normalbetrieb tödlichen Gefahren ausgesetzt waren.

Tanja erzählt in der Witwengruft von ihrem Strand und seinen Suchscheinwerfern. Das Licht fiel über die innerdeutsche Grenze in den Westen. Schlugen Soldatenhunde an, waren vielleicht DDR-Bürger auf der Flucht. Die Witwengruft war die längste Zeit das Bett und der Lebensmittelpunkt von Waynes Oma. Sie starb darin im Rang einer Offizierswitwe.

Kein Zweifel, es passt viel in dieser brandneuen Paarung. Tanja erzählt gut, und Wayne hört gut zu. Vielleicht ist das aber schon zu viel des Guten.

„Ich kann heute Nacht nicht bei dir bleiben", verkündet Tanja, überrascht von ihren eigenen Worten. Wayne versucht, seine Enttäuschung in den Griff zu kriegen. Das Gegenteil trifft es besser. Wayne fühlt sich von seiner Enttäuschung und dem Wunsch, den Schmerz für sich zu behalten, in die Zange genommen.

Tanja segelt davon, eine Energie aus Yoga und Eigenliebe. Es ist noch nicht zwölf, sie wird morgen blau machen, Roger begießt die warme Nacht auf ihrem Balkon.

Wenigstens mit Balkon. Darauf hat Tanja bei all ihren Bruchbuden bestanden.

Von Automaten geschluckte Karten, hitzerekordverdächtige Nächte, Cocktails in Kellerbars, Atlanta im August. Kontrollierte Abstürze in Houston, das Wiedersehen von Leuten nach Jahren. Ein ruhiger Abend an einem Küchentisch in Hanau. Ein idyllischer Augenblick in einem geschlossenen Wirtshausgarten in Alzenau. Die vorläufig letzte Begegnung mit melancholisch bürgerlich gewordenen Freunden in Venice, Kalifornien. Die mondsüchtigen Viertelstunden nach dem Kino, all die Abkürzungen und Umwege. Die aufgehellten Mienen von Späteinkehrern überall auf der Welt. Roger genießt den Abend auf Tanjas Balkon. Er ist bloß zu Besuch. Der Wildwasserkanute, Bergsteiger, Skiläufer, Reiter, Jäger und Angler lebt an sich schon wieder in Wyoming, seine Wohnung in Hanau, wo er nach seiner US-Army-Dienstzeit hängengeblieben war, ist nur noch erinnerter Schauplatz einer Liebesgeschichte, die sich dem Ende zuneigt. An eine transkontinentale Verbindung, die mehr sein könnte als eine Brieffreundschaft, glauben beide nicht. Tanja und Roger wollen zum Schluss aber noch einmal etwas Besonderes miteinander erleben, eine Wanderung in den Blue Ridge Mountains, auf den Spuren von Daniel Boone (dem wahren Lederstrumpf). Roger wird morgen voraus fliegen. Tanjas Flug ist gebucht.

Roger lacht über die deutsche Sprache, die funny in seinen Ohren klingt. Im Wohnzimmer singt Willie Nelson Night life ain't no good life/but it's my life. Der Balkon ist bloß ein Vorsprung. Tanja kommt mit einer gemurmelten Entschuldigung. Sie findet auf Rogers Schoss gerade genug Platz. Das sieht Wayne, der auf Schleichwegen hinterhergefahren ist. Nach seinem treuherzigen Verständnis der Lage betrügt ihn Tanja.

 

Hallo @Teichmann ,

ich dachte, du wolltest die Impulse zu deiner ersten Geschichte vom Sonntag erst wirken lassen und deinen Text bearbeiten ... und schon postest du einen neuen.
Das sieht mir nicht nach Interesse an Textarbeit aus, wofür wir ja alle schließlich hier sind.

Bevor du fragst: Ja, du kannst über den "Bearbeiten"-Knopf deinen Text bearbeiten.

Schönen Tag,
GoMusic

 

@GoMusic Hallo GoMusic, vielen Dank für Deinen Hinweis. Ich habe jetzt auf die Verbesserungsvorschläge von Helen reagiert.

 

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