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Clara

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12.07.2012
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Clara

„Das wärmt mir das Herz“ ist keine schöne Redewendung. Irgendwie überzogen, kitschig. Die Romantisierung eines Organs. Aber mit zwei Dolce & Gabbana intus und Claras Hand in meiner hat es sich genauso angefühlt.
Ich habe schon viele Hände gehalten. Schöne, weiche, große, starke. Aber keine der gehaltenen Hände hat es geschafft, mir das Herz zu wärmen. Ich erinnere mich, dass ich tief ein- und ausatmete, um nicht noch fester zuzudrücken. Erinnere mich, wie meine Füße gekribbelt haben, wie meine Hände sich verkrampften. Wie sie mich angesehen hat, mit tiefen, fast schwarzen Augenringen und riesigen Pupillen. Sie war unerträglich schön anzusehen, wie sie leichtfüßig über das Geländer tippelte.

Ich gehe jede Woche zu ihrem Grab. Mit drei Zigaretten. Wir haben uns oft auf drei Zigaretten getroffen. Genug Zeit für eine Umarmung und das Wissen, dass man nicht alleine ist. Dann getrennte Wege gegangen, um es nicht noch schwerer zu machen. Ich wollte immer mit ihr gehen und sie wusste es. Sie zog mich gerne auf und ich spielte mit. Die Rollen, in die wir beide immer wieder schlüpften, passten zu uns und ich dachte oft, dass ich glücklich wäre. Ich weiß bis heute nicht, ob Clara und ich uns eigentlich jemals wirklich verstanden haben. An guten Tagen habe ich manchmal - nur für eine kurze Sekunde - das Gefühl, sie wirklich gekannt zu haben. Dann ist wieder ihr Geruch in meiner Nase und ich glaube, wieder etwas fühlen zu können. Nichts in meinem Leben war je so intensiv wie Clara. An anderen Tagen kommt es mir so vor, als hätte es sie nie gegeben. Dann kann ich das Gefühl nicht mehr greifen, das sie auslöste. Ich muss mich immer wieder fragen, ob sie auch an ihren Fingern gerochen hat, wenn ich bei ihr gewesen bin. Ob sie überhaupt irgendetwas empfand, wenn ich mit meinen Lippen über ihren Körper schlich, immer in der Angst, sie würde es sich gleich doch wieder anders überlegen.

„Beste Freundinnen müssen sich auch mal näher kennenlernen“, hatte sie einem Typen auf einer Party ins Ohr gehaucht, nachdem er sich zwischen uns gedrängt hatte.
„Sonst sind’s keine echten Freundinnen. Ich zeig’s dir, wenn du willst.“
Clara verdrehte Köpfe. Überall, wo sie auftauchte. In dieser Nacht schlief sie mit uns beiden und ließ erst den Typen und danach mich zusehen. Clara hatte Kontrolle über mich. Immer. Sie wusste das und nutzte es aus. Und trotzdem war sie gut zu mir, wirklich gut. Niemand außer uns konnte das verstehen, aber wir gaben uns etwas, das uns sonst niemand gab.

Ich kann Tag und Nacht nicht mehr auseinanderhalten. Wann habe ich zuletzt geschlafen? Ich stolpere aus dem Club und es ist dunkel. Die Hand, die ich halte, gehört nicht Clara. Trotzdem nehme ich den Besitzer dieser Hände, die sich nach nichts anfühlen, mit zu mir. Er kriegt keinen hoch.
„Liegt am Speed, schätz‘ ich“, flüstert er noch, bevor er auf mir einschläft. Ich bin müde, aber kann nicht schlafen. Wenn ich meine Augen fest schließe und den Rausch noch einmal mitnehme, fühle ich wieder Claras Hände.

Wir sind auf der Brücke. Ihre riesigen, schwarzen Augen. Mir schießt in den Kopf, wie sie das erste Mal mit mir schlief. Sie mit mir, nicht ich mit ihr. Sie bestimmte einfach immer, was passierte. Nur einmal kontrollierte ich eine Situation. Sie endete damit, dass Clara von einer Brücke fiel und mit vierundzwanzig Jahren ihr Leben verlor.

„Ich weiß nicht, was ich mit diesem Gefühl anfangen soll.“
„Mit welchem?“
„Glücklich sein“, hatte sie gesagt und mit ihren Fingern auf dem Geländer getrommelt. Glücklich sein. Sie hatte allen Ernstes von glücklich sein gesprochen und mich dabei nicht mitgedacht.
„Es ist das erste Mal, dass ich was fühle beim Ficken. Muss wohl was mit Liebe zu tun haben, oder nicht?“ hatte sie gelacht und mir einen Klaps auf den Hintern gegeben. Liebe. Glück. Ich wusste nicht, wo mir der Kopf stand.
„Von Berlin in 'ne Kleinstadt ist schon nicht einfach. Aber vielleicht liebe ich ihn ja wirklich. Und ich glaub‘, ich brauch‘ den ganzen Scheiß hier einfach nicht mehr.“ Ihr Blick war es, der meine Hand letztendlich bewegte. Es schmerzt bis heute, dass sie erst im Fallen verstanden hat, wie sehr ich sie liebte.

Ich bin mir sicher, sie hat es verstanden.

 

Hallo Alexander,

vielen Dank für deine Kritik und natürlich v.a. für dein Lob. Ich bin froh, dass es dir gefallen hat - ich bin mal wieder sehr unsicher...

Ich versuche dann mal, auf deine Kritik einzugehen.

Warum steht die Geschichte eigentlich nicht in Romantik/ Erotik. Da würde sie m.E. viel besser hinpassen. Frag einfach mal einen Mod, ob er sie verschieben kann, wenn du das auch so siehst.

Ich weiß nicht, ob ich die Geschichte romantisch oder erotisch finde. Eigentlich handelt sie ja eher von Kontroll(verlust), von einseitiger Sehnsucht, von Eifersucht... Hm, schwierig. Ich würde sie erstmal hier stehen lassen, es sei denn, es melden sich noch andere, die finden, dass sie hier nicht reinpasst.

Das mit den Absätzen bei der wörtlichen Rede verpatze ich irgendwie immer. Ist geändert. Danke.

Augenringe sind etwas, dass durch viel Stress und wenig Schlaf um die Augen herum entsteht und von den meisten Menschen als eher unattraktiv empfunden wird. Was du meinst ist vermutlich die Iris oder Regenbogenhaut!?

Ich musste etwas schmunzeln, als ich das gelesen habe. :) Kann sein, dass viele Menschen Augenringe unattraktiv finden, aber meine Protagonistin scheint das anders zu sehen. Zudem - hast du mal Leute gesehen, die eine Nacht durchfeiern und Ecstasy schmeißen? Die meisten kriegen Augenringe, grau/schwarze, tiefe Ringe. Diese Augenringe, die oftmals gar nicht so schlecht aussehen, gepaart mit den riesigen, schwarzen Pupillen sind ja das, wovon sie in dem Moment schwärmt.

Bei der Kritik an dem Titel bin ich mir noch sehr unsicher.
Irgendwie habe ich gar nicht nach einem Titel gesucht, weil die Geschichte von Anfang an so hieß, in meinem Kopf. Mal sehen, vielleicht komme ich nochmal dazu, darüber nachzudenken.

Alles andere hat mir sehr geholfen, also nochmal vielen Dank.
Achso, aber die Ellipse muss bleiben - die mag ich.
Viele Grüße

 

Hallo Quing,
ich habe vorher hier auf KG fünf, sechs Geschichten gelesen und darauf gewartet, welche eine Resonanz in mir erzeugt. Es ist also diese hier.
Deine Geschichte hat schöne Details, einige gute Bilder und eine Stärke liegt wohl in den Dialogausschnitten, die im Kopf bleiben. So merkwürdige Sätze wie:

„Beste Freundinnen müssen sich auch mal näher kennenlernen“

oder

„Ich weiß nicht, was ich mit diesem Gefühl anfangen soll.“
„Mit welchem?“
„Glücklich sein“,

Fand ich sehr gut. Eine merk-würdige Person, die da beschrieben wird.

Aber ich habe Deine Geschichte und einzelne Absätze auch mehrmals gelesen, weil ich Probleme hatte, den Text, die Abfolge, den Sinn richtig zu verstehen.

Welche Funktion für die Geschichte haben die Absätze drei(ab: "Clara war dafür bekannt...") und vier?
Positiv hingegen ist die Spannung, die durch die Inkongruenz der einzelnen Absätze erzeugt wird. Der Leser wird neugierig. Warum die Erzählerin nun zB von der Nacht mit dem Typ auf Speed erzählt. Wozu?
Insgesamt aber, fiel die Handlung darüber auseinander und es kam zu den bereits beschriebenen Problemen mit dem Text.

Wenn der Text eine Retrospektive der Protagonistin sein soll, die gerade auf der Brücke steht und in fotoartigen Sequenzen Lebensszenen wiedergibt, sollte man es meiner Meinung nach deutlicher, für den Leser einfacher verständlich, herausarbeiten. Da würden einige "redaktionelle" Momente schon zur Einordnung beitragen.

Die beiden letzten Sätze gefallen mir nicht. Erster Gedanke: "Unlogisch. Im Fallen war die mit was anderem beschäftigt, als zu bemerken, wie sehr die Erzählerin sie liebte."
Zweiter Gedanke:
"Woher wollte die Erzählerin wissen, was Clara im Fallen denkt?"

Ach so; den Satz hier habe ich auch einige Male gelesen. Geht das nur mir so mit den Verständnisproblemen?

„Es ist nicht Berlin, ich weiß. Aber ich glaub‘, ich brauch‘ den ganzen Scheiß hier einfach nicht mehr.“

Aber ich sage ja, es ist eine Gratwanderung. Andererseits war (und bleibe) ich neugierig.

Insgesamt einige schöne Bilder, ein paar gute Dialoge, aber gerade der Aufbau hat sich mir nicht sofort erschlossen.
Grüße und ich bin neugierig auf mehr von Dir.
Frank

 

Hallo Frank,

erstmal: Danke. Ich freue mich über jede Kritik, auch wenn ich noch gar nicht so richtig weiß, wie ich dir darauf antworten soll. Aber ich versuch's mal.

Aber ich habe Deine Geschichte und einzelne Absätze auch mehrmals gelesen, weil ich Probleme hatte, den Text, die Abfolge, den Sinn richtig zu verstehen.

Mir ist bewusst, dass die lesende Person nicht sofort alles durchschaut und ich habe schon oft gehört, dass Texte von mir Fragen hinterlassen haben. Ich muss sagen, irgendwie mag ich das. Ich schreibe gerne so, dass der_die Leser_in sich Gedanken machen muss. Vielleicht liegt es daran, dass ich auch gerne Sachen lese, bei denen ich manchmal den Sinn dahinter suchen muss.
Mich würde interessieren, was genau du damit meinst, dass du Probleme hattest, den Sinn zu verstehen. Oder geht es hier um die von dir genannten Absätze?

Welche Funktion für die Geschichte haben die Absätze drei(ab: "Clara war dafür bekannt...") und vier?

Ich finde die Szene mit dem Typen auf der Party macht sehr deutlich, wieviel Kontrolle Clara über die Protagonistin hat. Und darum geht es ja. Sie soll zeigen, wie festgefahren sie in ihrem Bild von Clara ist. Die Prot. weiß genau, dass sie viel Macht über sie hat, dass ihre Liebe nicht erwidert wird, wie fies Clara sein kann. Trotzdem macht sie in dem Absatz deutlich, dass Clara das Wichtigste für sie ist, obwohl auch klar wird, dass Außenstehende wohl schon an ihrer Liebe gezweifelt haben. Sätze wie "Und trotzdem war sie gut zu mir, wirklich gut" sollten verdeutlichen, dass die Prot. sich ihr Verhältnis zu Clara immer wieder schön redet, dass sie ihr Verhalten, als auch das von Clara, immer wieder (vor sich) rechtfertigen muss.

Die nächste Szene, wo die Prot. alleine in einem Club unterwegs ist und nicht mit Clara, sondern einem fremden Typen nach Hause geht, zeigt wie das Leben ohne Clara ist. Lange Nächte, Einsamkeit mit Fremden stillen, die ständige Sehnsucht, Clara wieder zurück zu bekommen.

Hmm, irgendwie finde ich es seltsam, den Sinn von Absätzen zu erläutern. Die zeigen, wer Clara war und wie es ohne sie ist.
Die Geschichte besteht aus Erinnerungsfetzen - diese springen in der Zeit, ja. Ich finde, da passen "redaktionelle Momente" nicht so gut rein. Man muss sich reinlesen, das stimmt. Schade, dass du das Gefühl hattest, die Handlung würde dadurch auseinanderfallen. Irgendwie kann ich das jetzt auch gar nicht so richtig beurteilen, weil die Story ja aus meinem Kopf kommt. Vielleicht melden sich ja noch andere zu Wort.

Die beiden letzten Sätze gefallen mir nicht. Erster Gedanke: "Unlogisch. Im Fallen war die mit was anderem beschäftigt, als zu bemerken, wie sehr die Erzählerin sie liebte."
Zweiter Gedanke:
"Woher wollte die Erzählerin wissen, was Clara im Fallen denkt?"

Auch hier wieder das gleiche - die Geschichte ist komplett aus der Sicht der Prot. geschrieben. Natürlich weiß sie nicht, was Clara denkt. Sie redet sich ein, dass der Todesstoß, den sie ihr gegeben hat, einen Sinn hat. Das ist Unsinn - sie hat ihre beste Freundin, die plötzlich ein Leben ohne sie führen und mit einem anderen Menschen zusammen sein wollte, aus Eifersucht getötet. Genau wie oben beschrieben, versucht die Prot. sich die Dinge zurechtzulegen - sie rechtfertigt Claras Verhalten immer wieder, meint, sie wären etwas besonderes füreinander, obwohl ja schnell deutlich wird, dass das ziemlich einseitig ist und findet sogar einen Grund für den Mord an ihrer Freundin. Ich dachte, der Satz am Ende "Ich bin mir sicher, sie hat es verstanden" hat verdeutlicht, dass sie todunglücklich ist mit ihrer Tat, sich aber irgendwie versucht, daraus zu holen. So hat der Tod von Clara wenigstens einen Sinn.

„Es ist nicht Berlin, ich weiß. Aber ich glaub‘, ich brauch‘ den ganzen Scheiß hier einfach nicht mehr.“

Sollte deutlich machen, dass Clara die Stadt verlässt. Ich dachte, durch das "hier" wird das klar. So undeutlich?

Ich danke dir für deine Anregungen - was ich mit ihnen anfange, weiß ich noch nicht genau. Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob das nicht auch irgendwie mein Stil ist. Aber ich denke drüber nach und hoffe, dass dir nun einiges ein bisschen klarer ist.

Schön, dass du dir die Zeit genommen hast und neugierig bleibst.
Danke

 

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