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Clara
„Das wärmt mir das Herz“ ist keine schöne Redewendung. Irgendwie überzogen, kitschig. Die Romantisierung eines Organs. Aber mit zwei Dolce & Gabbana intus und Claras Hand in meiner hat es sich genauso angefühlt.
Ich habe schon viele Hände gehalten. Schöne, weiche, große, starke. Aber keine der gehaltenen Hände hat es geschafft, mir das Herz zu wärmen. Ich erinnere mich, dass ich tief ein- und ausatmete, um nicht noch fester zuzudrücken. Erinnere mich, wie meine Füße gekribbelt haben, wie meine Hände sich verkrampften. Wie sie mich angesehen hat, mit tiefen, fast schwarzen Augenringen und riesigen Pupillen. Sie war unerträglich schön anzusehen, wie sie leichtfüßig über das Geländer tippelte.
Ich gehe jede Woche zu ihrem Grab. Mit drei Zigaretten. Wir haben uns oft auf drei Zigaretten getroffen. Genug Zeit für eine Umarmung und das Wissen, dass man nicht alleine ist. Dann getrennte Wege gegangen, um es nicht noch schwerer zu machen. Ich wollte immer mit ihr gehen und sie wusste es. Sie zog mich gerne auf und ich spielte mit. Die Rollen, in die wir beide immer wieder schlüpften, passten zu uns und ich dachte oft, dass ich glücklich wäre. Ich weiß bis heute nicht, ob Clara und ich uns eigentlich jemals wirklich verstanden haben. An guten Tagen habe ich manchmal - nur für eine kurze Sekunde - das Gefühl, sie wirklich gekannt zu haben. Dann ist wieder ihr Geruch in meiner Nase und ich glaube, wieder etwas fühlen zu können. Nichts in meinem Leben war je so intensiv wie Clara. An anderen Tagen kommt es mir so vor, als hätte es sie nie gegeben. Dann kann ich das Gefühl nicht mehr greifen, das sie auslöste. Ich muss mich immer wieder fragen, ob sie auch an ihren Fingern gerochen hat, wenn ich bei ihr gewesen bin. Ob sie überhaupt irgendetwas empfand, wenn ich mit meinen Lippen über ihren Körper schlich, immer in der Angst, sie würde es sich gleich doch wieder anders überlegen.
„Beste Freundinnen müssen sich auch mal näher kennenlernen“, hatte sie einem Typen auf einer Party ins Ohr gehaucht, nachdem er sich zwischen uns gedrängt hatte.
„Sonst sind’s keine echten Freundinnen. Ich zeig’s dir, wenn du willst.“
Clara verdrehte Köpfe. Überall, wo sie auftauchte. In dieser Nacht schlief sie mit uns beiden und ließ erst den Typen und danach mich zusehen. Clara hatte Kontrolle über mich. Immer. Sie wusste das und nutzte es aus. Und trotzdem war sie gut zu mir, wirklich gut. Niemand außer uns konnte das verstehen, aber wir gaben uns etwas, das uns sonst niemand gab.
Ich kann Tag und Nacht nicht mehr auseinanderhalten. Wann habe ich zuletzt geschlafen? Ich stolpere aus dem Club und es ist dunkel. Die Hand, die ich halte, gehört nicht Clara. Trotzdem nehme ich den Besitzer dieser Hände, die sich nach nichts anfühlen, mit zu mir. Er kriegt keinen hoch.
„Liegt am Speed, schätz‘ ich“, flüstert er noch, bevor er auf mir einschläft. Ich bin müde, aber kann nicht schlafen. Wenn ich meine Augen fest schließe und den Rausch noch einmal mitnehme, fühle ich wieder Claras Hände.
Wir sind auf der Brücke. Ihre riesigen, schwarzen Augen. Mir schießt in den Kopf, wie sie das erste Mal mit mir schlief. Sie mit mir, nicht ich mit ihr. Sie bestimmte einfach immer, was passierte. Nur einmal kontrollierte ich eine Situation. Sie endete damit, dass Clara von einer Brücke fiel und mit vierundzwanzig Jahren ihr Leben verlor.
„Ich weiß nicht, was ich mit diesem Gefühl anfangen soll.“
„Mit welchem?“
„Glücklich sein“, hatte sie gesagt und mit ihren Fingern auf dem Geländer getrommelt. Glücklich sein. Sie hatte allen Ernstes von glücklich sein gesprochen und mich dabei nicht mitgedacht.
„Es ist das erste Mal, dass ich was fühle beim Ficken. Muss wohl was mit Liebe zu tun haben, oder nicht?“ hatte sie gelacht und mir einen Klaps auf den Hintern gegeben. Liebe. Glück. Ich wusste nicht, wo mir der Kopf stand.
„Von Berlin in 'ne Kleinstadt ist schon nicht einfach. Aber vielleicht liebe ich ihn ja wirklich. Und ich glaub‘, ich brauch‘ den ganzen Scheiß hier einfach nicht mehr.“ Ihr Blick war es, der meine Hand letztendlich bewegte. Es schmerzt bis heute, dass sie erst im Fallen verstanden hat, wie sehr ich sie liebte.
Ich bin mir sicher, sie hat es verstanden.