Chucks smarte Freiheit
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>>Heute ist nicht mein Tag, das spüre ich. Ohje, ich bin noch ganz benommen von dem vielen Tequila gestern. Aber das war nötig, nach dem Gespräch mit der Grinsebacke von Ex-Chef.
Schmeißen mich raus, nur weil ich durchschnittlich 14,3 Minuten auf der Toilette verbringe. Oh Gott, 12 Stunden Schlaf und ich fühle mich immer noch wie erschlagen.<<
Chuck richtete sich auf, und schlenderte Richtung Badezimmer. Der karg ausgestattete Raum, bot nicht viele Annehmlichkeiten. Ein vergilbtes WC, eine provisorische Dusche und zwei zu klein geratene Waschbecken bildeten den gesamten Inhalt. Selbst die Aussicht aus der Luke, manchmal auch spöttisch „Fenster“ genannt, wurde von einen Plakat der Poseidon Corporation eingenommen. ‚Nutzen Sie die fantastischen Vorteile der neuesten RFID Technologie und gehen sie smart durchs Leben! ‘ so warben sie, überflüssiger Weise.
Chuck war begeisterter Anhänger dieser Technologie und besaß daher, wie eigentlich Jeder, einen dieser kleinen Chips unter der Haut.
Ladendiebstähle wurden dadurch auf ein Minimum reduziert. Denn kaum hatte jemand das Geschäft mit dem Objekt seiner Begierde verlassen, ertönte ein Klick und eine überaus freundliche Stimme verkündete: „Vielen Dank für Ihren Einkauf Herr/Frau XY, beehren Sie und bald wieder!“
Nach ausgiebigen Händewaschen und Nase puhlen, eilte Chuck die Treppen hinunter, in der Hoffnung, früh genug im ‚ChUP Shop‘ anzukommen, denn langes Warten war ihm zuwider.
Der Name ‚ChUP‘ stammt aus der Zusammensetzung der Wörter Chip und Update. Der Laden war groß, hell, angeblich steril und besaß im Regelfall großen Andrang. Chuck war der Überzeugung, dass er mit diesem Update, es nun endlich fertig brächte, sein Auto vom Wohnzimmer aus zu endriegeln.
Nur noch der Brief mit der Freigabe, stand zwischen Ihm und seinen lang ersehnten Traum.
So blätterte er in den Werbeanzeigen, die Tag täglich in seinen Briefkasten landeten, auf der Suche nach dem lang ersehnten Schreiben.
>>So, dann schauen wir mal. Okay, * Weingläser im Sonderangebot * Den neue Southern Comfort gibt’s jetzt auch in Bio * Christliche Selbsthilfegruppe für Alkoholiker * ‚Dildopark‘ - mach mich auf, das macht mich an*
Mensch Mensch, ist das wieder monoton hier, ich sollte in nächster Zeit mal lieber mehr andere Dinge kaufen, Tierliteratur, Müsli, Babynahrung oder so. Nein, lieber keine Babynahrung, wer weiß. <<
Selbstverständlich befand sich das Schreiben am unteren Ende der Werbeburg, wie immer. Hätte er unten angefangen zu suchen, wäre es mit Sicherheit oben.
Das trübte aber nicht die Freude über seinen Fund und so schlenderte er genüsslich die Straße hinunter.
An einer Kreuzung wartete er ungeduldig an der Ampel, den Laden schon in Blickreichweite, und war überrascht, das H&M der Meinung war, dass ein blauer Overall perfekt zu seiner braunen Hose passen würde, die er heute trug.
Endlich erreichte er den Shop und keiner da, was für ein Glück. Die überblondierte Empfangsdame begrüßte ihn und setzte ihr bestes Zahnspangengrinsen auf.
“Guten Tag, Mr. Tompkins, sie interessieren sich bestimmt für den neuen Update der Poseidon Corporation.“
Er nickte.
“Kommen sie, ich bringe sie zu Dr. Selimler“
>>Oh je, nun ist es soweit, Update= ja, Spritze= ooohhh nein.<<
„Hallo Mr. Tompkins ich bin Dr. Selimler.“ Sie rückte nervös ihre Brille zurecht.
„Ich entferne erst einmal ihr altes Implantat, sie sind ja Stammkunde, sie wissen, das geht ganz schnell“
Er lenkte sich ab, in dem er Yogi Bär und seine Freunde an der Wand beobachtete, die psychopatisch auf ihn herab lächelten.
Trotz alledem, viel ihm auf, dass der Gesichtsausdruck der Ärztin sich kurzfristig verzog. Irgendetwas schien ihr nicht zu gefallen. Nach der Extraktion klimperte sie auf den Tasten ihres Computers herum, der immer wieder einen Warnton von sich gab.
Dann blickte sie auf, und lächelte breit.
„Ok, was stimmt nicht?“, fragte Chuck nüchtern und nahm der Ärztin die Gelegenheit, Zeit mit Vorgeplänkel zu schinden.
„Ja wissen sie, ich habe leider keine Freischaltung für sie in meinem Computer. Sie haben doch einen Brief erhalten oder?“
„Ja aber natürlich“ Chuck wühlte in seiner Tasche und zog einen weißen Umschlag heraus, auf dem groß das Poseidon Logo prangte und reichte es der Ärztin.
Diese öffnete und musterte ihn eingehend, zog dann die Augenbrauen nach oben und murmelte: „Nun…das ist nicht ihre Freischaltung…sehen sie?!“ Sie hielt ihm das Schreiben vor die Nase.
Hätte er sich den Brief vorher genauer angeschaut, wäre ihm die große Überschrift „Quartalsabrechnung“ ganz bestimmt aufgefallen.
“Ja, leider haben wir ihren Chip nicht vorrätig, ich kann mich nur mit dem Servicecenter in Verbindung setzen, damit sie ihn bis Morgen liefern“
Chuck erblasste, vor Scham seiner eigenen Nachlässigkeit. Ihm blieb nichts anderes übrig als sich seinem Schicksal zu fügen. Es war ja nur für einen Tag. Trotzdem bereitete ihm die Vorstellung ‚ungechippt‘ herumzulaufen Unbehagen. Als wäre er nackt. So wie früher, als er sein Portemonnaie zu Hause vergaß.
Schon beim Verlassen des Shops, vermisste er die Stimme jener Frau, von der er überzeugt war, dass sie brünett und umwerfend gut aussah und ihn an dieser Stelle verabschiedete. „Auf Wiedersehen und danke das sie sich für Poseidon entschieden haben“, rief sie dennoch, in seinen Erinnerungen.
>>Als hätte ich eine Wahl,<< ergänzte er seinen eigenen Gedanken.
Zugegeben, er hatte sie. Sich von Poseidon chippen zu lassen oder nicht, war jedem selbst überlassen, niemand zwang einen dazu. Jedoch war Poseidon Marktführer, der einzige Konkurrent war ‚Open RFID‘ und an deren Produkte wagte sich keiner heran, der bei klarem Verstand war.
Damals, als er noch Ingenieurwesen studierte, war er auch einmal aus Geldmangel bei ‚Open RFID‘ gewesen. Gleich nach seinem verheerenden epileptischen Anfall. Sein Kopf lief zudem noch rot an wie eine Tomate. Es dauerte Stunden bis sie ihn auf eventuelle Allergien gegen bestimmte Medikamente gecheckt hatten und ihn Helfen konnten. Er dachte, er müsse sterben.
Doch dank RFID kann ihm so etwas nun nicht mehr passieren, da alles Wichtige was seinen Körper betraf auf dem Chip vermerkt war.
Zwar war seine Karriere damit beendet, da niemand ihn aus Angst vor einem erneuten Zusammenbruch mehr einstellte, aber sein Überleben schien gesichert.
Fast täglich wünschte er sich einen Anfall, damit es sich endlich lohnt. Auch wenn Andere diesen Gedankengang nicht nachvollziehen konnten.
Genervt kehrte er in eine Kentucky Fried Chicken Filiale ein, um sich eine XXL Cola zu besorgen. Ein Chemie-Zuckerflash wäre jetzt genau das Richtige.
„Ich hätte gerne eine XXL…“ „Tut mir leid, nur Chip!“ blökte ihn die Kassiererin an. Ohne Widerrede verließ Chuck den Laden, um das nächste Kentucky Fried Chicken eine Straßenecke weiter aufzusuchen.
„Nur Chip?“ ein Nicken, und weiter gings. Beim vierten KFC Shop hatte er Glück.
„Jaaa, wir nehmen auch Bargeld…willkommen im Jahre 2031“ murmelte der dickliche Mann hinter dem Tresen mürrisch und schob ihm den 3,5 Liter Eimer vom flüssigen schwarzen Gold herüber.
Aufgeputscht vom Zucker und wer weiß noch was allem, schlenderte er anschließend heimwärts.
Da fiel ihm ein, das zehn Meter von seiner Wohnung entfernt, sein mintgrüner Ford Beluga stand und in ihm die Konzertkarten für die große RTL – „Best Party wo geben tut“ Show. Diese Partys gab es 3 Mal die Woche und sie waren mehr als platt, da der Wortschatz der Moderatoren 100 Wörter nicht überschritt.
Aber diese Karten waren für heute Abend, Lisa stand total darauf und Chuck lebte nach dem Motto: Dumm f**** gut.
Also wedelte er wie verrückt mit seiner Hand vor der Autotür herum. Aber außer das ihm eine alte Dame freundlich zurück winkte, bewirkte die Aktion rein gar nichts. Wie sollte es auch?! So musste er sich eingestehen , also griff er nach seinem Handy um ihr die traurige Planänderung mitzuteilen.
„Bitte geben sie ihren Autorisierungscode ein!“
Chuck presste die Lippen zusammen um nicht vor Wut zu schreien, er ballte seine Faust und schlug damit einmal kräftig gegen eine Mülltonne, die dadurch eine kräftige Beule erhielt. Zum Glück hatte er wenigstens für seine Wohnung einen extra Code erhalten, für Leute die unterwegs ihren Arm verloren, so witzelte er früher, aber nun war das seine letzte Rettung.
Genervt ging er hinauf, um sich für den anstehenden Abend vorzubereiten.
Die Sicherung seines Schranks schlug bei jedem unidentifizierbaren Herausnehmen, eines Kleidungsstückes Alarm und brachte ihn fast um den Verstand. Doch ein beherzter Tritt gegen die veraltete Anlage, auch ‘die Russische Methode‘ genannt, schaffte glücklicherweise Abhilfe.
Er musste sich beeilen, denn sein Ziel lag drei Stadtteile weiter, ohne Auto oder Fahrschein für die öffentlichen Transportmittel wurde der Weg lang und er musste sparsam bleiben wenn er Lisa einladen wollte. Denn sein Geld, das er vor Jahren in seine Tasche gepackt hatte für unverhoffte Notfälle wie diese, war knapp bemessen.
„Hey Chucky! Wat isn mit dir lous?“, quietschte Lisa vergnügt. Als er endlich eintraf.
„Weg…lang… “, keuchte er.
Behutsam erklärte er ihr welches Missgeschick ihm heute unterlaufen war. Ihr Blick verdüsterte sich, jedoch wollte er den Abend noch retten und so versuchte er sie zum Besuch eines nahe gelegenem Clubs zu überreden, auf den Wink hin das sie dort tun und lassen könnte was ihr beliebt und das auf seine Kosten willigte sie ein.
„Na ich hoff die spieln dort och jute Mucke!“ Schnellen Schrittes näherten sie sich dem Eingang des SE86.
„He, für dich, kein Zutritt!“ Ein großer fast glatzköpfiger Mann mit Irokesenansatz , stellte sich ihnen in den Weg.
„Was? Wieso das denn?“ Damit hatte er nicht gerechnet.
„Sorry, erhöhte Terrorgefahr, ich habe Anweisung alle Personen deren Identität unklar ist abzuweisen, neue Sicherheitsbestimmungen“
„Ach so ein Quatsch, sehe ich denn aus wie ein Terrorist? Sie können mich gerne nach Waffen durchsuchen, wenn sie möchten!“ Chuck hielt ihm, sichtlich verwirrt, seine Tasche hin.
„Das darf ich nicht, so etwas verstößt gegen ihre Persönlichkeitsrechte. Gehen sie bitte weiter“
Dieses Szenario wiederholte sich, egal wo sie auch hin gingen. Das neue Gesetz für Großveranstaltungsorte aller Art verblüffte ihn, war es doch schon lang nicht mehr zu solch einem Zwischenfall gekommen.
Doch Lisa wurde unruhig und tappte von einem Fuß auf den anderen herum.
>> Oh je, nun wird sie gehen wollen,<< schoss ihm durch den Kopf, als sie sich zu ihm umdrehte und ihn schweigend ansah.
>> Gleich wird sie es sagen, dass sie lieber gehen wolle, da bin ich mir sicher. Ja klar, sie ist müde…versteh schon…ich hoffe sie erspart mir zumindest die Peinlichkeit, vor meinen Augen ihre Freundin anzurufen, um sich etwas Anderes zu suchen<<
Chuck blieb es jedoch nicht erspart.
Traurig und frustriert trottete er nach Hause. Er fühlte sich wie ein Geist, er existierte nicht mehr, war ausgeschlossen von Allem. Das letzte Mal, dass er sich so fühlte, war zu seiner Studienzeit, als er verreiste, und feststellen musste, dass sein ‚Open RFID Chip‘ mit den meisten dortigen Systemen, scheinbar nicht kompatibel war.
Umso befreiter fühlte er sich, als er am nächsten Morgen den ChUP Shop betrat um sein Update zu holen.
„Hallo, was kann ich für sie tun Mr…?“
„Tompkins, Chuck Tompkins, ich war gestern schon mal hier, wegen dem Update“
„Ach so ja, Mr. Tompkins, einen Moment bitte.“ Die Dame am Empfang lächelte verschwitzt und verschwand in einem Hinterzimmer.
Ein Mann, der gewaltig nach Ärger roch, trat nach einer Weile aus eben diesen Raum und begab sich zu ihm an den Tresen.
„Mr. Tompkins“ begann er mit ruhiger aber bestimmter Stimme.
„Ich fürchte die Poseidon Corporation hat ihren Antrag auf ein Update nicht stattgeben, da sie die letzte Quartalsabrechnung nicht abbuchen konnte. Das ist jetzt schon das dritte Mal. Das ist Standard, bis sie ihre Rechnung beglichen haben.“
Chuck konnte nicht glauben was er hörte. „Wie bitte?“ fragte er mit zitteriger Stimme. „Ja, ich weiß, ich hab meinen Job verloren und bin daher etwas knapp bei Kasse, warum haben sie dann mein Altes erst entfernt? Kann ich dann zumindest mein voriges Exemplar bekommen?“
„Das wurde ordnungsgemäß vernichtet, wegen möglichen Missbrauchs, da kann man nichts machen. Zahlen sie ihre Rechnung und dann wird das schon. Mit der Vorstrafe in ihrer Kartei, kann ich auch leider keine Ausnahme machen, ich kann ihnen da leider nur vorschlagen: Suchen sie sich einen Job.“
Entsetzt starrte Chuck ihn an.
Nein das konnte nicht deren Ernst sein, weder wusste er welcher Arbeitgeber so viel Vertrauen in ihn setzen würde, dass er ihn auch ohne Chip einstellen würde, noch woher plötzlich seine Vorstrafe kam.
„Zerstörung öffentlichen Eigentums“, erklärte ihm der Mann, nachdem er ihn fast ängstlich fragte.
„Gestern, 16:48 Uhr, Siegmundstraße Ecke Boschweg, schwerwiegende Beschädigung eines öffentlichen Mülleimers, Methode: Schlag mit Hand.
Graues Polohemd RFID Nr.789, braune ‚Escape‘ Hose RFID Nr.9987, ‘Kleiner Feigling‘ Unterhose RFID Nr.8997, keine weitere Kennung.
Kombination der Kleidung wurde 11:35 Uhr von einem H&M-Store als Chuck Tompkins identifiziert.“
Die wissenden Augen des Mannes ließen Chuck verstummen. Er verließ den Laden und überlegte, was er nun tun sollte.
>>Gut, es gibt ja nun keinen Chip Zwang, ich werde schon etwas finden,<< dachte er zu sich, ein Mann kam ihn entgegen und es ertönte die alt bekannte Stimme die ihn überall begleitete, diesmal nur ihn „Hallo, willkommen bei der Poseidon Corporation Mr. Koyoto.<<