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Chroniken einer Sternenhüterin - Im Garten der Intellekte
Vorheriger Teil: Im Auge der Bewahrers
Im Garten der Intellekte
*
Zya kratzte am Anschlag ihrer geistigen Leistungsfähigkeit, je tiefer man ihren Verstand in die erschlagende Welt der Intellekte führte.
Ob es noch akzeptabel war, wollte man wissen.
Zya bejahte, bat aber um größte Sorgfalt.
Das verstand man.
Ihre Konzentration auf all die Reize hatte einen Höhepunkt erreicht, den sie nicht zu überschreiten gedachte. Kopfschmerzen wollten sich schon jetzt einstellen, der Energieverbrauch ihres Körpers riet zur Vorsicht, und nicht mit all den technischen Wundern in ihrem Gehirn konnte die Sternenhüterin noch einen Schritt weiter gehen, ohne sich vollends zu überfordern.
Und das Verhör hatte noch nicht einmal begonnen.
Es handele sich nicht um ein Verhör, versicherte man ihr sogleich in allen nötigen Details, zerlegt in präzise Informationshäppchen, vielmehr sei es eine unverbindliche Befragung, und schon im selben Moment legte man ihr penibel dar, wie und warum man sich zu dieser Form der Auseinandersetzung mit ihr entschieden hatte.
Die schiere Intensität all der Informationen mochte ein ungeübter Diplomat als aggressiven Akt verstehen. Eine subtile Drohung. Die Intellekte waren intelligenter als die Sternenhüterin, um Größenordnungen sogar. Sie dachten mehr und schneller, ließen sich ihre bevorzugte Form der Kommunikation nicht nehmen und machten zu allem Überfluss auch noch keinen Hehl daraus.
Zya allerdings verstand die respektvolle Umsicht, mit der man sie an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit geführt hatte. Man versuchte nicht etwa, anzugeben oder einzuschüchtern. Vielmehr gab man sich Mühe, einen Minimalkompromiss zu erzeugen, der so etwas Ähnliches wie ein Gespräch auf Augenhöhe erlaubte.
Selten war die Sternenhüterin so dankbar, Vertigo in Gesprächsreichweite zu wissen. Ihr Schiffsintellekt musste zwar vor der Tür warten - genauer gesagt an der Oberfläche, Hunderte Meter rechnenden, denkenden Materials zwischen ihnen - doch die Intellekte gestatteten Echtzeitkommunikation zwischen der Sternenhüterin und ihrem Schiff. Im Augenblick schenkte Vertigo seiner Sternenhüterin eine gehörige Portion Rechenkapazität und vertrauenswürdigen Kontakt zu einer verbündeten Maschinenintelligenz - wenn auch Vertigo in einer deutlich niedrigeren Liga spielte, als die Intellekte. Und nicht zuletzt den gelegentlichen zynischen Kommentar, der sie doch tatsächlich noch ein wenig entspannen und erheitern konnte. Unbezahlbar in ihrer Situation.
Man nahm die schlechte Nachricht gleich vorweg - man dachte daran, sich bei der Sternenhütergemeinschaft über Zya zu beschweren. Schließlich hätte sie hier, im Heimatsystem der Intellekte, äußerst invasiv in eine innere Angelegenheit eingegriffen, so warf man ihr vor. Man verstand, dass es die selbsterklärte Aufgabe der Sternenhüter war, Zivilisationen vor existentiellen Bedrohungen zu schützen, das respektiere man - obgleich man dieses Vorhaben auch ein wenig albern und kindisch fand. Man hatte hier nichts gegen die Sternenhütergemeinschaft, die sei ja auch gelegentlich sehr hilfreich und nützlich, so versicherte man ihr. Zya allerdings hätte ihre Kompetenzen weit überschritten. Sie hätte mit ihrer Intervention das System verändert, und das sei nun einmal sehr ärgerlich.
Warum sie also derart eklatant in das Leben der Biomorphen eingegriffen hatte, wollte man zunächst wissen.
Weil diese Menschen - die Biomorphen - in einem offiziellen Notruf um Sternenhüterbeistand gebeten hatten, lautete der einfachere Teil der Erklärung. Sie hatten ihre Zivilisation existentiell bedroht gesehen, und einmal die Situation unter die Lupe genommen, so versicherte Zya den Intellekten weiter, sei auch sie selbst zu der Überzeugung gelangt, dass ein Eingriff zum Schutze dieser Biomorphen unvermeidbar sei.
*
Die Hebel quietschten und ächzten in Dorors kräftigem Griff. Gemächlich war der schwerelose Tanz, den der beste Steuermann der Lichtwandler mit all den metallischen Kontrollhebeln aufführte, keine Eile selbst in dieser entscheidenden Stunde für sein Volk. Die fragilen Manöversegel der Gezeitentänzer wanden und spannten sich unter den Stahlseilen, die von Dorors präzisen Eingaben in Bewegung gesetzt wurden. Das Sonnenlicht spiegelte sich in hauchdünner Segelfolie, wo immer Doror es ihm erlaubte. Unter dem schwachen Druck der Strahlungsenergie versetzte es die Gezeitentänzer in sanfte Rotation, auf dass die großen Hauptsegel tiefer im Licht gebadet wurden.
Erst über Stunden hinweg machte sich die subtile Kraft des Sonnenlichts an den Nadeln der Instrumente bemerkbar, die einem geübten Navigator wie Doror Aufschluss über die Flugbahn der Gezeitentänzer gaben. Seit Wochen und Monaten war seine schärfste Aufmerksamkeit - und natürlich die seiner Stellvertreter - gefragt, denn eine Fracht wie diese hatte er noch nie im Schlepptau gehabt.
Weit hinter seinen leuchtenden Segeln folgte ihm ein riesenhafter Schatten auf Schritt und Tritt, ein zerklüfteter Berg finsteren Gesteins. An langen Stahlseilen war die Gezeitentänzer in einem Asteroiden verankert, und sie war nicht der einzige Segler, der sich tapfer gegen die schwache Schwerkraft des fliegenden Steinbrockens wehrte. Dutzende Schiffe hatten den Asteroiden ins Schlepptau genommen. Dutzende Segler, die besten Steuermänner der Lichtwandler, koordinierten die schillernde Pracht ihrer Schiffe in einem Tanz, der Geschichte schreiben würde.
All sie versuchten allein mit der Kraft dieser Sonne, die Flugbahn des Asteroiden zu verbiegen, nur ein kleines Stück, auf dass er Lebensquell in einigen Monaten nicht in Schutt und Asche legen würde. Kein flüchtiger Beobachter hätte geahnt, dass all diese leuchtenden Segel gerade ein Rennen gegen die Zeit zu gewinnen hatten, während sie an diesem riesenhaften Steinbrocken zerrten wie kleine Drachen im Wind.
Doror allerdings war sich sehr wohl darüber im Klaren, dass ihm die Zeit davonlief. Wie da die Nadeln seiner goldenen Instrumente umher schwankten, da begriff er, dass sie gerade dabei waren, dieses Rennen zu verlieren. Der träge Brocken sträubte sich energisch, ließ sich kaum beirren auf seiner tödlichen Bahn gen Weltuntergang. Es ging alles viel zu langsam, und jeder weitere Blick auf den Chronometer ließ mehr Gewissheit zu Doror durchsickern, dass seine Anstrengungen schlichtweg fruchtlos bleiben würden.
Er musste auf eine Alternative zurückgreifen. Zweifellos auf eine weniger elegante Alternative, doch mit all den Stunden, die verstrichen, wurde die Methode der Wahl zunehmend zu einem Luxus, den er sich schlichtweg nicht mehr leisten konnte.
Also beschloss Doror, von diesem verdammten fliegenden Ungetüm abzulassen und die Weltenräuber zu kontaktieren.
*
Dass die Biomorphen in Gefahr geschwebt waren, das verstanden die Intellekte natürlich, und sogar einigermaßen akut mochte die Bedrohung gewesen sein. Dennoch warf man der Sternenhüterin abermals die Schärfe ihres Eingriffs vor. Schließlich lag die Entscheidungsgewalt über jedwede Veränderung des Systems noch immer bei den Intellekten, so wollte man betont wissen. Wie und weshalb um alles in der Welt Zya denn also im Alleingang zu der Überzeugung gelangt sei, es handele sich bei ihrem scharfen Eingriff um die bestmögliche Strategie, wollte man von ihr wissen.
Die Sternenhüterin versicherte den neugierigen, wenn auch etwas aufgebrachten Intellekten, sie habe die Situation zuvor mit aller nötigen Umsicht beäugt. Beide menschliche Zivilisationen des Systems habe sie persönlich aufgesucht, sowohl die Lichtwandler als auch die Weltenräuber, wie sie von den Lichtwandlern abschätzig genannt wurden. Mit den Repräsentanten beider biomorpher Kulturen habe sie ausgiebig gesprochen, gar einen vortrefflichen Eindruck ihrer Fähigkeiten und Unzulänglichkeiten habe sie gewonnen, bevor sie ihre Entscheidung getroffen habe.
*
Lichtwandler nannten sie sich, doch sie ließen es im Dunkeln, was genau sie nun mit diesem Namen auszudrücken versuchten. Sicher wusste Zya bisher nur wenig über dieses Volk. Dass sie es aber liebten, mit einer Aura des Geheimnisvollen zu spielen, das war ihr schnell klar geworden.
Im Inneren ihrer Schiffe gewann man schnell einen Eindruck von der schlichten Eleganz, mit der sie minimalste Technologien zu ihrem Nutzen einsetzten. Einfache Metalllegierungen hier und da. Viel Aluminium, das sich nicht nur dort draußen zwischen den Segeln erstreckte, sondern sich in Form löchriger Träger durch die gesamte Kabine zog. Dünne Textilwände trennten Räume von Korridoren, freiliegende Kühlrohre setzten Rost an. Im engen Inneren der Gezeitentänzer schien man so etwas wie ein kleines Labyrinth geschaffen zu haben, in dem sich die Mannschaft zu Hause fühlen konnte. Bemalte oder kalligraphierte Wände und goldglänzende Halteleinen wollten die schwerelosen Korridore verschönern. All das flattrige Material erzeugte einen stetigen Gesang unter dem Einfluss des Sonnenlichts und der schwachen Kräfte, die da draußen an den dürren, ultraleichten Masten zerrten.
"Sehen Sie", plauderte ein munterer Doror – "Nicht 'Captain', einfach nur 'Doror'", wie er Zya versichert hatte. "Ich bin kein Staatschef. Kein Botschafter oder so'n Kram, so was gibt’s bei uns nicht. Ich bin hier nur der Steuermann."
"Ich verstehe", behauptete Zya, als sie seinen forschen Handgriffen folgte, zielstrebig entlang der wellenschlagenden Halteleine.
"Oh, der Steuermann also", gab Vertigo ungeduldig zum Besten. Selbstverständlich funkte er seinen Beitrag direkt in Zyas Kopf, lautlos, hervorragend verschlüsselt und darüber hinaus auch noch mit übermenschlicher Geschwindigkeit. "Ich will dich nicht beunruhigen, Frau Kollegin, aber ich verlier' zunehmend meinen Optimismus, dass der Komiker uns heute noch in einiger Klarheit verrät, was genau nun eigentlich sein Problem ist."
"Geduld", bat Zya auf selbem Wege. "Die diplomatische Erfahrung dieser Lichtwandler hält sich zweifellos in Grenzen. Wir müssen auf die spezifischen Umstände ihrer Kultur Rücksicht nehmen, wollen wir etwas erreichen."
"Nicht wir wollen etwas erreichen, sondern die", betonte Vertigo. "Sie haben nach Sternenhüterbeistand geschrien, und jetzt fällt ihnen nichts Besseres ein, als uns stolz in dem klapprigsten Schrottkahn herumzuführen, den ich diesseits der Furtherskies je gesehen hab'?"
"Nun, ich wollte Ihnen auch selbstverständlich nicht auf die Füße treten", versicherte Zya also laut dem Mann, von dem sie sich zumindest so etwas Ähnliches wie ein diplomatisches Gegenüber erhoffte. "Dennoch ist es mir natürlich ein Anliegen, einen Verhandlungspartner vor mir zu wissen, mit dem sich diese Angelegenheit in aller nötigen Form klären lässt."
"Sicher, sicher", versprach ihr Doror. "Die anderen Lichtwandler haben mich darum gebeten, mit Ihnen zu sprechen, Sternenhüterin. Ich bin hier vielleicht nicht der beste Diplomat, aber mit den Seglern da draußen steh' ich gut, wir legen füreinander die Hand ins Feuer. Oh, und lassen Sie sich vom ersten Eindruck dieses Schiffes nicht täuschen, Sternenhüterin, darauf besteh' ich. Die Gezeitentänzer ist vielleicht nicht das Größte oder Schnellste, das wir haben."
"Das beruhigt mich ungemein", fühlte sich Vertigo zu einem weiteren bissigen Kommentar genötigt.
"Aber Scheiße, das alte Mädchen ist robust, wie kein zweites Segel", fuhr Doror stolz fort und wackelte demonstrativ am nächstbesten Aluminiumträger. Er schwang beunruhigend lange nach. "Glauben Sie mir, Sternenhüterin, hier kann ich vorerst Ihre Sicherheit gewährleisten. Das alte Mädchen bringt mich noch in einem Stück durch die Hölle und wieder zurück." Und als Zya schon ansetzte, einen raffinierten Bogen hin zum eigentlichen Thema zu spannen, gab Doror noch etwas leiser hinzu: "Okay, und ein paar Mal hat sie das sogar schon gemacht. Hat ihr aber nicht sonderlich geschadet. Hier, kommen Sie, hier geht's rein."
Als Doror eine Blende aufrollte und die Sternenhüterin in den Gemeinschaftsraum winkte, schlug ihr der süßliche Geruch verrauchter Luft entgegen. Zwischen Dunst und Glühbirnenlicht hatte es sich ein buntes Grüppchen aus Lichtwandlern bequem gemacht, schwebte mit meist zusammengefalteten Beinen um einen Tisch, der mit Speis und Trank reich gedeckt war. Hauptsächlich allerdings mit Trank.
"Sternenhüterin, das ist meine Crew. Na, nun kommen Sie schon, setzten Sie sich, die beißen nicht."
"Nein, spätestens seit dem letzten Joint wohl nicht mehr", vermutete auch Vertigo trocken. "Soviel zum Thema 'Sicherheit gewährleisten'."
"Nun, Vertigo", gab Zya durch, von neugierigen Blicken durchbohrt, "wir haben es wohl mit dem lichtwandlerischen Äquivalent zu einem Staatsbankett zu tun." "Guten Abend, meine Damen und Herren", räusperte sie sich also reserviert und ließ sich ans Stirnende des Tisches treiben, wo man ihr einen geräumigen Platz vorbereitet hatte.
Interessierte, überraschte und misstrauische Blicke folgten ihr dorthin. All diese Leute glänzten offenkundig durch diplomatische Unbeholfenheit, waren in bunter, knapper oder anderweitig eigenwilliger Garderobe gekleidet, mehr oder minder berauscht und teilweise von körperlicher Arbeit gezeichnet, wie sie auf einem Raumschiff nur der kuriose Ausdruck einer extrem technokonservativen Haltung sein konnte.
"Sind Sie menschlich?" staunte ihr jemand unverhohlen entgegen.
"Gewissermaßen", manövrierte sich Zya aus der Affäre. "Ich bin ein Cyborg auf menschlicher Basis."
"Creepy …" flüsterte er seiner Tischnachbarin zu und erntete mäßig subtiles Kopfnicken.
"Nun, Sternenhüterin", versuchte Doror also, die Aufmerksamkeit seines Gaster wieder auf sich zu lenken. "Was kann ich Ihnen anbieten? Sehen Sie sich um, bedienen Sie sich." Er hatte sich noch immer nicht wirklich niedergelassen, zappelte vielmehr in der Luft umher und schien zu hoffen, sein Gast könnte spontan anfangen, weniger fehl am Platze zu wirken.
"Nun, zunächst einmal möchte ich mich selbstverständlich für den herzlichen Empfang bedanken", versuchte Zya, etwas mehr Formalität in die Situation zu transportieren.
"Hrmpf", machte Vertigo.
"Mir wäre es allerdings ein bedeutendes Anliegen, zeitnah einen möglichst präzisen Eindruck von Ihrer Lage zu gewinnen."
"Ich verstehe, ich verstehe", wollte sich Doror schon näher an den Tisch begeben, bevor ihm einfiel: "Ein wenig Wein vielleicht? Wir haben hier einen Roten von den Westhängen unten auf Lebensquell, eine Spezialität, das kann ich Ihnen sagen."
"Ich nehme an, ein wenig kann nicht schaden, vielen Dank", lächelte Zya also, was den Steuermann zu beruhigen schien. Ein verziertes Metallbehältnis wurde ihr gereicht, gekrönt von einer raffinierten mechanischen Druckschleuse, die mehr oder minder elegante Dosierung in der Schwerelosigkeit ermöglichte. Die Sternenhüterin nahm einen Schluck, und pflichtbewusst lobte sie den Wein vor einem zunehmend entspannten Doror, bevor sie etwas aufdringlicher nachhakte: "Nun, soweit ich verstehe, sind Sie in einen bewaffneten Konflikt mit einer Pioniereinheit der Furtherskies-Hegemonie geraten, ist das korrekt?"
"Bewaffnet ist dieser Konflikt nur von einer Seite", betonte Doror.
"Die Weltenräuber", gab jemand vom Tisch noch dazu. "Wir nennen sie Weltenräuber, das trifft's eher. Die sind es, die sich hier militärisch aufführen, dass es nur so kracht."
"Nun, meine werten Damen und Herren", entgegnete Zya also vorsichtig, "zunächst einmal möchte ich gerne betont wissen, dass militärische Auseinandersetzungen nicht per se die Angelegenheit der Sternenhütergemeinschaft sind. Erwächst daraus allerdings eine akute existentielle Bedrohung für eine Zivilisation, so …"
"Genau die haben wir", warf jemand dazwischen, "Scheiße, Dory, hast du's ihr noch immer nicht erzählt?"
"Dem scheint nicht so zu sein", entgegnete Zya, und es klang etwas barscher, als es der gute Ton verlangt hätte. Da sie allerdings ohnehin die Einzige zu sein schien, die sich an Selbigem orientierte, verzieh sie sich diesen Ausrutscher zügig.
"Okay, okay, sehen Sie …" seufzte Doror schließlich. "Unser Volk … Die Lichtwandler. Die meisten von uns leben hier draußen auf unseren Segeln. Wir führen ein Leben an diesem Himmel, im Einklang mit der Natur. Mit dem Licht und den Intellekten. Aber einige, Sternenhüterin, die leben unten auf Lebensquell, auf dem vierten Planeten. Sie ernten, was die Natur uns schenkt, und sie beaufsichtigen die Maschinen, die das Werk der Natur nur ein wenig weiter treiben. Sie müssen verstehen, unser Volk ist auf die Substanz angewiesen. Diese Maschinen dort unten auf Lebensquell … Naja, ihre Energie stammt natürlich aus dem Licht der Sonne selbst, doch ihre Funktion ... Nun, die meisten davon nutzen die Substanz, um Rohmaterial in eine höhere Form der Komplexität umzuwandeln. Die Substanz wird uns von den Intellekten geschenkt, und es sind die Segler, die sie von dort abholen. Von weit da draußen am Himmel."
Zya nickte ahnungsvoll. Sie hatte bei ihrer Ankunft flüchtigen Funkkontakt mit den Intellekten gepflegt, und die hatten durchschimmern lassen, dass sie die Lichtwandler - die Biomorphen, wie die Intellekte sie nannten - mit molekularer Nanotechnologie versorgten. Eine klassische Symbiose. Die Lichtwandler gewannen mit dieser sogenannten Substanz eine Art industrielle Allround-Paste, die das Rückgrat ihrer Wirtschaft bildete, auch wenn sie es selbst zweifellos etwas mystischer formuliert hätten. Für die Intellekte wiederum waren die Segler der Lichtwandler ein nützliches, kostenloses Transportmittel, um die Substanz im System zu verteilen. Die Bienen, die ihre Blumen bestäubten. Technisch waren die Intellekte zweifellos nicht auf die Segler angewiesen - doch bequem mochten sie allemal sein. Die Intellekte verstanden sich nun einmal als so etwas wie die Gärtner in diesem System, und aller Wahrscheinlichkeit nach betrachteten sie die Biomorphen kaum als weiter entwickelt, als ein Gärtner seine fleißigen Bienchen.
"Ich verstehe", tastete sich Zya vorwärts. "Die Weltenräuber, wie Sie sie nennen, schneiden Ihnen also zunehmend den Substanznachschub ab."
Doror ließ sich zu sachtem Kopfnicken verleiten, ein bitterer Ausdruck in der starr gewordenen Miene. "Das ist das Problem, an dem unsere gesamte Kultur nun seit Jahren kräftig zu knabbern hat."
"Lange geht's nicht mehr gut", ließ jemand verlauten.
"Es geht schon jetzt nicht mehr gut", knurrte Doror. "Die Weltenräuber greifen Segler an, wenn sie sich Lebensquell nähern. Seit Jahren. Sie beanspruchen schamlos den Raum um diesen Planeten. Unseren Brüdern und Schwestern auf dem Planeten fehlt es an Substanz, und wir hier oben … Sehen Sie, der Eindruck, den Sie an diesem Tisch vielleicht gewinnen, der täuscht. Es ist ein Festmahl, ein Geschenk von uns an Sie, Sternenhüterin. Ein Schatten dessen, was die Lichtwandler früher waren. Vielen Crews fehlt es zunehmend am Nötigsten. Einige sind dazu übergegangen, die Substanz direkt an Bord zu nutzen, um Luft, Wasser und Nahrungsmittel aus allem zu erzeugen, das nur die nötigen Stoffe hergibt. Sie schaffen es eben nicht mehr bis an den Himmel von Lebensquell. Aber ohne die Maschinen auf dem Planeten ist der Prozess ineffizient, und diese Substanz fehlt dann unseren Leuten am Boden. Die Intellekte schenken uns nicht noch mehr, wir können ja schon jetzt dankbar sein. Diese verdammten Weltenräuber sind gerade dabei, unsere Kultur zu zerstören, Sternenhüterin, Sie töten unsere Brüder und Schwestern, mutige Seglerinnen und Segler, und sie sehen zu, wie unsere Zivilisation zu Asche zerfällt. Wir schaffen es nicht alleine. Wir brauchen Ihre Hilfe." Und "Wollen Sie?" erkundigte er sich noch, als eine ominöse Zigarette aus der Runde bei ihm angekommen war.
"Oh, nein, danke sehr", lehnte Zya ab, was Doror nutzte, um abermals einen kräftigen, augenscheinlich beruhigenden Zug zu nehmen.
"Scheiß-Weltenräuber", fügte er kopfschüttelnd hinzu.
"Doror", wählte Zya also die bevorzugte Anrede des Steuermanns, "mir drängt sich natürlich die Frage auf, was die Weltenräuber damit bezwecken."
"Schwer zu sagen", ließ Doror ein Schulterzucken walten. "Seit sie sich hier breitgemacht haben, gibt’s nur Ärger. Vor Jahren sind sie auf Lebensquell eingefallen und haben sofort angefangen, Bergwerke und Fabriken zu errichten. Sie sind wie die Heuschrecken, Sternenhüterin, wohin auch immer sie kommen, plündern sie die Natur und drangsalieren die Einheimischen. Sie richten Unheil und Zerstörung an."
"Soweit hat er teilweise recht", ließ sich Vertigo also doch noch zu einem sinnvollen Kommentar verleiten. "Die Furtherskies-Hegemonie ist nicht gerade für ihre guten Umgangsformen mit anderen Zivilisationen bekannt. Wie's aussieht, sind sie auf Lebensquell im Moment damit beschäftigt, ein neues interstellares Raumschiff für ihre Weiterreise zu konstruieren. Naja, zumindest, wenn sie nicht gerade mit ihren Fregatten um den Planeten marodieren und Segler vermöbeln."
"Und für dieses Sternenschiff verwerten sie große Mengen Rohmaterial des Planeten", setzte Zya den Gedankengang ihres Schiffsintellekts fort, "zweifellos ein Eingriff in die Natur, der den Lichtwandlern enormes Unbehagen bereiten muss."
"Ganz recht", knüpfte Vertigo an. "Ich verwette mein Seitenruder darauf, dass die Lichtwandler sie irgendwie provoziert haben, weil ihnen dieses Ausmaß an Ressourcenverwertung nicht gepasst hat. Da gab's doch sicher irgendeinen Zwischenfall in der Vergangenheit. Ich glaub' nicht, dass die Lichtwandler solche Unschuldslämmer sind."
"Das würde dir gefallen, nicht?" amüsierte sich Zya.
"Nicht doch", gestand Vertigo unschuldig.
Dem Steuermann musste die kurze Pause gelegen gekommen sein, wie er da sein Getränk zusehends leerte und offenkundig Grübeleien im Kopf umher schob. "Und noch etwas, Sternenhüterin", gab er zögerlich laut.
Zya zog interessiert die Augenbrauen hoch und nahm einen Schluck ihres Getränks, um so etwas wie einen entspannten Eindruck zu erwecken. Darüber hinaus war dieser Wein bei genauerer Betrachtung tatsächlich eine selten angenehme Spezialität.
"Es gibt da eine Kleinigkeit, die Sie vielleicht wissen sollten …" druckste Doror.
"Eine … wichtige Kleinigkeit", betonte jemand.
"Eine wichtige Kleinigkeit", nickte der Steuermann.
"Na", freute sich Vertigo, "was hab' ich dir gesagt?"
*
Das vierte Pioniersregiment der Hegemoniestreitkräfte erwies sich zügig als äußerst straff geführte Gruppe, deren enger Zusammenhalt schon für sich genommen die Geschichte ihrer Reise umriss. 26 Lichtjahre von zu Hause entfernt ließ sich von einer funktionierenden menschlichen Militäreinheit auch kaum etwas Anderes erwarten, so musste sich die Sternenhüterin vor Augen halten.
Mit Pancommander Treyshu hatte dieser isolierte Verband darüber hinaus auch noch eine Repräsentantin, die seiner vorbildlichen Disziplin zweifellos gerecht wurde. Eisig thronte sie hinter ihrem wuchtigen Schreibtisch, die Hände auf selbigem gefaltet, zwei Hegemoniefahnen im Rücken. Ihre Miene saß so starr, wie die schneeweiße Hegemonieuniform, und dass sie sich schon vor Zyas diplomatischer Rüge keinen Deut herzlicher gegeben hatte, sprach Bände. Die Sternenhüterin hatte auf das penibel vorbereitete Bankett explizit verzichtet und die Kommandantin dazu genötigt, umgehend zum Geschäftlichen überzugehen. Mochte man dieses Zeichen der diplomatischen Anspannung zwar verstanden haben, so hatte sich die Frau Pancommander offenbar doch nicht übermäßig provoziert gefühlt. Ihre Förmlichkeit, eine entfernte Verwandte der Höflichkeit, hatte sie sich nicht nehmen lassen, und so versicherte sie der Sternenhüterin auch in höchst angemessenem Ton:
"Sternenhüterin, so sehr ich es schätze, Sie meinen Gast nennen zu dürfen, so unklar ist mir offen gestanden, was mir diese seltene Ehre verschafft."
"Ja, das ist auch wirklich unheimlich schwer zu erraten", gab Vertigo dazu. Der Empfang war verrauscht in diesem Bunker, einige Stockwerke unter der Oberfläche von Lebensquell.
"Nun, wie ich annehme, ahnen Sie bereits, dass mein Besuch im Zusammenhang mit den Lichtwandlern steht", ging Zya also mäßig auf den Vorschlag ihres Schiffsintellekts ein.
Bedacht nickte Treyshu, bevor sie einhakte: "Sie sind doch hoffentlich darüber im Bilde, dass ich es mit einer Verteidigungssituation zu habe?"
Nun ließ Zya ein zögerliches Kopfnicken walten, hatten ihr die Lichtwandler doch ein sehr unbequemes Stück Geschichte dieses Konflikt gebeichtet. Zunächst aber forschte sie weiter: "Pancommander, Sie verstehen vermutlich, dass Ihre Landung auf Lebensquell als feindlicher Akt verstanden wurde. Als Sie gegen den ausdrücklichen Wunsch der Lichtwandler eine Bergbauoperation auf diesem Planeten gestartet haben, haben Sie das Territorium der bisherigen Bewohner verletzt. Man hat Ihre Operation als militärische Provokation verstanden und darauf mit Mitteln reagiert, die ich nicht zu beurteilen wünsche. Nichtsdestotrotz ist die Hegemonie in diesem Fall der Aggressor, darüber sollten wir uns einig sein."
"Sternenhüterin, es gibt kein Territorium der Lichtwandler", behauptete Treyshu aber. "Diese Leute haben keinen legitimen Anspruch auf den gesamten Planeten. Es handelt sich um lose Grüppchen von Raumfahrern und Siedlern ohne eine annähernd staatliche Struktur. Einzelne Siedler, die ich nun wirklich keiner repräsentativen Organisation zuzuordnen vermag, haben bei unserer Ankunft im System hochgestochene Forderungen gestellt, die ich, so ungern ich es auch sage, als lächerliche Kindereien abtun musste. Wir dürften keinesfalls in die Natur des Planeten eingreifen. Wir dürften die Ressourcen auf Lebensquell nicht berühren, nicht einmal landen. Derartige ideologisch geprägte Ideen eben. Sehen Sie, Sternenhüterin, vereinzelte Lichtwandler-Kolonien finden sich an den Flussläufen des Planeten, Landwirtschaft und Industrie in sehr begrenztem Maße. Wie sollten diese Lichtwandler da einen Anspruch auf den gesamten Planeten haben? Wir nehmen ihnen schließlich nichts weg, das sie selbst bräuchten. Einen völkerrechtlich bindenden Anspruch auf Lebensquell sehe ich hier jedenfalls nicht, und auf die ideelle Vorstellung eines Lebens mit einer Art unantastbaren Natur kann und werde ich schlichtweg keine Rücksicht nehmen. Dazu bin ich sicherlich in keiner Position."
"Nichtsdestotrotz muss Ihnen klar gewesen sein, dass Sie einen Zwischenfall provozieren", vermutete die Sternenhüterin.
"Wahrscheinlich hat sie einfach im Traum nicht daran gedacht, dass diese Hippies wirklich zurückbeißen", lautete Vertigos Hypothese dazu.
"Ich bin keine Diplomatin", stellte Treyshu klar. "Ich bin Ingenieurin und Soldatin. Ich gestalte Welten lebensfreundlich, Sternenhüterin, ich suche neues Land und mache es urbar für Siedler der Hegemonie. Das ist mein Beruf und die Mission, die mir vor nahezu 80 Standardjahren anvertraut wurde. Auf Lebensquell allerdings habe ich dieses Land nicht gefunden. Ich bin nur hier, um eine neue Interstellarrakete zu konstruieren, meine Vorräte aufzustocken und weiterzusuchen. Ich habe entschieden, Lebensquell nicht zu kolonisieren, sondern lediglich als Zwischenstation zu nutzen, aber damit sind meine politischen Spielräume auch schon ausgeschöpft. Wenn sich die Lichtwandler davon schon provoziert fühlen, dann ist dies leider in erster Linie das Problem der Lichtwandler selbst. Wie bereits erwähnt, Sternenhüterin, es überrascht mich, dass Sie Ihre wertvolle Zeit einer leidlichen Angelegenheit wie dieser widmen." Um ein Haar hätte sie "opfern" gesagt.
"Ich verstehe Ihre Lage, Pancommander", knüpfte Zya an. "Meine Mission allerdings ist es, bestehende Zivilisationen vor dem Untergang zu bewahren. Ich bin eine Sternenhüterin. Und als solche bin ich sehr besorgt um die wirtschaftliche Situation der Lichtwandler. Indem Sie keine Segel mehr nach Lebensquell passieren lassen, Pancommander, schneiden Sie dieser Kultur die Lebensgrundlage ab, und dies wiederum ist eine Angelegenheit, der ich sehr wohl meine Zeit zu widmen bereit bin."
Etwas Grimmiges zuckte durch die Miene des Pancommanders, als sie sagte: "Die Lichtwandler übertreiben, Sternenhüterin. Schamlos. Nicht einmal vonseiten der Intellekte habe ich wie auch immer geartete Kritik gehört, und ebendie scheinen mit den Lichtwandlern sogar eine Form von Symbiosebeziehung zu pflegen."
"Verzeihen Sie, Pancommander", hielt Zya dagegen, "aber ich bezweifle stark, dass Sie vonseiten der Intellekte jemals irgendetwas gehört haben. Die Intellekte betrachten diesen Konflikt zweifellos mit wissenschaftlicher Neugierde, aber in die Vorgänge einzugreifen liegt ihnen aller Wahrscheinlichkeit nach sehr fern. Vermutlich ist es ihnen relativ gleichgültig, ob die Lichtwandler zugrunde gehen. Ihr Interesse an Menschen ist in erster Linie wissenschaftlicher Natur."
"Sie werden nicht zugrunde gehen", beharrte Treyshu. "Die Lichtwandler wären weder auf die Güter vom Planeten angewiesen, noch könnte ich meine Blockade auf Dauer aufrecht erhalten, nutzten sie ihr volles Potential. Diese Leute haben die Substanz, das sind industrielle Nanoschwärme auf dem Niveau der Intellekte. Sogar die Hegemonie nimmt tunlichst Abstand von derart gefährlicher Technologie, und die Lichtwandler machen sich damit ihr Frühstück! Sie verklären und mystifizieren die Substanz als eine Art Gottesgeschenk und bestehen darauf, sie 'im Einklang mit der Natur' zu nutzen. Niemand weiß sicher, was sie damit meinen oder tatsächlich anstellen könnten, wenn sie es nur wollten. Sie haben ihre Schiffe gesehen, Sternenhüterin, haben Sie bemerkt, wie meisterhaft sie schon mit einfachsten Mitteln umgehen können? Wollten die Lichtwandler sich wirklich ernsthaft versorgen, so könnten sie es. Sie haben Optionen, mehr als eine sogar, diese Leute sind bei Weitem nicht so hilflos, wie sie aussehen. Stattdessen verschwenden sie die Zeit einer Sternenhüterin, damit sie sich nicht selbst die Finger schmutzig machen müssen! Ich bitte Sie, an diesem Theaterspiel können Sie doch kein ernsthaftes Interesse haben?"
Pancommander Treyshu war nunmehr aufgekratzt, hatte ihre kalte Fassade bröckeln lassen. Also verlor Zya keine Zeit, einen unverwüstlich ruhigen Ton aufzusetzen und damit nachzusetzen: "Pancommander, wozu diese Blockade? Wozu diese unverhältnismäßige Härte?"
*
Dass sich dieser Konflikt in bedrohliche Größenordnungen hätte aufschaukeln können, ja, das verstand man, so betonte man abermals, im gleichen Gedankenstrom allerdings auch, dass all dies der Einschätzung und Verantwortung der Intellekte als höchste Macht dieses Systems oblag. Die Befragung drehte sich im Kreis. Weshalb Zya also eingegriffen hatte, war man sich noch immer nicht im Klaren, und wie sie dazu gekommen war, diese Entscheidung einfach selbst in die Hände zu nehmen.
"Nun", fiel Zya auf eine primitivere Form der Kommunikation zurück, und es war der Hauch eines Schuldeingeständnisses, als sie erklärte: "Ich fürchte, ich habe diese Biomorphen nun einmal irgendwie ins Herz geschlossen."
*
"Sie haben was getan?" empörte sich Zya.
"Wir haben gar nichts getan", wollte Doror festgestellt wissen. Nichtsdestotrotz war sein Bericht wie ein unbequemes Geständnis dahergekommen. "Einige Segler", betonte er, "wollten die Weltenräuber von Lebensquell verjagen, indem sie Sonnenlicht auf ihren Lagerplatz spiegelten. Sie hielten das für 'ne ziemlich clevere und zivilisierte Idee, naja, ich versteh' schon, dass sie uns damit ziemlich in die Scheiße geritten haben."
"Naja, immerhin einer", seufzte Vertigo.
"Nun, wenn ich fragen dürfte", sammelte sich die Sternenhüterin, "wie viele Segel waren an dieser Operation beteiligt?"
"Etwa …" Doror suchte Blickkontakt mit einer Frau aus seiner Mannschaft, die ihn erinnerte:
"Nicht ganz hundert."
"Etwa hundert", nickte Doror, was die Sternenhüterin dazu veranlasste, einige Momente nach Worten zu suchen.
"Naja", zählte Vertigo auf, "hundert von diesen Segeln, Reflektivität, Solarkonstante im Orbit von Lebensquell … Da kommen wir schnell auf die energetische Größenordnung eines militärischen Angriffs."
"Ein klassischer Erstschlag", pflichtete die Sternenhüterin ihrem Schiffsintellekt bei, bevor sie laut in die Runde warf: "Ich hoffe, Ihnen allen ist klar, dass es sich schwierig gestalten dürfte, eine Situation wie diese in aller nötigen diplomatischen Form aufzulösen."
"Sie wollen sicher nicht?" hakte Doror aber zunächst noch einmal nach und bot Zya abermals die ominöse Zigarette an.
"Nun, vielleicht … Ja, danke sehr", kapitulierte sie und nutzte die Gelegenheit, um einen tiefen Zug zu nehmen, der tatsächlich noch eine beruhigende Wirkung entfalten konnte. Schließlich fügte sie hinzu: "Sind Sie daran interessiert, dass diese Weltenräuber ihre Angriffe auf Ihre Segel einstellen, so sollten Sie sich ernsthaft damit anfreunden, an unkonventionelle Lösungen zu denken."
"Hm", nickte Doror, "hm, das ist … naja, an was denken Sie?"
"Hey", rief jemand dazwischen, "'ne militärische Lösung kommt uns hier nicht in die Tüte. Wir sind nicht die Wichser, die diese Aktion mit dem Sonnenlicht angezettelt haben."
"Ich würde eine militärische Lösung auch vorerst kategorisch ausschließen", beruhigte ihn die Sternenhüterin. "Eine weitere Eskalation ist mit Sicherheit nicht zweckdienlich."
"Ah, cool", entspannte sich seine Tischnachbarin. "Ich hab' schon befürchtet … Naja, Sie wissen schon, dieses Sternenhüterzeug, dass Sie einfach alles kurz und klein ballern mit Ihrem Hi-Tech-Kram."
"Nichts läge mir ferner", versicherte Zya den Anwesenden und entschied sich dazu, den Joint nunmehr doch vorsichtshalber weiterzugeben.
"Gut?" hakte die Nächste in der Runde nach und zog kräftig.
"Das nehme ich an", nickte Zya und lenkte ein wenig ihrer übermenschlichen Aufmerksamkeit auf ihr Körpergefühl in der Schwerelosigkeit.
"Naja", zuckte Doror mit den Schultern, "welche Art von Lösung haben Sie denn im Sinn?"
"Da wäre ich auch mal gespannt, Frau Meisterdiplomatin", pflichtete ihm Vertigo bei. "Mit den Hegemoniepionieren saufen und kiffen wird ja wohl ausscheiden, hm?"
"Das weiß ich noch nicht", gab Zya zuversichtlich zum Besten und bemühte sich um eine entspanntere Körperhaltung. "Aber es wird zweifellos keine konventionelle Lösung geben. Ganz zweifellos. Ich nehme an, ich muss kreativ werden. Sehr kreativ. Oh, haben Sie noch einen Wein?"
"Scheiße", seufzte Vertigo, "du bleibst heute noch ein Weilchen da, hm?"
*
Pancommander Treyshu knurrte gereizt und ließ sich in die ausfallende Sessellehne sinken. "So verstehen Sie doch, Sternenhüterin …" hatte sie sich aus ihrer eisernen Ruhe provozieren lassen. "Diese Sache …" Sie unterbrach sich selbst mit einem tiefen Seufzer und beschloss offenkundig, ihre Verhandlungsstrategie zu überdenken. Ein routinierter Griff unter ihren Schreibtisch folgte.
"Lass' dich nicht abknallen", riet Vertigo. "Das wäre jetzt schon irgendwie peinlich."
"Danke, mein geschätzter Intellekt, das hatte ich nicht vor", ignorierte Zya den schmalen Scherz, als Treyshu statt einer Waffe eine Flasche goldbrauner Flüssigkeit und zwei Gläser unter ihrem Tisch hervorzauberte.
"Es handelt sich um einen echten Landfall, Jahrgang 563", verkündete sie und goss ein.
"Vielen Dank, allerdings würde ich es bevorzugen …"
"Ich bestehe darauf!" betonte Treyshu vehement.
"Nun, dann habe ich zu danken", gab sich Zya geschlagen und nahm das großzügig gefüllte Glas entgegen. "Ich gestehe, ich bin überrascht." Zwar hatte sie beharrlich versucht, die Frau Pancommander aus der Reserve zu locken – doch mit einem solchen stilistischen Umschwung hatte sie nun wirklich nicht gerechnet.
"Ich sagte bereits, ich bin Ingenieurin", setzte Treyshu an, nahm einen kräftigen Schluck und fuhr fort: "Ich weiß nicht, wie Sie diese Maßstäbe handhaben, Sternenhüterin, aber wenn man mit einer Mannschaft 26 Lichtjahre überbrückt, so ist es verlockend, in den Hintergrund treten zu lassen, dass man eigentlich auch Soldatin ist. Sie verstehen?"
"Vermutlich, ja", nickte Zya und nippte an dem unverschämt starken Whiskey.
"Ich bin hier als Ingenieurin gelandet. Als Pionierin. Ich habe die Lichtwandler nicht ernst genommen, das muss ich Ihnen gestehen, aber nichts Anderes als das ist mir schließlich auch zum Verhängnis geworden. Diese Leute haben uns schlichtweg überrumpelt. Als sie ihre Segel zusammengezogen haben, da habe ich die Bedrohung viel zu spät erkannt."
"Sie hielten sich für unverwundbar?"
"Ich habe die Sicherheit meiner Crew vernachlässigt, Sternenhüterin! Ich habe es zugelassen, dass die Lichtwandler unser Lager im Sonnenlicht braten. All die Wissenschaftler und Ingenieure, Zivilisten und Soldaten, sie vertrauen darauf, dass ich sie beschütze. Ich bin Offizier der Furtherskies-Hegemonie. Heute wie schon vor 78 Jahren bin ich für diese Leute verantwortlich."
"Ich verstehe", nickte die Sternenhüterin. "Also versuchen Sie nun, Ihr Versäumnis wiedergutzumachen, nehme ich an?"
"Es geht nicht um Wiedergutmachung", wollte Treyshu klargestellt wissen, und ihr Glas leerte sich zusehends in ganz erstaunlicher Geschwindigkeit. "Es geht darum, meiner Verantwortung gerecht zu werden. Sternenhüterin, Sie kritisieren, was Sie als unverhältnismäßige Härte verstehen. Ich allerdings beschütze meine Leute, und nicht einmal die Intellekte könnten mich nun noch zu einem Kurswechsel überreden. Bereits ein einziges Segel im Anflug auf Lebensquell ist ein Risiko. Diese Lichtwandler sind ausgesprochen kreativ und geschickt im Umgang mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen. Gestern noch mögen sie Sonnenlicht auf meinen Stützpunkt gespiegelt haben, und was ihnen morgen einfällt, vermag ich nicht abzusehen. Ich kann mit dieser losen Bande keine zuverlässige Übereinkunft schließen, denn einige dieser Lichtwandler sind ganz offenkundig zu allem bereit."
"Also müssen sie alle die Konsequenzen tragen?" hakte Zya nach.
"Es ist ganz offenkundig die einzige Lösung", nickte Treyshu. "Sie ist nicht hübsch, aber es ist eine Lösung."
"Sie haben nicht daran gedacht, den Bau Ihres Sternenschiffs auf einen unbewohnten Himmelskörper auszulagern?" schlug Zya eine naheliegende Variante vor. "Es gibt eine Vielzahl von kleineren Körpern in diesem System, auf denen weder Lichtwandler leben, noch Intellektaktivität zu verzeichnen ist. Sie verlieren dort zwar die logistischen Vorteile einer lebensfreundlichen Welt, doch Sie gewinnen andere hinzu."
"Ich kann die Fertigstellung dieser Interstellarrakete jetzt nicht noch länger als nötig verzögern", beharrte Treyshu. Geduldig füllte sie ihr Glas wieder auf und schwenkte es ein wenig umher, bevor sie erklärte: "Sehen Sie, Sternenhüterin, der nächste Hegemonieoffizier, der mir gegenüber weisungsbefugt ist, hält sich soweit ich weiß im Augenblick in einer Entfernung von zwölf Lichtjahren auf."
"Das ist eine ansehnliche Entfernung, um sich auf die Loyalität einer Mannschaft zu verlassen", streute Zya ein. "Nicht viele militärische Strukturen haben diese Fähigkeit."
"Die Hegemonie hat sie", versicherte Treyshu ihrem Gast stolz, bevor sie fortfuhr: "Das bedeutet auch, mein Bericht über den Zwischenfall mit den Lichtwandlern hat diesen Vorgesetzten bereits erreicht. Seine Antwort ist zweifellos längst auf dem Weg hierher, und die Hegemoniestreitkräfte neigen nicht dazu, Angriffe auf ihre eigenen Reihen mit einem Übermaß an Toleranz zu würdigen."
"Ich nehme an, ich verstehe", nickte Zya bedacht.
Ein schwaches Schmunzeln umspielte die Lippen des Pancommanders, als sie ebenfalls nickte: "Ist meine Interstellarrakete allerdings schon fertiggestellt, wenn mich die Antwort meines Vorgesetzten erreicht, und befinde ich mich zu diesem Zeitpunkt bereits auf der Weiterreise, so werden alle mich erreichenden Befehle betreffend dieses Systems und der Lichtwandler gegenstandslos." Treyshu ließ ihren Plan einige Augenblicke durchsickern, bevor sie geradewegs grinste: "Wie bereits erwähnt, Sternenhüterin, ich bin eine Ingenieurin. Ich gestalte Welten lebensfreundlich, das ist mein Beruf."
"Nun", schmunzelte Zya, "das wirft durchaus Licht auf diese Angelegenheit."
"Autsch", machte Vertigo.
Pancommander Treyshu blinzelte der Sternenhüterin einen Moment irritiert entgegen, bevor ihr Grinsen zurückkehrte und gar in verhaltenes Lachen ausbrach. "Das könnte man sagen, Sternenhüterin, das könnte man sagen. Im Ernst, Sie sollten dieses Essen wirklich nicht ausschlagen, ich habe Ihnen ein wahres Staatsbankett vorbereitet. Überdenken Sie es noch einmal, darauf bestehe ich."
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Das sei natürlich sentimentaler Unfug und wohl eher rhetorisch gemeint, erkannten die Intellekte. Wie es denn sein könne, so bediente man sich nun ebenfalls rhetorischer Mittel, wenn die Sternenhüterin diese Biomorphen denn so sehr ins Herz geschlossen hätte, wie sie behauptete, wie um alles in der Welt sie dann also auf die Idee gekommen war, ausgerechnet einen Asteroiden auf Kollisionskurs mit Lebensquell zu lenken, so wollte man wissen.
Ein Weltuntergangsszenario zu erzeugen sei doch schon eine eher erstaunliche Strategie zum Schutze der Biomorphen, so fanden die Intellekte.
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"Zünden Sie!" forderte Doror abermals über sein verrauschtes Funkgerät. "Wir schaffen's nicht mehr. Treyshu, jetzt zünden Sie Ihre verdammten Bomben!"
Der Pancommander zögerte. Eingepfercht in der engen Kommandokapsel ihres Flaggschiffs beobachtete Treyshu den Fortgang der Aktion, Informationen über Informationen direkt in ihre Sinne gestreut, aus denen schlau zu werden es schon eine erfahrene Kommandantin brauchte. Persönlich beaufsichtigte sie die Operation von Bord der Pioneer Guardian, denn wenn hier jemand vor Ort den Groschen zum Fallen bringen konnte, dann war es eine Soldatin und Ingenieurin.
Persönlich folgte sie dem Asteroiden und diesen lebensmüden Seglern seit Monaten auf Schritt und Tritt, doch es war alles ganz gewaltig aus dem Ruder gelaufen. Die Segler hatten deutlich länger gebraucht, als geplant, um überhaupt an diesem Steinbrocken festzumachen, und die Masse des Asteroiden hatte sich als bedeutend größer erwiesen, als berechnet. Ein winziges Stück hatten sie ihn bewegt, über Monate hinweg nur ein wenig Geschwindigkeitsveränderung auf das Ungetüm übertragen. Doch nun, da der Asteroid noch immer auf Kollisionskurs mit dem Lager war, da kam es auf den Backup-Plan der Hegemoniepioniere an.
Die gute Nachricht war, dass Treyshu ein knappes Dutzend thermonuklearer Sprengköpfe dicht unter der Oberfläche des Asteroiden hatte vergraben lassen. Die Detonationen würden Megatonnen Material aus dem Steinbrocken sprengen und seine Bahn damit weiter verbiegen.
Die schlechte Nachricht war, dass es vielleicht nicht reichen würde. Das und natürlich, dass die Segler sich nun seit Stunden so quälend langsam von dem Asteroiden entfernten, dass Treyshu nicht einmal mehr deren Sicherheit garantieren konnte, sollte sie nun ernsthaft zünden.
"Eure verdammten lahmen Schrottkähne", fluchte sie vor sich hin, als sie heimlich beschloss, doch noch nicht zu zünden.
"Treyshu, jetzt zünden Sie schon endlich Ihre Scheiß-Knallfrösche!" forderte Doror abermals, "Scheiße, Trey, jede verdammte Sekunde könnte das Zünglein an der Waage …"
"Oh, Dory, ich scheiß' allmählich auf Ihr Zünglein an der Waage, fällt Ihnen nichts Besseres ein?" fiel der Pancommander also vollends aus der stoischen Ruhe der vergangenen Monate und entschied sich zu einer etwas verwegeneren Lösung. "Pioneer Zwo bis Dreizehn für Pioneer Eins", schickte Sie also über den Äther, "Angriffsplan Acht-Zwo für gesamte Segelflotte! Ich wiederhole, Angriffsplan Acht-Zwo für gesamte Segelflotte!"
Während die treuen Rückmeldungen ihrer Staffel bei ihr eintrafen, justierte sie persönlich ihren Punktverteidigungslaser und nahm Dorors Gezeitentänzer ins Visier. Viele Jahre hatten ihre Fähigkeiten als alte Raumpilotin nunmehr einrosten können, doch als es darauf ankam, so stellte sie zufrieden fest, funktionierte die Kommunikation zwischen ihrem Gehirn und dem Schiff so tadellos, wie einst in den besten Zeiten der Kommentkriege. Lautlos und unsichtbar entlud sie die Strahlungsenergie in den Weltraum, und erst, als ihr Präzisionsschnitt die Segel der Gezeitentänzer traf, meldete sich Doror in einem Ton zu Wort, der vor Treyshus geistigem Auge den hochroten Kopf des tobenden Lichtwandlers erahnen ließ:
"Scheiße! Trey, was wird denn das?! Haben Sie jetzt komplett den Verstand verloren, Sie und Ihre beschissene Faschistenmeute?!"
"Aber Dory, wer wird denn gleich ausfallend?" grinste Treyshu. "Nur des Verständnisses halber: Ich schiebe Ihre lahme Schrottmühle ein wenig an, damit Sie mir schneller vom Explosionsherd wegkommen, also spielen Sie jetzt mal besser schön mit Ihren Hebelchen. Der richtige Saft kommt jetzt nämlich aus meiner Richtung und nicht mehr von der Scheiß-Sonne." Zum Abschluss räusperte sie sich noch, um den Übermut der jungen Kampfpilotin, die sie einst war, in zivilisierte Grenzen zu verbannen.
"Trey, das ist …"
"Ja, eine grandiose Idee, ich weiß. Jetzt machen Sie schon, richten Sie Ihren Schrottkahn aus und sagen Sie Ihren Seglern, die sollen auch ein bisschen Gas geben, dann hab' ich euch nämlich schnell genug von diesem Steinbrocken weg, um rechtzeitig zu zünden, ohne mir danach eure Notrufe anhören zu müssen. Und ja, Dory, das heißt wirklich, ich rette Ihnen gerade Ihren Arsch!"
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"Nun", gab die Sternenhüterin also zum Besten, fast ein wenig vergnügt, "es hat doch geradezu vorzüglich funktioniert, finden Sie nicht?"
Sehr invasiv sei es aber dennoch gewesen, so warf man ihr vor, äußerst unverhohlenes Social Engineering, das sei ja offenkundig. Sie habe als Sternenhüterin doch einen Schiffsintellekt als Kommissar und Berater zur Seite, so führte man weiter an und wollte wissen, weshalb der ihr nicht zu einer umsichtigeren Vorgehensweise geraten hatte.
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"Hm", hatte Vertigo gesagt, "ich weiß ja nicht, ob ich dir diese blöde Asteroiden-Idee überhaupt noch ausreden kann, aber wär's nicht doch besser, wenn wir einfach einige Steuermänner und den Pancommander durch Klone ersetzen? Wenn wir's geschickt anstellen, merken's nicht mal die Intellekte. Ich meine, komm' schon, ein paar gute, altmodische willenlose Zombies aus dem Weltraum sind doch um einiges eleganter, als dieses Gedöns mit einem globalen Killer. Was das wieder an Energie kostet …"
"Mein geschätzter Intellekt", hatte die Sternenhüterin geknurrt, "mir stößt deine lapidare Verwendung des Begriffs 'ersetzen' auf."
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Sie hätten in der Tat eine Meinungsverschiedenheit darüber ausgetragen, wessen Strategie nun subtiler sei, so versicherte Zya den Intellekten, ohne genauer auf Vertigos Pläne einzugehen. Relativ zügig allerdings hätten sie entschieden, dem Plan der Sternenhüterin den Vorzug zu geben.
Der habe ja auch in der Tat zu einer eindrucksvollen Kooperation zwischen den beiden biomorphen Gruppierungen geführt, gab man zu, wollte aber sogleich wissen, ob die Sternenhüterin sich denn nicht im Klaren darüber sei, dass ein solch brüchiger Friede aus einer Notlage heraus bestenfalls einige Jahre anhalten werde.
Selbstverständlich sei sie sich darüber im Klaren, versicherte die Sternenhüterin den Intellekten, und mehr sei doch auch gar nicht nötig. Schließlich machten die Pioniere ja ohnehin nur Rast in diesem System und planten ihre Abreise binnen einiger Jahre.
Darüber hinaus, so versuchte Zya, das Ruder vollends an sich zu reißen, sei sie den Intellekten im Übrigen äußerst dankbar dafür, nicht in ihren Plan eingegriffen zu haben. Das sei ein wertvolles Zeichen des Respekts vor Zyas Entscheidung und der Sternenhütergemeinschaft als Ganzes.
Primär vor der Sternenhütergemeinschaft als Ganzes, verlor man keine Zeit, sie zu korrigieren. Man stellte in Aussicht, womöglich auf eine Beschwerde zu verzichten, hielt Zya aber mehr oder weniger unverblümt zum baldigen Verlassen des Systems an. Unnötig sei auch, zu erwähnen, dass die Sternenhüterin in Anbetracht ihres eklatanten Eingriffs in die Souveränität der Intellekte auch keinerlei Bezahlung oder Spesen zu erwarten hatte.
Das sei auch gar nicht nötig, führte Zya an, denn die Biomorphen hätten ohnehin schon einen adäquaten Preis für den Sternenhüterbeistand bezahlt. Schließlich sei es ja für beide Parteien ein enormer logistischer Aufwand gewesen, erfolgreich in die Flugbahn des Asteroiden einzugreifen.
Damit sei dann wohl im weitesten Sinne alles gesagt, drängte man nun doch auf ein Ende des Gesprächs. Im Übrigen habe man den Longbow, Zyas und Vertigos Sternenschiff, während des Gesprächs bereits mit einer Tankfüllung Wasserstoff versorgt. Ein längerer Aufenthalt zum Zwecke des Treibstoffnachschubs sei also gar nicht mehr nötig, so legte man der Sternenhüterin nahe.
Nun war Zya doch überrumpelt - und Vertigo nicht minder. Wie es die Intellekte geschafft hätten, binnen kürzester Zeit ein interstellares Raumschiff zu betanken, und das auch noch unbemerkt und ohne Rücksprache mit der Sternenhüterin, erkundigte sie sich.
Das sei nun wirklich nicht erklärungsbedürftig, dürfe aber sehr wohl als höfliche Bitte zum baldigen Aufbruch verstanden werden.
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Binnen Minuten war Zya wieder frei und sicher an Bord der Vertigo, ließ die goldglänzenden Maschinenwelten der Intellekte und ein mulmiges Gefühl hinter sich.
"Sieh' dir das an", stellte Vertigo abermals fest, "kein Eingriff zu erkennen, nichts sieht danach aus, als hätte sich jemand am Longbow zu schaffen gemacht, gar nichts. Es sieht so als, als wäre während unserer Abwesenheit einfach 'ne verdammte Million Tonnen Treibstoff in den Tanks aufgetaucht, wie aus dem Nichts. Der Flugschreiber sagt dazu gar nichts. Du kannst ja von diesen Intellekten denken, was du willst, aber 'ne Show … Die können sie auf jeden Fall abziehen. Könnten damit doch glatt auftreten."
"Nun, mein geschätzter Intellekt", entgegnete Zya, "was schließt du daraus, wollen uns die Intellekte damit aller Wahrscheinlichkeit nach mitteilen?"
"Dass wir uns gefälligst verpissen sollen, und zwar ein bisschen plötzlich, bevor's kracht?"
"Wohl kaum. Das sieht nur so aus, da du - mit Verlaub - das diplomatische Fingerspitzengefühl einer Luft-Boden-Rakete hast."
"Oh", machte ein beleidigter Schiffsintellekt, "sicher, Fräulein 'Bewerfen wir ihren Planeten mit Steinen, dann wird sich schon alles einrenken'."
"Mein geschätzter Intellekt", zischte Zya, "du warst es, der sich die holprige Bezeichnung 'Operation: Peacefall' ausgedacht und den Begriff auch bei jeder Gelegenheit benutzt hat."
"Okay, okay, Frau Kollegin, also was sagen uns die Intellekte denn deiner Meinung nach?"
"Dass sie in Größenordnungen arbeiten können, die unseren Eingriff völlig bedeutungslos aussehen lassen", vermutete Zya. "Dies war keine Anhörung, Vertigo. Kein politischer Tadel oder Ähnliches. Es war ein wissenschaftlicher Versuch. Sie wollten unsere Entwicklungsstufe abschätzen."
"Oh", machte Vertigo, wenn auch deutlich überraschter als zuvor. "Oh, ich verstehe. Du gehst davon aus, wir waren in ihren Augen so etwas wie … naja, wie die Pioniere 2.0?"
"Sehr richtig. Diese Intellekte haben uns freie Hand gewährt, aber sicherlich nicht, weil sie mit unserem Eingriff in dieses System übermäßig im Einklang waren. Vielmehr, weil sie selbst nicht in die Natur eingreifen wollten. Vertigo, zweifellos haben sie beschlossen, uns als Teil der Natur zu verstehen."
"Toll", knurrte Vertigo. "Man hat uns also beobachtet, schreibt langweilige Papers über uns und findet uns vielleicht ein bisschen niedlich. Ganz toll."
"Nun, mein werter Intellekt, das unterscheidet sich gar nicht so enorm von der Haltung, die du gelegentlich gegenüber schutzbefohlenen Zivilisationen an den Tag legst. Kehren wir doch einfach zum Longbow zurück und sehen uns vorsichtshalber nach Schadsoftware um. Darüber hinaus allerdings halte ich den Ausgang dieser Mission für äußerst zufriedenstellend."
"Hm", machte Vertigo, "zumindest sparen wir uns die Tankrechnung. Und ja, irgendwie waren diese Biomorphen - Entschuldigung, die Menschen - schon auch ein bisschen niedlich, hast ja recht."
So steuerten sie also wieder ihr Sternenschiff an, das wie eine feine, silberglänzende Nadel im Weltraum hing. Schon bald würden sie wieder aufbrechen, einer anderen Welt ihre Dienste zu erweisen, unter all diesen Sternen und den Augen der Intellekte.
Der Himmel hatte sie wieder, die Sternenhüterin.