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Chroniken einer Sternenhüterin - Im Auge des Bewahrers
*
Ein fortwährender Krieg herrschte zwischen diesen Welten. Wie die Jahrzehnte verstrichen, schwand die Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden mit jedem weiteren Marschbefehl, jedem neuen Angriff, jeder Flotte, die im Höllenfeuer all ihrer irrwitzigen Waffen aufgerieben wurde.
Vereint waren die Welten unter dieser Sonne nur gegen den Eindringling. Ein seltenes Bild der Eintracht und doch keine Atempause, kein Funken Hoffnung auf Frieden. Der Eindringling war mächtig, sehr mächtig sogar, und im Kampf gegen ihn fielen sie schon wieder, all die müden Soldatinnen und Soldaten.
So entsprang es zumindest der Feder des Bewahrers. Im flackernden Kerzenlicht seiner Kammer schrieb er rastlos Nacht für Nacht. Federschwung um Federschwung entstand die Geschichte dieses Krieges mit der Detailverliebtheit eines Getriebenen, der kaum noch etwas Anderes im Sinne hatte.
"Darf man fragen, was Sie schreiben, mein Guter?" meldete sie sich höflich zu Wort.
Da war sie wieder, seine flüchtige Besucherin. Langsam und respektvoll, als könne er ihre Erscheinung abermals verjagen, wandte sich der Bewahrer vom Schreibtisch ab und blickte auf.
"Es ist eine epische Geschichte über Krieg und Frieden", verriet er ihr.
Dieses Mal blieb sie in seiner Kammer, lächelte gar ein bisschen. "Wissen Sie schon, wie sie ausgeht?" erkundigte sie sich.
"Nein", gestand er. "Sie geschieht einfach. Am Ende wird Frieden herrschen, aber ich weiß noch nicht, wie. Ich schreibe diese Geschichte, wie sie mir einfällt. Das ist ausgesprochen wichtig, sonst wäre sie nicht ... nun, sie wäre nicht authentisch."
"Ich verstehe", nickte die Besucherin respektvoll.
"Wer sind Sie?" wagte der Bewahrer schließlich doch, sich zu erkundigen.
"Mein Name ist Zya", stellte sich die Besucherin vor. "Ich habe lange versucht, zu Ihnen durchzudringen, und es ist mir eine Ehre, nun hier bei Ihnen verweilen zu dürfen."
"Bitte fühlen Sie sich eingeladen", bot der Bewahrer an, "und entschuldigen Sie, nun ... Es ist sehr spartanisch hier. Ich habe nicht mit Gästen gerechnet. Ich weiß offen gestanden gar nicht mehr, wie lange ich schon keinen Besuch mehr hatte."
"Das haben Sie vergessen ...?" vermutete die Besucherin vorsichtig.
"Ja", nickte der Bewahrer. "Ich habe sehr viel vergessen. Ich schreibe hier schon seit einiger Zeit. Ich weiß ... Das mag Ihnen lächerlich erscheinen, aber ich weiß nicht einmal mehr, wie lange." Dabei warf er einen verstohlenen Blick auf das offene Buch, dessen Seiten er Nacht um Nacht beschrieb. Es war sehr dick, und zweifellos würde es noch viel dicker werden.
"Das klingt keineswegs lächerlich", versicherte ihm Zya freundlich. "Nur ein wenig traurig mag es allerdings sein."
"Vielleicht." Der Bewahrer musste mit den Schultern zucken.
"Umso günstiger scheint es sich da doch zu treffen, dass ich hier bin, um Sie zu erinnern", verkündete die Besucherin.
Für einige Augenblicke kam der Bewahrer ins Grübeln, bevor er zögerlich nachhakte: "Wird das lange dauern? Sehen Sie, ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber ich habe eine Geschichte zu vollenden."
"Oh, mitnichten, machen Sie sich da keine Sorgen. In der Tat nehme ich an, ich könnte Ihnen sogar dabei behilflich sein, diese Geschichte zu einem guten Ende zu führen."
"Aber Sie müssen verstehen", wand sich der Bewahrer, "dass es sich dabei um meine Geschichte handelt. Ich kann Ihnen kaum einen Eingriff gestatten, so ungern ich das zugebe. Darüber hinaus habe ich noch immer keine klare Vorstellung davon, wer Sie denn nun sein mögen."
"Sie wissen, wer ich bin", behauptete Zya jedoch. "Sie müssen lediglich Ihre Geschichte sorgfältig durchgehen. Schließlich komme ich darin vor."
Nur zögerlich wagte sich der Bewahrer nun in seine eigene Vorstellung, durchforstete die schier enorme Gedankenwelt seiner Geschichte nach einer Spur dieser sonderbaren Besucherin. Er fand sie schließlich in seiner jüngsten Episode, einer Entwicklung dieses epischen Kriegsdramas, die sich ihm erst kürzlich aufgedrängt hatte - tief in seiner Phantasie darauf gebrannt hatte, aufgeschrieben zu werden.
"Sie sind der Eindringling", stellte er schließlich verblüfft fest.
"In der Tat", nickte die Besucherin. "Aber ich bin nicht hier, um diese Welten zu vernichten, wie Sie es sich vielleicht vorstellen mögen. Vielmehr war es von Anfang an allein mein Ziel, mit Ihnen zu sprechen. Sie müssen den Fortgang dieser Geschichte ändern, mein Guter. Das ist von allerhöchster Dringlichkeit."
"Und wenn ich es nicht tue?" warf der Bewahrer dagegen.
"Dann bleibt mir leider keine andere Wahl, als Sie zu vernichten. Nicht all diese Welten. Nur Sie."
"Ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, worauf Sie hinaus wollen ..." gab der Bewahrer nun etwas verschüchtert zu. "Wie ist das möglich?"
"Wenn Sie sich bemühen, werden Sie es wissen", versprach ihm die Besucherin allerdings bedeutungsvoll. "Forschen Sie in Ihrer eigenen Geschichte. Sie kommen selbst darin vor."
"Ja", nickte der Bewahrer. "Ich weiß. Ich kann nicht ganz nachvollziehen, wieso, aber ja, ich komme darin vor. In dieser Geschichte bin ich ein mächtiger General."
"Ein sehr mächtiger General", betonte Zya. "Sie lenken die Geschicke dieser Welten."
"Aber wieso?" drängte der Bewahrer nun, da die Besucherin dabei war, das Spiel seiner Gedanken zu entschlüsseln. "Wie kann das sein?"
"Sie haben selbst gesagt: Sie haben sehr viel vergessen. Erinnern Sie sich noch an das erste Mal, dass ich erwähnt wurde? Ich, der Eindringling?"
Als der Bewahrer sie nur verschreckt anstarrte, griff Zya vorsichtig nach dem Buch, hob einen dicken Wulst beschriebener Seiten an und klappte ein lange vergangenes Kapitel dieses Krieges auf - zu Papier gebracht, schon Jahrzehnte, bevor der Eindringling am Himmel all dieser Welten aufgetaucht war.
Und da erinnerte sich der Bewahrer an eine Begebenheit, die er lange Zeit vergessen hatte.
*
"Ich ersuche um eiligen Sternenhüterbeistand", verkündete da eine wichtige Figur dieses Krieges. Er schrie es geradezu tief in die Finsternis des Weltraums, mit allen technischen Mitteln, die ihm auf seiner kriegsgebeutelten Welt zur Verfügung standen. "Dies ist ein Notruf. Die Völker von Novus Astrum leiden. Sie drohen, sich im Krieg gegenseitig zu vernichten. Jemand muss uns helfen, bevor es zu spät ist, diesem Wahnsinn noch ein Ende zu setzen.
Der Bewahrer ist beschädigt worden. Ein mächtiges, intelligentes Verteidigungssystem, einst in Betrieb genommen, um die vereinten Welten von Novus Astrum vor Invasoren und Bürgerkriegen zu schützen. Es hat den Oberbefehl über die Streitkräfte unserer Völker, doch sie verstehen nicht, dass der Bewahrer nicht mehr vernünftig handelt. Sie verstehen nicht, dass er beschädigt wurde. Unsere Streitkräfte reiben sich gegenseitig auf, gelenkt in einem irrwitzigen Kriegsspiel, das der Bewahrer uns aufdrängt.
Es ist mir nicht gelungen, den Bewahrer abzuschalten, nicht einmal, ihn zu kontaktieren, und ich wage zu bezweifeln, dass irgendjemand sonst hier dazu in der Lage wäre. Ich werde das Versenden dieser Nachricht womöglich nicht überleben, also hoffe ich, Ihnen schon jetzt alle notwendigen Informationen zukommen zu lassen.
Ich kann nur noch einmal ersuchen: Helft uns, werte Sternenhütergemeinschaft, denn der Bewahrer hat unsere Völker in die drohende Vernichtung gestürzt. Wir selbst sind nicht mehr in der Lage, ihn aufzuhalten und benötigen ..."
*
Die Besucherin, der Eindringling - die Sternenhüterin - sprach mit klarer Stimme: "Sie schreiben nicht etwa eine Geschichte. Sie schreiben Geschichte. Sie sind der Bewahrer. All das, was Sie zu erfinden glauben, geschieht dort draußen, weil Sie es befehlen."
Starr und mechanisch folgte der Bewahrer dem Blick der Sternenhüterin aus dem Fensterchen seiner Kammer. Es war finsterste Nacht dort draußen, wie so oft, und als er selbst klarer und klarer wurde, da Begriff er, dass es schon sehr lange Zeit Nacht war. Tatsächlich aber, hinter dem dunklen Schleier seiner benebelten Träume, da verstand er, dass es alles dort draußen geschah. Dort, in der wirklichen Welt, jenseits dieser Kammer, dieser Kerze und dieses Buches. Er begriff, welch fürchterliche Gewalt er über seine schutzbefohlenen Welten ergossen hatte, Jahrzehnt über Jahrzehnt.
"Das kann nicht wahr sein", stammelte er. "Das darf ... Es darf nicht geschehen sein."
"Es ist geschehen", versicherte ihm die Sternenhüterin, "und noch jetzt geschieht es. Sie allein können es ändern."
"Ja", machte der Bewahrer trocken und nickte schwach aus dem Fenster, vor dem der Krieg stürmte. Es kostete ihn einige Momente des Grübelns, des mühseligen Erinnerns, bevor er bitter verkündete: "Das konnten sie nicht ernst meinen, meine Völker. Das ist zu viel Verantwortung für ein denkendes Wesen. Ich kann sie nicht alleine tragen."
"Das mag der Grund sein, weshalb Sie sich in diese Kammer geflüchtet haben, hochgeschätzter Bewahrer. Nichtsdestotrotz tragen Sie die Verantwortung für diese Völker, für all diese Welten, Sie ganz alleine. Aber auch das können Sie ändern, wenn Sie es nur wollen."
"Wie?" stieß der Bewahrer aus. "Wie kann ich es ändern ...?"
"Nun", schmunzelte Zya, "Sie sind der Bewahrer." Mit diesen Worten manövrierte sie die Feder aus dem Tintenfässchen, wischte einen überflüssigen Tropfen ab und reichte sie sorgsam dem Bewahrer. "Jemand hat einst die Hypothese formuliert, die Feder sei mächtiger als das Schwert. Eine vorzügliche Gelegenheit, sie zu prüfen, finden Sie nicht?"
*
Tatsächlich glänzte der Bewahrer natürlich in der Dunkelheit zwischen den Sternen, eine intelligente Festung im All, längst umringt von den Trümmern ihrer eigenen Kriegsmaschinerie.
Wie ein winziges Spielzeug machte sich dagegen die Vertigo aus, Zyas treues Transportmittel inmitten dieser Welten. Langsam und gemütlich zog sie sich von der Festung des Bewahrers zurück, als die Mission der Sternenhüterin erfüllt war, auf dem Rückweg in die Geborgenheit ihres riesenhaften Sternenschiffes.
"Als du eine 'geheimdienstliche Operation' erwähnt hast, wusste ich zwar nicht genau, was ich mir darunter vorzustellen hab'", gab Vertigo zum Besten, "mit Sicherheit hab' ich aber an etwas Spektakuläreres gedacht, als ein kleines Pläuschchen unter vier Augen."
"Nun, mein geschätzter Intellekt", entgegnete die Sternenhüterin ihrem Schiff, "du siehst, einige treffende Worte können in der Tat Wunder wirken. Für eine ausgewachsene Sternenhüteroperation war dieser Einsatz doch ausgesprochen zivil, zivilisiert und überschaubar."
"Oh, ja", polemisierte der Schiffsintellekt, "abgesehen vielleicht von der gigantischen Invasionsflotte, die wir aus dem Boden stampfen und verheizen mussten, um überhaupt nah genug an diese verdammte Festung heranzukommen. Aber darüber hinaus, ja, schon recht elegant."
"Nun, ich gestehe, der militärische Teil war in der Tat weniger elegant, leider jedoch unvermeidbar. Es lässt sich allerdings kaum von der Hand weisen, dass zumindest der Bewahrer selbst unsere Invasion ausgesprochen inspirierend fand."
"Naja", seufzte Vertigo, "ich für meinen Teil fand die Invasion auch inspirierend - zumindest ein bisschen inspirierender, als dein Gespräch mit dem Bewahrer. 'Die Feder ist mächtiger als das Schwert', ich bitte dich, Frau Kollegin, ausgelutschter hätte es kaum klingen können."
"In den Augen Einiger, mein geschätzter Intellekt, kann es durchaus noch inspirierend sein, zuweilen an Altbekanntes erinnert zu werden."
"Hm. Deine Worte in den Ohren des nächsten durchgeknallten Spinners, vor dem wir irgendeine Zivilisation retten müssen, Frau Kollegin."
So verschwanden Zya und Vertigo schon bald wieder in ihrem Sternenschiff und letzten Endes auch zwischen all den fernen Sonnen, von denen sie schon vor Jahrzehnten aufgebrochen waren. Der Himmel hatte sie wieder, die Sternenhüterin.