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Christop Rote Male

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05.02.2015
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Christop Rote Male

Wir waren 500, zusammengeschweißt, auf Gedeih und Verderb, ohne die geringste Chance zu entkommen.

Ich lag so ziemlich genau in der Mitte. Ob das ein Vor- oder Nachteil war, keine Ahnung.
Sie hatten uns alle zurecht gestutzt, Gleichmacherei, bis zur Perfektion, schneeweiß, dass es Einen blendete. Niemals hätte ich gedacht, dass es soweit kommen könnte.

Ich hatte schon bei der Zusammenstellung Angst. Manche haben sie grün, oder dunkelblau gemacht. Einige sogar schwarz und rot. Schwarz soll am schlimmsten sein und lange brennen. Dann gab es da noch die Invaliden… furchtbar…, die Zerstückelten, Hoffnungslosen, aus allen Ecken der Republik kamen sie und wurden brutal zusammengepresst in eine verschmutzte Einheit und mussten jetzt noch mal ran. Die haben wirklich viel erlebt, sehr viel, die Einzigen… Schreckliches wussten die zu berichten, dass einem der Atem stockte.

Deshalb hatte ich Angst.

UNC hatten sie uns aufgestempelt und dann mit Vielen, aber und Abertausenden zusammengestellt, gepfercht, gequetscht und abtransportiert in dunklen Wagen, abgestellt in kalten Hallen, auf Abruf. Eine finstere Totenstille herrschte dort. Alle zusammen und doch so einsam. In der Stille kamen die Gedanken und Erinnerungen an früher, an die Verbundenheit, die Einheit, eine Seele in einem Körper.

Ich stand schön damals, am Wasser, ebenfalls nicht weit davon. In einer Landschaft voller Wechsel, dem lieblichen Wechsel der Jahreszeiten. Nie war es langweilig, immer herrschte lange Weile. Die Vögel mochten uns besonders, genauso wie die lauthalsigen Menschenkinder, die es nicht lassen konnten, an mir, an uns herum zu turnen, aber nur bei gesonntem Wetter.

Ach wie habe ich den Regen genossen, wie hab ich ihn genossen, genossen. Immer höher ging es hinaus, über die Jahre, meine Glückseeligkeit war unglaublich, ein fester Bestandteil der göttlichen Verbundenheit.

Bis zu dem Tag, als sie kamen. Uns Fassungslosen, blitzschnell und unerwartet…Schmerz…. mit unsäglichem Lärm amputierten, abschnitten und zerstückelten, während sie rauchten und redeten wer wo hinkommt, wurde unsere große Seele in Stücke zerhackt und später in tausende von fein säuberlichen, gebleichten Einheiten zerlegt und verpackt.

Das Tor ging auf. Sie kamen.


Lieber Gott lass mich stark sein. Ich hörte „Eine Palette noch“. Ich war auch dabei… abtransportiert, wer weiß wohin. Etwas vorbereitet war ich, durch die Gerüchte, aber war ich stark genug, bloß nicht anecken, kein Invalide werden und alles noch mal, noch mal, noch kleiner und immer wieder durchmachen.

Nie würde es wie früher sein, unwiderruflich. Wie sehr es schmerzte, wenn ich daran dachte.
Stundenlang wurden wir gefahren, immer wieder Halt… ausladen… weiter. Den ganzen Tag ging das noch so.
Der Wagen, bestimmt schon halbleer, aber voll mit dem scharf-süßen Schweiß des Mannes, der uns auslud. Durch die Folie sah ich, wie er schnaufte und stöhnte, und wie er mit seinen dicken, behaarten Armen seine Arbeit schnell und monoton machte. Er summte nicht, pfiff nicht, wie die Vögel, er machte nur, ohne uns zu beachten.
Zwei 2500-Einheiten sind dann beim Abladen gefallen, die von ganz oben, beschädigt, angeeckt und aufgeplatzt, kamen sie sofort in einen Container an der Hauswand. Weggeworfen, als wären sie nie gewesen. Angeeckt ist besonders schlimm, ein Todesurteil.

Es war schon dunkel. Der Frühling stand bevor, der Winter war ohne Schnee. Der Wagen hielt schon lange, der Motor hatte sich ausgeschüttelt. Wir konnten nicht richtig atmen, schon lange nicht mehr. Keiner konnte richtig atmen hinter der Folie. Der Mann redete laut, er machte Schluss…für heute. Die Tür knallte zu, Totenstille, wir blieben, noch eine Nacht.

Hoffnung, vielleicht doch, vielleicht doch noch was Anderes… eine Möglichkeit…es soll Künstler und Studenten geben, die uns auch gebrauchen könnten… ab und zu… von den nicht soviel zu befürchten wäre.
Es regnete. Der Regen prasselt auf das Dach. Ach der Regen, keine Chance, aus und vorbei.

Am nächsten Morgen ging alles ganz schnell. Kurze Fahrt, die Klappe öffnete sich, der Behaarte schob seine Maschine unter uns, und unter großem Geschüttel ging es in einen Laden, in einen tristen Berliner Copy-Shop.
Wir wussten es ja, Alle. Angst macht sich breit. Wir wurden umgepackt. Die Dicke aus dem Laden zeigte eifrig wohin es gehen sollte. Die Meisten kamen nach Hinten, Einige nach vorne, wir direkt neben eine Maschine. Rotax CLC 7750 International, stand darauf. Sie hatten uns neben dieses Monster gestellt, dieses Papier fressende Ungetüm, dessen Existenzberechtigung allein darin bestand, uns den Rest zu geben, uns zu quälen und zu brandmarken… direkt daneben, keine Schonfrist.

Warum hilft mir keiner…Hilfe…

Manche von uns landeten im Bastelgeschäft, wurden liebevoll mit Wasserfarben von sinnlichen ,kleinen Kinderhänden bemalt und jahrelang aufgehängt, eingerahmt, bewundert und bestaunt…wenn auch allein…, den gleichen Händen, die an uns turnten uns umarmten und lobpreisten.
Warum war ich hier, warum gerade ich…UNC 500, noch waren wir 500, chlorfrei gebleicht, 29.7x21 cm, 2,34kg schwer. 500 Einzelschicksale, was sollte man tun? Was konnte man tun! Konnte man überhaupt Widerstand leisten, gefangen in dieser isolierten Plastikwelt, zurecht perfektioniert, entmündigt, entmutigt, geglättet und vergewaltigt, bis in den Kern der Seele durchbohrt… dem Ursprung.

Nur dem Zwecke dienlich, lagen wir neben unserem Schafott. Wer hier durch musste, würde nie mehr der Selbe sein…aus…vorbei…Endstation. Neben uns lagen drei Einheiten von Invaliden…1500… die Grauen, die tief Traurigen, die nichts, aber auch gar nichts mehr hatten, nicht einmal ihren Schmerz. Öko- Papier stand auf ihnen. Wir wussten nicht was das hieß. Daneben war ein blauer Engel, vielleicht um ihnen Mut zu machen. Völlig aussichtslos. Was die Menschen sich so dachten. Da möchte ich die mal sehen, wenn man sie zerfetzte, zerriss, und neu zusammenklebte, wieder durch die Hölle schickte, wieder zerfetzte und vernichtete, zerstückelte… wieder und wieder…gefangen in einer mörderischen Endlosschleife… nein nicht mörderisch, Mord war das nicht, das war viel schlimmer.

Sobald der nächste Kunde an die Maschine ging, kam Panik auf. Wann ist das Fach alle, wird auf Magazin zwei oder drei umgestellt? Wenn es alle ist, wird nachgelegt, von oben. Noch zwei 500-Einheiten zitterten über uns. Dann werden wir dran sein, wenn kein Wunder geschah. Meistens wurde eine ganze Einheit eingelegt, eigentlich immer.

Der „Kunde“ legte seine Vorlage, leblose Leidensgenossen, auf das heiße Glas, sie schrien nicht einmal, wir hörten sie nicht. Sie wollten ein Abbild schaffen, uns mit ihren Masken beflecken, uns unserer Jungfräulichkeit berauben, das Letzte was wir hatten. Keiner wusste warum.

Warum tut ihr das!!

Der nächste Kunde kam angestampft. Er wollte tausend Abbilder schaffen von einem Leidensgenossen. Eintausend… um sie zu zerschneiden, dann hätte er Zweitausend, sagte er, wäre billiger, sagte er. Zweitausend, zum verteilen, um Geld zu machen. „Kostet 50 Euro“ sagte die Dicke. Er überlegt noch, wir fassungslos ausgeliefert…Tausend…, dann wären wir gleich dran. „Erstmal eine Probekopie“ sagte er. „Preiswerter werden sie die nicht bekommen“, sagte sie, „ebenfalls nicht in der Qualität“, schob sie genervt hinterher. „Es sei denn, sie nehmen Fünftausend, dann kosten die Tausend nur 42.50“ quasselte sie spitzfindig.

Der Proband blieb stecken. .Rote Lämpchen blinkten, wie im Tanzrausch. Ein Summer summte, er musste summen, er konnte nichts anderes als summen, noch nie. Sobald die Lampen blinken summte er. Der Alptraum der Dicken, Papierstau. Jetzt musste sie was tun, sich bücken. Sie riss die Türen auf, fluchte und suchte, klapperte hier und da.

„ E3/01“, sabberte sie heraus, „ schon wieder“. Sie verlor in ihrer Hysterie ihre Linie. „ Did glob ick jetzt nich, did kann ick nich globen, di is schon did fünfte mal heute und jestern. Wird Zeit dat wir die Technik rufen, man o man, wie did nervt…. Kollege, ruf mal Technik“.

Der Kollege mit den Gläsern auf seiner riesengroßen Nase hatte die beste Idee. „Pack doch ein neues Packet Papier rein, vielleicht sind die Blätter angeeckt“. Angeeckt, da war es wieder.

„ Da isset, hab schon“. Sie hat den Probanten entdeckt und fetzte ihn aus den Papierleitblechen. Zerriss und zerrupfte ihn, gnadenlos, hatte keine Geduld, schwitzte und pustete, wie der Behaarte …allerfeinst zerstückelt… ab in den Papiereimer… Mülltonne… Laster… Fabrik… Invalide. Von den Papiereimern standen hier Viele herum, beängstigend Viele.

„ Nee, ick nehm did Dreierfach, wenn did läuft. Enen Moment bitte, die Maschine muß erstmal richtig in Schwung kommen, jeht gleich weiter“. Der Kunde nickte

Dreier lief, und wie. Wenn das Monster warm war, verfiel es in eine rhythmische Melodie, hinter dessen Einklang seine Innereien blitzschnell unsere Brüder und Schwestern einsog und verspeisten. Wir lagen vorne, neben dem Einzug. Hinten kamen sie wieder raus. Zum Glück konnten wir das nicht sehen. Zum Glück waren wir nicht hinten.


„ Zweitausend, bitte sehr“. Der Kunde war mit dem Schnitt zufrieden. Irgendwann schneiden sie dich durch, hörst du mich ?,… ja dich Perverser… euch, euch alle…Hilfe…

Der mit den Gläsern auf der Nase sollte Papier nachlegen, nach der Mittagspause. Da kam er, noch kauend, hoffentlich mit sauberen Händen. Er riss die Folie ab,… sie klemmte…, er fummelte geschickt weiter, legte uns auf einen Tisch, weil ein Apparat klingelte.

Luft…Luft… das erste Mal, nach…wer weiß wie lange… aber schlechte Luft, aber Luft. Wir lagen leicht versetzt. Manche konnten Andere sehen, auch der immense Druck hatte nachgelassen, die Geräusche waren lauter, und was für Geräusche. Schlimme Dinge machen die Menschen.
Der uns aufgerissen hatte kam pfeifend zurück, nahm uns mit beiden Händen und fächerte uns auf, mehrfach, das konnte er, das war so gut…wirklich gut…es war berauschend…ein kurzer Moment von Glück
Krachend flogen wir zurück in das Magazin. Ein kurzer Tritt von ihm, die Papierklappe schwang an den Türmagneten. Eingesperrt fuhr der Motor uns sofort nach oben an die Einzugsrollen. Genauso schnell stoppte er. Unsere Partnereinheit lag oben, die letzten 500 vor uns. Das ganze Magazin roch nach klebrigem Angstschweiß. Wir klebten wenn wir ängstlich wurden. Der Rachen des Ungetüms stand weit offen und stank erbärmlich.

In der nächsten Stunde folgte Kunde auf Kunde. Wir nahmen still Abschied von unseren Freunden, die die Maschine wegsaugte. Manche schrien in ihrer Todesangst, Schreie, die man nicht vergisst. Andere sangen unsere Frühlingsmelodie, oder vibrierten nur in ihrer Not. Der Abstand wurde immer geringer. Unsere Einheit war gleich dran und ich lag in der Mitte… auch egal…alles egal.

Jetzt wurde es eng, vielleicht noch 20-30 über mir. Ich konnte jetzt in den dunklen, widerlichen, großen Schlund schauen. Ein Kunde rief die Dicke. Er brauchte fünf Folien. „Komme gleich“ und sie kam, die Folien in ihrer Hand. „ Die kosten aber 1.50 plus Kopie“.
Die Folien sahen aus wie aus einer anderen Welt, durchsichtig, ohne Antlitz, leblos ohne Seele, wie Aliens. Sie waren ganz starr und lautlos, knisterten nur als die Dicke sie auseinander zog. „ Die sind statisch geladen und kommen in den Bybass, der zieht besser“., bemerkte sie stolz, als ob sie etwas Besonderes wusste. Der Bybass war direkt über uns, eine Art Sondereinzug, kleiner und gefährlicher. Bösartig, fuhr sein Fach nach oben, nachdem die Dicke die Chemischen hineingelegt hatte. Nur durch den Kontakt fuhr es hoch, gierig, mitleidlos schleuderte es die Aliens durch die Innereien. Kein Ton von den Folien… nichts… „ Da sind sie. Ja, können sie ruhig rüberwischen, ja auch kratzen, die sind richtig eingebrannt. Bei Folien wird die Temperatur erhöht“ Oh, Gott auch das noch hoffentlich kam keiner von uns aus Versehen da rein. Das würden wir nicht durchstehen.

Der nächste Kunde ein Wichtigtuer, ein ganz Genauer. Er machte von vornherein klar, dass er keinen Punkt oder Strich akzeptieren würde, nicht Einen… das ginge nicht… bloß keinen Punkt, dass könnte seine ganze Zukunft zerstören… einen Punkt… wer versteht schon die Menschen. Die Dicke lief hinterm Tresen rot an, als sie das hörte und schickte den Nasenbär vor.

Mit galanter Ruhe kam er vorgeschlendert. „Worum geht’s?“. Der Wichtigtuer brauchte 20 Doppelseitige, schmutz, strich, knick und punkt frei. „ Das kann ich nicht garantieren. Da kann immer mal was passieren, brauchen sie ja nicht zu nehmen, nehmen sie halt nur die, die ok sind“.

Oh je, also war mit vielen Invaliden zu rechnen, also kam ich jetzt auch dran, also war es soweit. Doppelseitig… davon hatten wir gehört…Alle… das war eins von den grausamen Gerüchten, die am meisten diskutiert wurden.
Die letzten Kameraden vor uns waren dran. Es wurde eine Tortur. Immer wenn der Nasenbär die Startaste drücken wollte um der unerträglichen Folter des Wartens ein Ende zu setzen, fing der Wichtigtuer an seine Originale auf der Glasscheibe zu korrigieren. „Ein Moment noch… ein Moment noch… noch einen Moment… jetzt, ja jetzt…. Ein Mome… noch ein Strich… so jetzt können sie, aber sauber bitte… Vorsicht… war die Scheibe auch gereinigt… also 20 dann, auf Schneeweißem… ja“.

20 über uns wurden durchgeschleudert. Mir stockte der Atem so nah am Geschehen. Ohne die geringste Chance griffen die Rollen blitzschnell im Herzschlag der Maschine zu…schid…schid…bum, schid…schid…bum. „ Paul- Steffen, Telefon“. Die Dicke keifte durch den Laden. Paul- Steffen konnte nicht. „Bin beschäftigt“. „ Deine Mutter“ „ Kann jetzt nicht, sag ihr ich ruf zurück“ Seine Mutter war in einem Apparat, meine war immer mit mir verbunden.

Die zur Doppelseitigkeit verdammten waren alle verschwunden, alle… allesamt, während Paul- Steffen mit einem Finger in der Nase breitbeinig davor stand. „ Yo, sieht doch gut aus“ Er nahm unsere Brüder aus der Ausgabe, um sie über uns in den Bypass zu legen, um sie nun noch mal durch zu jagen… das hieß doppelseitig „ Vorsicht, haben sie auch saubere Hände? Geht das nicht automatisch?“ Paul- Steffen antwortete nur widerwillig. „ Ist im Eimer, die laufen nicht automatisch doppelseitig, die Duplex, es liegt an der beschissenen Duplex, die macht ständig Probleme. Also, das geht nur über den Bypass.“ Bevor es dazu kam schnappte sich der Wichtigtuer Einen von den 20 um ihn Millimeter genau mit seinen Mikroskop Augen zu inspizieren, um ihn mit seinem Mikroskop Verstand zu sezieren. Mit seiner überirdischen besserwisserischen Art, scannte er Nummer 1 ab.

Sie sahen so elend aus, so wie sie über uns lagen. Völlig fertig waren sie, kochend heiß, rochen verbrannt und chemisch, waren gewellt, endstellt, gedemütigt, malträtiert und voller Todesangst.

Ich sprach Einen an und fragte ihn… wollte wissen was da drin passierte. Trotz seiner Erschöpfung redete er.
„Wenn die Einzugsrollen dich packen, geht es mit atemberaubender Geschwindigkeit einem durch Metallblechen vorgegebenen Weg entlang und das in alle Richtungen, 90° Grad Wendungen und über Kopf, alles ist dabei. Die Wechsel, die von kleinen, roten Augen bewacht werden, gehen so schnell, dass man innerhalb kürzester Zeit nicht mehr weiß wo oben und unten ist.


Durch starke Unterdruckventilatoren wird man oft angesaugt, dann wieder abgestoßen, außer voller Fahrt abrupt abgebremst, um sofort wieder in dieses Inferno beschleunigt zu werden. Plötzlich, ein greller Blitz er dringt unerwartet in das Monster ein. Er kommt von oben. Er ist wahnsinnig hell. Dann kommt der Strom, den man von weitem schon knistern und im Dunkeln der Maschine bläulich schimmern sieht…der macht richtig Angst sage ich dir… und du kannst nicht entkommen… du kannst nicht weg. Dann habe ich mir den Stau gewünscht, sehnte ihn herbei. Dann doch lieber zerrissen in den Papiermüll und Invalide werden… aber auch das heißt eines Tages wieder hier zu liegen. Dann geht es weiter. Es saugt, zieht und schiebt dich unerbittlich weiter. Dieses Gefühl von ohnmächtiger Angst, von diesem… ach…

Der Strom nimmt dir alles. Er dringt in jede Faser, du wirst ein Anderer, glaube mir. Gleich darauf am Entwickler vorbei bleibt der Farbstoff, der Toner an dir haften. Er verschmutzt und verklebt dich, stinkt widerlich, abartig. Man kann nicht denken, alles passiert Schlag auf Schlag, die Kraft der Maschine ist zu stark. Während sie aus ihrer Mechanik nach altem Fett schwitzt, stinkt, vergewaltigt sie uns alle.
Über ausgeleierte, wacklige Transportbänder geht’s dann weiter, zum letzten Prozess. Immer schnell, schnell, schnell. Bis dahin sind wir abwischbar, aber das sollte sich nun ändern. Nun kommt die Heizung, die Fixierung, deren durchdringende Hitze die gesamte Maschine ständig erwärmt. Von Anfang an spürt man, dass wir auf eine unglaubliche Wärmequelle zu steuern. Genau davor ein kurzer Stopp eine Ausrichtung… ein Schrei will entstehen… zu spät… zack… durch die kochenden Walzen. Sie verbrennen dich nicht nur, sie brennen diesen Dreck in dich rein in dein Selbst, sie quetschen mit solchem Druck, dass du glaubst ersticken zu müssen… aber schnell, schnell, schnell und schon liegst du wie tot in der Ausgabe… wirst angestarrt. Das könnte es gewesen sein, wenn du sauber warst, nicht angeeckt hast… und nicht doppelseitig musst…“

Dicht neben der Maschine stand der Papierkorb.

Der Wichtigtuer war zufrieden. Kaum zu Ende geredet, über mir hängend, wurden alle 20 wieder eingesaugt… ein zweites Mal… doppelseitig. Ich sah von dem Erzähler, meinem Bruder, meinem Freund gerade noch seine linke Ecke… ein hilfloser Blick… zack… weg war er… noch mal… schnell, schnell, schnell. Gut das die Ausgabe auf der anderen Seite war. Ich hätte es nicht ertragen ihm nach der zweiten Tortur ins restliche Weiß zu sehen, in den kleinen Rest der blieb von uns…nicht wirklich…

Zwei, drei Kunden folgten mit zwei drei Kopien. Ich wurde immer höher geschoben, eigentlich war ich schon drin… so nah… so nah…Hilfe…Hiiiiiiiilfeeeee!!!!!

Die Nächste kam mit der Dicken im Schlepptau. Jetzt war es soweit. Sie diskutierten. Die Kundin holte ihre leblosen Originale heraus. Ein Original. Sie wollte 30 Stück, eine Todesannonce… auch das noch. Die Dicke wies genervt auf die schwarzen Ränder hin…viel Toner…viel Staugefahr und überhaupt. Sie hatte keine Lust, keine Lust hier zu sein, keine Lust zu arbeiten, keine Lust zu reden, keine Lust sich zu bewegen… keine Lust zu leben. Wie sollte sie auch, sie verkaufte ja auch den Tod, jetzt war es offensichtlich.

„Dreißig Stück?“…. „ Ja“

Original drauf, Deckel geschlossen, der rechte mittlere Finger der Toten legte sich auf die Starttaste. Ich sah ihn, konnte ihn sehen aus meiner Position. Die Dicke löste aus. Das Magazin zuckte hoch…

Meiner normalen Sinne beraubt, verfiel ich in einer Art Trance, schmerzlos, gehörlos, zeitlos, glitt ich in die Vergangenheit. Ich schwebte. Ich sah meine Mutter die Erde, wie sich mich von klein auf behütete, umschloss, mich nährte und wärmte, mich wachsen ließ, so wie ich war. Meinen Wurzelarmen immer wieder neue Wege bereitete, egal wohin, sie war da, überall.

Immer da, ewig und ewig…sicherlich…sicher.

Meine Väter, das Wasser und die Luft. Sie kamen und gingen. So sind die Väter sagte Mutter. Wie ich meine Väter liebte, sie waren so stark und durchdrangen Alles, gaben die Kraft, auch der Mutter. Sie gaben das Leben und die Freude, gingen und kamen, aber Mutter blieb… immer…

Mutter… wo bist du… wo ist meine Familie… meine Liebe… mein Sein.

Vier…drei… zwei… eins…Stau, der Summer summte. Schlagartig standen alle Einheiten still. E3/01. „ Scheiße schon wieder“ quakte die tote Dicke. Den vor mir konnte ich noch sehen, er blieb in den Einzugsrollen klemmen. Die noch da vor waren konnte ich hören. Furchtbar, furchtbar vor allem die Schreie von denen, die in der Heizung steckten und verbrannten. Die Dicke entgleiste wieder. „ Did reicht jetze, ick hab die Backen voll, wird Zeit, dat did der Techniker Heini endlich mal in die Reihe bekommt“. Sie musste sich wieder bücken um die Kameraden in ihrer üblichen Lieblosigkeit aus dem Ungetüm zu fetzen. „ Man hab ick die Schnauze voll… Paul, Paul-Steffen, sach mal hörst du mir nich… ruf die Technik an, ick mach hier janischt mehr, nervt did ab“. Sie stöhnt und schnauft ihren Unmut in den ozonverseuchten Laden. Was denn mit ihren Kopien wäre, wollte die alte Dame wissen. „Müssen wir woanders ran, aber ob did jenauso jut wird… keene Ahnung“.

Nachdem alle Brüder verstümmelt im Papiereimer landeten, die Türen geschlossen waren, die Kontrollleuchten erloschen, kehrte Ruhe ein… eine gefährliche Ruhe. Ich lag oben auf, war der aller, aller Erste, konnte tief in das Maul schauen. Was nun… die Maschine war noch an, in Bereitschaft.
Die Ruhe wirkte sich auf den ganzen Laden aus. Ein jeder schien erleichtert, dass Rotax CLC 7750 International nicht mehr lärmte nur noch ausdünstete. Die alte Dame bemängelte die Luft, konnte nicht vernünftig atmen „ Mach mal Fenster uff!“ Und Paul- Steffen machte uff. „Did kann man nich verhindern, did is hier ja och keen Blumenladen, da würd ick och lieba arbeeten.“

Würde sie nicht.

Die Rotax, Nummer 8, hatte alles schnell, schnell weggearbeitet. Jetzt staute sich die Menschenschlange vom Tresen bis zur Tür.

Der Nasenbär wurde immer langsamer, desto mehr zu tun war .Er war auch überarbeitet, auch immer, dabei mutierte er zu einem emotionslosen Lethagiekundenbedienmenschen. So stark, dass es sich wahrscheinlich in seinen Erbanlagen niederschlagen würde, tief drin…ja tief.

Die Menschen standen herum, als ob sie nicht wussten, ob ihre Körper ihnen gehörten. Leblose, fragende Pfosten. Da, auf einmal… „ Sagen sie mal könnte ich bitte ein Blatt Papier für meinen kleinen Sohn haben“ Ein sportlich, frisch wirkender Mann mit seinem Jungen an der Hand, durchbrach die Menschenstille. „ Ja, klar nehmen sie sich nur. Einfach aus dem Fach… aus der Acht, die geht eh nicht“. Paul- Steffchen hatte reagiert.

Aus der Acht,. aus dem Fach… das könnte ich sein… das bin ich.

Der Mann kam, öffnete und nahm… mich in seine Hand. Sie war warm, der Griff weich, gefühlvoll. Er ging zum Tisch. Er rief seinen Kleinen. „ Komm Chris… Christof…komm mal her der Papa zeigt dir was“. Der Kleine kam und Papa zeigte. „ Schau mal, so baut man einen Flieger.“ Er setzte den Kleinen neben uns auf den Tisch und fing an mich zu knicken. Jeder Knick tat weh, aber es war auszuhalten. Er knickte und faltete zog die Faltstelle mit dem Nagel nach, bog und drehte mich mehrmals, immer wieder knickend, während klein Christof vor Freude quiekte. Ich wurde immer kompakter, blieb aber ein Blatt, nichts wurde abgetrennt.

„ So, der Flieger ist fertig, wie wollen wir ihn nennen? Na, wie willst du ihn nennen Chrissi… na nun sag schon, was soll der Papa da drauf schreiben?“ Papa holte einen großen roten Stift.
„ Male“. „ Ja, das ist ein Malstift, soll der Papa den nehmen?“ „ Rote Male“ „ Genau ein roter Malstift, sehr gut. Also was schreiben wir nun auf deinen Flieger Christof?“ Und der Kleine plapperte alles hilflos nach. „ Christop… rote Male“ „Christof“ „ Christop“ „ Ok, wie du meinst“ Und der übereifrige Papa, der mir jetzt nicht mehr so sympathisch war, nahm den eklig stinkenden roten, nassen Stift und schrieb auf die nicht genickten Flächen von mir lauthals redend, damit es auch jeder merkte, was für ein toller Vater er war…

„ CHRISTOP ROTE MALE“, na prima!

Der Gestank war fürchterlich und verflog nur langsam. Was sollte das, was machten die mit mir.
„Komm Chrissi, na komm, wir gehen vor die Tür und lassen ihn fliegen.“ Wir gingen vor die Tür, die frische Luft tat gut. „ Autu…Autu“, „ Nein, dass ist kein Auto, ein Flieger, das ist ein Flieger den der Papa da für dich gebaut hat. Nun pass mal auf, was der Flieger kann.“ Bevor ich verstand, was mit mir geschah, nahm mich der sportliche Papa und schleuderte mich mit seinem Arm in Richtung Himmel und ließ los.

Wow, wow… was passierte da… wie unerwartet, wie unglaublich schön war das. Ich, eben noch in der Hölle… frei… Losgelöst kurvte ich, getragen von meinem Vater, vor dem Copy-Shop um einen kleinen Baum, zweimal herum, wie alles roch, so schön, ich roch den Frühling, das Leben. Kopfüber krachte ich zu Boden, auf Rasen... was für ein Duft. Frei, das war Freiheit, wie konnte das sein. Der engagierte Papa griff zu und packte mich. Seine Hand hat nichts von vorhin.

„ Hast du gesehen, hast du das gesehen Chrissi, wie der Flieger fliegen kann, den der Papa gebaut hat?“ „ Fliga“, „Genau, Flieger, ein Flieger ist das“ „ Chrissi Fliga“ „ Jo, der Chrissi will auch mal den Flieger werfen, nicht war mein Kleiner.“ Und Chrissi warf und stürzte dabei zu Boden, auf dem ich dann auch lag.

Während der Flieger- Vater sich ängstlich um sein Sohn kümmerte, ergriff mich eine Windböe und schoss mich in den Himmel…und noch Eine… hoch hinaus, höher… so hoch wie früher… und trug mich und trug mich… davon.

Ich wurde über die Dächer der Häuser gewirbelt. Mal ging es aufwärts mal abwärts. Mal segelte ich wie ein Vogel, mal drehte sich alles und ich wurde hin und her geschleudert.
Wie ein Traum…ist das ein Traum? Vermag der Verstand in der Todesangst Solches auszu- lösen? Träume ich…lebe ich… bin ich…Ich?

Der böige Wind ließ nach und ich schwebte und segelte, gleitend, genießend in Kreisen nach Unten. „ Ich falle“. Ich fiel in einen offenen LKW, der mit Sand beladen war. Er fuhr, hielt und fuhr,… immer so weiter. Dann fuhr er lange, dann hielt er länger. Als er wieder fuhr, kam ein vertrauter Geruch um mich. In einer Kurve wehte mich ein Windstoß aus dem LKW und trug mich durch die Natur. Ich war zu Hause. Land, Bäume, Weite und diese Luft. Es fing an zu regnen. Ein frischer, kalter Regen drückte mich herunter, durchnässte mich, machte mich schwerer und schwerer… Landung auf Mutter Erde.

Immer mehr Regen. Der Wind klatschte mich nass an einen Baumstamm und drückte und blies. Er blies mit dem Regen die rote Farbe aus mir heraus, die wie blutige Tränen an mir herunter liefen und sich auflösten in einem Wasserstrom, der zwischen den freiliegenden Wurzeln, des Baumes entlang lief.

Ich lebe...ja ich lebe… lebe… wie ich lebe.

Der Wind wurde immer stärker, als wollte er mich begrüßen. Irgendwann ließ er nach. Langsam löste ich mich von der Rinde und glitt in einer der zahlreichen großen Wasseransammlungen. Viel war nicht mehr übrig von der Fliegerform, von der Menschenhand, von dem Gestank und der Verstümmelung. Die Seele wusste von der Gnade, die ich noch nicht kannte, weil sie bis jetzt nur ein Gedanke war …wie Alles nur ein Gedanke. Aber ich… nun ich… spürte die strukturlose Gnade meiner Schöpfer, die mich langsam zersetzten, auflösten … mich zurück gaben….

Am nächsten Morgen blies der frische Nordwind, beseitigte alles Feuchte, schnell, und die wärmende Sonne tat das Übrige. Ich war Teil…weise… schon in die Erde eingetaucht aus der ich kam.

Friedlich, lieblich aufgeweicht, fing ich an mich mit meiner Mutter zu verbinden. Sie nahm mich auf, führte mich zurück, half mir beim Ende und gab mir den Anfang… immer da… der Sockel… der Ursprung…und so trug sich mich in Ihre Einheit… die nur Liebe war…

 
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Hallo Grand Vouleur,

und herzlich Willkommen hier bei den Wortkriegern.

Leider muss ich dir schreiben, dass ich deine Geschichte nicht bis zum Ende durchgelesen habe. Als ich kapiert habe, dass von einem Blatt Papier die Rede ist, erlosch mein Interesse von Wort zu Wort. Irgendwann scrollte ich den Rest des Textes und dachte: Nö, das interessiert mich einfach nicht weiter, was mit einem Blatt Papier passiert.

Wenn dann auch noch eine Vermenschlichung lese wie:

Bis zu dem Tag, als sie kamen. Uns Fassungslosen, blitzschnell und unerwartet…Schmerz…. mit unsäglichem Lärm amputierten, abschnitten und zerstückelten, während sie rauchten und redeten wer wo hinkommt, wurde unsere große Seele in Stücke zerhackt und später in tausende von fein säuberlichen, gebleichten Einheiten zerlegt und verpackt.

hat es mir den Vogel raus. Sorry, aber wenn Fasern solche Tragik erleben könnten, dann wäre unsere ganze Umwelt ein riesengroßes Jammerfeld.

Das ist aber nur mein ganz persönliches Ding, wahrscheinlich gibt es Leute hier, die damit auch was anfangen können. Ich wollte dir einfach nur mal ein feedback geben, denn ich finde es auch wichtig, dass Schreiber erfahren, wenn ihre Texte nicht zu Ende gelesen werden; aber Kopf hoch, es können ja noch ganz andere Kommentare kommen, die das alles ganz anders sehen.

Der Titel ist auch sehr gewöhnungsbedürftig. Ich las dann zwar noch quer, wieso und warum, aber richtig anmachen tut er nicht.

Viele Grüße
bernadette

 

Hallo Grand Vouleur,

man kann schon spannende Geschichten erzählen, die personifizierte Gegenstände zum Protagonistan haben. Bei Kindergeschichten funktioniert das ganz gut, "Thomas the Tank Engine" von Wilbert Vere Awdry wäre als Beispiel zu nennen, die Geschichten sind inzwischen Klassiker.

Bei Stories für größere Kinder (also Erwachsene) funktioniert das nur, wenn es Dir gelingt, dem Leser die Relevanz für ihn selbst zu zeigen. Die Gegenstände und was sie erleben sind dann Symbol für urmenschliche Erfahrungen, zwischenmenschliche Dramen und Konflikte. Oder durch die veränderte Perspektive wird ein völlig neuer Blickwinkel auf eine Geschichte gewonnen, bei der Menschen die Handlungsträger sind. Für ersteres fallen mir nur Gedichte mit gegenständlichen Protagonisten ein, Geschichten mit Tieren als Handlungsträger gibt es natürlich mehr. Gegenstände als agierende Nebenfiguren finden sich im Fantasy- und Horrorgenre sicher zur Genüge.
Wenn Du bei der Idee im Allgemeinen bleiben möchtest, gibt es also genügend literarische Vorbilder, um sich Anregungen zu holen.

Einfach banal den Lebenszyklus eines Papieres herunter zu erzählen, das ist für den Leser wenig attraktiv.

 

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