Cholesterinarm
Cholesterinarm
Dichter Nebel lag über der Straße, der Platzregen hatte die Teerdecke in ein dampfendes Etwas verwandelt. Mit quietschenden Reifen blieb ein Wagen vor einer Abzweigung stehen. „Mensch! Paß doch auf!“, rief der Beifahrer und schaute den Fahrer erschrocken an:„Nach solch einem Regen verwandelt sich die Straße in eine Rutschbahn.“ „Horst, geh mir nicht auf die Nerven! Schau mal bitte da raus ... siehst du, was da liegt? Wenn Du willst, kannst du ja fahren und über den Baum da fliegen, der da quer auf der Straße liegt.“ Horst sah geradeaus. „Den habe ich ja gar nicht gesehen. Ich glaube, wir hätten diese Abkürzung doch besser nicht genommen. Wir müssen schauen, dass wir auf die Autobahn kommen, um rechtzeitig zu Hause zu sein. Um halb Zehn muß ich auf der Arbeit sein, du doch auch, Johannes.“ Horst blickte auf seine Armbanduhr „... und wir haben schon fast sechs Uhr. Das schaffen wir nie!“ Der Wagen, ein alter Mercedes Oldtimer Typ 200/8 stand mit laufendem Motor auf der Straße. Weit und breit war kein anderer Wagen zu sehen. Die Regentropfen, die noch an den Ästen der weit überstehenden Fichten hingen, platschten fett und laut in die Pfützen der schlaglöchrigen Landstraße, die ihnen von einem alten Mann als schnelle Abkürzung zur nächsten Autobahn empfohlen worden war. Sie kamen gerade von einem Oldtimertreffen, das viele hundert Kilometer von ihrem Heimatort stattgefunden hatte. Nun war es Montagmorgen und sie mußten zusehen, wie sie zu spät nach Hause kamen. Johannes klammerte seine Hände um das schmale Lenkrad und starrte auf die Tankuhr. „Horst, soll ich dir noch ein Geheimnis verraten?“
Horst konnte es sich schon denken. „Laß mich raten, kein Sprit mehr?“
Johannes nickte. „Schon noch etwas, aber das Lämpchen leuchtet bereits.“ An der Abzweigung, an der sie standen, war kein Schild zu sehen. „Wohin nun? Wo ist die Landkarte?“, rief Johannes leicht genervt. Horst streckte sich nach hinten und fummelte etwas aus dem allgemeinen Durcheinander der Rückbank heraus. In Fetzen hielt er eine ältere Karte in seinen Händen. „Mal sehen ...“, er drehte sie und versuchte etwas zu finden, was ihnen aus der Misere helfen würde. Doch eine ausgelaufene Bierdose hatte die Landkarte unbrauchbar gemacht. „Vielleicht sollten wir zurück fahren...“, murmelte er vor sich hin. „Ne, nein – nie im Leben! Die Richtung stimmt doch, wir müssen irgendwo da lang und kommen dann auf die Autobahn.“ „Aber vielleicht sollten wir doch zurück fahren, denn wenn hier eine Autobahnauffahrt sein sollte, wundert es mich, daß Montagmorgens hier so wenig los ist. Normalerweise müßten hier doch Dutzende LKWs lang rollen und hunderte von Menschen zur Arbeit fahren.“, Horst zeigte auf die Straße. „Geh mir nicht auf den Sack!“, rief Johannes. „DU mir auch nicht!“, erwiderte Horst. „Ich muß genauso wie du heute Morgen arbeiten. Und du darfst nie vergessen, dass wir hier am Arsch der Welt sind.“ Sie beide schauten aus dem Fenster. Die Straße war links und rechts von dunklen Fichten eingerahmt, der sogar am hellichten Tag wirkten, als sei es tiefe Nacht. Nur von weitem sah man die Morgensonne. Ansonsten herrschte hier Düsternis und die feuchte kalte Einsicht, sich in der tiefsten Provinz der Republik zu befinden.
Der Wagen lief noch immer im Stand.
„Also, was tun?“ fragte Horst – und Johannes kurbelte die Fensterscheibe ein Stück runter. „Keine Ahnung, am besten fahren wir einfach weiter und sehen zu, das wir in ein Dorf kommen, und jemanden fragen können. Wir sind hier ja nicht in der Sahara, wo die nächsten tausend Kilometer kein Mensch ist.“ Beide schauten sich an und lachten. „Ne, aber wir sind in der Provinz!“, Horst nahm sich eine Dose Cola. „Nun, fahr da lang! Eine andere Wahl haben wir eh nicht.“ Er deutete auf die Straße, die nach rechts führte. „Na gut!“, Johannes legte den ersten Gang ein und ließ den alten aber exzellent gepflegten Wagen voran rollen. „Viel los war ja nicht, gestern auf dem Oldimarkt.“ warf Horst ein. „Jo, das kann man wohl sagen. Der Alte, der mir von der Abkürzung erzählte, meinte auch, dass es Jahr fürs Jahr weniger Teilnehmer werden.“ Johannes schaute während des Redens geradeaus auf die Straße. Die wurde an verschiedenen Stellen bedrohlich eng – und die Schlaglöcher immer tiefer. „Wie hieß der Alte noch?“, fragte Horst. Johannes überlegte. Nach einigen Sekunden gab er es auf. „Ne du, den Namen habe ich wieder vergessen. Der wollte vielleicht einen Kram verkaufen. Ich frage mich, wo der die ganzen Ersatzteile her hatte! Aber ich muß auch zugeben, dass ich jetzt er wieder nüchtern werde. Schließlich haben wir eine Menge gesoffen.“ Das stimmte. Sie hatten sich ein Zelt mitgenommen und in der Nach von Samstag auf Sonntag dort übernachtet. Am Sonntagabend hatten sie aber noch mindesten eine Palette Bierdosen dabei, die sie nicht wieder mit nach Hause nehmen wollten. Zusammen mit dem „Alten“ ballerten sie diese dann leer. Nach nur wenigen Stunden Schlaf waren sie der Meinung, wieder nüchtern zu sein.
Beide schwiegen.
Johannes schaute ständig auf die Tankanzeige. „Scheiße!“; dachte er sich und hoffte bald in ein Dorf zu kommen, oder im besten Falle an eine Tankstelle. „Wenn hier eine Autobahnauffahrt sein soll, dann ist da auch eine Tanke!“, hoffte er.
Doch beides glänzte durch Abwesenheit.
Johannes fuhr etwas langsamer um Sprit zu sparen, und um der stärker werdenden Müdigkeit Einhalt zu gebieten kurbelte er sein Fenster ganz nach unten. Nach einigen Minuten rümpfte Horst die Nase. „He, du Sau – hast du einen fahren lassen?“, fragte dieser entsetzt. „Du hättest mich aber vorher warnen sollen! Ich glaub ich muß kotzen.“ Johannes, genannt Jupp schüttelte den Kopf. „Nein, du Idiot...“, er roch ein wenig in der Umgebungsluft. „Du hast aber recht, es stinkt gewaltig!“ Er bremste und streckte den Kopf aus dem Fenster. „Nanu ...“, er schaute nach hinten, dort sah er etwas in die Dunkelheit des Fichtenwaldes zu entschwinden. „Was ist los?“; Horst hielt sich die Nase zu und schaute Jupp an. „Was ist los, was ist los...keine Ahnung. Ich war das aber nicht, aber da hinten ...“, er zeigte auf den Fichtenwald „ ... da war was. Wenn ich mich nicht täusche, war da ...“ „Was! Was!“, flehte ihn Horst an. „Ne, das kann nicht sein.“, Jupp schaute wieder geradeaus und gab Gas. „Was in drei Teufels Namen war denn da? Halt an und schau mal nach!“, wiederholt Horst seine Frage. „Mann, leider keine Tankstelle. Ich weiß es nicht. Es sah so aus, als ob da ein Tier etwas hinter sich hergezogen hätte – in den Wald.“ „Was hinter sich hergezogen?“, fragte Horst, doch Jupp sagte nichts – er drückte das Gas leicht durch und fuhr los. „Wir haben keine Zeit nachzusehen, wird schon nichts wichtiges gewesen sein.“ Jupp hatte die Nase voll und wollte endlich die Autobahnauffahrt zu Gesicht bekommen – und eine Tankstelle. Die Sonne bewegte sich zäh nach oben, allerdings blieb der unheimlich wirkende Fichtenwald stockfinster. Das Licht das alten Mercedes hatte seine liebe Mühe die Baumschlucht zu erleuchten. „Der Gestank ist aber weg...“, sagte Horst lachend. „Gib es zu, du warst es!“ Johannes stieg in die Bremse und brachte den Wagen zum Stehen. „Nein, nein, ich war das nicht! Du weißt genau, das ich so was nicht mache. Du vielleicht, ich aber nicht!“, er hatte einen knallroten Kopf bekommen. „Ich war es auch nicht, aber wer dann?“, Horst schaute seinen Freund an. „Vielleicht sind wir eben an einer Klärgrube vorbeigekommen – oder...“ „... oder was?“, hakte Horst nach – „Meinst du etwa, daß das, was sich eben da am Waldrand bewegt hatte, so gestunken hat?“ Johannes mußte lachen. „Aber nur wenn es tot war – so stinken nur verwesende Leichen!“ Aber jetzt ist das Thema vom Tisch..., ok?“
Horst nickte – und schaute nach rechts aus dem Fenster.
„He! Mann, schau mal da!!“, er zog Johannes am Arm. „DA!“, ihre Blicke sahen etwas, mit dem sie schon nicht mehr gerechnet hatten. „Eine Tankstelle!“, rief Horst. „Aber anscheinend ist sie geschlossen...“, meinte Jupp und lenkte den Wagen in die Einfahrt. „Vielleicht machen die ja gleich auf...“, er schaute auf die Uhr. „Cool – ich wußte gar nicht, daß es so was noch gibt, die sieht aus wie aus den 50er – schau mal!“, Horst zeigte auf die Tanksäulen, sie waren am oberen Teil abgerundet und trugen eine verblaßte und beinahe unlesbare Aufschrift. An den Rändern waren die Tanksäulen mit Chrom verkleidet. „Und die Preise! Wow!“, Johannes parkte den Wagen neben einer der Tanksäulen. Er sah, daß die Preise noch in DM ausgewiesen waren. „He, Horst, ich glaube eher, daß diese Tankstelle schon länger geschlossen ist.“, er zeigte auf die Fenster. „Sieht ziemlich vergammelt aus. Aber interessant finde ich das schon.“, sie näherten sich dem Tankstellengebäude. „Boah...“, sie wischten ein wenig den Dreck von der Fensterscheibe und konnten so einen Blick hinein werfen. „Alles leer geräumt, schade. Also das hier war wohl nichts. Am besten fahren wir weiter. Sprit gibt es hier bestimmt nicht mehr.“, Jupp drehte sich um – doch Horst klebte förmlich an der Fensterscheibe und schaute sich jedes Detail an. „Schau mal da hinten – da liegt eine alte Emaille Reklame auf dem Boden! Toll!“ „Ja, Ja, aber wir müssen weiter! Schau mal auf die Uhr. Wir können ja irgendwann mal wiederkommen und machen ein paar Bilder...“, Jupp ging zu seinem Oldtimer und stieg ein, Horst war allerdings nicht dazu zu bewegen, einen Abgang zu machen. „Horst!“, rief Johannes. „Komm bitte!“
Doch Horst sammelte alte Emailleschilder und hatte seine Hand bereits auf die Türklinke gelegt, um sie vorsichtig nach unten zu drücken. „Mal sehen ...“, nachdem er die Klinke nach unten bewegte hatte, drückte er seinen Körper gegen die Tür – und diese bewegte sich leicht. „Prima! Es ist nicht abgeschlossen!“, er versuchte die Tür aufzumachen, dabei knirschte der Dreck darunter grausam. „Horst! Komm! Du bist doch kein Einbrecher!“, Jupp ging nervös auf und ab, wollte dann ins Auto einsteigen, ging aber doch zurück, um Horst persönlich abzuholen. Dieser war mittlerweile in die Tankstellenräume eingedrungen und machte sich an dem Schild zu schaffen. „Toll! Das ist ein ganz seltenes Stück. Eine alte Werbung von Shell.“ Er hob das Schild hoch und pustete den Staub runter. Stolz hielt er es in die Luft und zeigte seinen „Fund“ Johannes, der leicht angesäuert in der Tür stand. „Horst – komm jetzt bitte!“, doch Horst war irgendwie angetan von den Räumlichkeiten. „Jupp, mach doch mal keinen Streß, wir kommen eh zu spät. Ruf doch deinen Chef an und sag dem, das du später kommst. Ich mach das mit meinem auch. Du hast doch auch etliche Überstunden – laß dir was einfallen.“ Jupp atmete tief ein. „Klar, das dachte ich mir.“, er fummelte sein Handy aus der Tasche und schaute auf das Display. "Hm..., Horst – kein Empfang! So ein Mist!“, doch Horst hörte nicht hin. Statt dessen befreite er das Schild von Staub und Dreck und lehnte es dann gegen die Wand. „Schön, sehr schön!“, er klopfte sich den Dreck von den Händen. Johannes hatte sich mittlerweile damit abgefunden, das alles so gekommen war, wie es kam. „Was kann ich da noch sagen! Das nächste mal fahren wir aber rechtzeitiger los!“, doch Horst hatte bereits etwas neues gefunden, was sein Interesse geweckt hatte. „Schau mal!“, rief er zu Jupp, der noch immer in der Eingangstür stand. Er schaute abwechselnd zu Horst und auf die Straße. Draußen war es nun hell – aber andere Fahrzeuge hatte er bisher noch immer nicht gesehen. „Los, komm mal!“, rief Horst erneut. „Was ist denn?“, fragte der genervte Jupp. „Da!“, er zeigte auf eine Tür. „Na und? Da ist nur eine Tür, aber denkst du nicht, das es höchste Zeit ist weiterzufahren. Wir kommen sowieso nicht mehr weit, aber deswegen sollten wir nicht auch noch zu Einbrechern werden.“ „Ach dummes Zeugs, hier wohnt doch niemand.“, Horst wollte die Türe öffnen – er berührte die Klinke und in dem selben Moment fiel die Tür in sich zusammen. „Huhah! Starker Holzwurmbefall!“, Horst schaute durch eine Staubwolke wieder nach draußen. „Hier geht es hinter die Tankstelle!“, stellte Horst fest – „Prima, also dann komm doch, bitte.“
Doch Horst antwortete nicht.
„Horst!“, rief Johannes erneut.
Es kam aber keine Antwort.
„Oh Mann, jetzt muß ich ihm hinterher marschieren!“, er drehte sich um und schaute nach seinem Wagen. „Soll ich abschließen?“, er dachte nach. „Ne, hier ist eh keiner...“, und ging los um nach Horst zu sehen. „Horst! Wo bist du!“, wie zu erwarten : keine Anwort. „Ho ... Ho ... Horst! Komm endlich. Von mir aus nehmen wir das Schild mit – aber laß uns endlich abhauen.“ Johannes durchquerte den Raum, und betrachtete die Stelle, an der früher wohl mal die Theke mit der Kasse gestanden hatte. Auf dem Boden konnte man noch erkennen, wo sie festgeschraubt gewesen war. Die weiß roten Kacheln waren teilweise zerbrochen, in einer Ecke lagen ausgedrückte Zigaretten und zerquetschte Bierdosen. Jupp schaute sie sich genauer an. „Die liegen bestimmt schon lange hier. Dieses Logo dieser Biermarke habe ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen.“ Plötzlich hörte er von einen dumpfen Schlag – es kam von draußen, von dort, wohin Horst verschwunden war. „Das hört sich an, als ob jemand einen Kürbis gespalten hätte!“, Johannes verlor die Aufmerksamkeit an dem Krempel, der auf dem Boden lag und eilte in Richtung der Tür, durch die Horst eben gegangen war. Er schaute hinauf – der Himmel strahlte blau, kein Wölkchen war zu sehen. Aber die Fichten zogen in Wipfelhöhe einen schwarzen Strich. Unter dieser Grenze wirkte alles dunkel und duster. „Sieht ja unheimlich aus!“, dachte sich Jupp und schaute nach Horst. Hinter der Tankstelle war etwa eine Autobreite Platz. Auf der anderen Seite des Hinterhofes war ein Zaun, der bis oben hin zugewachsen war mit wildem Wein. „Was wohl dahinter ist - und da, ein Tor!“, etwa 30 Meter weiter befand sich ein geschmiedetes Tor, das etwa einen Meter weit offen stand. Am Ende war dann auch die Einfahrt, die den vorderen Teil mit dem hinteren Teil der Tankstelle verband und auch die Einfahrt zu dem halboffenen Tor war. „HORST!“, rief Jupp wieder lauter. „Horst!!!!“ auf der Höhe des Tores konnte er endlich einen Blick hinter den Zaun werfen.
„Das kann doch nicht wahr sein!“ Johannes stand wie gelähmt da. Vor ihm standen auf einem Platz mindestens zwei Dutzend Wagen. „Das ist ja ein Schrottplatz! Aber was für einer!“ staunend ging er an den Fahrzeugen vorbei. „Und alles richtige Klassiker!“ Er stand vor einem RO80, der mit seinen stark verrosteten Kotflügeln ein schlimmes Bild abgab. „Da!“, er erstarrte förmlich, als er seinen Traumwagen sah. „Ein W111, das Traumcoupe von Mercedes! Der ist bestimmt Baujahr 66.“ Er trat auf den Wagen zu. „Aber leider ist er in einem sehr schlechten Zustand!“ Das Schiebedach war offen und Wasser hatte anscheinend über die Jahre hinweg die Innenausstattung ruiniert. Dahinter stand ein Käfer Cabriolet – mit einem zerfetzten Stoffdach und herausgefallenen Lampentöpfen. „Ich werde verrückt! Ein Hebmüller Cariolet – die sind selten und mittlerweile unbezahlbar.“ Jupp drehte sich im Kreis. Kotflügel an Kotflügel standen hier Fahrzeuge aus den letzten dreißig Jahren. Für den einen waren es nur alte Kisten, für Menschen wie Jupp waren es Klassiker. Sogar ein Citröen AMI 6 mit seinem skurrilen Z-Heck gammelte vor sich hin. „Aber wo ist Horst?“, bei all den Wagen hatte er fast seinen Freund vergessen. „Aber das ganze hier – ist schon unheimlich...“, dachte er sich, als er die vor sich hinsterbenden Autos sah. „Überall Rost und Gammel, überall dicker Moos ... und sogar Pflanzen, die durch die Oldies durchwachsen.“ Er blieb vor einem Opel A-Kadett stehen. Ein kleinen Bäumchen wucherte unter dem Wagen heraus. Kurz darauf erspähte er einen 200/8, genau so einen wie er ihn hatte, nur in einer anderen Farbe. „Hm..., nicht schlecht.“ Er starrte auf den linken Kotflügel. „Der sieht aber gut aus...“, er überlegte tatsächlich ob er ihn nicht schnell abschrauben sollte. Alles in allem waren bereits viele der Fahrzeuge ordentlich gefleddert worden. Bei vielen fehlte das Chrom oder sogar der ganze Vorbau. Andere waren noch relativ komplett. Wie aus einem Traum aufgeweckt, hörte ein Scheppern vom Ende des Schrottplatzes. Dort stand ein Wohnwagen, der dem Zustand der anderen Wagen entsprach. „Horst?“, er ging einige Schritt weiter und blieb vor dem Wohnwagen stehen. „Jetzt mach keinen Scheiß, wir kommen ja sowieso zu spät.“ Er verharrte und lauschte. Erneut klapperte etwas in dem Wohnwagen und die Tür bewegte sich ein wenig. „Nun komm doch da raus!“, Jupp ging auf die Tür zu. Er hob seine Hand um die Tür zu öffnen – und in diesem Moment sprang sie auf.
„Horst?“
Ihm sprang ein fauliger Geruch entgegen. „Buah, das stinkt ja wie vorhin auf der Straße.“ Erst einmal von dem Gestank benommen, torkelte Jupp hin und her – dann sah er Horst, der rücklings auf dem Boden lag. In seinem Kopf steckte eine Axt, die seinen Schädel in zwei Teile gespalten hatte. Blut und Knochenreste lagen um ihn herum. Ein Mann, der vor Horst stand, zog die Axt mit Gewalt wieder heraus. „Na ... komm schon...“, fluchte er und stützte sich mit seinem schweren Stiefel an Horsts Kinn ab. „Und los!“, rief er und zog die Axt aus den Schädel. Immer mehr Blut schoß aus Schädel, Horst zuckte ein wenig. „Hallo!“, rief der fremde Mann Jupp entgegen. Der Axtmann hob sie erneut hoch und lachte, dabei wackelte sein weit nach vorne herausragender Bauch hin und her. „Hi, hi ... wohin soll ich nun zielen?“, schaute er Jupp fragend an. Die schwere Axt tropfte nur so vor Blut. „Ich weiß schon wohin!“, er drehte sich zur Seite und ließ die Axt auf ein Bein von Horst runterkrachen.
„Knacks...“, mit einem Schlag war es ab. Jupp war entsetzt.
In diesem Moment bekam auch er einen Schlag von hinten gegen den Kopf – und fiel besinnungslos zu Boden.
***
Langsam krabbelte die Spinne ihren Weg entlang, sie kam an eine Stelle, die sich schnell auf und ab bewegte. Plötzlich bewegte sie sich schneller, die Stelle, und die Spinne verschwand weiter nach oben. Sie kam an eine Öffnung aus der Luft, ungleichmäßig und nervös. Sie tastete sich vorsichtig mit einem Bein weiter nach vorne, doch es sollte ein noch stärkerer Luftzug kommen, der sie dann vertrieb. Johannes atmete unruhig. Das Krabbeln der Spinne holte ihn aus der Bewußtlosigkeit zurück. Irgend etwas kitzelte da auf seinem Bauch. Als erstes bemerkte er, daß er in einem dunklen Raum lag, in einem engen Raum – und er war nackt. Nach und nach wurde ihm klar, was los war. Er konnte sich erinnern, daß sein bester Freund, Horst, von einem dicken Typ mit einer Axt gespalten wurde. „Horst!“, hauchte er nach oben. „Was soll ich nur tun?“, sein Puls drehte auf, und er tastete seine dunkle Umgebung ab. „Hoffentlich bin ich nicht unterirdisch vergraben!“ Seine linke Hand tastete umher und bekam schnell etwas in die Hand. Es fühlte sich an wie ein lederner Beutel mit etwas festen Inhalt. Jupp fingerte in irgend etwas herum, das extrem unangenehm war. Er wurde immer nervöser und bewegte sich hin und her. „ICH will hier raus! Ich will hier heraus!“, er hob die Beine und schlug gegen die Decke. „Nanu...“, er kannte diesen klang. „Blech! Ein Kofferraumdeckel!“, er tastete die Decke ab und wußte nun, wo er war : Im Kofferraum eines Wagens. „Mein Jung, bleib mal ruhig!“, hörte er eine Stimme. Es war die des Axtmannes. Der stand neben dem Wagen und klopfte gegen den Kofferraumdeckel. „Lassen Sie mich hier raus!“, rief Jupp – doch der Mann lachte. „Paß mal auf, du bekommst jetzt Besuch!“, der Deckel öffnete sich und kurz sah Jupp, was neben ihm lag.
Eine Leiche.
Jupp schrie – und bekam den „Besuch“. Es war Horst blutiger Schädel, den er zwischen seine Beine gelegt bekam. Der Axtmann lachte – und ein anderer Mann, der neben ihm stand auch. Jupp schrie wie am Spieß, immer lauter, immer anhaltender. „Halts Maul!“, rief der Axtmann und schlug den Deckel zu. „So, den nehmen wir uns nachher vor!“, er klopfte dem anderen, einem deutlich Älteren, auf die Schulter. „Komm, wir gehen was trinken – und essen!“, lachend verschwanden sie zu dem Wohnwagen, wo schon ein kleines Feuer vor der Tür brannte. Daneben stand ein Grill. Der Axtmann schob ihn über das Feuer und nahm aus eine Kühlbox einige Stücke Fleisch. „Was möchtest du? Herz oder Leber?“ Der Alte überlegte. „Hm, beides ist fettarm...“, er dachte nach. „Ich darf nicht so viel Hirn essen, wegen dem Cholesterin...“ „Mist!“, der Axtmann fluchte. „Das Hirn hab ich vergessen!“ Beide grinsten und schauten dem Feuer zu, wie es das Essen briet. Zwischenzeitlich kämpfte Jupp mit dem Kofferraumdeckel. Er klopfte feste dagegen, schlug sich die Arme und Beine blutig. Die zwei am Feuer hörten ihn. „Laß den, der kommt nicht da raus. Im Gegenteil, der ist gleich fix und fertig und macht keine Probleme mehr.“ meinte der Axtmann. Jupp strengte sich an – doch ohne Erfolg. Während er gegen den Deckel trommelte, löste sich die leere Reserveradmulde und bröselte zu Boden. „Dann kann ich nur in einem alten Mercedes liegen!“ frohlockte Jupp. „Die Rosten unten herum am schnellsten.“ Er merkte, daß Licht von außen hereinkam. „Ein Fluchtweg! Aber ich muß aufpassen, daß die das nicht merken.“ Das knappe Licht, das nun in den Kofferraum fiel, zeigte aber auch das komplette Grauen. Neben ihm lag die Leiche eines Menschen, und zwischen seinen Beinen der Kopf seines besten Freundes. Tränen schossen ihm in die Augen. „Horst, in was für eine Scheiße sind wir da getreten?“ Er zog sein rechtes Bein zu sich und gab Horsts Kopf einen Schubser – dieser kullerte daraufhin durch das Loch im Kofferraum nach draußen. Dann rutschte Jupp hinterher und drückte die Mulde weiter zur Seite – und tatsächlich, ein größeres Teil des Bleches brach ab. „Was hab ich ein Glück, daß das Reserverad nicht hier drinnen ist!“ langsam gab der Boden nach. Anscheinend war der Tank bereits ausgebaut, so riß der Boden auf einer Länge von einem halben Meter ein. Die zwei am Feuer kippten sich ein Bier nach dem anderen hinter die Binde. Der Alkoholpegel stieg konstant. Jupp, der ja nackt war, rutschte an den rostigen und scharfen Kanten vorbei auf den Boden in das Gras des Schrottplatzes. „Frei!“, dachte er sich und schaute in die leeren Augen von Horsts Kopf, der vor ihm im Gras lag. Einen Moment lang lag Johannes noch ruhig, dort um zu hören, wo seine Peiniger waren.
„Rülps...“, er hörte sie von weitem.
„Ich muß weg hier – weg!“, er rutschte splitternackt auf dem Bauch von Auto zu Auto, so nahe am Zaun wie möglich. „Ich muß zu dem Tor!“, er robbte Meter um Meter und drehte sich dabei ständig um. „Sie haben noch nichts bemerkt!“, er kam dem Tor immer näher. So nahe das er sehen konnte, das es verschlossen war. „Nein ... NEIN!“; er schrie innerlich auf. Er atmete immer schneller, er wollte sich erst aufrichten, entschied sich aber trotzdem, einen Weg zu finden, um hier wegzukommen. „Nein, aufgeben kann ich immer noch.“, er lehnte sich gegen den Zaun und schaute sich die Wagen an, die hier standen. Ihm fiel nun auch auf, das nicht nur alte Wagen hier standen, auch Fahrzeuge neueren Baujahres standen hier herum. „Was geht hier vor sich!“, fragte er sich und betete, daß das alles nur ein böser Traum gewesen wäre. Plötzlich stand der Axtmann vor ihm – mit der Axt. Er hob sie langsam hoch und schüttelte den Kopf. „Wolltest du abhauen?“, fragte er Jupp – dieser wollte erst was sagen, merkte aber, daß das überhaupt nichts bringen würde. Der Alte stand neben dem Axtmann und hielt den Schlüssel in der Hand. „Das dachten wir uns schon...“, er kicherte und steckte ihn wieder ein. „Ich kann Sie doch ... Sie sind doch auf dem Oldtimermarkt gewesen...“, hauchte Jupp. Der Alte lachte lauter – und der Axtmann hob sein Mordinstrument. „So, Junge, du wünschst dir wahrscheinlich, daß das hier nur ein Traum ist...“, der Alte lachte erneut und schaute den Axtmann an, dieser nickte zustimmend. „Los!“; die Axt sauste herunter und Jupp zuckte zusammen. „He, Jupp, wach auf! Was ist mit dir los?“, er hörte eine Stimme. „Aufwachen!“, Horst wedelte mit einen Stück Holz hin und her. „Du Alki! Wir wollten doch früh losfahren, um Montag wieder pünktlich zu Hause zu sein.“ Horst gab seinem Freund die Hand und half ihm auf die Beine. „Was... was ... du lebst?“, stotterte Johannes. „Ja, und du auch! Aber wenn du das nächste mal pinkeln gehst, rennst du nicht gegen einen Baum – versprochen?“ Jupp nickte wortlos. „Einen ... einen trinken wir doch noch, oder?“, nuschelte Jupp. Horst grinste und zog eine Büchse Bier aus der Jackentasche. „Klar, aber wir gehen zurück zum Zelt und setzen uns da hin. Da wartet ja noch einer auf uns...“ Sie gingen zurück und setzten sich vor das Zelt. Dort saß auch ihr Saufkumpan und lachte, als er Jupp sah. Johannes Kopf klopfte – er war für einige Momente bewußtlos gewesen. „Ihr pennt morgen besser aus – ich kann ...“, er nahm einen Schluck aus der Büchse Bier „... euch eine Abkürzung nennen, da könnt ihr die verlorene Zeit wieder aufholen!“
Jupp schaute den Alten an.
Und lachte.
Ende.