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Chili con carne

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25.09.2018
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Chili con carne

Sie warf ihren roten Rucksack auf die Ladefläche, kletterte auf den Beifahrersitz und schob ihre Gitarre vor sich in den Fußraum. Der pummelige Milchbart am Lenker dirigierte den Pickup gemächlich zurück auf den Highway und sah sie lächelnd an:
"Na Senorita, wo soll es denn hingehen?" nuschelte er mit einem Streichholz zwischen den Lippen.
"Hallo, danke, dass sie mich mitnehmen", lächelte sie zurück. "Ich heiße Chili und wenn sie bis nach Juarez fahren, das wäre prima, ich wohne da." Sie sah, wie seine Augenbrauen nach oben gingen und sein Lächeln breiter wurde.
"So, so, in Bordertown wohnen sie. Na dann wollen wir mal", sagte er, wechselte auf den linken Fahrstreifen und trat das Gaspedal hörbar bis zum Bodenblech durch. Der Dodge schüttelte sich wie erschrocken, wurde laut aber nur unmerklich schneller. Chili sah sich verdutzt um:
"Warum blinken sie, hier fährt weit und breit Niemand." Er lachte:
"Wenn sie die Augen zu machen, hätten sie die Illusion, an vielen Anderen vorbei nach Juarez zu fliegen. Aber so..." Er ging vom Gas. Das Dahinzuckeln wurde gemütlich.
"Spielen sie Gitarre?", fragte er später und deutete mit dem Streichholz auf ihr Instrument.
"Nein, wieso - hören sie etwas?", fragte sie zurück und lachte los als sie sein Gesicht sah: "Touché! Das war für den Flug nach Juarez. Die war mit mir auf einem Chill-Out in Chihuahua." Er blies die Backen auf:
"Und sie sind sicher, dass sie Chili heißen?"

Das Gespräch schlief ein und sie musterte ihren Fahrer aus den Augenwinkeln. Er schien kaum älter als sie, zwanzig, vielleicht zweiundzwanzig. Seine verschmutzten Landarbeiterhände lagen ruhig auf dem Lenkkranz, der zottelmähnige Kopf bewegte sich im Takt einer lautlos gesummten Melodie. "Möchten sie ein Foto von mir?", fragte er plötzlich ohne sie anzusehen.
"Entschuldigung, nein, ich wollte nur... na ja, sie wissen ja, jugendliche Neugier."
"Was möchten sie wissen? Fragen sie ruhig!" Er nickte ihr auffordernd zu, zauberte ein breites Bubenlachen auf sein Gesicht, schnitt dann eine Grimasse und dröhnte: "Sie macht sich Gedanken, ob ich nur ein harmloser Eierdieb oder ein gefährlicher Vergewaltiger bin. Huh huh." Sie musste losprusten und versuchte ihn piepsstimmig zu parodieren:
"Nein, meine Mutti hat gesagt, einer Siebzehjährigen kann nichts passieren - auf der Strasse. Mutti weiß das, Mutti ist schon Vierunddreißig." Es dauerte – dann hieb er johlend auf das Lenkrad und hatte anschließend Mühe, den Wagen wieder in die Spur zu bringen.
"Und ihr Vater?", gluckste er unter Tränen.
"Der nervt.", antwortete sie, zog an ihren Ohrläppchen, bleckte die Zunge, verdrehte die Augen und wackelte mit dem Kopf.
"Den kenne ich." Er japste. "Das ist Meiner." Jetzt schlug er sich mit beiden Händen auf die Schenkel, dass sie erschrocken die Faxen ließ und auf die Strasse deutete:
"Schön die Hände ans Lenkrad, da vorne geht es lang."

Nach einer Pause und wieder ruhiger fragte sie:
"Und was machen sie wirklich?"
"Ich bin der Eierdieb. Sie brauchen sich keine Sorgen machen, sie kommen sicher nach Juarez."
"Ich hatte auch nichts Anderes erwartet, nachdem sie schon zum ersten mal gelacht haben, als sie nur meinen Namen gehört hatten. Warum eigendlich?"
"Jetzt werden sie lachen – halten sie sich fest, Chili - ich heiße Carne."
Die Warnung kam zu spät. Sie lachte. Es krachte ordentlich, als ihre rechte Schuhspitze durch die Fichtendecke der Gibson Hummingbird fuhr.

 

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