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Charlie

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16.09.2002
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Charlie

Charlie

Seit einer halben Stunde sitze ich hier auf dem Bahnsteig. Es ist windig und naßkalt. Der Herbst hat das Land fest im Griff. Er treibt Regenschauer und Blätter vor sich her.
Vor mir liegt eine sonnig Zukunft an der Ostküste Australiens. Eine Zukunft mit Tom.
Ich blicke nervös auf die Uhr, gleich muß mein Zug in den Bahnhof einrollen.

Tom mein Farmer, blond und blauäugig, stark, braungebrannt und groß gewachsen. Er bewirtschaftet zusammen mit seinem Bruder eine Farm. Kennengelernt hab ich ihn zufällig, als er hier in Deutschland an einem Kongreß teilnahm. Schnell verliebten wir uns, und als er zurückflog, ließ er mich mit Liebeskummer und dem Versprechen einer langen, glücklichen Ehe zurück. Ich war im siebten Himmel.

Es begann eine Zeit der Betriebsamkeit und Hektik. Ich kündigte meinen ohnehin langweiligen Job als Sekretärin einer Versicherungsgesellschaft.
Charlie würde meine kleine Wohnung übernehmen, dann brauchte ich die wenigstens nicht aufzulösen. Einen Teil meines Hausstandes hab ich schon vor einigen Wochen auf den Weg nach Australien geschickt. Tom bereitet gerade die Farm auf meinen Einzug vor. Er hat mir Muster von Vorhangstoffen geschickt, weil ich mir die schönsten aussuchen sollte.

Charlie hat mir in letzter Zeit viel geholfen. Wenn nur nicht die Traurigkeit in Charlies Augen wäre.
Wie lange kennen wir uns eigentlich schon? Charlie ist mir vertraut wie kein anderer Mensch. Wir haben einen großen Teil unserer Jugend zusammen verbracht. Haben in der gleichen Straße gewohnt, viel miteinander gelacht und das Leben genossen. Der Abschied von Charlie fällt mir schwer, unendlich schwer.
Charlie wollte mich nicht zum Bahnhof begleiten, haßt Abschieds-Szenen auf Bahnhöfen.

Charlie ... Charlie ... immer wieder Charlie!
Warum geht mir bloß Charlie nicht aus dem Kopf. Verdammt, ich sollte mich doch freuen auf meine Zukunft mit Tom.
Mein Zug wird angesagt von einer Frauenstimme in Blech. Nur noch drei Minuten. Mein neues Leben beginnt in Australien. Das Abenteuer pur. Tom und ich. Meine Vergangenheit habe ich hier neben mir in einem braun-karierten Koffer.
Der Zug schwebt leise auf Gleis sieben ein.
"Charlie ... Charlie!" hämmert es in meinem Kopf.
Mein Gott, was mach ich hier eigentlich? Drei Minuten noch. Tom - Charlie ...!
"Charlie!" Ich schreie es fast heraus.
Charlies traurige Augen blicken mich aus den Scheiben des Zugfensters an. Der Schaffner pfeift, die Türen schließen sich automatisch. Der Zug setzt sich schwerfällig wieder in Bewegung.

Als die letzten Menschen den Bahnsteig verlassen haben, kommt langsam wieder Leben in meine starren Glieder. Ich sehe die Rücklichter des Zuges nach Frankfurt, der mich zum Flughafen bringen sollte.
Langsam und gedankenverloren gehe ich mit meinem Köfferchen Richtung Ausgang.
Ich muß Tom schreiben. Ich kann nicht anders. Charlie! Jahrelang nur Freundschaft und jetzt das!
Tom wird mir bestimmt irgendwann verzeihen, auch wenn er jetzt verletzt sein wird. Ich habe doch vorher nicht gewußt, daß ich Charlie liebe, mehr liebe als jeden Mann der Welt.

Als ich vom Bahnsteig nach oben blicke in die offene Bahnhofshalle, sehe ich im Zwielicht eine vertraute Gestalt vor der Bahnhofsuhr stehen. Charlie.
Einsam und verloren zwischen all den Menschen, die eilig und geschäftig vorbeirennen.
Charlie ist hier! Meine Schritte werden immer schneller, ich laufe, renne. Charlie breitet die Arme aus und fängt mich auf. Wir weinen und lachen.
"Meine geliebte Charlie! Meine geliebte kleine Charlotte", kann ich nur stammeln, "ich konnte nicht fahren."
Sie drückt ihr Gesicht in mein Haar und flüstert ganz leise, fast wie ein Hauch: "Ich liebe dich, Judith. Verlaß mich nie wieder."

Monika A.E.Klemmstein

 

Hallo klemmy!

Hehe, gelungene Pointe.
Ist nicht die erste in dieser Art, die ich lese, aber ich war wirklich überrascht.
Insgesamt fand ich deine Geschichte jedoch eher durchschnittlich und mittelmäßig. Nichts besonderes, aber auch nicht schlecht. Sie war inhaltlich eben zu altbekannt, um wirklich mitreißend zu sein. Mit Ausnahme vom Ende natürlich, das die Geschichte dann verbessert hat.

Ein paar Anmerkungen:

sonnig Zukunft
- "e" fehlt

Charlie wollte mich nicht zum Bahnhof begleiten, haßt Abschieds-Szenen auf Bahnhöfen. [...] Charlies traurige Augen blicken mich aus den Scheiben des Zugfensters an. [...] Charlie ist hier!
Den mittleren Teil verstehe ich nicht, da er m. E. einen Widerspruch zum ersten Satz darstellt.

Wie gesagt, insgesamt nicht schlecht.

Viele Grüße,
Michael :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi klemmy,
hehe, ich hab eine Geschichte mit haargenau der gleichen Pointe wie der hier geschrieben. ;)
Meine ist relativ vorhersehbar, leider, und das weil sie ein ähnliches Problem hat wie Deine - der Name "Charlie" taucht übertrieben häufig auf um ein "sie" oder "ihr" zu vermeiden. Da die Sprache aber sonst recht sicher und flüssig ist fällt diese Holprigkeit natürlich auf und man macht sich seine Gedanken ... und bis auf die Pointe ist sie natürlich inhaltlich nichts Außergewöhnliches.
Hat trotzdem Spaß gemacht sie zu lesen. :)

 

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