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Chapman's Isle: Eine neue Welt - Teil 1+2
Chapman’s Isle
1.: Eine neue Welt – Teil 1
18. April 1834
Hoch schlugen die Wellen gegen den Bug und das kleine Schiff schaukelte verdächtig stark in tiefem Gewässer. Sechs Tage war die `New Hope` schon unterwegs und mit ihr Kapitän James Chapman und seine siebenköpfige Crew, die ihre ganze Hoffnung in den Seehandel gelegt hatte und aufgebrochen war, um nach Spanien zu segeln.
Die Sonne stand tief am Horizont und eine Besserung des Unwetters war nicht in Sicht. James Chapman stand an der Reling und sah mit besorgtem Gesicht dem Horizont entgegen.
„Wir sind vom Kurs abgekommen, oder?“, fragte Hans Peterson, der Schwede, der sich lautlos zum Kapitän gestellt hatte.
„Ich kann nicht navigieren, mir fällt es schwer, unsere Position zu bestimmen. Wenn wir morgen auf unserem Kurs Spanien nicht erreicht haben, werde ich der Mannschaft mitteilen müssen, dass unsere Mission gescheitert ist!“
Peterson nickte und beobachtete ebenso besorgt wie der Kapitän das Klatschen der Wellen gegen den Bug.
„Wird der Sturm noch schlimmer werden?“, ergriff Peterson erneut das Wort.
„Ich hoffe nicht, aber dennoch glaube ich, dass der Sturm seinen Höhepunkt noch nicht erreicht hat!“
Mit diesen Worten ging der Kapitän unter Deck in der Hoffnung, dass Steuermann Rolf Seaman mit dem starken Wellengang zurecht kam.
„Ich kann mir nichts schöneres vorstellen, als wenn jetzt jemand „Land in Sicht“ rufen würde!“, begrüsste der Steuermann den Kapitän. Schweiß lief über seine Stirn und sein Blick war hochkonzentriert.
„In einer halben Stunde übernehme ich das Steuer. Du brauchst eine Pause, Rolf!“
Seaman murmelte eine Bestätigung und Chapman verließ den Steuerraum in Richtung Koje.
Es war schwer, bei diesem Wellengang das Gleichgewicht zu halten und Chapman wankte zu seinem Schreibtisch, auf dem das offene Bordbuch lag. Der letzte Eintrag lag 24 Stunden zurück und deshalb entschloß sich Chapman, die bedrohliche Situation schriftlich festzuhalten.
Der alte Jock wird an die Decke gehen, wenn er sein Segelschiff zurück bekommt, dachte Chapman und tauchte seine Feder ins Tintenfass.
Sechs Tage zuvor.
„Pass mir gut auf das Schiff auf, James!“, sagte Jock Holloway und entblößte beim Sprechen seine halb verfaulten Zähne.
„Habe ich dich jemals enttäuscht?“, fragte Chapman. Der alte Holloway starrte ihm ins Gesicht und langsam fühlte sich Chapman unwohl in seiner Haut. Er hatte das Schiff für einen lächerlich geringen Preis leihen können. Vier Fahrten nach Spanien und das Geschäft des alten Holloway würde wieder blühen wie zu besten Zeiten.
„Versuch den Spaniern Gold abzuknöpfen!“, war der häufigste Kommentar des alten Geschäftsführers zu dem Unternehmen gewesen, „Und grüß mir Susanna!“
Susanna war die Jugendliebe des alten Holloway gewesen, die im Alter von 25 Jahren an Knochenschwund gestorben war. Holloway hatte ihren Tod nie verwunden können und seit jeher, wenn jemand in See stach, bat er, ihr Grüße ausrichten zu lassen, denn Susanna lag tief auf dem Meeresgrund in der Nähe von Dover. Als der junge Jock Holloway ihren Tod festgestellt hatte, hatte er sie, verrückt vor Trauer, aus ihrem Bett genommen und ins Meer geworfen.
„Nicht mehr als ein Sack Kartoffeln hat sie gewogen!“, hatte er mehr als einmal erzählt und bei dem Gedanken an Susannas Tod waren ihm immer wieder die Tränen gekommen. Er hatte sie auf einer seiner Fahrten nach Spanien kennengelernt und mitgenommen und er hatte sie heiraten wollen. Sie war Realist gewesen und hatte keine Zukunft mit Holloway gesehen.
„Ich werde sterben, Jock, aber der Tod kann unsere Liebe nicht besiegen!“
Gegenwart.
Chapman wachte auf aus seinen Erinnerungen, als ihm der alte Jock seine Geschichten erzählt hatte. Er war so etwas wie ein Vater für ihn gewesen. Seine eigenen Eltern hatten sich zu Tode gesoffen und Holloway hatte ihn praktisch adoptiert und aufgezogen, denn als Cousin des verstorbenen Richard Chapman hatte er es als seine Pflicht angesehen, selber kinderlos, sich des kleinen James anzunehmen...
Der Wellengang war nicht schwächer geworden, stellte Chapman bei einem Blick aus dem Fenster fest. Kontinuierlich klatschten die Wellen gegen das Schiff und es war nur eine Frage der Zeit, wann es der Kraft der Wellen nicht mehr stand halten konnte.
Chapman blickte auf seine Uhr. Seit zehn Minuten schon hätte er im Steuerraum sein müssen.
Hastig sprintete er die Treppe rauf, gerade noch rechtzeitig, um Jonathan Owen rufen zu hören.
„Land in Sicht!“
Chapman’s Isle
2.: Eine neue Welt – Teil 2
„Land in Sicht!“ Kapitän James Chapman konnte es nicht fassen. Sollten sie es wirklich noch schaffen? Sollten sie wirklich noch rechtzeitig einen Hafen anlaufen können? Eigentlich war es egal, ob ein Hafen in der Nähe war, Hauptsache Land war in der Nähe, an dem man das Schiff fest machen und sich selbst vor dem Unwetter in Sicherheit bringen konnte.
Chapman eilte in den Steuerraum. Schritte waren auf dem Schiff zu hören. Die Mannschaft war in heller Aufregung.
„Espania, Espania!“, rief ein Mitglied der Crew optimistisch durch das Schiff und stürzte sich ins Unwetter nach draußen.
Chapman erreichte die Tür zum Steuerraum und öffnete sie. Das, was er sah, lies seine schlimmsten Befürchtungen wahr werden: kurz vor der sicheren Rettung lag Rolf Seaman bewusstlos am Boden.
Das Schiff schaukelte und schwankte gefährlich über dem aufgewühlten Gewässer. Viel fehlt nicht mehr, bis es umkippt, dachte Kapitän Chapman voller Unruhe und versuchte, das Steuer wieder in den Griff zu bekommen. Doch das Steuerrad war stärker als er. Es war so stark am drehen, dass es Chapman mit vereinten Kräften nicht gelang, das Steuer wieder unter Kontrolle zu bekommen.
„Insel in Sicht! Insel in Sicht!“, riefen vereinzelt die Crewmitglieder. Chapman kämpfte mit dem Steuer. Jetzt sah er auch das Land, dass sich düster am Horizont erstreckte. Kein Lichstrahl war zu sehen.
Das Land raste auf Chapman zu. Der Kapitän verlor die Besinnung.
„Was wird der alte Jock wohl dazu sagen?“ Michael Stafford bückte sich zu Chapman und half ihm notdürftig, seine Wunden zu versorgen. Erst wenige Sekunden lang war der Kapitän wieder bei Bewusstsein.
„Was ist passiert?“, stammelte er und Blut lief aus seinem Mund.
„Wir haben Bruch gemacht, Kapitän!“, sagte Stafford ohne in seiner Arbeit inne zu halten.
„Wie geht es dem Schiff? Wie geht es der Crew?“
„Das Schiff hat einige Blessuren abbekommen. Aber der Crew ist nichts passiert. Seaman ist kurz vor dem Bruch aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht und hat schlimmeres verhindert!“
Chapman versuchte aufzustehen. Nachdem ihm das nicht auf Anhieb gelang, griff ihm Stafford unter die Arme und half ihm.
Wo waren sie? Der Strand nahm vielleicht in der Breite zweihundert Meter des Landes ein.
„Haben wir – Spanien erreicht?“, stammelte Chapman.
„Peterson meint, dass wir vielleicht auf Spanien gestrandet sind, aber weit weg von jeglicher Zivilisation sind. Schauen Sie mal zu den Felsen, Kapitän! Die sind riesengroß und uneben, hier lässt sich doch kein Mensch nieder. Und so wie es aussieht, streckt sich das Felsenmeer mehrere Meilen gen Horizont!“
Chapman nahm das Fernglas entgegen.
„Tatsächlich!“, staunte er, ,,Ich kann mich aber nicht entsinnen, von solch einer großen Felsstruktur in Spanien schon einmal etwas gehört zu haben!“
Ingo Canterbury hatte mit dem Aufstieg des Felsen begonnen. Der 35-jährige Brite war als Jugendlicher gerne klettern gewesen und hatte es sich nicht nehmen lassen, den Versuch zu unternehmen, den riesigen Felsen zu erklimmen. Schon damals war es seine größte Leidenschaft gewesen, zu klettern, mit jedem Schritt an Übersicht zu gewinnen, immer größer zu werden...
14. Mai 1815
„Ingo, du bist weit genug geklettert. Komm wieder runter!“ Seine Eltern standen unter dem Baum und sahen mit Besorgnis, wie ihre Tochter Sharleen verzweifelt versuchte, im Baum halt zu finden. Ingo kam immer näher. Immer muss Sharleen besser sein als ich. Sie ist in der Schule besser, sie macht alles richtig und sie schlägt mich in meinem einzigen Hobby!, dachte der 16-jährige Ingo und kletterte immer weiter. Über ihm saß die verängstigte Sharleen und blickte ihm mit Tränen in den Augen entgegen.
„Gib mir deine Hand!“, sagte Ingo. Sie gab sie ihm und er nahm sie, als plötzlich ein Ast unter Ingo entzweibrach. Unendlich lange fiel das Geschwisterpaar die fünfzehn Meter des Baumes herunter. Ingo wurde bewusstlos.
Das erste, was er wahrnahm, war das Weinen seiner Schwester. Sie war total verbogen und Ingo lag auf ihr. Er war weich gelandet. Auf seiner Schwester.
Gegenwart.
Zehn Jahre hatte Sharleen nicht gehen können. Ein Wirbel war angebrochen gewesen oder so ähnlich und sie hatte enorme Schmerzen gehabt. Ein Arzt aus Deutschland schließlich hatte Sharleen durch eine gewagte Operation geholfen, wieder gehen zu können, doch auch heute noch war das Laufen mit enormen Schmerzen verbunden.
Der Felsen unter Ingo Canterbury fing an, brüchig zu werden. Vielleicht noch zehn Meter, dann hatte er den Aufstieg geschafft. Canterbury sah hinunter und erblickte die Mitglieder der Crew, die unter ihm auf ihn warteten.
Langsam begann Canterbury mit dem Abstieg...
„Wie lange wird es dauern, das Schiff zu reparieren?“, fragte Kapitän Chapman.
„Ewig, ohne Ersatzmaterial. Wir müssen eine zivilisierte Stadt finden, Kapitän. Wir brauchen Hilfe. Alleine sind wir verloren!“, antwortete Michael Stafford.