Chancen
"Ich geh’."
"Aber ich dachte wir wollten zusammen in die Oper gehen? Du hattest es versprochen."
"Davon weiß ich nichts. Oder? Stimmt du hattest es irgendwann einmal erwähnt. Es tut mir leid, aber ich habe mich mit den Jungs verabredet. Das verzeihst Du mir doch, stimmt’s? Tschüs."
"Aber ich..."
Doch weiter kam sie nicht. Carrie die seit kurzer Zeit mit James verlobt war, konnte ihren Einspruch einfach nicht mehr hervorbringen. Wie sie es schon öfters bemerkt hatte, vergaß James die Verabredungen mit seiner zukünftigen Frau immer häufiger und war sehr oft außer Haus. Obwohl Carrie ihn über alles liebte, bekam sie langsam Zweifel:
‘Ist er der Richtige und wird nach der Hochzeit ihre Ehe ewig halten?’
Ihr Vertrauen und ihre Liebe gerieten ins Schwanken und sie fand einfach nichts, das wieder Festigkeit brachte. Würde er doch nur an einiges denken. Selbst wenn er versuchen würde ihr kleine Freuden zu machen; doch selbst bedeutende Tage vergaß er.
(Der nächste Tag wurde von der Sonne langsam wach geküßt.)
"Willst du mir nicht etwas sagen oder vielleicht sogar geben?"
"Wie bitte? Ich verstehe nicht was du willst. Ist heute irgend etwas. Hast du Geburtstag?"
Empört und durch diese Frechheit aufgebracht, starrte sie ihn nur fassungslos an.
"VERSCHWINDE! Ich will dich nicht mehr sehen. Den wichtigsten Tag unserer Beziehung hast du vergessen und zeigst jetzt noch nicht einmal Reue."
"Aber geheiratet haben wir doch noch gar..."
Die Tür schlug zu und seine Worte, die Messer in Carries Herzen warfen, wurden beendet. Weinend brach sie auf dem Bett zusammen und konnte sich in diesem Moment nicht einen kleinen Funken Liebe für James abgewinnen.
Dieser stand regungslos vor der Tür und wußte nicht was er falsch gemacht hatte. Nein, er wußte es, aber er müßte sich nun an das Ereignis erinnern, das er vergessen hatte.
Gedankenverloren streifte er durch die Stadt und konnte sich einfach nicht erinnern. Er schaute sich um und konnte links von ihm eine Frau sehen, die in den Armen ihres Mannes ging. Rechts von ihm küßten sich zwei jüngere Menschen. Vor ihm lachte eine Frau mit ihrem Freund, als sie sich gerade irgend ein Schaufenster betrachteten. Er konnte nicht glauben, dass er auch einmal so glücklich war, damals als er Carrie kennengelernt hatte. Das waren noch großartige Zeiten. Er und Carrie bei ihren ersten Treffen, ihren ersten Kuss, ihre erste Nacht zusa...
Wie vom Blitz getroffen, zuckte er zusammen und hatte endlich die Lösung gefunden. Er wußte was er vergessen hatte. Endlich wußte er es. Sofort machte er sich auf den Weg nach hause. Er wollte sich entschuldigen und ihr berichten, dass er nun weiß, was es war.
Er erinnerte sich daran wie er vor die Tür gesetzt wurde und wie er Tränen von ihr gehört hatte. Sie hatte geweint, sie wird doch nicht wegen so etwas weinen? Doch nun bemerkte er, dass er auch dutzend andere Dinge vergessen hatte. Was hat er nur getan? Er hat ihre Beziehung vernichtet, doch das wird er wieder gut machen.
Klopf, Klopf.
"Bitte, kann ich mit dir reden."
"Es ist offen", antwortete sie und konnte ihre Traurigkeit nicht verbergen, da, wie sie nun erschreckend bemerkte, es auch nicht mehr wollte, so dass sie in jeder einzelnen Silbe ihrer Worte zu hören war.
"Ich möchte, dass du einen Moment mit mir kommst."
Diese Worte sagte er, obwohl er gemerkt hatte, dass Carrie ihre Koffer packte und es sah so aus, als ob dies für immer sei.
‘Ich habe nichts zu verlieren, wenn ich dich heirate.’
Sofort fiel James die Antwort von Carrie ein, als er um ihre Hand angehalten hatte.
‘Ich hab nichts mehr zu verlieren. Gar nichts mehr.’
Gedankenverloren kramte Carrie weiter in ihren Sachen und sagte schließlich doch zu.
Sie liefen ein Stück in der Stadt entlang, doch sie nahmen nicht den gleichen Weg wie sonst. Er führte die ganz bewußt an einem großen See vorbei, an einem Fluß entlang, insgesamt weit von der Zivilisation weg. Obwohl sie sich unterhielten, war das Gespräch trocken und kühl. Sie gingen zusammen in ein Restaurant und in ein Kino, aber Carrie erkannte den billigen Versuch und ging nicht sehr darauf ein. Es brachte einfach nichts und schließlich beendeten sie ihr Zusammensein.
Carrie ging wieder zurück und wollte zu ende packen. Sie öffnete die Tür und genau in diesem Moment sah sie es. In diesem Moment konnte sie ihren Augen kaum glauben. Auf dem Bett, im Wohnzimmer, in der Küche, überall, überall waren Rosen. Es waren an die tausend Stück. Sie überstrahlten jede Sorge mit Freude, jede Verzweiflung mit Hoffnung, jeden Ärger mit Glück, sie schafften es sogar Antipathie wieder in Liebe zu verwandeln. Es war das romantischste was Carrie jemals erlebt hatte und obwohl sie es nicht glauben konnte, war es offensichtlich, dass es James Idee war. Sie legte sich in ein Beet aus Rosen und genoß die Emotionen, die dadurch erwachten.
Es war mittlerweile Abend geworden und es klopfte an der Tür. Ein riesiger Strauß Rosen mit einer noch größeren Schachtel Pralinen stand davor und dahinter tauchte James auf, doch bevor Carrie ihre Freude zeigen konnte zog er sie schon aus dem Haus und bat sie mitzukommen. Ihr Spaziergang endete auf einem Hügel, der über der Stadt lag und einen direkten Blick auf die Stadt und die Sterne offenbarte. Carrie kannte diesen Hügel sehr genau.
"Auf diesem Hügel vor genau 3 Jahren und nun mittlerweile schon 4 Stunden und `Moment` 5 Minuten haben wir uns das erste mal getroffen und ich war sofort von deiner Schönheit überwältigt. Ich bitte dich nun hier und jetzt um Verzeihung, ich entschuldige mich, dass ich so ein Arschloch war, so ein Depp, so ein..."
"James"
"Ja."
"Sprech’ nicht soviel, du vermasselst wieder alles."
"Tut mir..."
Doch viel weiter kam er nicht. Dieser besondere Kuss unterbrach ihn und gab ihm die Gewißheit, dass er seine zweite Chance erhalten hatte.
Sie küßten sich, bis der neue Tag und somit seine neue Chance anbrach.