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Cashmere

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28.11.2014
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Cashmere

Sie zog den Prospekt mit den anderen Briefen aus dem Briefkasten. Er war ein bisschen aufgeweicht vom Regen, der durch den löchrigen Deckel getropft war. Wir müssten mal einen neuen kaufen, dachte sie. Immer, wenn die Post nass war, fiel es ihr wieder ein. Und jedes Mal schob sie den Gedanken daran zur Seite. Unter 17 Euro war keiner zu bekommen. Ganz schön teuer. Sie mussten rechnen.
Nach der Tasse Kaffee sah sie sich den Prospekt genauer an. Strauss hatte die Cashmere-Pullover erneut heruntergesetzt. Nun kosteten sie statt 69 nur 59 Euro. Sie würde sich die mal ansehen.
Sie räumte den Kaffeetisch ab. Auf dem Couchtisch waren noch die kalten Zigarettenstummel und die Weinflasche. Auch die räumte sie weg. Er schlief noch, sie ließ ihn schlafen.
Strauss würde um zehn öffnen. Sie machte sich fertig, zog die Stiefel und eine Regenjacke an, holte das Fahrrad aus dem Schuppen.
Auf dem Weg ins Zentrum kam sie am Friedhof vorbei. Ob die Primeln schon verwelkt sind? Sie hatte sie zwar erst vor zwei Tagen frisch auf das Grab gestellt, doch es würde nichts schaden, noch einmal nachzusehen.
Das kleine Grab lag zwischen den anderen kleinen Gräbern. Der Wacholder, den sie vor 27 Jahren als junges Pflänzchen darauf gepflanzt hatten, war inzwischen sehr groß geworden. Er war so groß, dass das Grab wie eine Umrandung nur für ihn aussah. Das kleine weiße Schildchen war kaum noch zu erkennen. Er war gerade 9 Monate alt gewesen, als er von dem Sofa fiel, auf das sie ihn zum Schlafen gelegt hatte. Gehirnblutungen. Es war ihr erstes Kind gewesen. Hätte sie besser aufpassen sollen ? Hätte sie nicht aus dem Zimmer gehen sollen?
Vor zwei Jahren hatte die Friedhofsleitung sie gefragt, ob sie das Grab einebnen lassen wolle. Sie konnte nicht.
Die Primeln, die unter dem Wacholder kaum Platz hatten, waren noch frisch. Unschlüssig, was sie nun noch machen konnte, stand sie vor dem Grab.
Sie löste sich und ging zum Fahrradständer. Es war jetzt kurz vor zehn. Strauss würde gleich öffnen. Nur 59 Euro, das war ein echtes Schnäppchen. Auch noch in Lila. Oder hatte sie schon einen in Lila? Ach, egal, vielleicht gab es morgen keinen mehr. Es war eine einmalige Gelegenheit.

Sie stellte ihr Fahrrad zurück in den Schuppen, nahm die Strauss-Tüte und ging ins Haus. Er war aufgewacht und saß vor dem Fernseher. Die beiden neuen Pullover legte sie noch eingepackt in den Schrank. Nachdem sie den Raum verlassen hatte und er hörte, dass sie oben war, stand er auf, nahm die Tüte mit den Pullovern aus dem Schrank und trug sie in sein Auto. Er würde sie am Nachmittag zurückbringen.

 

Hallo barnhelm

Deine Geschichte ist meiner Meinung nach schlichtweg zu kurz. Die Motivation des komischen Kaufverghaltens deiner Protagonistin wird dem Leser nicht klar. Der Tod eines Kindes, das ist schweres Geschütz, das du da auffährst. Und so ein kurzer Text reicht da einfach nicht aus.

Geschrieben ist das zwar verständlich, doch es keine Spannung im Text auf. Erst am Schluss, als er die Pullover zurückbringen will, wird es etwas spannender. Und dann ist's schon vorbei. Finde ich sehr schade.

Schreib die Geschichte doch noch einmal. Gib den Charaktern mehr Tiefe, denn jetzt ist keine da. Lass sie sprechen und fühlen!

Beste Grüsse
Graziano

 

Als pragmatischer Mann war mein erster Gedanke, "Die spart an Briefkästen, aber kauft sich neue Pullover? Ja, gibts denn sowas?", aber als ich weitergelesen habe, wurde mir dir Zusammenhang klar.

Das ist ein kurzer Text, der eine ganze Menge Gewicht trägt - zu viel Gewicht, möchte ich meinen. Ich weiß, dass diese kleinen Details wichtig sind, um den Zustand einer Frau zu verstehen, die mit alltäglichem Kram und dem Shopping versucht, etwas zu verdrängen, was trotzdem immer wieder aus ihr heraus bricht, aber von mir aus hätte das ruhig ein wenig mehr sein können.

In diesem Moment stört mich auch der Informationsmangel nicht, da er von dem eigentlichen Punkt, auf den man sich konzentrieren soll, ablenken würde.

Viel mehr kann ich eigentlich auch gar nicht meckern - mir hats gefallen, auch wenn es ruhig länger sein könnte. Aber ich vermute, die Länge ist so beabsichtigt.

 

Hallo Barnhelm,

habe den Text ganz gerne gelesen, obwohl er für meinen Geschmack auch etwas länger hätte sein können. Gerade bei so kurzen Texten kommt es auf die sprachlichen Feinheiten besonders an, da sind mir ein paar Sachen aufgefallen. Du hast z.B. viele Wortwiederholungen drin:

Sie zog den Prospekt mit den anderen Briefen aus dem Briefkasten.
Auch sie räumte sie weg.
Er schlief noch, sie ließ ihn schlafen.

Unter 17 Euro war keiner zu bekommen
Zahlen schreibt man aus, das sieht nicht schön aus. Also siebzehn Euro.

„Ob die Primeln schon verwelkt sind?“
Gedanken setzt man meines Wissens nicht in Anführungszeichen, nur wörtliche Rede.

Ansonsten versteht man auch in der Kürze, dass das Paar am (selbstverschuldeten) Tod des Kindes zerbrochen ist und resigniert hat. Hätte mir trotzdem etwas mehr Charakterzeichnung gewünscht.

Viele Grüße,
Kerkyra

 

Vor zwei Jahren hatte die Friedhofsleitung sie gefragt, …

Hallo und herzlich willkommen hierorts,

lieber barnhelm,

’s erscheint mir wie ein Schlaglicht aus dem Leben moderner armer Leute, die sich keinen neuen Briefkasten leisten können, aber die Pacht/Gebühr, für ein Grab (ich wär überrascht, wenn ein Grab – und wär’s noch so mickrig – nix kosten würde; Du erkennst, ich bin ein emotionaler Kühlschrank) und einer konkurrierenden Meinung zwischer ihr und ihm über die Notwendigkeit, zwei neue Kaschmir-Pullover zu besorgen.

Deutsch ist eine der wenigen Sprachen, in die Fremdwörter ohne größere Klimmzüge entlehnt werden können, wie Kaschmir. Und: es wird hier ziemlich viel ge-sie-zt, Ein- und Mehrzahl, wenn man das so sagen kann. Hier aber

Auch sie räumte sie weg.
bräche man sich für die wegzuräumende Weinflasche keinen ab durch ein schlichtes „die“, also „auch die räumte sie weg“, wenn sie denn namenlos bleiben soll. Anonym, wie auch „er“.

Strauss würde um 10 öffnen.
Zahlen bis zwölf werden üblicherweise ausgeschrieben, also besser „… würde um zehn öffnen“. Dass Du es weißt, zeigt eigentlich das Eingangszitat.

Es war ihr erstes Kind gewesen.
Das ist Schulbuch gerecht/mäßig. Es geht auch mit halber Anzahl von Hilfsverben: „Es war ihr erstes Kind“, ohne dass das Kind weiteren schaden nähme.

Aber was ich bemerkenswert finde: Es geht bis auf die genannten kleinen Kratzer fehlerfrei ab. Das Handwerkszeug hastu, die erste Fingerübung ist geschafft. Warten wir ab, was draus wird.

Gruß

Friedel

 

Hallo barnheim,

Du sprichst kein einfaches Thema an. Eine Frau, die den, wie sie glaubt, selbstverschuldeten Tod ihres Kindes nie verarbeitet hat.
Auch nach 27 Jahren klammert sie sich an das Grab ihres Sohnes.
Unbewusst versucht sie den Verlust mit Dingen (Schnäppchen) auszufüllen, die sie sich gar nicht leisten kann und die sie vermutlich auch nicht unbedingt braucht. Sie weiss ja nicht einmal, ob sie nicht schon einen lila Pullover besitzt.

Der Mann nimmt die Tüten mit den beiden Pullovern aus dem Schrank und bringt sie zurück. Wie oft er das schon getan hat, kann man nur vermuten.

Meine Frage: Warum sucht der Mann für seine Frau und für sich selbst keine Hilfe?

Gerne gelesen
Marai

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe(r)
Graziano, NWZed, Kerkyra, Friedrichard, Morphin und Marai,
Dank euch allen, dass ihr euch mit meinem ersten Text beschäftigt habt. Der sensible Kühlschrank Friedrichard hat es auf den Punkt gebracht:

die erste Fingerübung ist geschafft. Warten wir ab, was draus wird.

Genauso geht es mir. Es ist wirklich meine erste KG. Leider fehlt mir jegliche Phantasie und ich kann als Gegenstand meiner Texte nur etwas nehmen, was mir persönlich begegnet ist. So verhält es sich auch mit dieser Geschichte.
Probleme habe ich mit dem Einsatz von Dialogen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie z.B. jimmyslaryman es schafft, mit Dialogen Atmosphäre zu schaffen. Meine Versuche erschienen mir bisher zu gekünstelt und gewollt. Deshalb habe ich (vorerst) darauf verzichtet.
Meine Intention war es, Alltags-Tragik in einer kurzen alltäglichen Handlung darzustellen. Nicht beachtet habe ich dabei wohl die Seite des Lesers, der auch „unterhalten“ werden möchte, also etwas mehr über die Charaktere erfahren möchte, sich in sie hineinversetzen möchte.
Morphin
Gib den Beiden in Deinem Text eine Chance sich zu zeigen.

Darüber werde ich nachdenken. In diesen Zusammenhang gehört auch der fehlende Spannungsbogen. Wie schaffe ich es, im Leser eine Fragehaltung zu erzeugen, so dass er dem Verlauf des Textes folgen möchte. Mal sehen.

Graziano

Die Motivation des komischen Kaufverghaltens deiner Protagonistin wird dem Leser nicht klar.

Lieber Graziano, das scheint nicht für alle Leser zuzutreffen:
NWZed:
...um den Zustand einer Frau zu verstehen, die mit alltäglichem Kram und dem Shopping versucht, etwas zu verdrängen,
Morphin:
Dieses pathologische Kaufverhalten der Frau aufgrund des Todes, ihr Mann, der, wissend um das Problem seiner Frau, diese gekauften Sachen wohl wieder und wieder zurückbringt, es aber offenbar toleriert, als Fluchtpunkt, …

Kekira:
Ansonsten versteht man auch in der Kürze, dass das Paar am (selbstverschuldeten) Tod des Kindes zerbrochen ist und resigniert hat
Marai:
Eine Frau, die den, wie sie glaubt, selbstverschuldeten Tod ihres Kindes nie verarbeitet hat.

Noch etwas: Vielleicht eine Frage für Friedrichard: Wie kennzeichnet man im Text geäußerte Gedanken? Ich meine, dass sie, wenn sie ganz wörtlich wiedergegeben werden, auch wie wörtliche Rede, also mit Anführungszeichen, gekennzeichnet werden. Wenn sie indirekt wiedergeben werden, können sie entweder kursiv oder – wenn sie klar als Gedanken des Prot zu erkennen sind - wie der übrige Text geschrieben werden. Aber ich bin mir nicht sicher.

Danke noch einmal für die Aufmerksamkeit, die ihr meinem Text entgegengebracht habt und für die Anregungen.

Freundliche Grüße
barnhelm

 

Wie kennzeichnet man im Text geäußerte Gedanken?

Du kannst die sehr gerne wörtlich wiedergeben, aber da sie nicht gesprochen werden, solltest du auf Zeichen verzichten.

Eine Möglichkeit wäre:

Denke ich das wirklich?, dachte er

Damit trennst du Fließtext eindeutig von den Gedanken. Der Leser muss nur wissen,d ass es sich bei der handelnden Stimme um den Charakter, nicht den Erzähler handelt. Wenn du willst, kannst du auch kleine Schubkarren daneben malen, solange die Gedanken nicht als wörtliche Rede gekennzeichnet werden.

 

Noch etwas: Vielleicht eine Frage für Friedrichard: Wie kennzeichnet man im Text geäußerte Gedanken? Ich meine, dass sie, wenn sie ganz wörtlich wiedergegeben werden, auch wie wörtliche Rede, also mit Anführungszeichen, gekennzeichnet werden. Wenn sie indirekt wiedergeben werden, können sie entweder kursiv oder – wenn sie klar als Gedanken des Prot zu erkennen sind - wie der übrige Text geschrieben werden. Aber ich bin mir nicht sicher.

NWZed (hallo, und - da auch wir uns das erste Mal begegnen, herzlich willkommen hierselbst!, aber gleich die Frage: Wie darf ich Dich ansprechen, ['enve:zett] wird's ja kaum sein)

hat schon leserfreundliches gesagt, aber im Prinzip sind alle Mittel recht! Der Monolog der Molly (letztes Kapitel des Ulysses Joyce kommt ohne ein Satzzeichen aus und ist doch Teil der Weltliteratur. Und mit dem ollen Brecht schließ ich sinngemäß: Ich sehe Dich betroffen und alle Fragen offen!

Schönres Wochenende wünscht der

Friedel

 

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