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Carpe diem

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13.02.2003
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Carpe diem

"Wie weit bist du, Schatz?"
„Ich finde die Brosche nicht."
„Was für eine Brosche, zum Teufel?"
„Die Brosche, die Mutter mir geschenkt hat. Zu unserer Hochzeit."
„Vergiß die Brosche. Ich hab' dir doch gesagt, nur das Allerwichtigste."
„Sie ist wichtig!"
„Zoe, wir haben keine Zeit, um jetzt noch irgendwelchen Modeschmuck zu suchen. Zoe… Zoe, hörst du? Zoe?“
Keine Antwort. Richard ließ das Messer fallen, mit dem er gerade die Brote schmierte, und eilte ins Schlafzimmer.
„Zoe, warum... ? - Du weinst ja! Komm Liebes, es tut mir leid. Ich wollte nicht …“
„Sie tun es, nicht wahr? Diesmal tun sie es wirklich. Habe ich Recht?“
Sie weinte jetzt noch heftiger. Dicke Tränen rannen ihr über die Wangen und ihr Gesicht glänzte im Licht. Sie saß da und heulte sich die Seele aus dem Leib und er stand im Türrahmen und wußte nicht, was er ihr sagen konnte. Er kannte eine Antwort, aber das war die, die sie kannte. Die jeder kannte. Er ging zu ihr und sie umklammerte sofort seine Hüften und lehnte ihren Kopf an seinen Bauch.
„Scht… Scht… es wird alles gut. Wirst schon sehen… . Wir..."
Er verstummte. Er konnte sie nicht belügen. Konnte nicht sich selbst belügen.
„Richard, ich will nicht fort."
Sie blickte jetzt zu ihm hoch. Die Tränen hatten ihren Kajal verlaufen lassen und sein Shirt hatte auch seinen Teil abbekommen.
„Wir müssen. Wir haben keine andere Wahl, wenn wir…"
„…überleben wollen? Wolltest du das sagen? Meinst du wirklich, dass diese Treibhäuser, die sie gebaut haben, uns vor der Strahlung schützen? Und selbst wenn, sollen wir bis an unser Lebensende in diesen hermetischen Gefängnissen vor uns hervegetieren? Und was ist, wenn die Vorräte nicht reichen? Ich meine, werden dann die Kranken und die Schwachen und die Alten... ?“
Sie holte tief Luft und kämpfte gegen einen neuerlichen Weinkrampf an. Dann fing sie sich und führte ihren Gedanken fort.
„Werden diese Menschen dann aussortiert, werden wir uns dann gegenseitig zerfleischen? Werden wir..."
„Ich weiß es nicht, ich weiß es einfach nicht.“
Er befreite sich aus ihrer Umklammerung so abrupt, dass sie ihn ein Moment lang verdutzt ansah.
„Verflucht, denkst du, ich wollte diese Scheiße?" schrie er, während er wie ein gefangenes Tier in seinem Zwinger nach einem Fluchtweg suchte und gleichzeitig versuchte, ihren Blicken auszuweichen, die ihm die Luft zum Sprechen nahmen.
„Was erwartest du von mir, was soll ich dazu sagen? Meinst du, ich will alles aufgeben, dich verlieren ... sterben, nur weil sich ein paar Studierte da oben nicht grün sind? Du willst wissen, was morgen sein wird und übermorgen und am Tag danach? Ich kann es dir nicht sagen, denn ich weiß es nicht."
Er ließ sich auf einen Stuhl fallen, als ob er gerade eine schwere Boxrunde hinter sich gebracht hätte, durch die er sich gerade noch hatte retten können.
„Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht", wiederholte er jetzt immer wieder, „ich weiß es nicht.“ Seine Stimme kam kaum einen Flüstern nahe.
Sie saßen sich gegenüber und schwiegen sich an. Die Stille war bedrückend, doch keiner von beiden wagte es, sie zu brechen. Sie saßen da, blickten ins Leere und gaben kein Ton mehr von sich.

“Ich bin schwanger."
„Was?“
„Ich bin schwanger."
Wieder brach die Stille über sie herein, die eine Ewigkeit zu dauern schien. Die Gedanken waren wie blockiert, gerade so, als ob jemand einen Stock in ein Zahnradgetriebe gesteckt hatte.
„Seit wann weißt du es?"
„Erst seit ein paar Tage."
„Und das sagst du mir jetzt erst, einfach so? Ich glaub`das nicht. - Ich glaub`das einfach alles nicht", wiederholte er etwas strenger und mit größeren Nachdruck.
„Schön, dass du dich so mit mir freust!"
„Freuen? Freuen, sagst du? Weißt du eigentlich noch, was du da redest? Das ist das Ende, verstehst du? Das Ende! Die sind gerade im Begriff, die Menschheit auszulöschen, das Finale, der letzte Showdown und ich soll mich über ein Baby freuen, das jetzt schon so gut wie tot ist? Ist dir das denn noch immer nicht klar?"
Richard stand auf, um das Zimmer zu verlassen und dem zu entkommen, was auf ihm zukam.
„Wohin gehst du?“
„Ich muß was trinken. Ich halt das nicht mehr aus. Das ist doch Wahnsinn.“
„Damit schaffst du deine Probleme auch nicht aus der Welt!" schrie sie ihm hinterher.
Richard machte auf dem Absatz kehrt und stürzte wieder zurück.
„Mein Problem? Oh nein, Zoe, jetzt komm`mir nicht auf die Tour. Wenn schon, ist das unser Problem. Deines und meines."
Er atmete tief durch und versuchte sich wieder zu beruhigen. Er hasste es, ihr gegenüber die Beherrschung zu verlieren. Eine Eskalation in ihrer gegenwärtigen Situation war jetzt sowieso das Letzte, was sie gebraucht hätten.
„Na schön, versuchen wir die Nerven zu behalten und in aller Ruhe noch mal darüber zu sprechen."
„Na schön", sagte sie, "laß uns runter in die Küche gehen. Ich mach uns Kaffee. Ich glaube, wir können beide eine Tasse gebrauchen.“
Sie machten sich auf den Weg in die Küche. Richard setzte sich auf die Eckbank, während Zoe das Wasser in die Maschine füllte. Keiner sprach, gerade so als ob jeder sich die Argumente fürs kommende Gespräch zurechtlegen würde, um sie dann im richtigen Moment einsetzen zu können. Zoe schaltete die Maschine ein und setzte sich zu ihrem Mann, der sich eine Lucky ansteckte, tief inhalierte und zu reden begann.
„Du weißt, dass ich mir nichts sehnlicher gewünscht habe, als ein Kind von dir. Aber seien wir doch realistisch. Was für eine Chance würde es in einer Welt, die bald nicht mehr existieren wird, haben?
Willst du es ihm nicht lieber ersparen in einem von diesem... wie hast du sie noch vorhin genannt? ...hermetische Gefängnisse? Willst du es dort aufwachsen lassen?"
„Ich weiß selber, was ich gesagt habe und ich könnte mir auch einen schöneren Ort für unser Kind vorstellen, aber das gibt uns noch lange nicht das Recht über sein Leben zu entscheiden."
„Du weißt doch noch nicht mal, ob es gesund geboren wird."
„Aber es würde leben. Es würde fühlen, denken und Liebe erfahren können. Lohnt es sich nicht schon dafür zu leben? Ist das nicht auch schon lebenswert?"
„Meinst du nicht, dass es uns eher dafür hassen würde?"
„Nicht, wenn es spürt, dass es geliebt wird und was mich angeht, ich liebe es schon. Und diese Liebe, davon bin ich überzeugt, wird stärker sein, als alles Schlechte der kommenden Welt."
„Aber Liebe allein füllt keine Mägen."
„Dann werde ich eben hungern, wenn es sein muß."
"Aber...", wollte er sagen und einen weiteren Einwand einstreuen. Doch dann hielt er inne. Was sollte er ihr sagen? Ein einziger Blick in ihre Augen beantwortete schließlich schon alle seine Fragen.
Richard drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus und griff zu der Soft-Packung auf dem Tisch, um sie nach einem kurzem Zögern doch wieder zurückzulegen. Er blickte wieder in ihre braunen Augen. Ja, er kannte diesen Ausdruck in ihnen. Diesen stolzen Glanz, der einer der Gründe gewesen war, warum er sich einst in sie verliebt hatte. Dieser Ausdruck war fest und unumstößlich. Sie würde auf alles eine Antwort finden. Sie würde jedes seiner Argumente niederschmettern, denn ihre Entscheidung stand schon lange fest.
Er hatte in der Vergangenheit schon viele solcher Diskussionen mit ihr geführt. Bei Neuanschaffungen, bei der Wahl des Fernsehprogrammes, wenn sie mit dem Haushaltsgeld, das er ihr gab, nicht auskam, oder wenn ihre Mutter mal wieder ihren Besuch angekündigt hatte. Und jedesmal war er ihr unterlegen, wenn sie diesen Ausdruck in ihren Augen hatte.
„Überlege es dir noch mal.“
„Da ist nichts mehr zu überlegen."
„Was gedenkst du also zu tun?"
„Ich weiß, was ich zu tun habe. Die Frage ist, ob du weißt, was du tun wirst?
Willst du weiterhin zu mir stehen, oder nicht?"
Sie wandte ihr Gesicht von ihm ab, sich der möglichen Konsequenz ihrer Frage bewusst, doch in der Gewißheit, dass sie das Richtige tat, strich sie ihr langes, seidiges Kastanienhaar nach hinten über die Schulter und sah ihn wieder an. Ihre Hände zitterten nur ein wenig.
„Du warst schon immer die Stärkere von uns beiden. Ich hoffe nur, dass du genug Kraft hast. Genug Kraft für uns drei. Ich liebe dich Zoe und das wird auch immer so bleiben, egal wieviel von dieser Welt morgen noch stehen wird.
Zoe beugte sich über den Tisch, griff nach seiner Hand, zog ihn zu sich hinüber und drückte ihre Lippen auf seine.
Draußen neigte der Tag sich langsam dem Ende zu und dunkle Gewitterwolken waren aufgezogen, während irgendwo Menschen sich betranken, weinten, Abschied nahmen, Selbstmord begingen und irgendjemands Hände schwitzten, weil sie irgendwelche Knöpfe zu drücken hatten.
Nach einer kurzen Nacht standen Zoe und Richard früh auf, packten das, was sie mitnehmen durften und traten hinaus auf die Straße, die, obwohl es erst fünf Uhr in der Früh war, schon voller Menschen war, die an diesem Tag alle das gleiche Ziel hatten. Sie reihten sich in die sich langsame fortbewegende Masse ein, verschmolzen mit ihr und waren schon bald nicht mehr zu sehen.
Als in der späten Nacht die Letzten die Bunker betraten, schauten die Posten an den Eingängen nochmal zum Himmel hoch und schlossen dann die Tore.

 

Hallo, Robert Short.

Die Geschichte ist in Ordnung. Die Fehler, die in der Tat zahlreich vorhanden sind, stören mich nicht beim Lesen (was mich allerdings selbst überrascht; normalerweise sind Fehler Gift für meine Leselust). Die Geschichte liest sich recht flott.
Die Thematik ist in Ordnung. Was mich stört, ist die Charakterdarstellung bzw. -entwicklung. Sie gefällt mir einfach nicht. Sie wirkt auf mich zu sehr gekünstelt.

Was ich außerdem noch anmerken will: Ich habe damals deine KG "Die Abrechnung" gelesen :D (sorry für den Comment, aber ich war ganz stolz, als ich den Namen wiedererkannte).

MfG,
Max.

 

@Kristin
Danke für die ausführliche Auseinandersetzung mit meiner Story. Werde alsbald die Fehler korrigieren.
@Max
Danke auch für deinen Kommentar.
Das finde ich ja witzig, dass Du "die Abrechnung" gelesen hast. Kannst mir ja, wenn Du Lust hast, per Email sagen, auf welcher Seite das war. Würde mich wirklich mal interessieren.
Liebe Grüße an euch Beide.
Robert Short

 

Müsste auch suchen. Kann ich dir auch nicht sagen, wo die jetzt rumliegt. ;)
Habe sie aber auf Festplatte gespeichert, deshalb habe ich mich auch daran erinnert.

 

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