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Carlys Begegnung

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07.03.2002
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Carlys Begegnung

Eins, zwei, drei, vier...

Todmüde balanciert Carly die Schräge neben den Stufen (die eigentlich für Kinderwagen oder Rollstuhlfahrer gedacht ist) zur U-Bahnstation hinunter. Vom blendenden Julimorgenlicht in die dunkle Neonkühle. Den Alkohol noch im Blut. Sie spürt ihn als beständigen Begleiter seit sie Laras Wohnung verlassen hat. Ist benebelt durch die Nachwirkungen von ihrem Saufgelage mit Stephen. Nie wieder! Nie wieder legt er sich mit ihr an. Aber sie hat diesem Idioten endlich die Meinung gesagt. Der fühlt doch nichts für Carly. Was will der denn eigentlich von ihr? Er braucht sie doch nicht?

Jetzt: keine Gefühle mehr, nie wieder Gefühle.

Die ganzen Leute um sie herum, einfach widerlich, denkt sie. Wirres Geplapper und Geschnatter hallt an den unterirdischen, buntgefliesten Mosaikwänden wieder und die Korridore zur U11 scheinen endlos zu sein.
Riesige Werbeplakate. Davor ein Straßenmusiker. Die Geige ans Kinn gepresst, spielt er als wären die Saiten sein Inneres und er würde daran rütteln bis es zerreißt, und es tut dann so weh, dass er weinen muss - irgendwie... oder auch nicht.

Dann endlich - sie kommt rechtzeitig - ein Kind schreit, die Bahn fährt ein, Menschen drängen an den Bahnsteigrand, jeder will der erste sein, jeder will den besten Platz.
Pech! Überfüllt, so dass man grade noch stehen kann. Wunderbar, denkt sie. Aber sie will nur noch in ihr Bett und tot sein. Will, dass es aufhört. Will nicht mehr frieren. Die Tür schließt sich. Brechreiz stellt sich langsam ein. Zuviel Alkohol in den frühen Stunden.

Nach vier Stationen steigen noch mehr Leute dazu. Eine fette Hausfrau, rotwangig, mit Einkaufstüten bepackt. Zwei Punks - noch roteres Haar, zerlumpt. Wie der Straßenmusiker. Und ein schleimiger Yuppie mit Aktenkoffer... Armani-Anzug. „Ist das nicht Ironie?“ sagt sie leise zu sich selbst und keiner hört es.

Sie schließt die Augen, will nur noch weg. Will zurück in die sanften Arme des Mannes der sie so berührt hat, als wäre es Liebe gewesen. Und nur Liebe... oder keine Ahnung was. Der so war, wie kein Mensch zuvor. Unbeschreiblich... unbegreiflich. Eine Halluzination, sagte Stephen. Ein sanfter Ruck und die Bahn hält an. Schwarze Fliesenaufschrift: Kennedy-Park.

Fünf, sechs, sieben, acht...

Endlich gehen wieder welche. Ein Mann, höchstens dreißig, steigt zu und lächelt sie erfreut an. Sie kennt ihn nicht, beachtet ihn nicht. Sieht sein dunkelblondes, ungestyltes Haar mit den hellen Strähnen nicht, seine schwarze Sonnenbrille, die an-den-Seiten-aufknöpfbare Adidas-Hose, das Kapuzenshirt - blau. Ein Jogger der grade aus dem Park kommt, sonst nichts, in der Hand die neue Ausgabe der „Sencency News“. Auf dem Titelblatt: Mord an Belle V. - Polizei tappt noch immer im Dunkeln.

Er drängt sich an ihr vorbei und der Blick, der sie verwirrt hinter dem schwarzen Glas fixiert, schleicht um sie herum. Es ist ihr egal, sie sieht ihn nicht an. Schließt wieder die Augen als die Fahrt los geht. Bei Gott, sie überlebt die nächsten sechs Stationen nicht, ist zu müde, zu schwach. Diese ekelhafte Nähe. Es schnürt ihr die Kehle zu.

Dann, eine winzige Berührung an ihrem Rücken. Sie versucht auszuweichen und schiebt sich weiter nach vorne. Schweißausbrüche, ihr Herz rast. Doch die Berührung bleibt bestehen.

Neun, zehn...

Eingeklemmt zwischen dem Yuppie und der fetten Frau wagt sie es nicht sich umzudrehen. Er kommt immer näher und als an der nächsten Station wieder welche zusteigen, presst er sich fest an sie. Diese Hände... Sanft spürt sie die Fingerkuppen ihre Bahnen ziehen, möchte schreien als er Worte schreibt, geheime Botschaften, sein Atem in ihrem Nacken wie ein Messer an der Kehle.
Carly ist kurz vor einem Wutausbruch. Gleich wird sie alles aus sich hinaus schreien, alles! Sollen die Leute doch taub werden und die Fensterscheiben zerspringen. Sollen, von ihr aus, die Leute denken, sie sei verrückt. Sie ist es doch... Noch reißt sie sich zusammen - mehr aus Anstand und Respekt. Dann riskiert sie einen kurzen Blick über die Schulter, mit hämmerndem Herzen, mit Hass im Bauch. Wer ist dieses ekelhafte Schwein? Vielleicht wird sie ihren Ellenbogen mit voller Wucht in seinen Magen rammen. Wer weiß? Ihre Muskeln spannen sich an, bereit zum Schlag.

Der Kerl mit den braunen Augen lächelt sie wieder an, unschuldig, und ihr ist als hätte er seinerseits ihr den Ellenbogen in den Magen gerammt.
Alles dreht sich, sie ist hellwach als seine Hände unter ihr T-Shirt gleiten, zu ihrer nackten Haut.

Akazienschatten in seinem Gesicht?
Nein, nur das Flackern der Neonlichter im Abteil. Wie gebannt starrt sie wieder nach vorne. Er ist es. Nein, er kann es nicht sein, er darf es nicht sein! Die wohlbekannte, paranoide Panik schleicht ihr durch die Adern, aber sie ist nicht fähig zu reagieren. Auf der einen Seite ist die schreckliche Angst. Auf der anderen, seine Nähe. Nur eine Illusion... Er ist nur eine Einbildung... eine Einbildung... Einbildung... Einbildung... er ist nicht da, er ist nicht da........

Er wird sie nicht hassen wenn sie flieht...
Sie spürt seinen feuchten Atem. „Sag mir, dass du mich willst, Carly! Sag es mir!“ flüstert er, nur für sie zu hören im Stimmengewirr, im Rattern des Zuges, und dann beginnt er sich an ihr zu reiben. Keiner der anderen Fahrgäste bemerkt es. Carly schließt wieder die Augen und krallt sich an ihm fest. Zu fest, sie kann nicht atmen.
Nein, er wird sie nicht hassen...
Seine Finger wie kleine Feuerdämonen. Sie will sich umdrehen und ihn küssen. In ihm baden und ertrinken. Nur einmal.
Doch dann, die letzte Station. Der Yuppie starrt sie dumm an, zwei Alte tuscheln empört.
Die U-Bahn fährt ein und hält langsam an.

Ein Kuss, nur ein Kuss... ihre bebenden Lippen pressen sich auf seine. Und dann, mit dem Ruck der haltenden Bahn reißt sie sich los, drängt sich zwischen den Leuten durch nach draußen. Ist die Erste. Rennt los, flüchtet.
Er hasst sie nicht, lacht nur.
Tausend kleine Dämonen verbrennen noch immer ihre Haut als sie zu den Rolltreppen kommt. Fressen sich fest und vergiften sie. Süßes Gift. Sie merkt es nicht, aber ihr rinnt kalter Schweiß den Körper hinab. Ihr Herz hämmert stärker als jemals zuvor und sie zittert. Aus Angst, denkt sie. Aber es ist keine Angst.

[Beitrag editiert von: Alexis am 16.03.2002 um 21:04]

 

Hi,

deine Geschichte gefällt mir ganz gut.Besonders dein Schreibstil passt sehr gut zu dieser Art von Geschichte, aber denkst du wirklich, dass 'Alltag' die geeignete Rubrik dafür ist?

Trotzdem toll!!!!!

Gruß shimmeringLight

 

is ne sehr interessante geschichte. allerdings versteh ich nich wie der typ in die u-bahn kommt. oder hab ich da was falsch verstanden?
geschrieben is sie ganz gut aber am anfang liest sie sich relativ schlecht. dann wirds immer besser.
find auch gut wie du die bedrängnis zu den andern leuten beschrieben hast. gefällt mir (würdest du am anfang noch was ändern wärs perfekt)!

 

@ 'instin(c)t

Endlich gehen wieder welche. Ein Mann, höchstens dreißig, steigt zu und lächelt sie erfreut an. Sie kennt ihn nicht, beachtet ihn nicht.
:D ;) da steigt er zu.

Danke für eure Kritiken :)

Gruß
Alexis

 

achso aber das war n ich der vopn der party oder wie? naja ich bin heut eh bissl schwer von kapi, grippe im anmarsch....erklärstes mir? biddöööö! :rolleyes:

 

Hallo Alexis,

die Geschichte gefällt mir mehr als nur gut, ich halte die Sprache für sehr gut gewählt und stilsicher.

Allerdings muß ich mich ['instin(c)t] anschließen: auch durch Deinen Hinweis, ist mir das noch etwas rätselhaft geblieben. Vielleicht läßt sich

Ein Mann, höchstens dreißig, steigt zu und lächelt sie erfreut an.
durch

Er steigt ein, ein Mann...

ersetzen.

Obschon die Frage sicher berechtigt ist, inwiefern hier eine Notwendigkeit besteht, Grund oder Zeitpunkt seines Auftauchens klarzustellen.

Eine Kritik allerdings: es wird nicht so recht klar, in welchem Verhältnis die beiden zueinander stehen, also was sie genau über seine Absichten und die ihrigen denkt oder fühlt. Vielleicht ließe sich da noch ein wenig mehr Information einbauen.

Claus.

 

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