Was ist neu

Carlitos Weh

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15.03.2008
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Carlitos Weh

Karls Weh

Karl richtet ein letztes Mal seinen Krawattenknoten. Dann streicht er mit festem Druck mit den Handflächen über sein Gesicht, von der Nase bis zu den Ohren, wo er die nun gestraffte Haut festhält. Es ist nicht so, dass da nur Falten und Furchen wären, wenn er sich ins Gesicht sieht. Da ist so viel mehr zu sehen! Hm. Er betrachtet seine gestrafften Züge, lässt los und - sieht wieder aus wie vorher. So ist es, nicht, nur Falten und Furchen? Ein elegant gekleideter Mann mit etwas, das nennt er den "Schrumpfkopf eines Hochbetagten" auf den Schultern.
Eine Formulierung, die "das müde und traurige Lächeln eines Mannes im Spätherbst seines Lebens" hervorlockt. Eine Zielperson, mit der Karl entgegen der Statuten eine lose Beziehung unterhält, sagt, er benenne sich in Grund und Boden, er tausche die Beziehung zu seinem zerfallenden Körper gegen Comic-Phrasen. Er berücksichtigt diese Einschätzung, verdächtigt aber ihren klugen Klang. Vllt nur Scheiße aus Schlau, die oben schwimmt auf den Sprachströmen. Verblende mich, ich blende dich. Als er noch Menschen kennen lernte, fragten die bisweilen, ob dieser oder jener Satz ein Zitat wäre. "Klar." Seine Standard-Antwort auf die Standard-Frage.
"Kenne deinen Feind", murmelt Karl, nimmt einen Wodka aus der Minibar, prostet seinem Spiegelbild zu, trinkt das Schnäpsken in einem langen Schluck leer, wickelt mit leicht zittriger Hand einen Werthers Echte aus, steckt es sich in den Mund und lutscht. Lutscht konzentriert und hingebungsvoll, als wäre es eine Mission.

Rewind

Müsste er wählen zwischen Wodka und Lutschbonbons, würde er nicht lang überlegen. Auch früher, als er mit seinen Süßen noch Hand in Hand ging, lag auf seiner Zunge stets ein süßes Bonbon, ein Sweetie, wie sie damals sagten. Man zog ihn damit auf, dass er nie genug bekomme. Als ob er sich für die Damen krumm gemacht hätte! Doch das behielt er für sich, wohl wissend, dass es eigentlich nicht um seine Gier ging. Insgeheim beneideten ihn viele, Freunde ohne Freundinnen, die allein zu Tanzabenden kamen, ihre Sehnsucht zur Schau stellten, und allein wieder gingen. Diese Vielen ertrugen ihre Ledigkeit nur, mit einer Haltung, die dem Betrachter vermittelte, Zeuge einer öffentlichen Schande zu sein. Einige stellten sich irgendwann die Fragen, ob das noch tapfer war oder bereits masochistische Züge trug, ob man es mal mit Inseraten versuchen sollte oder mit käuflichem Sex. Manchmal ahnte Karl ihre Bitterkeit, die durch vermeintlich blickdichte Sätze schimmerte. Und überlegte, was den Unterschied ausmachte. Und auch seine weniger erfolgreichen oder traurigerweise in Gänze erfolglosen Freunde, fragten, wenn sie ordentlich einen im Turm hatten: Karl, was ist dein Geheimnis? So verzweifelt waren sie. Und er hat ihnen zuliebe da viel rumgedacht. Verschiedenes angenommen und verworfen, war der Sache heiß auf der Spur, und manchmal, jawohl, manchmal, da war's: Ganz knapp. Und flugs, entfernte es sich.
Auch nicht schlecht, erzählenswert, durchaus, die Geschichte seines Aufderspurseins. Während dessen er konzentriert und seriös Unmengen Bonbons lutschte, weswegen ihn Frauen, sekundenweise hingerissen, leicht losgelöst, manchmal keck in die Wange kniffen, damals, in seiner schneidigen Zeit. Und, nun ja.
Jedenfalls, das Ergebnis, in aufrichtiger Kürze: Er hat es nie verstanden. Und weil er es vermied, etwas zu behaupten, wovon er nicht überzeugt war, weil er sich selbst zu Spekulationen nur äußerst ungern hinreißen ließ, konnte er seinen Freunden kein Geheimrezept liefern. Wenigstens einen klugen Rat? Wollte er nicht geben. Was den Unterschied ausmachte? Es war natürlich seine ernsthafte und konzentrierte Art, Süßigkeiten zu vernaschen. Die einer Frau alles über einen Mann verrät, wenigstens all das, was zu wissen sich lohnt.
Seitdem sind viele Jahre vergangen. Irgendwann fand doch noch jeder den Eimer, der auf seinen Arsch passt. Machte ihr ein Kind, baute ihr ein Haus, fütterte sie fett. Und ein Jeder vergaß die verzweifelten Fragen im Suff, mit denen Karl gelöchert wurde. Nur Karl nicht. Der konnte die traurigen Augen nicht vergessen, die so satt davon waren, sich die Nackten kaufen zu müssen, die sich so sehr einer anderen Frau als ihrer Mama anvertrauen wollten. Er trainierte sich ab, eine Süße an seiner Seite haben zu wollen, verbot sich die alten Gelüste und Herzenswünsche, und suchte sich neue, vernünftigere. Und siehe da: dem disziplinierten Geist ist das Fleisch Untertan. Eine Woche oder so lutschte er Bonbons wie ein Weltmeister, bis er sich zwang, mit dem alten Niveau auszukommen.

Play

Jetzt lutscht er ohne Zuschauer. Nicht dass seine Konzentration darunter gelitten hätte: Nebenbei gelingt Anderes, gerade zieht er die Zimmertür zu, schließt nicht ab, den altersmüden Aufzug ignoriert er mit leichtem Bedauern, vllt einem Hauch Solidarität, und geht, mit sorgfältig gesetzten Schritten, die Treppe hinunter.
Wie so oft erfasst ihn Befremden beim Durchqueren der Straßen seiner Kindheit, in denen nichts mehr ist, wie es einst war. Modelleisenbahn-Fachgeschäft, Schuster und Fischverkäufer, Friseure, Fleischer und Eisenwaren-Handel: Karl weiß noch genau, in welchem Haus welche Läden waren, obwohl keiner den Wandel der Zeiten überdauerte; sogar die meisten Namen der Straßen änderten sich mit dem Wechsel der Diktaturen.
Als er jung und schneidig war, flanierte er mit den Schönen über den Adolf-Hitler-Platz; später, als er weniger begehrt war, aber besser verdiente, lud er gereifte Damen zu einem Abendessen im Kerzenlicht auf dem Stalin-Forum; jetzt beschäftigt er sich vornehmlich mit der Struktur des historischen Kopfsteinpflasters, erstaunlich, wie unterschiedlich diese Steine sind! Karl spürt da eine Aversion, auf dem Marktplatz zu stürzen. Das war auch neu: Anhaltendes Interesse für Bodenbeläge.
Sonstige Umgebung betrachtet er kaum. Obwohl viel mehr Reklame und Schaufensterwerbung gezeigt wird, als in seinen guten Zeiten. Seine Freunde, damals, fanden Werbung aufdringlich und vulgär. Karl war stets aufrichtig interessiert. Doch diese Neugier erlahmte mit dem Zeitverlauf. Vielleicht liegt es an mir, denkt Karl. Obwohl bunter und vielfältiger geworben wird als früher, scheint es ihm hinter der Oberfläche öde und leer zu sein, wie nie zuvor. Stabreime, Binnen- und Endreime, holperndes Metrum, Assonanzen: So wird die Lyrik auf Taschenspielertricks reduziert, dachte er mal, die täten alles, um Inuit Eis und Schnee zu verkaufen, billige Slogans für chillige Hogans, mehr sinnvoll wie Dada: ein Dodo, ja, aber insgesamt? tendenziell unseriös, hohle Versbrechungen für Menschen, in deren Bedürfnisse Karl sich nicht mehr hinein zu versetzen traut.
Nur an dem Eckhaus, das seit zwanzig Jahren leer steht und zerfällt, weil sich die Erbengemeinschaft nicht einigt, wirft er einen Blick nach oben: Bauarbeiten legten Bilder aus alten Tagen frei. Rauchwaren Köhler: in ziselierten Lettern über einem Plakat im Jugendstil, auf dem ein Pfeifenraucher im Profil zu sehen ist. Lincoln, der Tabak für den Mann von Welt. Karl lächelt wehmütig. Geraucht hat er nie, weil es ihm einfach nicht schmeckt, aber diese elegante Werbung vermittelte ihm damals den Impuls: sich Pfeife und Tabak anschaffen! Um abends, nach einem Essen mit Freunden, wenn schwerer Wein zu gewichtigen Diskussionen mit Kirchenfreunden führte, die Argumente der weltfernen Pfaffen mit weltmännischem Paffen einzunebeln. Wir haben dem rhetorischen Nebelwerfer auch keine Pause gegönnt, denkt er, doch wir wussten was wir taten, und wir wussten auch, wann Schluss ist. Ach, wilde Jugend!
Da gibt es eine Beobachtung: je mehr er sich dem Leben ausliefert, desto stärker drängt sich das bereits Erlebte auf, aber auch all das, was normalerweise unter der Oberfläche des Tages mitschwimmt. Er will das nicht, will nicht, dass die Welt der Vorstellung die Welt der Tat verdrängt. Lieber lebend sterben, als sterbend leben. Oder so, ungefähr.
Karl biegt in eine Nebenstraße ein, die von dem Marktplatz abgeht. Mit einem Mal gibt es kein Gedränge mehr, dem er ausweichen muss, und anstelle schön anzusehender, aber schwierig zu begehender Pflastersteine liegen Bürgersteigplatten unter seinen Füßen. Jetzt ist es nicht mehr weit. Er könnte den Rest des Weges mit geschlossenen Lidern gehen. Aber Karl ist keiner, der das Glück herausfordert. Doch etwas schneller schreitet er aus, achtet etwas weniger auf die vor ihm liegende Strecke, der Gehstock ist nicht mehr nur drittes Bein, sondern ein unter den Arm geklemmtes flottes Accessoire, dessen silberner Knauf mit der Uhrkette korrespondiert. "Der Eisenwaren-Handel meiner Kindheit lebt nur noch in meiner Erinnerung", flüstert Karl, "aber ich gehöre noch lange nicht zum alten Eisen."
Beschwingt, die letzten Meter zu seinem Ziel, einem unauffälligen Mehrfamilienhaus. Er liest das Schild sorgfältig, bevor er klingelnd seinen Besuch ankündigt. Kirche der letzten Tage e.v. Albern findet Karl diesen Namen, albern, albern, albern. Doch mittlerweile amüsieren ihn diese Kindereien nur noch. Vage und etwas ungläubig erinnert er sich an einen Karl, den mangelnder Ernst entrüstete. Der es persönlich nahm, wenn Spaßmacher Welt und Leben entweihten.
Im Inneren des Hauses gibt es einen Großen Saal, dessen Inneres ähnelt einem Kirchenschiff. Und auch die Möblierung, wenn man so sagen darf. Da sind ein Altar, Sitzbänke, goldgerahmte Gemälde mit sakral anmutender Malerei, sogar eine Kanzel befindet sich gut zwei Meter über dem Boden, auf dem sind Farbenspiele der durch die Buntglasfenster fallenden Sonnenstrahlen. Dieser Ort ist gleich geblieben, all die Jahre hindurch.

Rewind

Karl warf jahrelang bei jedem Besuch einen neugierigen Blick auf das große schwere Buch, das auf dem Stehpult liegt. Schnell stellte er fest, dass es immer an derselben Stelle aufgeschlagen ist. Zwei Seiten, die großzügig mit kyrillischer Kalligraphie und flächiger Goldrand-Illustration ausgestaltet sind. Es gibt ein fünfminütiges Zeitfenster zwischen Einlass und Erscheinen des Auftraggebers. Es dauerte Jahre, bis er den Mut aufbrachte, die Seite umzuschlagen.
Folgendes geschah: Nachdem er sich gebärdete wie ein Ladendieb vor dem ersten Mal, sich also mehrmals umdrehte und jeden Winkel des Saales mit den Augen erforschte, erkannte er, außer dem Donnerschlag seines Herzens weist nichts auf die Anwesenheit eines lebenden Wesens hin. Karl blätterte mit fahrigen Fingern das Pergament um: Die nächste Seite war leer. Das leere Blatt steigerte seine Aufregung noch. Mit wild pochendem Herz und schwitzigen Fingerkuppen blätterte Karl weiter. Nicht nur die Seite, das ganze Buch war leer. "Ein leeres Buch", sagte er leise und fassungslos. Hallte sein Flüstern durch das Nichtkirchenschiff? Verdattert öffnete er das Werk wieder an der Stelle, an der es seit Jahr und Tag geöffnet lag. Und wäre vor Aufregung fast gestürzt, als er auf dem Weg zum Beichtstuhl über die Ecke einer Kirchenbank stolperte.
Wie immer erschien der Auftraggeber erst, als Karl im Beichtstuhl saß – er bekam seinen Auftraggeber nie zu Gesicht. Karl weiß nicht einmal, ob es über die Jahrzehnte hinweg der gleiche oder ob es verschiedene Männer waren, die im Flüsterton, teils in abstrus schlechtem Schulenglisch, über die zuletzt vollendete Mission sprachen und danach eine kurze Einführung in die nächste, zu vollendende Mission gaben. Es war stets der gleiche Ablauf. Ein für Karl nicht endender Quell von Zufriedenheit: Er wusste genau, wenn ein Umschlag unter dem Holzgitter durchgeschoben wurde, in dem sich nähere Erläuterungen zur nächsten Mission und die Bezahlung der letzten Mission befanden, war der Monolog des Auftraggebers fast beendet. Abschließend folgte nur noch die gemurmelte Formel: "Sonstwer sei mit dir. / Geh mit Sonstwem, Filius, aber geh. / Möge Sonstwer über deine Schritte wachen."
Trotz der immergleichen Abläufe entdeckte Karl bis zu seinem letzten Besuch vor drei Monaten stets etwas Neues: Dass die zu der Kanzel führende "Tür" aufgemalt ist, war ihm tatsächlich erst nach mehr als zwanzig Jahren aufgefallen.
Karl fasste das als Beweise für die zunehmende Schärfe seiner Adleraugen und die anhaltende Rätselhaftigkeit dieses Ortes auf und war mit leichtem inneren Kopfschütteln von hinnen gegangen. Zwei Straßen weiter musste er lachen, so offenherzig und tiefenvergnügt, fast wäre ein zufällig in der Nähe weilender böser Geist aus Missgunst an Schluckauf erstickt. Eine weitere Straße später, fast vor der Tür seines Hotels (Zimmer mit Farbfernseher, Fernsprecher und Kleinkühlschrank. Preis: VHB) war er aus dem Lachen ins Grübeln geraten. Die Missionen seiner Auftraggeber waren in seinen Augen durchaus keine Schelmenstücke, er vermochte zwar häufig nicht zu erkennen, an welchem Bild er ein Puzzelstück anzusetzen oder zu manipulieren hatte, denn seine Missionen waren meist Teil eines größeren Ganzen, aber die wenigen Male, in denen er einen direkten Zusammenhang zwischen einer Mission und bspw der vorherigen Mission oder zB Ereignissen der Lokalnachrichten herstellen konnte, wurde mehr als deutlich, dass die Motive seiner Auftraggeber sehr weltlicher Natur waren.
Meistens schien es sich darum zu drehen, auf alle möglichen Arten Geld zu verdienen. Nicht besonders aufregend oder erhebend, fand er, aber nachvollziehbar und im Grunde okay. Eigentlich kein großes Ding. In Karls Weltbild jedoch, das bereits festgefügt war, als er zu der Nicht-Kirche stieß, hatten sich Menschen seriös zu geben, wenn sie vor allem die Absicht haben, Geld zu verdienen. Und einen besonders seriösen Eindruck machten seine Auftraggeber nicht. Das war mal klar.
Diese Seltsamkeit mag der Auslöser gewesen sein von Karls seltsamer Idee und Hoffnung, die seinen erneuten Besuch an diesem Tag veranlassten. Ein Besuch, der von seinen Auftraggebern wahrscheinlich nicht vorgesehen war. Sie hatten ihn nämlich nach der letzten Mission, die - leider - scheiterte, gefeuert. Klar können Missionen mal scheitern. Formtiefs gehören dazu, es kommen wieder bessere Zeiten. Doch Karl war alt, zu gebrechlich für viele Missionen, man lehnte Aufträge ab, obwohl Karl frei war, das dürfe nicht sein, ja, da argumentierte einer betriebswirtschaftlich - und das Alter bewege sich eben nur in eine Richtung, führte der Auftraggeber weiter aus, der Karls Entlassung bei der Team-Sitzung zur Sprache brachte. Mehr brauchte es nicht, um die sentimentale Anwandlung eines anderen Auftraggebers beiseite zu wischen. Sie feuerten ihn und verschwendeten keinen Gedanken mehr an den Ehemaligen, wie es sich gehört. Bis heute.
Ihre Kirche, die keine Kirche ist, war nicht als Ort geplant, zu dem ehemalige Auftragnehmer zurückkehren. Es gibt keine Alumni-Gartenfeste, keine Ehemaligen-Treffen, es wird auch keine Neujahrsmesse gelesen. Es gibt nur einen Grund, die Nichtkirche zu betreten, und der lautet, sich eine Mission zu holen. Aber Missionen werden von angestellten Auftragnehmern erledigt, nicht von entlassenen Auftragnehmern. Es gibt keine heilige Vereinsschrift oder über dem Eingang montierte Zehn Gebote, auf denen diese Regel fixiert ist. Wahrscheinlich denken die Auftraggeber, diese informelle Regel verstehe sich von selbst. Bisher war das auch so. Mehrere sind entlassen worden. Karl ist der einzige, der zurück kam.

Play

Jetztzeit: Eben jener Karl sitzt im Beichtstuhl und sagt, er brauche eine Mission. Missionen würden nicht gebraucht, sondern ausgegeben, antwortet ein Auftraggeber, der sich das erste Mal in jahrzehntelangem Mummenschanz tatsächlich fühlt, wie ein Seelenhirte fühlen mag. Er spürt Flüssigkeit aus seiner Haut austreten. Gefällt ihm nicht. Von dieser Antwort ist Karl nicht überrascht. "Ich möchte eine Mission aufgeben", sagt er und schiebt einen Umschlag unter dem hölzernen Gatter hindurch. Der Auftraggeber<->Auftragnehmer nimmt ihn auf, öffnet und liest. "Ungewöhnlich. Aber wir können das leisten. Sicher, dass Sie suchen wollen? Wir könnten Sie finden lassen." Karl denkt das durch. "Ich will nichts Aufregendes, einfach noch ein wenig ... rumtingeln? Machen Sie das möglich bitte." Kurze Pause. Dreiundzwanzig, zweiundzwanzig, einundzwanzig, zwanzig
"Verstehe. Einen Moment bitte." Karl hört einen billigen Kugelschreiber über Recyclingpapier kratzen. Ein Umschlag wird unter dem hölzernen Gatter hindurchgeschoben. Karl nimmt ihn auf, öffnet und liest. "Zielperson finden. In der dunklen Ecke eines wilden Viertels? Nachtbars und so, vllt sogar Nacktbars. Verstehe. Da ist ein Ort angegeben, von dem aus die Nachforschung beginnen könnte. Mehr nicht. Klingt nach einem harten Job. Aber jemand muss es ja machen. Jemand mit Erfahrung. Auftraggeber, ich erledige das."
"Unser Auftraggeber verlässt sich auf uns. Wir verlassen uns auf Sie."
Karl wartet, bis der Auftraggeber den Beichtstuhl verlässt und kurz darauf den Saal. Und verlässt wenig später den Beichtstuhl und kurz darauf den Saal.
Aber beide gehen in verschiedene Richtungen.
Der Auftraggeber, im Büro, öffnet einen Ordner im Notebook. Fotos verschiedener Schriftzüge auf menschlicher Haut: Man kann wählen aus Fertig-Sprüchen und vorgegebenen Schriftarten, oder sich Spruch und Schrift selbst zusammen stellen. Die groben Züge skizzierte er eben in dem Beichtstuhl, jetzt kümmert er sich um die Details. Karls Anliegen ist zwar ungewöhnlich, es spricht aber nichts dagegen. "Der Auftrag wird ihm gefallen. Ist mal was ganz anderes. Eine Herausforderung." Er wählt ein vorgegebenes Wort aus und erprobt die Wirkung, indem er es auf verschiedene Hautstellen seines Avatars projeziert – Schulter, Schlüssel- und Schambein. Gefällt alles nicht, mttlw fiel ihm auch ein besseres Wort ein. Dass er doch wieder auf die Stirn "tätowieren" wird. Nirgendwo schindet ein Etikett größeren Eindruck.

Carlitos Way

Wieder im Feld. Karl spürt den Aufwind. Den Stock ließ er gleich im Hotel. Dann ging er durch die Gegend, suchte nach etwas unbestimmtem, einem Ort oder einem Mensch, oder nach einer Idee, wie er anfangen könnte.
Nach einer Weile trifft er jemanden am Hauptbahnhof, der aussieht, als könnte er etwas wissen, und gibt ihm etliche Biers aus. Karl will ins Gespräch kommen und formuliert komplizierte Fragesätze, deren letzte drei Segmente sämtlich an seinem Gesprächspartner, der sich "Das" nennt, vorbeirauschen. Karl irritiert Das <-> das irritiert Karl. Kürzere Sätze kann er nicht. Milljöh-Milieu, ist schon was anderes. Nichtkönnen, das ist Pein. Aus der Peinlichkeit flüchtet er, wie es seinen Talenten entspricht. In Bewunderung. Karl ist sehr findig im Bewundern anderer Menschen.
Dass er bei seinem Gesprächspartner lange keine Eigenschaft findet, die der wertschätzenden Erwähnung wert scheint, verstärkt die Irritation. Das, der nach fünf Biers geistige Startposition einnimmt, versteht das Problem nicht, vor dem sein Spender steht. Leidet aber mit Karl, auf nonverbaler Ebene, während Karl sich stetig weiter mit sich selbst verwirrt.
Der Trinker nickt, grunzt und ahat, voller Rätsel, die er traditionell und mit gutem Gewissen ungelöst lässt. Saugt die Flaschen leer und streckt die Pfote aus, in die verlässlich neue Silberlinge für neue Plörre gelegt wird. Karl wird bewusst, sein potentieller Informant war seit drei oder sogar dreieinhalb Litern nicht bei den "örtlichen Wasserspielen". Na also! Bewunderung ergießt sich wie durch einen gebrochenen Damm über den Biertrinker. Der seine Blase mit dem famosen Fassungsvermögen eines Riesendudelsacks in alle Himmel gelobt hört.
Von diesem Erfolg beflügelt gelingt Karl die komplizierte Operation, seine Sätze auf Boulevard-Niveau rückzubauen. Der Schönheit entbehrende Infovehikel, auf Kufen aus übertriebener Freundlichkeit geschnallt. Dafür rafft sein Gegenüber endlich, wovon der Geck die ganze Zeit schwafelt. Ja, geschnallt! Er winkt 'nen Kumpel ran, der auf diesem Gebiete öfter & öffentlich schlaumeiert -> es folgt eine geraffte Version -> die Dinge nehmen ihren Lauf über eisige Pisten des Schwafelns -> der Bewanderte schickt Karl in eine Absturzkneipe. Lokalisierung des Kontaktorts: eine Stichstraße, die von der Geilen Meile abgeht. Kontaktperson: weibliche Servicekraft.
Die wisse was. Lasse sich die Information aber bezahlen.
Das sei kein Problem, sagt Karl, so liefen die Dinge eben. Macht ein Gesicht, von dem er hofft, es sehe aus, als wisse er, wie solche Dinge laufen. Der Informierer nickt verständig und hält eine Hand auf, in die Karl weitere Silberlinge für ein weiteres Bier abzählt.
Dafür gibt's nen Zettel, den er seiner Kontaktperson aushändigen soll. Laufen die Dinge hier auf diese Art, sind Halbweltler derart organisiert? Sind das echte Halbweltler, oder nur Leute, die Leute kennen? Faszinierende Fragen, die ihn auf dem Weg zum beschriebenen Ort im Nachtleben (Nacktleben) beschäftigen.
Vollgestopfte Kaschemme. Zum Eingang drängelt er sich durch, unablässig um Entschuldigung bittend. Ein Strom Menschen fließt aus dem Laden heraus, ein anderer hinein. Karl spürt bei jedem Schritt seine Sohlen am Fußboden kleben.
Vierstündige Happy Hour, Kurze und Shots für einen Euro: steht in kindlich runder Kreideschrift auf einer großen Tafel. Musik wird gespielt. Schlager oder Techno. Oder Schlager auf Techno-Beats. Es ist so laut, dass er den Eindruck bekommt, es sei unmöglich, jemanden zu verstehen, sich selbst eingeschlossen. Trotzdem reden alle. Okay, sie schreien sich an. Verbringen die Menschen so ihre freien Abende? Freiwillig? Karl staunt, entscheidet aber, sich der Lust nicht zu verschließen, sollte sie in Karl einen Wirt sehen. Doch zu allererst die Mission -> Erspäht wird die von seinem Kontakt beschriebene Barfrau! Jedoch die Theke ist von einem dreifachen Menschenband belagert. Geduldig nutzt Karl jede Gelegenheit, sich näher heranzuschieben und wächst an dem Gefühl, eine Prüfung bestanden zu haben, als er eine halbe Stunde später einen Platz erobert. Von dem aus er die Barfrau heranwinkt, was niemanden interessiert.
Stattdessen: Barmann eilt heran und fragt: "Wunsch?" Karl sagt, mit wem er zu sprechen wünsche. Ein verärgerter Barmann schnauzt ihn an, dass er etwas bestellen oder den Platz räumen solle. Hier gebe es keine Extrawürste. Karl versteht nicht, oder tut, als verstehe er nicht. Würste?
"Biatch, bestell was, oder – räume diesen Platz!"
Da fährt ein herber Schreck in seine Glieder nieder! Karl beruhigt sich mit inneren Zählübungen, um beim Antworten nicht ins Stress-Stottern zu geraten. Nach Sekunden fängt er sich. Und macht - höflich aber bestimmt - darauf aufmerksam, er werde bestellen, aber nur bei dieser bestimmten Dame. Barmann sieht ihn scharf an und nickt fast unmerklich. Karl spürt ein Ziehen und weiß, eine Schublade öffnet sich im anderen und saugt ein Image von Karl an, das flugs aus Karl herausfliegt. Barmann sieht aus, als hätte er davon nix mitgekriegt, was der Wahrheit entspricht. Schüttelt endlich den Kopf und ruft :"Tikki, komm bei mir bei, Digger. Dein Typ wird verlangt!"
Sie dreht ihren Kopf, macht einen großen Schritt. Sie sieht, öffnet den Mund und spricht: "Was kann ich für dich tun?" Karl schiebt das Papier rüber, "wie es mir geheißen ward." Tikki überfliegt den Zettel und betrachtet Karl mit hochgezogenen Augenbrauen, bevor sie die Rückseite beschreibt und die Rechnung zieht. "Sieht teuer aus, ist aber billig. Rabatt, Alder, Mann. Erinnerst mich an Polgar. Kennst ihn? Fühlt sich bisweilen so alt, wie du aussiehst. Wird später sicher so'n Schildkrötenkopf kriegen, wie du ihn hast, Alder, Mann." Karl studiert die Rechnung aufmerksam: Drink, eingeschlossen geheime Information: zwanzig Euro. "Ich bevorzuge es, von 'Schrumpfkopf auf Hochbetagtenhals' zu sprechen." Karl immer so hoheitsvoll gegenüber jungen Dingern, seitdem klar ist, es besteht nicht mal Promille-Chance, dieses oder jenes Küken nackig zu machen.
Sie zieht in Zeitlupenmanier die rechte Oberlippe nach oben. Verachtung, denkt Karl. Und fühlt sich zutiefst und schnörkellos verstanden. Kein Hauch von Skepsis und Abwägen, die seit unvordenklichen Zeiten seine Beziehung zu dem jungen Ding an sich überschatten. Ihm wird ganz warm. Ja! Als verstehe sie und wolle der gemeinen Welt in seinem Namen ihre reinweißen Reißzähne zeigen. Tikki schiebt ein doppelseitig beschriebenes Papier über den Tresen. Lehnt sich nach vorn und ermöglicht busenbezüglichen Einblick, den Karl routiniert ignoriert. Er lehnt sich ihr entgegen, ganz sanft und weich im Inneren. Als sie ihn anschreit, erschrickt er kaum.
Trotz ihres Schreiens fühlt er sich so intim mit ihr. Hmmm, Babe, dein Honigtopf. Da ist der Duft ihres Haars, der ihm in die Nase steigt, der so lebendige Hauch von Zigaretten & Bier aus ihrem Mund! Ja, denkt Karl, als wären wir zwei die letzten Übellebenden einer vergessenen Welt, die sich auf einer Bergspitze im geflüsterten Dialekt ihres Zwergtals vergessene Bergzwerg-Gedichtfragmente zuraunen, um sich scharfzumachen für den unvermeidbaren Sex-Marathon, den sie für den Fortbestand ihrer Art zu absolvieren haben. Kaum getrübt wird diese Vision, als Karl erkennt, die Handlung ist in weiten Teilen einem Porno entnommen der Reihe Die Schöne Und Der Alte. Ficken Für Fortbestand. Er meint bereits das Rütteln des Vibrators zu spüren, den sie während seiner tapferen Besteigung im Rahmen einer Doppelpenetration in ihren Hintern einführt. "Ey!", ruft sie und schüttelt ihn aus der Porno-Poesie. "Carlito nennt er sich, der Poser", schreit sie gegen ein Techno-Lied der Schlümpfe an. "Wahrscheinlich so ein Spleen, von Carlitos Way geklaut, sein Name. Egal. Also: Du fragst nach Carlito, capito?!" Karl nickt, versucht das Kunststück, gleichzeitig zu rufen und dankbar und freundlich-höflich und souverän-bestimmt und geheimnisvoll-verführerisch zu wirken: "Soso! ... Kind, wo hast du bloß deine wunderschönen Augen her?" Tikki greift sich unwillkürlich an ihre Titten und sagt, dass praktisch ihre gesamte Ausstattung von ihrer Großmutter stamme, verwitwet, mit ordentlichem Sparstrumpf, stets auf poetischen Mehrwert bedacht und originellen Pornos gegenüber aufgeschlossen. "Sie hat gerade keinen Macker." Karl hängt an ihren Lippen wie hypnotisiert. Das ist ein Gedicht in seinen Ohren! Er nimmt die Visitenkarte, zieht dem schnarchenden Tresennachbarn dessen Handy aus der Tasche und tippt sogleich Omis Nummer ein. "Männer!" Tikki rollt genervt mit den Augen, macht den Besitzerwechsel des Mobiltelefons rückgängig und sagt, ihre Großmutter habe ihr ganzes Leben gewartet, da komme es auf ein paar Stunden nicht an. Karl fasst sich an die Stirn und lacht - "da sind die Pferde mit mir durchgegangen!"
Sie schenkt ihm einen schnellen Wangenkuss, lächelt schmallippig, und in ihrem Lächeln, da liegt ihm alles, was es noch zu hoffen gibt auf dieser Welt. Tikki huscht zu einem anderen Teil der Theke.
Karl probiert seinen Drink, stellt ihn schneller zurück, als er ihn nahm, und reiht sich in die Karawane nach draußen ein. Wo er tief Luft holt und die Rückseite liest. Neue Koordinaten. Nächstes Missionsziel erreicht.
Die Rückseite des Zettels.
Vier Rechtschreibfehler, ein falscher Bezug. Sehr ungleichmäßige Schriftführung. Mehrere Flecken. Flecken, unseriös, denkt Karl, trotzdem, es gilt etwas anderes: Konzentration auf den Inhalt!
Eine Adresse, drei Straßen weiter, Tage und Uhrzeiten. Eine Personenbeschreibung. Wie sieht ein Pork-Pie-Hut aus? Den soll der Nächste nämlich tragen. Kontaktperson: Carlito.
Karl rätselt eine Weile, bis er entscheidet, dass eine 'tätowierte Fresse' eindeutig genug sein müsse. Lächelt auf dem Rückweg der einzigen Person zu, die seinen Blick sucht.
Burger-King-Nutte interpretiert Lächeln typischerweise als dringliches Bedürfnis nach sofortigem Beischlaf. Schleift ihn einen halben Straßenzug weiter, wo er sich kurz vor dem Beischlafhotel, als die Stimmung von lustig-ernst zu ernst-ernst kippt, aus ihrem Griff befreit. Wofür er Schimpfworte erntet.
Man muss sich doch schon sehr wundern, denkt Karl, während er den Kragen seines Jacketts ordnet. Der weitere Rückzug führt durch Nebenstraßen.
Zurück im Hostel, sieht er aus dem Fenster seines Zehnmannzimmers. Es könnte so einfach sein. Wenn's einfach einfach wäre. Doch wann ist es schon mal einfach? Einfach nie, antwortet sich Karl.
Variationen dieses Gedankens begleiten ihn auf dem Weg in den Schlaf. Aus dem er mehrmals durch zurückkehrende Nachtschwärmer gerissen wird. Um vier, fünf und sieben. Italiener, Griechen und Schwaben, was die Stimmen der Silhouetten verraten, die ihm im Halbschlaf als sprechende Nachtgespenster erscheinen. Wie wundersam, dieses Beisammensein, denkt er auf dem Weg zurück in Morpheus Arme.
Der beginnende Tag: schwüle Wärme im übelriechenden Raum. Dessen Fenster aus irgendwelchen Gründen, die in Karls Augen nur unzureichend von sieben Piktogrammen erklärt werden, nicht zu öffnen sind. Nach einem Schlurfgang zum Klo ekeln ihn die Ausdünstungen seines Zimmers so sehr, dass er beschließt, zum Frühstück zu gehen. Karl schlürft Kaffee und erhofft sich davon so etwas wie innere Reinigung und Erfrischung, wie stets nach quasidurchwachten Nächten, erfolglos, wie stets. Und versucht, das Tuscheln und Kichern der Barbies am Nebentisch nicht auf sich zu beziehen. Nicht auf das zerknautschte Gesicht, die tiefen Nasolabialfalten, die dahingegangene Attraktivität. Natürlich sprechen sie nicht von ihm. Unauffällig zieht er sein Gesicht straff und bemüht sich sehr, ihr Getratsche nicht auf seine anachronistische Kleidung zu beziehen, die, mit Selbstbewusstsein getragen, als vorweggenommener Retrotrend der übernächsten Saison durchginge. Aber von ihm ist doch keine Rede.
Einen Tag muss er noch rumkriegen. Die gesichtstätowierte Person mit dem Pork-Pie-Hut wird sich erst am Montag zwischen dreizehn und siebzehn Uhr am beschriebenen Ort aufhalten. Karl stellt sich eine graugesichtige Gestalt, mit gelb-grauen Zähnen und hohlen Wangen vor, die in dem dünnen Falsett des Leibhaftigen nach seinem Begehr fragt.
Carlitos Weh, denkt er, den Titel des Films vor sich hersagend, den die Tresenfee mit den reinweißen Reißzähnen erwähnte. Der Schmerz des kleinen Karls. Brüderchen, was ist dir bloß geschehen? Umsonst wird er diesen Namen nicht gewählt haben. Karl ahnt einen tiefen Schmerz in seinem Namensvetterchen, der die Größe besitzt, ihn durch seinen Namen nach außen zu tragen, ohne wehleidig darauf herumzureiten. Die edle Trauer des argentinischen Gauchos im europäischen Exil, der unter dem silbernen Mond der mecklenburgischen Pampa so tiefe wie schlichte Gedichte auf altes Zeitungspapier schreibt, das in der Dunkelheit kaum zu erkennen ist. Und seine Galloway-Rinder schlafen, träumen von Rinderliebe und saftigen Wiesen, voller Vertrauen. Sie lieben ihn. Die Rinder lieben ihren Gaucho. Und das ist richtig und schön.
Karl bedenkt die Verzwickungen, die mit den Verwicklungen zusammenhängen, fühlt die Schwierigkeiten und Hemmnisse, die kleine Karls unentspannt machen. In dieser Welt werden viel zu viele in ein Leben gezwungen, das unzufrieden und dauerverspannt macht. Verantwortlich sind feindliche Mächte aka die Große Maschine: presst all die kleinen Schraubendreher in schwierige Arbeitssituationen, in denen sie verharren müssen, manchmal einfach nur, weil sie vergessen wurden. Därme werden stark gedrückt oder gar umgeknickt. Stundenlang. Ist das denn ein Leben? Es gibt Schraubendreher, die wochenlang keinen befriedigenden Stuhlgang haben. Und was tun wir dagegen? Genau. Und mit dieser Erkenntnis kommt die Wut.
Karl will aufspringen und die schnatternden Mädchen an den Schultern rütteln – wir müssen aufspringen und etwas ändern. Engagement, jetzt.
Aber er muss seine Ausrufezeichen verlegt haben.
Tastet seine Taschen ab, nichts zu machen. Keines da.
Fragezeichen findet er mehrere Hand voll, aber mit denen will er keine Revolution versuchen. Karl sagt die knorrigen Wahrheiten vor sich her, hält die Glut am Leben, und stellt sich der Herausforderung, die den nächsten Teil seiner Mission, wahrscheinlich den vorletzten, wie er annimmt, beherrschen wird: Einen Tag rumkriegen.
Solcherart sind seine Gedanken, mit denen er sich durch die Cafékultur des Viertels treiben lässt. Schmale Gedichtbände in den Manteltaschen, falls es ihm nach Zerstreuung gelüstet. Karl bekommt zu hellen Kaffee und – trinkt ihn trotzdem. Gerät in Gesellschaft<->Untiefen und eine Diskussion und platziert einen Kommentar zum Thema Euro-Bonds, was ihn etliche Minuten und Wortwechsel später erinnern lässt, warum er keinen Anteil mehr an derartigen Meinungsaustauschen nehmen will. Im nächsten Café liest er demonstrativ Gedichte von Rimbaud und Baudelaire, die er natürlich nicht in einem Atemzug nennen würde, oh nein, und wird glücklicherweise nicht mehr von Gesellschaft belästigt. Vereinzelung, Gottseidank.
In den Blumen des Bösen finden sich einige Stellen, die ihn bezüglich seines Vorhabens bestärken und neugierig machen. Ach, wenn es schon so weit wäre, seufzt er. Und beobachtet dicke ältliche Männer, wie sie junge Rumänen oder Bulgaren aushalten, die sie offen betätscheln und beschmusen. Ein paar Küsse werden getauscht, mindestens einer ist feucht, wie ein etwas unangenehm berührter Karl feststellt, der sich schnell wieder in das baudelairesche Versmaß vertieft, bevor er zur Abwechslung nach uneigentlichen Sprachfiguren sucht.
Abends kehrt er in das Hostel zurück und stellt fest, dass das Partyvolk ohne Nachfolger ausgezogen ist.
Diese Nacht schläft er durch. Am Morgen steht er auf. Und geht, nach dem Ankleiden, zum Frühstück hinunter. Über dem Kaffee legt er eine Route fest: Eine halbe Stunde nach dreizehn Uhr geht er die taghelle Geile Meile entlang. Gar nicht so uninteressant, denkt er. Am Tag lässt sie sich in Ruhe betrachten und bedenken. Wie es ein besonderer Ort verdient, gerade so ein geiler Fickschlitten. 'Uneigentliche Sprachfigur', denkt Karl, der den F. durch die Variable ersetzt. Wie geil uneigentlich.
Darüber ein paar Meter machend, bemerkt er die gesuchte Straße gerade noch rechtzeitig, bevor er ein paar Meter zurücklaufen müsste. Biegt links ab, geht an irgendeiner schweineberühmten Polizeiwache vorbei. Ungläubig vergleicht er die Adresse mit der auf seinem Zettel. Doch, er ist richtig. Am angegebenen Platz hocken ein paar Leute auf Treppenstufen, stehen herum, trinken Bier oder halten wenigstens entsprechende Flaschen. Niemand barhäuptig, registriert Karl und diesen Pork-Pie – er machte sich zwischendurch, in einem unbeobachteten Moment, schlau – tragen mehrere. Anscheinend gerade Mode, denkt Karl. Was alles Mode werden kann, nichts und niemand ist davor gefeit. Es könnte selbst mich treffen.
Er wechselt die Straßenseite und geht an der Gruppe Hutträger und schlimmeres vorüber, als wäre er ein Spaziergänger, der sich in diese Gegend verirrte. Dreht um, als er eine kleine Kreuzung erreicht. Hört seine Muffen sausen. Auf dem Rückweg legt er sich Worte zurecht, mehrmals, verwirft sie, ebenso oft. Vor lauter Anspannung ertaubt er sekundenkurz, spürt aber seine Muffen sausen, was ihn beruhigt.
Karl überlegt, unverrichteter Dinge zurückzufahren. Besser Tikkis Ömchen anrufen! Das kriegt er dem Auftraggeber schon erklärt.
Doch schon tauchen enttäuschte Gesichter auf. Unbekannte Auftraggeber mit unbestimmten Gesichtszügen, aber bestimmt mit Augenringen, vom Weinen. Es wäre falsch. Er gibt sich einen Ruck und steuert auf die Gruppe. Landstreicher, Straßenmänner, Schwere Jungs, wie nennt sich diese Personengruppe – und wie nennt sie sich selbst? Er weiß es nicht, auf einmal spürt er sein Alter, entscheidet aber, es einfach zu versuchen. Auf ein Geschick vertrauend, das ihm die richtigen Worte in den Mund legen wird.
Und quert entschlossen die leere Straße! Und sieht!, wie sich die Köpfe unisono zu ihm herumdrehen. Und ist froh!, mit keinem Blumenstrauß oder sonstigem Präsent bestückt zu sein. Mit einem Mal ist die Welt voller Ausrufezeichen, die niemand bestellte.
Karl versucht Gesichter zu lesen. Doch da sind keine Geschichten. Verwitterte Flächen wie vor langer Zeit in Stein gemeißelte Allegorien von Untugenden. Freie Liebe!, will er rufen. Verbrecher! Revolution! Schweinebande! Vergebung! Strafe! Tourette-Roulette!
Schnell wird klar, wer seine Zielperson ist - sogar in dieser Gesellschaft ist das volltätowierte Gesicht ein besonderes Merkmal. Niemand fragt: Wie sieht das erst aus, wenn du alt bist? Karl unterdrückt aufkeimendes Mitleid und zwingt sich, emotionslos einen Schriftzug zu lesen, der auf der Stirn steht.
Störfaktor. Herrje, denkt er und sagt: "Durchaus ansprechende Majuskeln."
"Carlito", sagt sein Gegenüber und reicht Karl die Hand. "Glückwunsch. Sie haben mich gefunden. Unser Auftraggeber wird erfreut sein."
Die umstehenden Personen stellen ihre Bierflaschen zu Boden und klatschen. Karl lächelt gerührt und lüpft den Hut mit einer Anmut wie zu seinen besten Zeiten. Ja, denkt er, das glauche ich auch.

 

Hallo Kubus

Meine Güte, hier legst du einen Schreibstil an den Tag, der es gedanklichen Stotterern erlaubt, die Geschichte fliessend zu lesen. :D

Während er etwas zu komplizierte Fragesätze formulierte, deren letzte drei Segmente sämtlich an seinem Gesprächspartner vorbeirauschten.

Doch hier wurde es mir klar, in welcher Leserform ich drangehen musste und nahm die Sätze grinsend zur Kenntnis. Die schrittweise Irritation, bis kurz vor blanker Verstörung, überliess ich Karlchen.

Bald darauf brach der nächste Damm,

Also bei mir hatte es etwas gedauert, ich dachte an Jean Genet. Bei ihm musste ich zuweilen auch über das Gesagte nachdenken, bevor ich zum nächsten Satz überging. Erst die Blumen brachten mich dann auf die richtige Spur, wer dir da als Inspirator Pate stand.

Die Handlung, na ja, geht mir entfernt als ein Sittenbild durch, doch eigentlich Spannung trat mir nicht auf. Unterhaltsam ja, die Zeichnung deiner Figuren haben immer etwas Besonderes, doch die Begegnung mit Carlito am Ende, war mir eher ein Schluss, der flau zerrann. Aber dies ist natürlich nur meine subjektive Sicht, ich werde es dann nochmals mit Distanz lesen, vielleicht entdecke ich dann das, welches mir diesmal fehlte. ;)

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Anakreon,

ja, ist nicht hundertpro ernst gemeint, ein weiterer Ausflug in literarische Gefilde, die ich für amüsant halte. dieses Mal eine etwas andere Stoßrichtung als beim Orwell, also schon mal dass eine gewisse Absicht besteht und verfolgt wird, :D hebt diesen Text deutlich ab, denke ich.

die Spannung soll nicht genretypisch generiert werden, sondern eher durch d...

...as Umkreisen des Eigentlichen und die literarische Verbrämung von Schauplätzen und Thema. dafür ist immerhin die Szenerie genretypisch bis klischeehaft.
Spannung soll hier durch Verhüllung entstehen. die die Neugierde des Lesers hervorruft und den Wunsch, ein paar Schleier zu lüften. (soweit die Theorie :D) idealerweise sollte Karls kleine Reise aber auch ohne Rätseln und Enträtseln unterhalten. dieser schlichte Wunsch stand beim Schreiben im Vordergrund: den Leser ein paar Zeilen lang zu unterhalten.

Bei ihm musste ich zuweilen auch über das Gesagte nachdenken, bevor ich zum nächsten Satz überging.

stellenweise durchaus beabsichtigt, sollte es aber nicht zu viel sein! wobei ich auch gleichzeitig hoffe, entsprechende Belohnungen untergebracht zu haben.
diese Nachdenksätze sollten nicht zu viele sein. nicht mehr als vier, fünf Nüsse sollten es auf dieser Länge sein. wenn ich mich da in meiner Schreibersicht, dem der Text relativ klar ist, vertue, will ich nachbessern.

Erst die Blumen brachten mich dann auf die richtige Spur, wer dir da als Inspirator Pate stand.

Die Blumen des Bösen, wie das berühmte Werk des Charles Baudelaire in der bekannten Übertragung heißt? dieser Titel könnte dich höchstens über Umwege auf die Spur der Hauptinspiration bringen. :-)

doch die Begegnung mit Carlito am Ende, war mir eher ein Schluss, der flau zerrann. Aber dies ist natürlich nur meine subjektive Sicht, ich werde es dann nochmals mit Distanz lesen, vielleicht entdecke ich dann das, welches mir diesmal fehlte.

aber doch hoffentlich aus Interesse!
die KG ist nicht auf den Schluss zu geschrieben. ist nichts dolles, etwaige Enttäuschung kann ich also nachvollziehen.

es danket und grüßet ;)

der Kubus

 
Zuletzt bearbeitet:

»Je sais les cieux crevant en éclairs, et les trombes
Et les ressacs et les courants : je sais le soir,
L'Aube exaltée ainsi qu'un peuple de colombes,
Et j'ai vu quelquefois ce que l'homme a cru voir !«*​

Während er etwas zu komplizierte Fragesätze formulierte, deren letzte drei Segmente sämtlich an seinem Gesprächspartner vorbeirauschten.
Aber Du weißt doch, dass ich nicht Karl heiß …

lieber Kubus,

und so steuer ich mit Dir auf wohltuenden vier Seiten Manuskript zwischen Hoch- und Alltagskultur auf ein Ereignis zu, von dem wir nur vermuten können, wie es einzuordnen wäre. Gleichwohl wären einige kleinere Schnitzer ohne Anspruch auf Vollständigkeit anzuzeigen:

Dass er bei seinem Gesprächspartner lange keine Eigenschaft fand, die der wertschätzenden Erwähnung wert schien, …
Wir wollen doch nicht auf Boulevardniveau!
Nur Sterne wie unsere Sonne scheinen, selbst der Mond leiht sich das Licht, sprach mir in von Ohngefähr ein Deutschlehrer in der Realschule – und in der Tat, scheint „scheinen“ im Rang eines Hilfsverbs wie's "brauchen" zu sein, ist doch nicht der Schein, sondern das Sein wichtig. Besser vielleicht
Dass er bei seinem Gesprächspartner lange keine Eigenschaft fand, die der wertschätzenden Erwähnung wert [zu sein] schien, …
Alternativ böte sich die Umgehung des Infinitives durch ein „erscheinen“ an:
Dass er bei seinem Gesprächspartner lange keine Eigenschaft fand, die der wertschätzenden Erwähnung wert [er]schien, …

Ein Aha-Erlebnis für mich (da hat Anakreon sicherlich auch schmunzeln müssen):
Der Trinker nickte, grunzte und ahate …
Wortschöpfung „aha[h]en“?

Okay, sie schrieen …
Ein e ist entbehrlich: „schrien“

Zeichensetzung

Karl verstand nicht. Würste?. "Komm schon …
Welche Funktion hätte der Punkt zwischen Frage- und Anführungszeichen? Ich weiß, dass Du's weißt.

Und machte höflich[,] aber bestimmt darauf aufmerksam, dass …

Er schlenderte zur Börse hinunter, die sein erster Anlaufpunkt gewesen war, in dieser Stadt.
Ich sehe das letzte Komma „… war, in …“ als Regieanweisung / Atemübung für den Vorleser … vielleicht auch dem Leser ...

Karl versuchte[,] in den Gesichtern zu lesen, doch die erzählten keine Geschichten.
K(ommissariat?) 117 Ziff. 2 Duden Bd. 1

Flüchtigkeit

…, als wären sie zwei die einzigen Menschen …
Sie? Vielleicht besser „die“!?

Bedrüfnis
Ich sag nix zu Deinen Fingern …

Karl verzichtete auf Kaffe, …
… und ein e …

…, falls es ihm nach Zerstreuung gelüstete.
Dativ?
Aber hier - vielleicht
… Thema Euro-Bonds, was ihn etliche Minuten und Wortwechsel später in Erinnerung rief, …

Bog links ab, ging an dieser berühmte Polizeiwache vorbei.
Ich weiß, dass „man“, wer immer das sei, so spricht. Trotzdem sollte der Davidswache der Akkusativ zugestanden und somit dem Attribut ein n gegönnt werden.

Sonstiges:

Karl hatte Träume aus der Zeit, die mehr Echtheit besaßen als seine jetzige Existenz
„Echt“ kommt aus der Rechtsprache und ist vom ahd. ewa abgeleitet und findet sich deutlich heut noch im Begriff der [des] Ehe[Vertrages] und meint Recht und Gesetz insgesamt.
Ein wenig klingt im heute gebrauchten Gegensatz von Echtheit zum Falschen.
Vielleicht wäre „Wirklichkeit“ der bessere Ausdruck.

Abschließende Bemerkungen:

Kennstu „eigentlich“ den Unterschied von bestimmten und uneigentlichen Integralen? Selbst in die Mathematik hat sich der Jargon der Eigentlichkeit eingeschlichen, wie hier für einen Augenblick
[Karl],

der sich schnell wieder in das baudelairesche Versmaß vertiefte, bevor er zur Abwechslung nach uneigentlichen Sprachfiguren suchte.
[…]
Wie es ein besonderer Ort verdient, gerade so ein geiler Fickschlitten. Was eine uneigentliche Sprachfigur ist, wie Karl dachte, der sprachspielerisch den F. durch die Variable ersetzte. Wie geil uneigentlich –
was ich für pure Ironie nehme, zudem mir gerade ein Titel als „'Uneigentliche Verbspitzenstellungen im narrativen Präsens'“ [in: Susanne Günthner: Grammatische Analysen der kommunikativen Praxis – 'Dichte Konstruktionen' in der Interaktion, in: Grammatik und Interaktion. Untersuchungen zum Zusammenhang von grammatischen Strukturen und Gesprächsprozessen, hgg. v. Arnulf Depperman, Reinhard Fiehler, Thomas Spranz-Fogasy, Radolfzell 2006, S. 95 ff., hier: S. 99]

Kurz vor Schluss:

Schon mit dem einleitenden Satz saugstu mich in eine Geschichte von allen und keinem hinein:

Jemandem am Hauptbahnhof, der aussah, als könnte er so was wissen, hatte Karl etliche Bier ausgegeben
Gefällt mir ungemein, weil mir dergleichen im eigenen Erfahrungsschatz (nicht nur an Bahnhöfen) auch vorfinde.
Und da ich, Wolt sei Dank!, inzwischen Besitzer & Eigentümer einer Grammatik bin –

nicht dass ich als Schüler nicht eine engl., franz. + zuletzt auch span. Grammatik mein eigen nennen konnte, die teutsche fehlte immerfort, bis eben zu Wolts Katzendrama –

dass ich dem unbestimmten Gefühl, dass die Endung des jemand entbehrlich sei, nun auch geprüft und amtlich beglaubigt werden kann.
Und in der Tat, die Endung ist keineswegs falsch, aber die Redaktion zu Mannheim verweist auf den schwankenden Gebrauch von je- und niemand mit substantivierter Flexion (Akkusativ + Dativ ohne Endung), hier also

Jemand[…] am Hauptbahnhof, der …
wie „adjektivischer Flexion“ [Duden Bd. 4, Ziffer 424, S. 319], die Du verwendest. Den Gipfel setzen dann regionale Eigenheiten

In der Wahl des jemand schwingt dann schon der „Uneigentliche“, ein niemand mit. Jemand ist so sehr niemand, wie niemand je jemand werden kann (was keine Gesetzmäßigkeit beansprucht oder mathematische Formel wäre).

»Si je désire une eau d'Europe, c'est la flache
Noire et froide où vers le crépuscule embaumé
Un enfant accroupi plein de tristesse, lâche
Un bateau frêle comme un papillon de mai.« **

Wie (fast) immer gern gelesen vom

Friedel

PS: Hättestu lieber die bösen Blumen hier vorgefunden?
Ein ander Mal klappt's bestimmt ...
Zitate: Rimbaud, Le Bateau ivre, * Z. 29 ff., ** 93 ff.

 
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Guten Tag Friedrichard,

Aber Du weißt doch, dass ich nicht Karl heiß …

fühlen sich Friedrichard und Anakreon hier um die Wette angesprochen?

und so steuer ich [...] auf ein Ereignis zu, von dem wir nur vermuten können, wie es einzuordnen wäre.

da müsste doch eine qualifizierte Spekulation möglich sein? oder mache ich mir in dem Punkt etwas vor?

und in der Tat, scheint „scheinen“ im Rang eines Hilfsverbs wie's "brauchen" zu sein, ist doch nicht der Schein, sondern das Sein wichtig.

mein Erzähler fühlt nicht die Notwendigkeit, etwaige Ideale in der Sprache ausdrücken! so wies steht, ists verständlich. das reicht.

Ein e ist entbehrlich: „schrien

ja klar. sah schon falsch aus.

Ich weiß, dass „man“, wer immer das sei, so spricht

man, das ist mehr als einer und weniger als alle. man, das ist einer von welchen, die gemeinsame Angewohnheiten teilen.
jedenfalls ist das n vor der Davidswache verloren gegangen, Flüchtigkeit, ja. weil ich die Sache in einem Zug schrieb und einen Abend später in einem Zug überarbeitete, schnell wars zwei Uhr und also höchste Zeit ... aber weil diese Produktionsart so ganz nach meinem Geschmack war, postete ich den Text schnell, bevor ich die Chance zu weiterer Überarbeitung gehabt hätte, die dann sicher in Arbeit ausgeartet wäre ...

Vielleicht wäre „Wirklichkeit“ der bessere Ausdruck.

hm.

interessant schon. aber mir bisher und dem Gros der Leser sicher fremd, diese Herkunft von Echt. und aufgrund so einer Herkunftsanalyse, die all die ausschließt, die dieses Herkommen nicht kennen, ändere ich meine Wortwahl nicht.

Kennstu „eigentlich“ den Unterschied von bestimmten und uneigentlichen Integralen? Selbst in die Mathematik hat sich der Jargon der Eigentlichkeit eingeschlichen, wie hier für einen Augenblick

noch nicht begegnet. aber wenn ich sie kennenlerne, wofür die Chancen recht gut stehen, dann werden sie mir schon ein wenig bekannt vorkommen.
und dafür entlieh sich die Textwissenschaft den Begriff der Modelltheorie aus der Mathematik, das klingt doch fair!

was ich für pure Ironie nehme

Ironie, Selbstironie. so zu weit weg von allem und jedem, dass sie sich (fast) ausschließlich selbst zu bespielen scheint.
es ist aber auch, und das noch mehr: Einladung zu Gedanken- und Sprachspielen, um darüber ein paar Minuten zu vertrödeln, sich im wohltuenden Müßiggang zu ergehen.

Gefällt mir ungemein, weil mir – auf die Gefahr unserem Genossen Argus wieder ins Auge zu fallen – dergleichen im eigenen Erfahrungsschatz (nicht nur an Bahnhöfen) auch vorfinde.

bitte verlängert die Schützengräben nicht in meinen Vorgarten! :D

dass ich dem unbestimmten Gefühl, dass die Endung des jemand entbehrlich sei, nun auch geprüft und amtlich beglaubigt werden kann.

aha, interessant. eben diese Frage trieb mich selbst bisweilen um, wobei mein Gegenstand der niemand war. wieder was gelernt.

Freut mich dass du es gern gelesen hast - trotz der wenig herausfordernden Kürze? Komma- und andere Fehler werde ich jetzt gleich auszumerzen versuchen, danke fürs Raussuchen.

Kubus

PS: Vom Sprachgefühl her wirken jemand(em) und niemand(em) passender, die fügen sich mit ihren Endungen in die grammatische Konstruktion des Satzes ein und stehen dort nicht so bezugslos herum, als gingen sie niemand was an.

 

fühlen sich Friedrichard und Anakreon hier um die Wette angesprochen?,
fragstu.

lieber Kubus,

und entgegen allem Widererwarten komm ich heut doch zu einer Antwort incl.
Hinweis, dass ein Auge zugeschüttet wurde – im Prinzip lässt sich somit Deine Sorge löschen, was dann kein verspäteter Leser mehr verstehen wird, aber bei allen Teufeln auch gar nicht muss, bissken Geheimnis soll & muss doch bleiben -

wenn ich zwar nicht für Anakreon sprechen kann, aber dann doch darauf hinweise, dass Anakreon mir ein sehr angenehmer Zeit- und Altersgenosse ist (da ist das scheinbar Behäbige - wahrscheinlich dem angeblich langsamen Schweizerdeutch geschuldet - wohltuend, dieweil ich ebenso gut zum Schnoddrigen neig, wie der Tage schon einmal), dass mir die gemeinsame Namensnennung nix ausmacht, sondern von mir eher als Ehre empfunden wird.

... da müsste doch eine qualifizierte Spekulation möglich sein? oder mache ich mir in dem Punkt etwas vor?
Nee, machstu sicherlich nicht, und so geb ich mal bissken Hilfestellung, liegt doch die Lösung für wachsame Augen im Wortspiel teutsch-englischer Freundschaft Carlitos way & Weh als eine
Einladung zu Gedanken- und Sprachspielen, um darüber ein paar Minuten zu vertrödeln, sich im wohltuenden Müßiggang zu ergehen -
und Müßiggang ist in Kunst und Wissenschaft wichtig, selbst wo sie sich als Arbeit gebärden. Kultur ist allemal bearbeitete Natur.

Also

Karl ist sehr findig im Bewundern anderer Menschen,
aber nicht nur darin, hat offensichtlich einen Auftrag, denn
[d]er Trinker … [l]utschte die Flaschen leer und streckte die Pfote aus, in die verlässlich neue Silberlinge für neue Plörre gelegt wurden, … [ein p]potentieller Informant ...
Was auf Abwege führen kann, den es gibt auch die Hypothese, dass Judas seinen „besten“ Freund verraten musste, dass das Schicksal sich erfülle, was bei der Barfrau, die auch ihre Silberlinge nimmt – wenn auch für vermeintliche andere Dienste – deutlich wird: Da ist einer (Karl) auf Carlitos way um im Weh zuzufügen. So also trägt das engl.-deutsche Wortspiel schon die Lösung in sich.

Nun. für heute genug geplaudert & darum noch angefügt eine ziemlich eigene Übersetzung der Zeilen 92 ff. des Rambo-Gedichtes (Das trunkene Schiff), was vielleicht die Intention zum Zitat etwas aufklärt.

Ersehn ich ein Wasser Europas, wär’s die Pfütze
Schwarz wie kalt, wenn im dampfenden Licht der Dämmerung
Ein Kind sich voller Trostlosigkeit niederhockt zu
Einem Schiff, zart gefaltet wie'n Schmetterling im Mai.

Schöne Tage diese Tage wünscht der

Friedel

 
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Hallo Kubus,

Alter, was schreibst du für Texte!? :)


Karl rätselte eine Weile, bis er entschied, dass eine 'tätowierte Fresse' eindeutig genug sein müsste. Lächelte auf dem Rückweg der einzigen Person zu, die seinen Blick suchte.

Das ist gut.

Indem er zwanghaft ihre Augen fixierte, als wären sie zwei Hände, die ihm in einen Abgrund hineingereicht wurden. Was zur Folge hatte, dass er sekundenbruchteilschnell in ihnen versank. Von der Panik getrieben, nach dem zu schielen, was so freigiebig jedermanns Blick ausgesetzt war. Hypnotisch.

Ich finde, das passt nicht richtig. Da bin ich immer rausgekommen. Die Hände sind so, als würde man die ihm in einen abgrund hinerinhgericht werden ... find ich umständlich. Sogar für den Text umständlich. Und dann versinkt er ihnen, und ich denk halt noch an den Abgrund. Dass man in den Abgrund sinkt. Ist naheligend. Aber das meinst du gar nicht. Du meinst, die Augen holen ihn aus dem Abgrund. Indem er in ihnen versinkt. Das Gegenteil also. In dem Zusammenhang finde ich "versinken" einfach ungünstig.

Italiener, Griechen und Schwaben, was die Stimmen der Silhouetten verrieten, die ihm im Halbschlaf als sprechende Nachtgespenster erschienen

So gehts mir auch. :)


ie gesichtstätowierte Person mit dem Pork-Pie-Hut würde

Musste ich jetzt auch googeln. Die sind oben flach, das ist der Unterscheid oder wie?

Einen Tag müsste er noch rumkriegen. Die gesichtstätowierte Person mit dem Pork-Pie-Hut würde sich erst am Montag zwischen dreizehn und siebzehn Uhr am beschriebenen Ort aufhalten. Karl stellte sich eine graugesichtige Gestalt, mit gelb-grauen Zähnen und hohlen Wangen vor, die in dem dünnen Falsett des Leibhaftigen nach seinem Begehr fragen würde. Carlitos Weh, dachte er, der Schmerz des kleinen Karls. Brüderchen, was ist dir bloß geschehen? Karl bedachte die Verwicklungen, die mit der Kultur des kleinen Karls zusammenhingen, all die Schwierigkeiten und Hemmnisse, die dafür sorgten, dass die kleinen Karls unentspannt waren, als hätten sie wochenlang nicht gekackt.
Solcherart waren seine Gedanken, mit denen er sich durch die Cafékultur des Viertels treiben ließ. Schmale Gedichtbände in den Manteltaschen, falls es ihm nach Zerstreuung gelüstete. Karl bekam zu hellen Kaffee und – trank ihn trotzdem. Geriet in Gesellschaft und eine Diskussion und platzierte einen Kommentar zum Thema Euro-Bonds, was ihn etliche Minuten und Wortwechsel später in Erinnerung rief, warum er keinen Anteil mehr an derartigen Meinungsaustauschen nehmen wollte. Im nächsten Café las er demonstrativ Gedichte von Rimbaud und Baudelaire, die er natürlich nicht in einem Atemzug nennen würde, oh nein, und wurde glücklicherweise nicht mehr von Gesellschaft belästigt. Vereinzelung, Gottseidank.
In den Blumen des Bösen fanden sich einige Stellen, die ihn bezüglich seines Vorhabens bestärkten und neugierig machten. Ach, wenn es schon so weit wäre, seufzte er. Er beobachtete dicke ältliche Männer, wie sie junge Rumänen oder Bulgaren aushielten, die sie offen betätschelten und beschmusten. Ein paar Küsse wurden ausgetauscht, mindestens einer war feucht, wie ein etwas unangenehm berührter Karl feststellte, der sich schnell wieder in das baudelairesche Versmaß vertiefte, bevor er zur Abwechslung nach uneigentlichen Sprachfiguren suchte.
Abends kehrte er in das Hostel zurück und stellte fest, dass das Partyvolk ohne Nachfolger ausgezogen war. Er schlenderte zur Börse hinunter, die sein erster Anlaufpunkt gewesen war, in dieser Stadt. Und wieder war niemand zu finden. Verrückt.

Wenn du das schon in Spannung postest – hier geht sie verloren. Das Ganze läuft auf etwas zu … man will wissen, was passiert. Und dann nimmt sich der Typ einen Tag frei und geht spazieren und Baudelaire lesen in Cafés und Leute beobachten so. Das ist Henry Miller, das mag ich auch, aber das ist schwierig. Ich glaube jedenfalls, da verlierst du viele leser. Ich hab den Spoiler gelesen.. ja, ich weiß. Du wolltest dieses und jenes und so. Aber ich fands interessant, der komische Blick, gepaart mit dem Drang, herausfinden zu wollen, was jetzt passiert. Das kam an. Und dann nimmt sich der Typ einfach einen Tag frei. :) Und zum Schluß passiert nichts – es sei denn ich überseh was, was gut möglcih ist bei dem Text natürlich. Carlitos Way hab ich übrigens nicht gesehen.

Du wirst mich hassen, aber ich spiel mal radikaler Lektor und schlage Folgendes vor:

Jemandem am Hauptbahnhof, der aussah, als könnte er so was wissen, hatte Karl etliche Bier ausgegeben. Während er etwas zu komplizierte Fragesätze formulierte, deren letzte drei Segmente sämtlich an seinem Gesprächspartner vorbeirauschten. Was Karl stark irritierte. Kürzere Sätze konnte er nicht. Aus der Peinlichkeit flüchtete er sich, wie es seine Art war. In Bewunderung. Karl ist sehr findig im Bewundern anderer Menschen.
Dass er bei seinem Gesprächspartner lange keine Eigenschaft fand, die der wertschätzenden Erwähnung wert schien, verstärkte die Irritation schrittweise, bis kurz vor blanker Verstörung. Der Biertrinker, eine sehr gute, sehr einfache Seele, der fünf Bier brauchte, bevor sich der erste von vier Tagesgedanken in mühsamer Kleinarbeit zusammensetzte, verstand das Problem nicht, vor dem sein Spender stand, litt aber mit Karl, der sich stetig weiter mit sich selbst verwirrte.
Der Trinker nickte, grunzte und ahate, voller Rätsel, die er in bester Tradition und mit gutem Gewissen ungelöst ließ. Lutschte die Flaschen leer und streckte die Pfote aus, in die verlässlich neue Silberlinge für neue Plörre gelegt wurden. Als Karl klar wurde, dass sein potentieller Informant seit drei oder sogar dreieinhalb Litern nicht bei den "örtlichen Wasserspielen" war, ergoss sich die lang zurückgehaltene Bewunderung wie ein gebrochener Damm über den Biertrinker. Der seine Blase mit dem famosen Fassungsvermögen eines Riesendudelsacks in alle Himmel gelobt hörte.
Bald darauf brach der nächste Damm, als Karl die komplizierte Operation gelang, seine Sätze auf doppeltes Boulevard-Niveau rückzubauen. Die nach diesem Muster konstruierten Wortvehikel waren keine Schönheiten, erlaubten seinem Gegenüber indes, darauf zu kommen, wovon zum Teufel der Geck anscheinend die ganze Zeit sprach. Was zu wissen begehrt war. Er winkte einen Kumpel heran, den er auf diesem Gebiete bewandert wusste, und strunzte ihm in derbstem Pidgin des Fremden Begehr zu.
Der schickte Karl in eine Absturzkneipe in einer der kleinen Stichstraßen, die von der Geilen Meile abgingen. Zu einer weiblichen Servicekraft, die er beschrieb und von der er verriet, an welchen Abenden sie da war. Die wüsste was. Ließe sich die Information aber bezahlen.
Das wäre kein Problem, sagte Karl, so liefen die Dinge eben. Machte dabei ein Gesicht, von dem er hoffte, es sähe aus, als wüsste er, wie solche Dinge liefen. Worauf der neue Informant verständig nickte und seine Hand aufhielt, in die Karl weitere Silberlinge für ein weiteres Bier abzählte. Wofür Karl wenig später einen Zettel bekam, den er seinem neuen Kontakt aushändigen sollte. Liefen die Dinge hier auf diese Art, waren die Halbweltler tatsächlich derart organisiert? Waren das echte Halbweltler gewesen, oder nur Leute, die Leute kannten. Faszinierende Fragen, die ihn auf dem Weg zum beschriebenen Ort im Nachtleben beschäftigten.
Einer vollgestopften Kaschemme, zu deren Eingang er sich durchdrängelte, praktisch unablässig um Entschuldigung bittend. Ein Strom floss beständig aus dem Laden heraus, der andere hinein. Karl spürte mit jedem Schritt seine Sohlen am Fußboden festkleben.
Vierstündige Happy Hour, Kurze und Shots für einen Euro, stand mit kindlich runder Kreideschrift auf einer großen Tafel. Musik wurde gespielt. Schlager oder Techno. Oder Schlager auf Techno-Beats. Es war so laut, dass er den Eindruck bekam, es wäre unmöglich, jemanden zu verstehen, sich selbst eingeschlossen. Trotzdem redeten alle. Okay, sie schrieen sich an. Karl staunte. Verbrachten die Menschen so ihre freien Abende? Freiwillig?
Zwar erspähte er die von seinem Kontakt beschriebene Barfrau, jedoch die Theke war von einem dreifachen Menschenband belagert. Geduldig nutzte Karl jede Gelegenheit, sich näher heranzuschieben und wuchs an dem Gefühl, eine Prüfung bestanden zu haben, als er eine halbe Stunde später einen Platz eroberte. Von dem aus er die Barfrau heranwinkte, was niemanden interessierte.
Stattdessen eilte ein Barmann heran und fragte nach seinem Wunsch, woraufhin Karl sagte, mit wem er zu sprechen wünschte. Ein verärgerter Barmann schnauzte ihn an, dass er etwas bestellen oder den Platz räumen solle. Hier gebe es keine Extrawürste. Karl verstand nicht. Würste? "Komm schon, Alterchen. Bestell was oder verpiss dich."
Seinen Schreck verbergend, suchte er sich mit inneren Zählübungen zu beruhigen, um sein Stress-Stottern zu verhindern. Nach nur wenigen Sekunden fing er sich. Und machte höflich aber bestimmt darauf aufmerksam, dass er nur bei dieser bestimmten Dame bestellen werde. Der Barmann sah ihn an, als wollte er fragen, aus welchem Loch der denn gekrochen wäre. Schüttelte endlich den Kopf und rief :"Dein Typ wird verlangt!"
Daraufhin drehte sie ihren Kopf, als könnte dieser Satz nur an sie gerichtet sein. Nickte ihm zu und kam rüber, nachdem sie wen abgefertigt hatte.
"Was kann ich für dich tun?", fragte sie. Karl schob das Papier rüber, wie es 'mir geheißen ward'. Sie überflog den Zettel und betrachtete ihn mit hochgezogenen Augenbrauen, bevor sie die Rückseite beschrieb und die Rechnung zog. Sein Drink kostete zwanzig Euro.
Dafür bekam er ein doppelseitig beschriebenes Papier, das sie über den Tresen schob. Dabei lehnte sie sich weit nach vorn und ermöglichte tiefe Einblicke, die er selbstverständlich ignorierte. Indem er zwanghaft ihre Augen fixierte, als wären sie zwei Hände, die ihm in einen Abgrund hineingereicht wurden. Was zur Folge hatte, dass er sekundenbruchteilschnell in ihnen versank. Von der Panik getrieben, nach dem zu schielen, was so freigiebig jedermanns Blick ausgesetzt war. Hypnotisch.
Ein Zustand, aus dem sie ihn schreiend befreite. 'Ist die übliche Kommunikationsmethode in diesem Etablissement', erinnerte Karl seine irritiert-beleidigte Gefühlswelt.
Sie rief ihn an, einen halben Zentimeter von seinem Ohr entfernt, und trotzdem so ausschließlich von Karl bemerkbar, als wären sie zwei die einzigen Menschen, die sich auf einer Bergspitze im geflüsterten Dialekt ihres Bergtals vergessene Gedichtfragmente zuraunen. "Carlito nennt er sich, der Poser", rief sie. "Wahrscheinlich so ein Spleen, von Carlitos Way geklaut, sein Name. Alles klar Digger?!" Karl nickte, versuchte das Kunststück, gleichzeitig zu rufen und dankbar und freundlich-höflich und souverän-bestimmt zu wirken: "Soso!" Sie lächelte schmallippig und huschte zu einem anderen Teil der Theke.
Karl probierte sein Getränk, stellte es schneller zurück, als er es genommen hatte, und reihte sich in die Karawane nach draußen ein. Wo er tief Luft holte und die Rückseite las. Neue Koordinaten. Nächstes Missionsziel erreicht.
Die Rückseite des Zettels.
Vier Rechtschreibfehler, ein falscher Bezug. Sehr ungleichmäßige Schriftführung. Mehrere Flecken. Flecken, okay, dachte Karl und übte, sich auf den Inhalt zu konzentrieren.
Eine Adresse, drei Straßen weiter, Tage und Uhrzeiten. Eine Personenbeschreibung. Wie sah ein Pork-Pie-Hut aus? Den sollte die Kontaktperson namens 'Carlito' nämlich tragen.
Karl rätselte eine Weile, bis er entschied, dass eine 'tätowierte Fresse' eindeutig genug sein müsste. Lächelte auf dem Rückweg der einzigen Person zu, die seinen Blick suchte.
Eine Burger-King-Nutte, die das Lächeln typischerweise als dringliches Bedrüfnis nach sofortigem Beischlaf interpretierte. Die ihn einen halben Straßenzug weiterschleifte, wo er sich kurz vor dem Beischlafhotel, als die Stimmung von lustig-ernst zu ernst-ernst kippte, aus ihrem Griff befreite. Wofür er ein paar saftige Schimpfworte erntete.
Man muss sich doch schon sehr wundern, dachte Karl, während er den Kragen seines Jacketts ordnete.
Darüber ein paar Meter machend,
bemerkte er gerade noch rechtzeitig, die gesuchte Straße. Bog links ab, ging an dieser berühmten Polizeiwache vorbei. Ungläubig verglich er die Adresse mit der auf seinem Zettel. Doch, er war richtig. An dem angegebenen Platz hockten ein paar Leute auf Treppenstufen, standen herum, tranken Bier oder hielten wenigstens entsprechende Flaschen. Niemand barhäuptig, registrierte Karl und diesen Pork-Pie – er hatte sich zwischendurch, in einem unbeobachteten Moment, schlau gemacht – trugen mehrere. Anscheinend gerade Mode, dachte Karl. Was alles Mode werden kann, nichts und niemand ist davor gefeit. Es könnte selbst mich treffen. Eine der gleichmütigen Augenblicksbeobachtungen, die sein Wesen kennzeichnen und ausmachen, genau wie der Fakt, dass diese Beobachtung gleich danach im Strom der Ereignisse verschwand.
Er wechselte die Straßenseite und ging an der Gruppe Hutträger und schlimmeres vorüber, als wäre er ein Spaziergänger, der sich in diese Gegend verirrt hätte. Eine Rolle, die zu spielen ihm nicht schwerfiel. Drehte um, als er eine kleine Kreuzung erreichte. Hörte seine Muffen sausen. Auf dem Rückweg legte er sich Worte zurecht, mehrmals, verwarf sie, ebenso oft. Vor lauter Anspannung ertaubte er sekundenkurz, spürte aber seine Muffen sausen, was ihn paradoxerweise beruhigte.
Karl überlegte, unverrichteter Dinge zurückzufahren.
Doch verknüpft mit der Vorstellung, mit leeren Händen zurück zu kehren, waren enttäuschte Gesichter. Die ihn so schwermütig machten, dass er sich einen Ruck gab und auf die Gruppe zusteuerte. Landstreicher, Straßenkinder, Schwere Jungs, wie nennt sich diese Personengruppe heutzutage – und wie spricht man sie an, ohne unangenehm aufzufallen? Er wusste es nicht, entschied aber, es einfach zu versuchen. Auf ein Geschick vertrauend, das ihm die richtigen Worte in den Mund legen wird.
Und steuerte mit einer etwas seltsam anmutenden Entschlossenheit quer über die leere Straße. Das einsame Kamel folgt seinem Tunnelblick durch die Wüste bis zur Oase. Und sah, wie sich die Köpfe unisono zu ihm herumdrehten. Die Palmen winkten dem Kamel schon fröhlich zu. Und war froh, mit keinem Blumenstrauß oder sonstigem Präsent bestückt zu sein.
Karl versuchte in den Gesichtern zu lesen, doch die erzählten keine Geschichten. Verwitterte Flächen wie vor langer Zeit in Stein gemeißelte Allegorien von Untugenden.
Doch etwas wurde ihm schnell klar, und das war, wer seine Zielperson war - sogar in dieser Gesellschaft war das volltätowierte Gesicht ein besonderes Merkmal. Karl unterdrückte streng sein aufkeimendes Mitleid und zwang sich, emotionslos einen Schriftzug zu lesen, der vom Kinn über die linke Wange bis zur Stirn führte.
Störfaktor. Herrje.
Rückblickend wird Karl es der Tollkühnheit der Gesamtaktion zuschreiben, dass er jedwede Wertung aus seinen Gedanken verbannte und sich ausschließlich auf die äußere Anmutung konzentrierte.
Durchaus ansprechende Majuskeln, war sein Gedanke. Carlito, kleiner Karl, dachte Karl. Jetzt lernen wir uns endlich kennen, von Angesicht zu Angesicht.

Mir tuts ein bisschen wegen den Schwaben weh, aber funktioniert wunderbar, oder? :)

Jetzt noch was Spannendes zum Schluß, vielleicht sogar eine skurrile eigenartig-reflektierte Action-Szene, ruhig voller Komik, und das wird ein richtig guter Text, der richtig gut ankommt. Dann ist die komische Sprache cooles Stilmittel – und nicht (du wirst mich wieder hassen) Sinn des Ganzen.
Aber du wollest hiermit was ganz anderes, nehme ich mal an. :)

Habs trotzdem gelesen, war interessant. Schon mutig auch, so was.

MfG,

JuJu

 

Ja, stimmt, JuJu.Der ungewöhnliche Rythmus wirkt ein büschen aufgesetzt, selbstzweckhaft. Das müsste wirklich mit dem Prot verknüpft werden.

Hallo Kubus!
In seiner ruhigen Ziellosigkeit (kann man das so schreiben?), hat mir die Story trotzdem ausnehmend gut gefallen. Ob sie jetzt in "Spannung" gut aufgehoben ist, wer weiß. Vielleicht war die Kategorie nur dazu gut, dass ich die Story zu fassen kriege?

Obwohl, ist das eine Story? Oder doch eher eine Episode. Der Schluss lässt mich kein bisschen ratlos zurück, ich kann sehr gut damit was anfangen (vielleicht habe ich ja sogar das rausgelesen, was du reingetan?)

Mir ist im Laufe des Textes die Figur nähergekommen, auch wenn es mit der Umgebung nicht ganz so war. Das hat wahrscheinlich auch mit dem Duktus zu tun, womit wir ja unsere Verbindung hätten. :D

Während er etwas zu komplizierte Fragesätze formulierte, deren letzte drei Segmente sämtlich an seinem Gesprächspartner vorbeirauschten.

Das sind, im Prinzip, zwei Teilsätze mit derselben Bedeutung. Damit ist einer überflüssig und müsste gestrichen werden.

...dachte er auf dem Weg zurück in die Arme des Schlafs.

Wenn das eine von dir gefundene Wendung ist (das muss sie, ich kenne sie nur als "in Morpheus Arme sinken"), finde ich sie nicht gelungen, weil ich einfach an die andere denken muss.

Im nächsten Absatz ist vom Kaffe die Rede, deucht mir ein wenig dünn. Oder absichtlich?

was ihn etliche Minuten und Wortwechsel später in Erinnerung rief,

Heißt es nicht ihm?

er hatte sich zwischendurch, in einem unbeobachteten Moment, schlau gemacht

Hach, Gottchen, nimm mal den eingeschobenen raus. Was hat der da zu suchen?
Wer hat gesagt, dass Korrigieren Streichen ist?

Na ja, wie gesagt, ich hab was rausgelesen aus dem Text. Und das macht ihn dann so schön melancholisch. Gibt ihm einen rechten Dreh.

Schöne Grüße von meiner Seite!

P.S. Schöner Titel, übrigens.

 

Tag auch allerseits, :)

und hallo Hannibal,

In seiner ruhigen Ziellosigkeit (kann man das so schreiben?), hat mir die Story trotzdem ausnehmend gut gefallen. Ob sie jetzt in "Spannung" gut aufgehoben ist, wer weiß. Vielleicht war die Kategorie nur dazu gut, dass ich die Story zu fassen kriege?

und das ist doch schon mal was!

und gut gefallen gefällt mir gut!

Der Schluss lässt mich kein bisschen ratlos zurück, ich kann sehr gut damit was anfangen (vielleicht habe ich ja sogar das rausgelesen, was du reingetan?)

Ja, der Möglichkeiten gibt es viele ... :D

Mir ist im Laufe des Textes die Figur nähergekommen, auch wenn es mit der Umgebung nicht ganz so war. Das hat wahrscheinlich auch mit dem Duktus zu tun

hm, das ist sehr interessant. mir liegen Figuren auch normalerweise viel näher
als Settings, ob jetzt in der täglichen oder in einer literarischen Wirklichkeit.
mir kommt regelmäßig das Gefühl von Kulissenhaftigkeit dazwischen, wenn ich versuche, Umwelten ernstzunehmen. Menschen sind viel wirklicher als Umwelten, auch wenn sich viele verhalten, als hielten sie sich selbst für Seriendarsteller - diese Empfindung und Unterscheidung jedenfalls wird auch etwas damit zu tun haben, wie nahe dir Figur und Umgebung kamen oder nicht.

Das sind, im Prinzip, zwei Teilsätze mit derselben Bedeutung. Damit ist einer überflüssig und müsste gestrichen werden.

versteh ich nicht. bin sogar der Meinung, dass zwei Teilsätze, die nicht identisch sind, nicht dieselbe Bedeutung haben können.
doch auch ohne Korinthen kapier ich etwaige Redundanz nicht.
das sind so zwei Enden einer Durchsage: Sender und Empfänger. warum der eine nicht versteht, was der andere sich zusammenbastelt, mit seinem professoralen Beamten-Deutsch.

Wenn das eine von dir gefundene Wendung ist (das muss sie, ich kenne sie nur als "in Morpheus Arme sinken"), finde ich sie nicht gelungen, weil ich einfach an die andere denken muss.

gefunden ist sehr nett ausgedrückt. tatsächlich habe ich ja diese recht bekannte Wendung im steten Bemühen um kreative Umschreibung kaputtverändert, sehe ich gerade.
in Morpheus Arme ist natürlich großartig, da steht eine Allegorie des Schlafs, mit der menschähnlichen Gestalt eines griechischen Gottes - und die kann natürlich den Sterblichen, der die Grenzen zu seinem Reiche überschreitet, in die Arme nehmen.
Schlaf hingegen, als Zustand oder Tätigkeit, hat ja keine Arme! der hat auch keine Beine! der hat auch keine [...]!
Diggi, was für ne Erkenntnis. wow. ich sollte ein Buch schreiben.
jedenfalls macht das so genauso wenig Sinn, als würde ich meinen Karl in die Arme eines Spaziergangs fallen lassen. danke fürs Rausfinden.

Im nächsten Absatz ist vom Kaffe die Rede, deucht mir ein wenig dünn. Oder absichtlich?

dünnen Text bereite ich genauso wenig absichtlich zu wie dünnen Kaffee.
wenn ich von was Dünnem schreibe, dann mit diggerfetter Kraft.
(obwohl ich manche Schreiber sehr schätze, die den schwierigen Teil in der Lebensgeschichte ihrer Figur bspw uneingängig beschreiben. ob gerade oder obwohl? find ich jedenfalls nicht generell schlecht - falls die andernorts zeigen, dass dies draufhaben. dass dies also könnten, wenn sie wollten. aber ich will so nicht schreiben.)

Heißt es nicht ihm?

ja, denke schon. danke.

Hach, Gottchen, nimm mal den eingeschobenen raus. Was hat der da zu suchen?

soll ich das jetzt echt sagen, oder ist das so eine Frage, die keine Antwort erwartet ... meinst du das rhetorisch? ich dachte, wenn ich schon alles erkläre, auch die letzten millerigen Details, aber der Karl auf einmal den Hut kennt, der ihm vorher fremd war, dann muss ich das in der Logik dieser Welt wenigstens mit einem Satz erwähnen.

schöner Gruß und Dank! besonders für das Titel-Lob. Titel sind eigentlich das wichtigste an einer Geschichte, dieser hier ist eineinhalb Jahre alt und zierte eine unveröffentlichte Geschichte, die das Milieu verarscht, aber nicht sehr gut. hat mich bisweilen gewurmt, dass der nicht draußen ist.
immer schön, wenn man eins seiner Versatzstücke noch irgendwo an einen neuen Text ranmontieren kann.

Meister JuJu,

Ich finde, das passt nicht richtig. Da bin ich immer rausgekommen. Die Hände sind so, als würde man die ihm in einen abgrund hinerinhgericht werden ... find ich umständlich. Sogar für den Text umständlich. Und dann versinkt er ihnen, und ich denk halt noch an den Abgrund. Dass man in den Abgrund sinkt. Ist naheligend.

ist naheliegend, wie du schreibst. also diese Metaphorik geht schon, sie ist nicht eigentlich schief, denke ich, aber sie ist furchtbar weit hergeholt, und außerdem kurz nach einem anderen Bild, in diesem nicht unbedingt sehr bildreichen Text, das ist auch so eine übertrieben Cluster-Bildung, es ist anstrengend zu lesen sicherlich, und dann widerspricht es noch dem üblichen Bild, das man von Augen hat. das muss ja nicht unbedingt was schlechtes sein. aber wenn den Blick aufbrechen und den Leser aus Denkgewohnheiten rauskicken, dann sollte schon was besseres kommen.
ich war bei dem Abschnitt in metaphorischer Stimmung - sagt man das so? auf jeden Fall das, jetzt: das Bild fliegt.

So gehts mir auch.

durch dein Hostelzimmer geisternde Schwaben erscheinen dir im Halbschlaf wie sprechende Nachtgespenster? :)

Musste ich jetzt auch googeln. Die sind oben flach, das ist der Unterscheid oder wie?

kann ich nicht sagen, müsst ich auch googeln. jedenfalls von den Typen, die da in der Straße hinter der Davidwache stehen, tragen einige Hüte, die solche Pork-Pie-Hüte sein könnten. ich hatte so einen Pork-Pie-Hut vor kurzem auf, steht mir fantastisch, daher kam ich überhaupt darauf.

Und dann nimmt sich der Typ einen Tag frei und geht spazieren und Baudelaire lesen in Cafés und Leute beobachten so. Das ist Henry Miller, das mag ich auch, aber das ist schwierig.

hahaha, wie geil.
ich hab Miller damals angefangen, weil irgendwer meinte, der hätte starke Sexszenen - aber ich hab den dann gelangweilt weggelegt. wahrscheinlich, weil die Prots nur spazieren waren und in Cafés rumhockten und Lyrik lasen - wer will den so was lesen?

Ich hab den Spoiler gelesen.. ja, ich weiß. Du wolltest dieses und jenes und so.

:lol: endlich versteht mich einer! Problem nur, wie soll ich jetzt noch auf verkanntes Genie machen?

Zurück-Diss frei nach Karl:

also JuJu, setz dich mal hin, falls du das gerade auf deinem iPhone liest: Natürlich hasse ich dich jetzt, es ist eine furchtbare Anmaßung, meinen Text so zusammenzuschneiden, da ist jedes einzelne Wort, jede Silbe, von eminenter Bedeutung. also. eine Frechheit. [/SPOLIER]

aber funktioniert wunderbar, oder?

ja, scheint so. das ist sehr interessant. obwohl da noch ein heftiger Bruch in der Chronologie zu beheben wäre, glaube ich gerade, aber das wäre mit zwei, drei Sätzen getan.

Dann ist die komische Sprache cooles Stilmittel – und nicht (du wirst mich wieder hassen) Sinn des Ganzen.

aber die Sprache ist auch jetzt nicht alleiniger Sinn des Ganzen.

Mist, ich muss. Feierabend hier im Netzcafé. Werd noch ein bisschen mit den neuen Zigeuner-Prostituierten schäkern. Gottlob der EU-Osterweiterung.

ich liebe euch alle.

Kubus

 
Zuletzt bearbeitet:

...

Aber du wollest hiermit was ganz anderes, nehme ich mal an.

ich wollt' halt ne Geschichte schreiben und wissen, was die verehrte Leserschaft sich dazu denkt.

danke also für die Gedanken - und deinen radikalen Kürzungsvorschlag finde ich vor allem interessant, zu sehen, dass das so auch geht.
wobei Geschichten für mich nicht den kürzesten Weg zwischen Anfang und Ende nehmen müssen, nicht alles zwischendurch muss eine Funktion haben, und mein maues Ende passt mir eher zum Geist der Geschichte, statt eines geilen Finales, das zu schreiben ich mir durchaus zutraue.
ist dir schon mal aufgefallen, wie ähnlich sich die meisten Geschichten hier sind?

mach's gut, JuJu, bis die Tage.

Hey Friedrichard,

dass mir die gemeinsame Namensnennung nix ausmacht, sondern von mir eher als Ehre empfunden wird.

verstanden, nachvollzogen und abgenickt. das gefällt mir.
jedenfalls, falls das hier wen interessiert: ihr wart mir in der Figurenerfindung nicht Vorbild. ich habe Karl nach meinem Ebenbilde geschaffen, also nach einer meiner Vielheiten, aus einer imaginären Rippe.
wen das nicht interessiert, der hat das jetzt trotzdem gelesen. :-P

und Müßiggang ist in Kunst und Wissenschaft wichtig

das muss ich einfach mal quoten.

dass Judas seinen „besten“ Freund verraten musste, dass das Schicksal sich erfülle, was bei der Barfrau, die auch ihre Silberlinge nimmt – wenn auch für vermeintliche andere Dienste – deutlich wird: Da ist einer (Karl) auf Carlitos way um im Weh zuzufügen. So also trägt das engl.-deutsche Wortspiel schon die Lösung in sich.

die farbige Barfrau als moderner Judas, mein lieber Karl als rücksichtsloser Vertreter eines machtbewussten Imperiums, hier repräsentiert durch einen Rat der Mächtigen, die des Karls Rückkehr erwarten. Der wegen seiner Freundlichkeit dem erteilten Auftrag widerstrebt, einen (eventuell wiedergeborenen) Erlöser zu töten, bevor der erweckt (und innerlich, also seelisch gereinigt) wird und seine Heils-Botschaft verbreiten kann. Denn auch wenn es sich um die Lehre einer reinen Seele handelte, wären die Folgen Unruhen, Hader und Probleme schrecklichen Ausmaßes. Schlicht, weil die verkrusteten Strukturen des Imperiums nicht flexibel genug wären, sich anzupassen an die neue Morgenröte. Und um diese Katastrophe zu vermeiden, die einträte, wenn man das Imperium bräche, zwingt sich Karl ...

ja, schöner Ansatz. :)

Ersehn ich ein Wasser Europas, wär’s die Pfütze
Schwarz wie kalt, wenn im dampfenden Licht der Dämmerung
Ein Kind sich voller Trostlosigkeit niederhockt zu
Einem Schiff, zart gefaltet wie'n Schmetterling im Mai.

Grüße,
Kubus

PS: Gerne zusammenfügen. ich bin gestern nicht mehr fertig geworden. danke.

 

Klar, interessiert es

ihr wart mir in der Figurenerfindung nicht Vorbild. ich habe Karl nach meinem Ebenbilde geschaffen, also nach einer meiner Vielheiten, aus einer imaginären Rippe.

lieber Kubus,

denn zu einer meiner ersten Geschichten (damals konnte es sogar vorkommen, dass trotz aller Sperrigkeit und allen Sträubens wider Belobigungen, eine Empfehlung ausgesprochen wurde, die mich dann auch tatsächlich erfreut hat) hier vor Ort (eigentlich zuvor in der Literaturwerkstatt Lingen) hab ich gegenüber Quinn behauptet, eigentlich nur eine einzige Geschichte zu erzählen, und so ist es geblieben. Es ist unterm Einfluss Jean Pauls eine "konjektural Biografie" zu nennen - wie man sich (s)ein Leben vorstellen könnte. Und so oder doch ähnlich sieht's bei Dir aus.

Schreiben wir also unsere (ge-/erwünschten Auto-)Biografien!

Gruß & schönen Restfeiertag wünscht der

Friedel

 

Hallo Kubus!

Spannung wird hier mit den Mitteln der klassischen Heldenreise erzeugt. Karl, ausgestattet mit dem Auftrag jemanden zu finden, taucht in einen anderen Kulturkreis ein und muss sich dort behaupten. Ausgestattet ist er mit einer ultimativen Waffe, den Silberlingen. Damit, und mit einer gehörigen Portion Geduld, sowie ein wenig Einfühlungsvermögen, meistert er alle Hürden. Für meinen Geschmack gelingt ihm das allerdings etwas zu problemlos. Der Held hat keine Achilles-Ferse, die Figuren der Halbwelt erliegen seinen Waffen schutzlos. So bleibt die Handlungsspannung auf einem niedrigen Niveau.

Handlungsspannung kann immer dort entstehen, wo die Handlung fortschreitet, also längs zur Zeitachse. Daher nenne ich diesen Spannungsbogen (es kann, bzw. sollte mehrere davon geben) gerne den „lokalen Spannungsbogen“.

Trotz fehlender Handlungsspannung langweilt mich der Text nicht. Dafür gibt es mehrere Gründe.
Zunächst
ist der lokale Spannungsbogen nicht alles. Er ist zwar ein äußerst beliebtes, aber eher triviales Mittel, den Leser bei der Stange zu halten. Wesentlich wichtiger für eine interessante Geschichte ist ein anders gearteter Spannungsbogen: der „globale Spannungsbogen“. Er verläuft quer zur Zeitachse. Er ist also immer präsent, und er verkörpert den Gegensatz zweier Systeme (Gut und Böse; Reich und Arm usw.).
In dieser Geschichte sind es zwei unterschiedliche soziale Schichten, die mittels der Figuren miteinander ringen.

Dann ist im Text noch
das klassische Element der Detektivgeschichte zu finden: Das Rätsel. Die Geschichte beginnt mit einem Informationsdefizit. Dieses wird sehr lange aufrecht gehalten. Das macht mich neugierig, zumal dieses Rätsel – und das ist das Seltsame oder vielleicht Experimentelle an der Geschichte – irgendwie zweischichtig ist. Zum Einen fehlt dem Karl Information (Er weiß nicht, wo genau sich der Gesuchte befindet), zum Anderen fehlt dem Leser zusätzlich die Information, was Karl überhaupt sucht oder wissen will und warum.

Im Grunde eine sehr unbefriedigende Konstellation, die geeignet ist, den Text zu schreddern. Es gibt aber zwei Dinge, die mich daran hindern.
Erstens: Der globale Spannungsbogen erfüllt seine Aufgabe, das heißt, er macht das, was Handlungsspannung nur selten leisten kann, er trägt die Geschichte.
Zweitens: Die ausgeprägte Entropie. Der Leser wird mit immer mehr Informationen gefüttert, die er nicht recht einordnen kann (zweischichtiges Rätsel) und daher allesamt für wichtig hält. Das Hirn wird beschäftigt, und hat so kaum Gelegenheit abzuschweifen.

Über das Stichwort Entropie komme ich auf den letzten Abschnitt und dem Ende der Geschichte. In der Regel sollte dort etwas Wundersames geschehen, nämlich die Umkehrung der Entropie.
Im Hauptteil haben wir stetig zunehmendes Chaos. Es gibt Geschichten, die entlassen den Leser ins Chaos. Es gibt allerdings wenige Leser, denen es gefällt, nach der Lektüre Stunden, Tage, Wochen über den Text zu sinnieren, um am Ende doch die Oma anzurufen, die ja bekanntlich immer Rat weiß und wahrscheinlich sagt: „Lies halt was Anständiges!“

Nun die Frage: Was könnte die Oma mit einer „anständigen“ Geschichte meinen? Ich vermute, sie meint einen Text, der dem Leser ein erlösendes Ende (Entspannung mittels Auflösung des globalen Spannungsbogens und Entropieverminderung) bietet.

Dieses Ende erreicht der vorliegende Text nicht. Jedenfalls nicht nach meinem Verständnis.
Schaue ich auf den globalen Spannungsbogen – dessen gegensätzliche Pole die zwei unterschiedlichen sozialen Schichten bilden – dann besteht diese Spannung über das Ende der Geschichte hinaus. Karl hat zwar ein Etappensieg erreicht, indem er den Gesuchten irgendwo gefunden hat, aber die Vorgabe lautet ja: nicht mit leeren Händen zurückzukehren.
Um das zu erreichen, muss er die globale Spannung auflösen, und das geht nur, indem er die letzte Prüfung meistert, indem er Carlito zu irgendeiner Kooperation bewegt, indem er die gegensätzlichen Pole zusammenfügt.
Bleibt dieser letzte Schritt aus, ist die Geschichte nicht abgeschlossen. Der Leser stirbt eher an Alterschwäche, als das er auf die Lösung und damit zu Erlösung kommt. Da hilft es auch nicht, dass die minimale Handlungsspannung, Karls Suche nach Carlito, am Ende gelöst wird. Dieser Aspekt ist lediglich das Motiv, nicht das Thema dieser Geschichte.

Die Kurzform: Ein Text, der mich fesselt, aber mit der letzten Zeile unbefriedigt zurück lässt.

Lieben Gruß

Asterix

 

Guten Abend Asterix,

was für eine interessante Analyse, die hat den Weg des Karl in meinen Augen deutlich aufgewertet. ich kann gar nicht viel beifügen, was du geschrieben hast, klingt einfach sehr überzeugend und hat mich sogar dazu gebracht, die Geschichte ein weiteres Mal zu lesen, mit diesen neuen Informationen. das mache ich normalerweise nicht, ist ja eher langweilig, aber so, mit diesen neuen Vorzeichen, war es das nicht. da ist jetzt schon Lust, ein befriedigendes Ende zu erschaffen, mit dem die Omi zufrieden sein könnte. mal sehen, ob hier organisches Wachstum möglich ist, ab August hätte ich Zeit dafür, die Geschichte zu überarbeiten / zu erweitern. falls nicht, kann ich auf jeden Fall sagen, dass ich deine Ausführungen mit großem Interesse gelesen habe. diese beiden verschiedenen Spannungsbögen waren mir vollkommen neu - Neuigkeiten werden ja an sich schon freudig registriert, aber besonders natürlich, wenn ich etwas über meine Geschichte lernen kann! ich danke also herzlich für deinen Kommentar, von dem sicher einiges hängenbleiben wird für eine zweite Version, oder für eine andere Geschichte.

Lieber Gruß,
Kubus

 

Guten Tag, werte Kommentatoren,

die Geschichte ist jetzt überarbeitet und obwohl der Originaltext, der jetzt zweiter Teil ist, ordentlich gerafft ist, hat die Geschichte insgesamt, durch einen neuen ersten Teil, an Umfang zugenommen.
Das sogenannte flaue Ende wollte ich nicht so stehen lassen, zurecht wurde bemängelt, dass man sich als Leser von diesem Schluss verschaukelt fühlen kann, weil der alles offen lässt.
Der sollte weiterhin offen sein, weil das eben für mich das Wesen der Geschichte ausmacht, aber dafür gibt es eben die Vorgeschichte, die die seltsame Suche des Karls in einen nachvollziehbaren Kontext stellen soll. Dabei hoffe ich, nicht zu viel erklärt zu haben, um das Geheimnis und damit einen Teil der Lesemotivation erhalten zu haben. Weiterhin steht die Sprache mit der eigentlichen Handlung im Vordergrund, bei dem Thema finde ich das passend.
Ich habe einige Eurer Anmerkungen übernommen und bedanke mich für die Ideen.

Viele Grüße
Old Kubus

 

Ein elegant gekleideter Mann mit etwas, das nennt er den "Schrumpfkopf eines Hochbetagten" auf den Schultern./ Eine Formulierung, die "das müde und traurige Lächeln eines Mannes im Spätherbst seines Lebens" hervorlockt
, was ich nicht sein kann: weder elegant noch hochbetagt, schon gar nicht in diesem Indian Summer! Das beruhigt … Ungemein. Und doch beginne ich von hinten! Da heißt es in einer abschließenden Anmerkung:
Zweite Version. Esel, von hinten aufgezäumt,
also lese ich folgerichtig - Esel = lesE – vom Ende her,

old boy,
Dear Kubus,

und frage mich als erstes nach der Bedeutung des Verbes „glauchen“. Es erinnert mich an Übersetzungen im Werk des Mathematikers Charles Lutwidge Dodgson, weniger an sein bekanntestes, als an sein dichterisches Werk – immerhin ein entfernter Zeitgenosse der Franzmänner Baudelaire und Rimbaud. Reiner Zufall, wenn auch eher Flüchtigkeit am Ende eines langen Textes

Die umstehenden Personen stellen ihre Bierflaschen zu Boden und klatschen. Karl lächelt gerührt und lüpft den Hut mit einer Anmut wie zu seinen besten Zeiten. Ja, denkt er, das glauche ich auch.

Keine bange, ich halt den Carlito so wenig für nonsense wie die Gedichte des Lewis Carroll, aber könnte es einen schöneren Einstieg geben in eine mühselige und anstrengende Arbeit - für den Autor wie den Leser, vielleicht auch für den/die Hörer, wiewohl es flüchtiger zu hören als zu lesen wäre – der freilich gar nicht alles mitbekommen wird, wie die harmlos wirkenden „Biers“ weniger im Genitiv als Pluralbildung:
Nach einer Weile trifft er jemanden am Hauptbahnhof, der aussieht, als könnte er etwas wissen, und gibt ihm etliche Biers aus.
Da dachte ich, nun übertreibt er’s mit Slang oder Denglishem und Boulevard, als wüsste er nicht, was biers bedeuten:
„(Toten-)Bahren“
verrät das Wörterbuch und diese verkappte Bot- wie Bittschaft direkt zu Anfang der Geschichte, wenn es denn nicht wie am Ende ein schöner Lapsus wäre, dem ich freilich noch einen eigenen Lapsus hinzufügen muss (als gäb’s nix zu lachen in der erzählten Welt, womit wir indirekt wieder beim Mathematiker landen): Ich fühlte mich geschmeichelt, dass nach meiner vor drei oder vier Monaten gefällten Bemerkung übers uneigentliche Integral nun der folgende Satz auftaucht
'Uneigentliche Sprachfigur', denkt Karl, der den F. durch die Variable ersetzt
und das F. auf mich bezog.

Ja, auch Schlaumeier und Klugscheißer haben schon mal Dünnfiffi. Ich hätte ZUERST noch einmal die alte Fassung lesen sollen und lass nun jedermann, der meinen Beitrag hier lesen wird, den realen Bezug suchen, denn zum Nacherzählen, gar plappern, bin ich wenig geeignet.

Gelegentlich habe ich das Gefühl, dass der Text keines Kommentars bedarf, kommentiert er sich gelegentlich selber, wenn etwa gefragt wird, ob dieses oder jenes nicht Zitat sei.

So wird die Lyrik auf Taschenspielertricks reduziert, dachte er mal, die täten alles, um Inuit Eis und Schnee zu verkaufen, billige Slogans für chillige Hogans, mehr sinnvoll wie Dada: ein Dodo, ja, aber insgesamt? tendenziell unseriös, hohle Versbrechungen für Menschen, in deren Bedürfnisse Karl sich nicht mehr hinein zu versetzen traut
Was mit W. Echten belohnt werde!, und - sieh an, sieh an ... - auf Boulevardniveau absinke.

Welche Lehre ziehe ich daraus? Das Verbrechen bedient sich der Mikroökonomie, argumentiert betriebswirtschaftlich (wie ja auch die Deutschland AG). BWL und somit das ökonomische Prinzip bis hin zum blödsinnigen Mini-Max-Prinzi (das beste [maximal(st)e] Ergebnis/Gewinn mit geringsten [minmal(st)en] Mitteln zu erreichen) regieren eh die Welt bis hin zur Volksrepublik, nicht nur die ach so freie Hansestadt mit Ausläufern in den Text hinein. Doch halt! Kennstu die Aküspra?
Wahrlich ein schönes, klangvolles Wort, doch voll entfaltet ein Monstrum! "Abkürzungssprache", modern und erzwungen bei max. 140 Zeichen für einen vollwertigen Brief per SMS, hier beginnend mit einem

Vllt nur Scheiße …
(was ich unglaublich fände) und fortgesetzt im
(z. B. wäre auch eine schöne Alternative),
mttlw / aka.
Man mag mir verzeihn, wenn ich das eine oder andere Kürzel nicht nenne!

Bissken Futter für die Kleinkrämerseele!, beginnend mit der Zeichensetzung ohne Kommentar:

Nicht[,] dass seine Konzentration darunter gelitten hätte: …

Wir haben dem rhetorischen Nebelwerfer auch keine Pause gegönnt, denkt er, doch wir wussten[,] was wir taten, und wir wussten auch, wann Schluss ist.

Karl warf jahrelang bei jedem Besuch einen neugierigen Blick auf das große[,] schwere Buch, das auf dem Stehpult liegt.

MODUS!!

Es ist nicht so, dass da nur Falten und Furchen sind, wenn er sich ins Gesicht sieht.
Was spräche hier gegen den Konjunktiv?
Es ist nicht so, dass da nur Falten und Furchen [wären], wenn er sich ins Gesicht sieht.
So auch hier
…, fragten die bisweilen, ob dieser oder jener Satz ein Zitat war.
Bitte, bitte, liebes Kerle von Kalle, wat hasse gegen’en Konjunktief, wenn d’e Konjunktur und somit ’et Jeschäft wackelt wie’n Pudding? Et jeht doch!, sieh da
Lutscht konzentriert und hingebungsvoll, als wäre es eine Mission,
wenn auch die vorher’je Werbung nich’ so schön is’. Muss dat sein?

Und hier wird’s gar zum Gemischtwarenladen aus Indika- und Konjunktiv

Einige stellten sich irgendwann die Fragen, ob das noch tapfer war oder bereits masochistische Züge trug, ob man es mal mit Inseraten versuchen sollte oder mit käuflichem Sex.
Ginge doch einheitlich und nicht des Reimes wegen;
Einige stellten sich irgendwann die Fragen, ob das noch tapfer [wäre] oder bereits masochistische Züge [trüge], ob man es mal mit Inseraten versuchen sollte oder mit käuflichem Sex.

Vergleich alt/neu, wie hier

"Biatch, bestell was, oder – räume diesen Platz!"
Da fährt ein herber Schreck in seine Glieder nieder! War da nicht die alte Fassung volksnäher?
"Komm schon, Alterchen. Bestell was oder verpiss dich"

Oder vordem
Jemandem am Hauptbahnhof, der aussah, als könnte er so was wissen, hatte Karl etliche Bier ausgegeben.
klingt jetzt
Von diesem Erfolg beflügelt gelingt Karl die komplizierte Operation, seine Sätze auf Boulevard-Niveau rückzubauen.
Das will mir der Kernsatz dieses Stils sein (s. o.), wobei verschwiegen die Bedeutung des Namens Karl aufleuchtet: Sollte Kubus, der Würfel, sein wie Karl, (2. Hälfte des 8. Jh. ahd.: kar[a]l, nhd.: Mann, Ehemann, Gatte, Geliebter, Liebhaber, Herr, während es im vorherigen im germanistisch rekonstruierten Jargon karila[z] auch noch den Greis und Kerl bezeichnete), kurz: alles was ein Glied trug.
Ja, denkt Karl, als wären wir zwei die letzten Übellebenden einer vergessenen Welt, …
Schönes Wortspiel wider alle Hör- & Lesegewohnheit …

Und ein misslungener Dreher

Burger-King-Nutte interpretiert Lächeln typischerweise als dringliches Bedrüfnis nach …

Ein altes Problem, so alt wie neu
Karl schlürft Kaffe … -
Die Schreibweise mit dem einsamen e hat sich in vier Monaten noch nicht durchgesetzt … Selbst bei Dir nicht (wenige Zeilen später). Also schließ ich: Flüchtigkeit, nicht Mundart!

Und doch auch Ironie, wie hier ausdrücklich und dem Letzten erkennbar:

Aber er muss seine Ausrufezeichen verlegt haben.
Tastet seine Taschen ab, nichts zu machen. Keines da.
Fragezeichen findet er mehrere Hand voll, aber mit denen will er keine Revolution versuchen

Einen angenehmen Schlusssatz dieses Beitrags find ich mittendrin:
Karl spürt da eine Aversion, auf dem Marktplatz zu stürzen.
Wer nicht? Sind es nicht solche Kleinigkeiten, welche uns zusammenhalten?
In den Blumen des Bösen finden sich einige Stellen, die ihn bezüglich seines Vorhabens bestärken und neugierig machen.

Gruß vom dürstenden

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich befand mich ja in einem Zwiespalt: Einerseits habe ich die Überarbeitung dieser Geschichte und dass ich sie online stellte zu hassen begonnen, weil ich von vornherein unsicher war, was die Qualität angeht und alle, die ich (nach dem Onlinestellen) in der RL mit dem Text behelligt habe, sagten, die [wäre] ... so was wie nicht so toll. bisher einhellig verrissen. ein paar sanftere Naturen enthielten sich des Kommentars.
Am besten alles löschen eigentlich.
Aber das mache ich ja nicht.
Dann dachte ich: hat ja keiner gesehen. Nichts geschehen! möge sie dem Vergessen anheim fallen.
Als ich also diesen Kommentar gesehen habe, da dachte ich noch: Friedrichard, nein!
Aber da war es natürlich schon zu spät.

also lese ich folgerichtig - Esel = lesE – vom Ende her

palindromisch! nein, anagrammatisch! sehr hübsch jedenfalls, darauf muss man erst mal kommen.

und frage mich als erstes nach der Bedeutung des Verbes „glauchen“

die ganze Zeit sich so um besonderes Deutsch auf Hochstelzen bemühen und dann so "glauchen" schreiben

aber könnte es einen schöneren Einstieg geben in eine mühselige und anstrengende Arbeit - für den Autor wie den Leser,

ich bin ja nicht so fit mit Anspielungen - meinst du die Geschichte wäre eine mühselige und anstrengende Arbeit?
so als Verständnisfrage. falls es so ist, will ich noch bemerken, dass ich die nicht gegen den Leser geschrieben habe, oder weil ich es toll finde, Distanz zwischen Geschichte und Leser aufzubauen, sondern weil es so einfach passte in meinem Verständnis: Der Duktus, die Hinundherspringerei, der versch(r)obene Plot, all die Geheimnisse, die keine sind, sondern Taschenspielertricks, die Selbstermächtigung, dass jeder Karikatur seiner selbst ist oder nahe bei, ohne dass sie eigentlich lächerliche Figuren wären - in meiner Anlage.
also ich bin nicht mehr glücklich mit dieser Geschichte, stehe aber dazu, weil sie für mich als Spiegel und Allegorie schon Sinn macht. und falls sie nur anstrengend und mühselig geraten ist, dann ist das kein Drama :D, war aber nicht beabsichtigt.

als wüsste er nicht, was biers bedeuten: (Toten)bahren

als wüsste er nicht.

und diese verkappte Bot- wie Bittschaft direkt zu Anfang der Geschichte, wenn es denn nicht wie am Ende ein schöner Lapsus wäre

ist es in dem Falle nicht. das immerhin war Absicht.

und das F. auf mich bezog.

wer wäre uneigentlicher als F.?

Mini-Max-Prinzi (das beste [maximal(st)e] Ergebnis/Gewinn mit geringsten [minmal(st)en] Mitteln zu erreichen)

ich kenne die beiden als verschiedene Prinzipien: 1. mit geringstmöglichem Budget ein festgelegtes Ziel bspw eine Produktionsmenge zu erreichen oder 2. mit einem bestimmten Budget das maximale Ergebnis zu erzielen. vielleicht hat sich das Prinzip im Laufe der BWL-Evolution einfach aufgespalten? aus dem magischen Viereck ist ja mttlw auch ein Sechseck geworden ...

Aküspra?

find' ich richtig schön. siehst du die Träne in meinem Knopfloch?
weißt du noch, die Vopakül? (Welthilfssprache) mglw sogar in einer Rowohlt-Monografie über Karl Kraus gefunden, da bin ich gerade nicht ganz sicher ... aber! was ich eigentlich sagen will: eigentlich ruft das Zusammentreffen dieser beiden Abkürzungen doch nach einer Herzensgeschichte (in Miniatur). ich schlage vor als Titel:
"Vopakül & Aküspra - eine abgekürzte Sprachromanze"

beginnend mit der Zeichensetzung ohne Kommentar:

zu viel des Guten? seltsame Tendenz gerade, dieser exzessive Einsatz von Hoch- und (Tief)kommas: macht auch seltsamen Eindruck: Jemand meinte zu dieser Geschichte sinngemäß: das kommt dabei raus, wenn Wohlstandsbürger mit guter Schulbildung und behütetem Zuhause total übertrieben von einer Szene schreiben, die sie nicht kennen.
das war neu!
ich werde abspecken, wo abgespeckt werden sollte.

Bitte, bitte, liebes Kerle von Kalle

korrekten Konjunktiv kriegt er spendiert, soweit ich das hinbekomme. Kral hat das verdient.

wenn auch die vorher’je Werbung nich’ so schön is’. Muss dat sein?

nee, nicht unbedingt. ich hätte auch was schmissiges erfinden können.

Ginge doch einheitlich und nicht des Reimes wegen;

streng genommen gehört da der Irrealis hin, ist wohl so.

Da fährt ein herber Schreck in seine Glieder nieder! War da nicht die alte Fassung volksnäher?

auf jeden Fall! ich habe die Sprache noch ein Stück weit in Richtung Sprachspiel verschoben, weil das einfach so gut zu dem Wesen seiner Mission passt. aber die danach zitierten Sätze kann man weniger gut vergleichen, weil es nicht zwei verschiedene Versionen des gleichen sind, sondern zwei verschiedene Sätze, die immer noch beide hier im Text stehen. oder wolltest du allgemein den Stil beider Versionen vergleichen?

Sollte Kubus, der Würfel, sein wie Karl, (2. Hälfte des 8. Jh. ahd.: kar[a]l, nhd.: Mann, Ehemann, Gatte, Geliebter, Liebhaber, Herr, während es im vorherigen im germanistisch rekonstruierten Jargon karila[z] auch noch den Greis und Kerl bezeichnete), kurz: alles was ein Glied trug.

ja, klar. wobei ich den Karl in der zweiten Version schon ein deutliches Stück weiter ins Imaginäre verschoben habe. das Künstliche betont.

Die Schreibweise mit dem einsamen e hat sich in vier Monaten noch nicht durchgesetzt … Selbst bei Dir nicht (wenige Zeilen später). Also schließ ich: Flüchtigkeit, nicht Mundart!

Nee, ich bin zwar Purist, aber trotzdem Genießer. und was genossen werden will, das muss auch anständig benannt werden: also Kaffee und nicht Kaffe, vor einem weiteren Jahresdrittel werde ich zur Tat schreiten und umschreiben.

So, bin spät dran. Angesichts deines Kommentars stahl ich die Schreib-Zeit zwar freudigen Herzens, aber jetzt muss ich endlich los. hier ist sowieso gerade eine Zeit der Freude: Mein Mitbewohner kam gestern aus Moskau zurück.

bis die Tage, keine Frage,
Kubus

 

Ich befand mich ja in einem Zwiespalt:
Was den intelligenten Schreiber auszeichnet,

altes Haus!,

aber hassen braucht man's halt auch nicht. Denn muss man alles lieben? Wer nur glücklich ist, weiß gar nicht, was das ist! Das wäre arg anstrengend und endet bekanntermaßen auf dem Galgenberg (wobei Galgenlieder, ob von Villon oder Morgenstern trotz aller Unterschiedlichkeit, doch heute noch besser als nur gut sind). Die Qualität und vor allem die Idee, alternden Kaerl noch mal spielerisch zu einer gewagten Tat zu bringen, die sich vielleicht zum Totentanz ausspinnen ließe, ist doch auch als Komödchen in Ordnung. Dass man versauern könnte wäre dann nur durch die Kunst, nicht Pausen nach Arbeitszeitrecht, sondern Notwendigkeit einzurichten. Und wer, wenn nicht wir, hätten diese Möglichkeit? Dann bleibt ggfs. (auch ich beherrsch die Aküspra, lan genug Finanz- & Verwaltungsfuzzie gewesen). Manchmal überkommt's selbst einen Borges - den liestu gerade, wie ich sehe, ich hab aber bewusst Präsens beibehalten - mit dem Katzenjammer, Dichten und Kunst überhaupt zu begründen. Kunst, und gelegentlich kommt nicht nur bei Dir sowas durch, bedarf keiner Begründung, wenn der Finanzmarkt und seiner Fuzzies & Ärsche es verlangen. Kunst ist weder markt- noch staatserhaltend. Wenn's soweit ist sind wir alle Marketing-, Propagandaabteilung, was ich nicht erleben will! Du bemerkst, dass ich auch für keinen Markt mehr einen Finger krumm machen werde, solange nicht mal Nullkommazwo Promille der Bevölkerung dem Rest vorschreiben wollen, wie er zu leben habe. Da ist doch

ein paar sanftere Naturen enthielten sich des Kommentars
schon fast eine freundliche Geste oder bloße Trägheit, sich nicht auseinandersetzen zu wollen.

die ganze Zeit sich so um besonderes Deutsch auf Hochstelzen bemühen und dann so "glauchen" schreiben
Gar nich', müssteste doch eigentlich schon gemerkt haben. Manchmal erlieg ich sogar der Liebe zur Mathematik - wie Lewis Carroll und ich wünsche mir eine Urne in Form Humpty Dumptie's ... aber so schnell nun auch wieder nicht.

ich bin ja nicht so fit mit Anspielungen - meinst du die Geschichte wäre eine mühselige und anstrengende Arbeit?
Jain, kann ich da nur antworten. Logisch, dass mehr die Geschichte umgehen werden, als dass sie läsen. Aber da müssen wir eh mit leben, ohne dass wir größeren Schaden nehmen. Distanz ist eh meine Devise. Was bei Dir die Taschenspielertricks sind bei mir die Spiele mit den Wörtern bis hin zum Pidgin, das sich der Leser selbst zurechtlegen mag.
also ich bin nicht mehr glücklich mit dieser Geschichte, stehe aber dazu
, was auch richtig und konsequent ist.

wer wäre uneigentlicher als F.?
Ja, jetzt mit dem wer ...
Zitat:
Mini-Max-Prinzi (das beste [maximal(st)e] Ergebnis/Gewinn mit geringsten [minmal(st)en] Mitteln zu erreichen)
ich kenne die beiden als verschiedene Prinzipien:
ist auch korrekt und lehrbuchmäßig so. Wirklichkeit hat aber die Lehrbücher der Ökonomie immer schon überrollt - bis zum nächsten Kollaps.

find' ich richtig schön. siehst du die Träne in meinem Knopfloch?
Ja, seh ich, wenn ich die Brille abnehm. Wie wär's. wenn wir eine Geschichte
"Vopakül & Aküspra - eine abgekürzte Sprachromanze"
zusammenbastelten? Mancher - außer Katla - würd's für Finnisch halten.

ich werde abspecken, wo abgespeckt werden sollte.
Das klingt wie die Drohung des Gesundheitsamtes ... und der Medienindustrie.

oder wolltest du allgemein den Stil beider Versionen vergleichen?
Jing dat noch? Eher nich', oder?

Nee, ich bin zwar Purist, aber trotzdem Genießer. und was genossen werden will, das muss auch anständig benannt werden:
Darauf trink ich jetzt ein - Vodka, Wasserglas bitt' schön!, bin ich doch nie bis Moskau gekommen (back in the USSR!).

Bis die Tage ohne Frage

Friedel

 

Manchmal überkommt's selbst einen Borges - den liestu gerade, wie ich sehe, ich hab aber bewusst Präsens beibehalten - mit dem Katzenjammer, Dichten und Kunst überhaupt zu begründen. Kunst, und gelegentlich kommt nicht nur bei Dir sowas durch, bedarf keiner Begründung

nein, braucht sie nicht. Trotzdem: Kunst schaffen ist so eitel, wenn man nicht wirklich dringend was zu sagen hat. Das kann einem schon schwer auf die Ketten gehen bisweilen. Aber geht ja immer wieder vorbei, normalerweise wird ja niemand ernsthaft verletzt.

Distanz ist eh meine Devise. Was bei Dir die Taschenspielertricks sind bei mir die Spiele mit den Wörtern bis hin zum Pidgin, das sich der Leser selbst zurechtlegen mag

Sprachspiele sind voll in Ordnung, Taschenspielertricks, Kunststückchen, ja, aber irgendwo, da gab's doch noch mehr.

(Wenn wir) "Vopakül & Aküspra - eine abgekürzte Sprachromanze"
zusammenbastelten? Mancher - außer Katla - würd's für Finnisch halten.

im Auge behalten!

 

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