Mitglied
- Beitritt
- 13.06.2003
- Beiträge
- 6
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 4
Cancel- Zahn findet Orthogenese
In dubio pro reo
Die Worte hingen bleischwer zwischen den indigoblauen Wänden. Mink empfand den Ausspruch als Apophtegma, als Sinnspruch mit samtiger Wirkung. Sein Geist war schwanger, so schwanger wie die Galaxis, in der alles Leben schwamm wie Amöben.
Wie Embryonen, unzählige Embryonen in einer Plazenta, einer riesigen Gebärmutter.
Er durchforstete seine Gedanken, während er vom Weltraum angeschwiegen wurde.
Es waren Grautöne, körnige Daguerreotypien die durch seinen Geist flatterten, wie Photos, die man in einen Ventilator gesteckt hatte. Plötzlich:
Eines der Bilder reifte in ihm heran, schwamm in seine Aufmerksamkeit und drängte sich nach vorne.
Es klärte sich auf, wuchs, wie ein fleischiges Lebewesen während seiner Orthogenese...
Schließlich:
Eine multiple Dejektion, der Geruch von cremiger Scheisse zwischen seinen verschwitzten Schenkeln.
Mink fuhr von einem inneren Drang geleitet herum, Fumarolenartig entlud sich seine Peristaltik in die falsche Richtung.
Halbverdaute Kotze, Essensreste von Nahrungen, an die er sich nicht mehr erinnern konnte. Immer noch gebückt, blickte er auf und bewunderte fast schon sein Werk:
Ein gelbliches Graffiti, gesprenkelt mit dem griffigen Braun von zerkauten Salamis. Es war sein persönlicher Stempeldruck, seine buchstäbliche Extrovertiertheit, die sich selbst darstellte.
Er hatte sein innerstes nach außen gebracht, und sein Werk konnte niemand jemals kopieren.
Plötzlich sah er das Bild wieder, das der wirbelnde Mahlstrom seiner Gedanken hervorgeworfen hatte.
Seine Schläfen pochten kontrapunktisch, während er es betrachtete.
Mit skatologischen Flüchen beschmierte er diejenigen, die ihm all das angetan hatten.
Sein Hass ballte sich kumulativ, agglomerierte sich wie Ameisen und Fliegen um ein Stück totes Fleisch. Der Hass schnürte ihm den Atem ab- die gierenden Finger der Asphyxie legten sich um seinen Hals wie bei einer innigen Umarmung mit dem Tod.
Er wollte diese Arschlöcher umbringen.
In vitro: Das automatisierte Leben. Er war Adam, und die Firma war Gott. Er war Hiob, und er würde sich selbst aus dem Schoss der sorglosen Lebens reißen.
Er starrte die Sterne hinter dem Fenster an, starrte den Augen direkt in ihre bleichen Pupillen.
Milliarden Augen blinzelten durch die Schwärze, und versuchten den Raum zu füllen.
Maschinen kreuzten die samtige Schwärze zwischen diesen Feuerstellen, die Gott hingestellt hatte.
Und bei all dieser Herrlichkeit:
Die unendlichen Abgründe, die zwar zum Stürzen anbieten, dies aber niemals erfüllen.
Eine Füsillade, die man Leben nannte- eine Hinrichtung die man Zeit nannte.
„Moustache“, flüsterte er indächtig.
Die kantigen und festen Klotze perlten von den Sternen ab wie Tränen, und trugen je ein Stück Menschenplanet in sich.
In Utero: Der mütterliche Automaton. Er führt uns ein, in Welten, die wir nicht kennen, und doch sind wir an sie gebunden.
Die Rolle dieser Authorität, ist eine zwiespältige:
Leben spenden, Leben zum Erwachsen bringen.
Leben einführen, in die Dunkelheit- hinein in die Welt- doch niemals hinaus.
Freiheit mit Kette und Kugel.
Mink starrte auf das Emblem, das neben dem Fenster angebracht war, und wußte was zu tun war.
Er mußte erwachsen werden. Er mußte die Orthogenese und den ganzen Scheiss hinter sich bringen.
Die Luke atmete aus, und Ordnung wurde zu saugendem Chaos, bis es eines Tages schließlich wieder physikalische Ordnung werden sollte.
weiches Fleisch warf Blasen, bröckelte ab; trennte sich von seiner Ordnung.
Von der Tyrannei der zellulären Ordnung gelöst, sprudelte und raste sein Körper lustig davon, und gab sich für immer der Freiheit preis.
Das schweigende Nichts akzeptierte dies, und die Augen betrachteten das Schauspiel mit eleganter Gleichgültigkeit.
Er war nun einer von ihnen.