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Camlann - Agravain
Agravain
„Sie nennen ihn den Mann von den Inseln, den getreusten aus dem Norden, als ob es uns nicht auch noch gäbe und wir nicht ebenso Treue geschworen hätten. Was finden sie bloß alle an Gawain?“
Agravain striegelte seinen Hengst mit all der überschüssigen Energie, die er bei den etwas kurzen Kampfübungen am Morgen aufgebaut hatte.
Er war ein großer, hagerer Mann, dunkelhaarig, grauäugig und mit der wettergegerbten ledrigen Haut eines Menschen, der viel Zeit den harschen Winden seiner Heimat ausgesetzt gewesen war. Man würde ihn nicht unbedingt als schön bezeichnen, aber er besaß die Eleganz eines Kriegers und die taktischen Fähigkeiten eines Königs. Er war niemand, der sich in einer Sache besonders auszeichnete, sondern gehörte zu den wenigen Menschen, die alles gleich gut beherrschten.
„Die Frauenherzen fliegen ihm zu. Er kann reden, daß einem ganz schwindelig wird, und alle hören auf ihn, und er erzählt Geschichten wie ein Barde. Er hat alle schönen Talente von unserer Mutter geerbt, und ich schlage mehr nach der Familie meines Vaters.“
Natürlich tat sich Agravain unrecht, aber dadurch, daß sein jüngerer Bruder so außergewöhnlich gut war in den Dingen, die er tat, war es schwer als Vergleich herzuhalten.
Agravain war ein guter Unterhalter. Er besaß eine angenehme Stimme und hatte Witz. Und er gehörte zu der Sorte Männer, die eine Frau zu schätzen weiß, wie edlen, gewürzten Met – süß und herb zugleich. Sein Bruder dagegen war eine Lichtgestalt, einer von denen, die man einfach mögen muß. Das führte dazu, daß viele in ihm eben nur das Spiegelbild ihrer hehren Ideen und Ideale sahen und nicht den wahren Gawain, der hinter dem Lächeln und den Geschichten steckte. Agravain vergaß das manchmal.
„Wenn er wenigstens im reiten und Kämpfen schlechter wäre, aber selbst das beherrscht er, elegant wie immer.“
Es kam nicht auf Eleganz an, das wußte er selbst, aber so einen Bruder zu haben war gewiß nicht immer einfach.
Ich lächelte ihm zu. Ich wußte, sein Ärger hing mehr damit zusammen, daß er heute Morgen von seinem Bruder im Kampf ausgestochen worden war. Und zu allem Überfluß war Gawain dann auch noch von Lyneth angelächelt worden, für die Agravains Herz schlug und für die er alles tun würde. Wenn er sich erst abreagiert hätte, wäre wieder alles wie immer.
„Es wäre einfacher, wenn ich sagen könnte, daß ich ihn hasse. Aber, verdammt, ich liebe Gawain eben, wie man kleine Brüder so liebt.“
Und ich wußte, daß das auf Gegenseitigkeit beruhte.
Sie konnten sich immer aufeinander verlassen. Sie waren wie Schwert und Schild, eine Einheit, die richtig eingesetzt beinahe unschlagbar war; und sie würden ohne mit der Wimper zu zucken für einander sterben.
Ich mochte beide, jeden auf seine Art, weil ich hinter ihre Masken schaute und sah, wie sie wirklich waren, die Söhne Lots und Morgauses. Denn auch wenn Agravain häufig hart und harsch auftrat, wußte ich um seinen weichen Kern. Und die Leidenschaft, die all sein Tun erfüllte, blieb niemandem verborgen. Auch er hatte vieles von seiner Mutter, wenn auch nicht die Fähigkeiten, die er selbst gerne von ihr geerbt hätte.
Er saß zu Recht im rat und sein Urteil war hoch geachtet.
„Vielleicht sollte ich ihm einfach mal wieder zeigen, wer von uns beiden der ältere Bruder ist.“
Seine Verärgerung war einem schelmischen Grinsen gewichen, das sein ganzes Gesicht erstrahlen ließ und ihm mehr das spitzbübische Aussehen eines Jungen gab, denn das harte eines Kriegers, und ihn um Jahre verjüngte.
Wahrscheinlich würde er sich jetzt irgend etwas verrücktes ausdenken, was darin endete, daß sie die beiden ehrenwerten Krieger wie Knappen im Stroh balgten, zur Belustigung des ganzen Hofes und unter den unverständigen bis mißbilligenden Blicken der Mönche und Gäste aus fernen Ländern über dem Meer. Ertappt, wie zwei große Kinder, mit Stroh in den Haaren und schuldbewußtem Blick.
Fröhlich pfeifend zog er von dannen.
Agravain war ein großer Krieger und ein guter Mann.
Wie ein großer Krieger starb er, als er seinen Hochkönig verteidigte gegen die Hand als Aufständische getarnter Verräter.
Es hätte ihm das Herz zerrissen seinen Bruder und die Einigkeit der Stämme sterben zu sehen.
Aber er würde sich herzlich über die Rolle freuen, die die Schreiber Gawain in ihren Erzählungen gegeben haben, obwohl sie ihm nicht gerecht wurden.