- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 6
Café Tanger
Siffig sind die Wände, vergilbt vom Rauch. Achmed steht hinter der Theke, füllt ein Glas mit Schnaps. Benebelt ist Fritz’ Hirn, vom Schnaps, trotzdem bestellt er noch einen.
„Dann ist aber Schluss, Habibi", meint Achmed. Fritz kümmert es nicht. Er hat Krebs, weshalb also Acht geben mit dem Trinken. Es sei doch ohnehin alles egal.
Des Nachts spült die Stadt ihre Gescheiterten in Achmeds Café Tanger. Kaschemme, munkelt man im Viertel, finstre Spelunke. Es sei besser, darum einen Bogen zu machen. Aus Marokko war Achmed fortgegangen, über Frankreich und Italien hierher gekommen. In Marseille wollte er nicht bleiben, in Italien auch nicht. Hier dachte er „Warum nicht?" Dieses Café, zu mehr hatte er nicht die Lust. Immerhin, eine Lebensgrundlage.
Mona sitzt vor ihrem zehnten Bier. Ein wenig verklärt ist ihr Blick. Still träumt sie von einem Mann, den sie nicht wagte anzusprechen. Zurückgewiesen wurde sie schon zu oft. Deshalb zieht sie es vor zu träumen, mit im Bierdunst benebeltem Schädel. In süßem Gift sieht die Welt besser aus. Ein französisches Lied wird gespielt. „Blauer als das Blau deiner Augen". Mona wackelt mit dem Kopf im Takt.
Achmed sieht kurz zu ihr rüber. Sie ist zufrieden, denkt er und widmet sich wieder dem Abzählen der Gläser. Es gehe so viel zu Bruch in letzter Zeit, denkt er sich. Neue Gläser seien zu bestellen.
Das Licht ist schummrig, die Lampenschirme haben braune Ränder, vom Dunst, vom Rauch, von der Ausdünstung. Verstaubte Bilderrahmen, vergilbte Drucke. Mona seufzt. Vor langer Zeit ging es ihr gut. Schließlich begann sie zu rutschen, hinab ging es, schnell ging es. Bestien hatten sie zu reißen versucht. Mona war nie gut im Sich-Wehren. Jetzt sitzt auch sie im Café Tanger.
Fritz grölt nach mehr Schnaps. Achmed zweifelt, schenkt doch noch einen ein. Sänger war er einmal der Fritz, bis der Krebs kam. Nun trinkt er. Alle haben etwas zu erzählen. Deshalb mag Achmed seine Gäste, auch wenn sie oft anschreiben lassen.
Ein Paar Würsteln hat Josef bestellt. Mit Senf und Kren, mehr gibt’s im Café Tanger nicht. Josef war Koch in Mailand, in einem Luxushotel, wo auch Berühmte zu wohnen pflegten. Seine große Zeit. Ständig schwärmt er davon. Seine Rückkunft bereut er ein wenig. Sehr willkommen war er in der Stadt seiner Geburt nicht. Eine Pension aus Italien sichert ihm das Überleben. Klein ist er, fett und sein Haarkranz am Hinterkopf franst fettig in den Nacken aus. In seinem Mundwinkel klebt Senf mit Spänchen des geriebenen Krens. Einen kräftigen Schluck Wein zum Runterspülen.
Auch Lore hat sich mittlerweile eingefunden. Sie strahlt über das ganze, faltige Gesicht. Unter einer schwarzen Perücke über hat über die dünnen, grauen Haare versteckt. Ein abgetakeltes Kleid aus besseren Zeiten, zur Feier des Tages. Ihren Tisch hat sie auch wieder, ein guter Tag. Neue Zähne habe sie bekommen, schreit sie erfreut in die Menge. Lore nimmt ihre Zähne aus dem Mund, hält sie hoch, damit alle sie sehen können. Speichel zieht sich in dünnen Fäden vom Gebiss, tropft auf das rot weiß karierte Tischtuch. Die Kasse zahle das noch. Einen Cognac für alle, um den freudigen Erhalt des neuen Zahnersatzes zu feiern.
Man spricht miteinander. Gehänselt wird. Josef dreht sich zu Mona, prostet ihr mit dem Glas Cognac zu und brüllt sie an.
„Na, träumst wieder von deinem eh scho wissen?"
„Halts Maul", lallt Mona. Hätte sie doch nichts erzählt. Aber wen hat man schon, der einem zuhört. Deshalb geht Mona ins Café Tanger, wie die anderen. Josef hat das letzte Glas Wein nicht gut vertragen. Hinaufgeschossen ist das Viertel sauren Verschnittes in den Kopf, ins Gehirn.
Die Juden und Ausländer seien schuld, schreit er durch die Gaststube, dass es ihm hier so dreckig gehe. Achmed hat genug. Brüllt - „Es reicht!"
„Trottel depperter", lallt Fritz, „was weißt’n du schon." Achmed platzt der Kragen. Josef wird von ihm aus dem Lokal geworfen. Es war nicht das erste Mal und wird nicht das letzte gewesen sein. Josef macht das nur, wenn er zu viel Wein getrunken hat.
Mona hat es nur am Rande wahrgenommen, sie schwebt in ihrer Traumwelt. Es ist fünf Uhr morgens. Sperrstunde. Achmed spendiert Mokka, für jeden. Zum Aufwachen. Die Gäste brechen auf. Achmed sperrt die Tür zu. Am Nachmittag Abrechnung und um acht Uhr aufsperren. Er hat sich eine Flasche Likör mitgenommen.