Café rêve mal
Traber, gegen vierzig, geschieden, zwei Kinder, grundsätzlich glücklich, starker Zigarrenraucher, schütteres Haar, korrekt gekleidet, im Café Rêve sitzend, Zeitung lesend. Wie so oft mussten die Tagesgeschehnisse, die Traber wie jeden Samstag im Café Rêve, das sich in unmittelbarer Nähe seiner Wohnung befindet, seinen abschweifenden Gedanken weichen. Er dachte an früher und daran, wie er in diese, von ihm nicht sonderlich geliebte Vaterrolle geraten konnte. Er liebte seine Kinder, ohne Zweifel, doch hatte er oft das Gefühl nicht der geborene Familienmensch zu sein, was schliesslich darin endete, dass ihn seine Frau Beate mitsamt seinen Kindern verliess. Früher wünschte er sich viel Geld, viel Frauen und ein sorgenfreies Leben. Dafür hatte er jahrelang geschuftet, Akten gewälzt, spätabends, nur um sich schliesslich in der Lage desjenigen wiederzufinden, der für den finanziellen Aufwand aufkommt. Hätte er doch nur diese rassige Argentinierin, die er jeweils bei seinen Geschäftsreisen nach Madrid in ihrem Lokal zu besuchen pflegte, überzeugen können mit ihm in die Schweiz zu kommen. Es wäre alles anders gekommen. Lange hatte er ihr die Vorteile eines Lebens in der Schweiz vor Augen geführt, bis ihn Beate dermassen vereinnahmte, dass selbst Traber keine Kontrolle mehr über sein Leben hatte. Wie konnte er nur ja sagen, am Altar stehend, wissend, dass die Gegenseite sich in diesem Augenblick glücklicher fühlte als er es tat. Immer das gleiche Szenario flutete seine Gedanken, bis er nur noch Wiederholungen von „Darf’s noch was sein?“ vernahm, immer lauter werdend. Es war die Bedienung, die aufgrund ihres Schichtwechsels die letzte Bestellung aufnehmen wollte. „Nichts, danke“, antwortete Traber und bezahlte seinen Kaffee. Er drückte die Zigarre, die er nur zur Hälfte geraucht hatte aus, zog seinen Mantel an, schlug den Kragen hoch, glitt beim Hinausgehen auf einer Eisfläche aus und blieb tot liegen, ohne je Geld, Frauen und ein sorgenloses Leben gehabt zu haben.
© m.j.s.