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Serie Buxxhofen - Ein Dorf geht auf´s Ganze

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29.11.2010
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Buxxhofen - Ein Dorf geht auf´s Ganze

Früher war alles besser. Gestern noch beispielsweise konnte ich mich daran erfreuen, in einem beschaulich-gottverlassenen Nest zu wohnen, in dem die Bürgersteige am späten Nachmittag hochgeklappt werden und in dem an manchen Tagen sogar überlegt wird, ob man sie morgens überhaupt herunterklappen soll. Diese Zeiten sind vorbei.

Zumindest, wenn es nach dem hiesigen Ältestenrat geht, einer Art kollektiver Bürgermeisterei, die offenbar versucht, die angenehme Buxxhofener Abgeschiedenheit und Ruhe zu ersetzen durch Massentourismus und Hektik á la Las Vegas.

So weit, so schlimm. Als wären diese grausigen Aussichten nun aber nicht schon genug des Übels, erreichte mich nun gestern auch noch das Ersuchen (oder sollte ich schreiben: der Befehl?) des Ältestenrates, einen mir zuzumutenden Beitrag für die geplante Buxxhofener Imagekampagne zu leisten.

Und dabei hätte ich vorgewarnt sein müssen… Ich sass am Küchenfenster und ärgerte die Spatzen auf dem Fensterbrett, als aus Richtung Wisch-Markt ein kleiner zappeliger Punkt auf der Schäfer-Jonathan-Strasse auftauchte, der scheinbar planlos von links nach rechts und zurück über die Strasse sprang, hier und da kurz verweilte und sich schliesslich, als er grösser wurde, als Frau Wisch entpuppte, die offensichtlich jedem, der nicht rechtzeitig in seinem Häuschen verschwand, etwas über den Vorgartenzaun hinweg zuzurufen hatte. Am Holetschka-Turm angelangt stoppte sie, reckte ihr kleines Näschen nach oben und kreischte los:

„He?! Sind Sie zu Hause?“

Hinter der Gardine wartete ich kurz ab, ob sich Herr Bittermann aus dem ersten Stock oder wenigstens die Ungarn von Parterre angesprochen fühlen würden. Da dies jedoch nicht geschah, steckte ich unklugerweise den Kopf aus dem Fenster und rief zurück:

„Wer? Ich?“

„Ja, Sie!“ kreischte Frau Wisch zurück. „Sind Sie zu Hause, Herr Thomas? Ich hätte etwas Wichtiges mit Ihnen zu bereden.“

„Eigentlich bin ich gerade sehr beschäftigt. Heute passt es schlecht. Wie wär´s im Frühjahr?“

„Kein Problem.“ gab Frau Wisch einsichtig zurück und fuhr fort: „Ich komm dann mal hoch!“

Sie stapfte die Treppen hörbar fluchend nach oben, wartete erst gar nicht ab, bis ich die Wohnungstür öffnete, sondern bat sich gleich selbst herein, um sich augenblicklich in meinen Fernsehsessel fallen zu lassen und dort nach Luft zu ringen:

„Wer hat sich bloss einfallen lassen, so weit nach oben zu bauen? Wenn Gott gewollt hätte, dass wir so hoch über dem Erdboden wohnen, dann hätte er unsere Vorfahren nicht in eine Schlucht plumpsen lassen. Die Geschichte vom Schluchtensturz kennen Sie doch wohl inzwischen, Herr Thomas? Ich meine, so lange wohnen Sie ja noch nicht bei uns.“

„Natürlich.“ entgegnete ich. „Da kommt man ja nicht drum herum, wenn man erst mal hier in Buxxhofen wohnt. Es wird einem ja auch bei jeder Gelegenheit…“

„Schweifen Sie nicht ab, Herr Thomas!“ massregelte mich die ältere Dame. „Deswegen bin ich nicht in den zweiten Stock gekrochen. Bleiben wir beim Thema. Sie schreiben doch mit Ihrem Computer immer solche Sachen… ?“

„Sie meinen Artikel für Zeitungen?“

„Ja. Und für andere Leute den Lebenslauf, nicht wahr?“

„Sie meinen Memoiren. Als Ghostwri…“

„Jaja, und so weiter.“ unterbrach sie mich erneut, um mich nun beinahe verführerisch anzublinzeln: „Da haben Sie doch bestimmt Lust, auch mal etwas Vernünftiges zu schreiben!?“

Ich wich ihrem Blinzelblick aus, als gelte es, ein Geschenk abzulehnen, von dem man zwar nicht weiss, worum es sich handelt, dass man aber unter keinen Umständen annehmen möchte, weil man den verqueren Geschmack des Schenkers kennt. Da Frau Wisch nun aber in meinem Fernsehsessel sass und sie sich dort ganz sicher auch nicht wieder weg bewegte, ohne das zu bekommen, was sie wollte, ergab ich mich in mein Schicksal:

„Was sollte das sein?“ fragte ich also. Frau Wisch hob beide Hände, als wolle sie etwas heraufbeschwören oder lobpreisen oder auch beides gleichzeitig und säuselte los:

„Etwas Schönes. Etwas Wunderbares. Etwas, das die Leute in seinen Bann zieht und ihnen das Gefühl gibt, über etwas zu lesen, dass sie danach unbedingt mit eigenen Augen sehen wollen! Schreiben Sie etwas über Buxxhofen!“

„Etwas Schönes über Buxxhofen?“ erwiderte ich überrascht und hoffte, Frau Wisch würde die Widersprüchlichkeit ihres Anliegens von selbst erkennen. Weit gefehlt. Sie nickte mir begeistert zu.

„Genau!“ jubilierte sie und schlug vor Freude in die noch erhobenen Hände. „Sie wissen doch, dass wir seit einiger Zeit daran arbeiten, Buxxhofen für den Tourismus interessant zu machen. Die Buxxhofener Feuerwerkswoche war dafür ein eher mässiger Auftakt, zugegeben. Die Dorfkirche liegt in Trümmern und der finanzielle Gewinn tendiert deswegen hochgeschätzt auf ein riessengrosses Minus. Aber denken Sie doch mal darüber nach, was eine wirklich gross angelegte Werbekampagne dem Dorf an Profit bringen wird! Wir könnten Sankt Hilltrut wieder aufbauen und darüber hinaus unsere baufälligen Häuser mit einem stabilisierenden Aussenanstrich versehen und vielleicht sogar die ein oder andere Strasse asphaltieren! Und überlegen Sie ausserdem, Herr Thomas, wie viele von den Touristen in meinem Supermarkt-Center einkaufen würden! Ach, das wird herrlich! Wir werden alle im Geld schwimmen! Wann genau können wir also mit ihrem ersten Artikel rechnen? Morgen?“

„Äh, nun ja…“ begann ich, mich herauszuwinden. „Also ich versteh aber noch nicht ganz, wie das eigentlich funktionieren soll. Ich soll also extrem beschönigende Artikel über Buxxhofen in verschiedenen Zeitungen…“

„Zeitungen?“ fuhr mir Frau Wisch echauffiert ins Wort. „Werden Sie erwachsen, Herr Thomas! Zeitungen sind etwas für regional orientierte Kleingeister! Zeitungen waren gestern, die Zeitung von heute heisst Internet! Der kleine Moritz Vorderfeld bastelt gerade eine Webseite für Buxxhofen zurecht und er hat mir erklärt, da können die theoretisch auch am Amazonas meine Werbung fürs Supermarkt-Center lesen. Und wenn die Amazonen erst einmal wissen, dass es bei mir jeden Morgen frische Brötchen zu kaufen gibt, da organisieren die doch gleich eine ganze Kaffeefahrt nach Buxxhofen! Ich muss mir natürlich noch Gedanken machen, wo man die vielen Busse parken soll. Da findet sich aber bestimmt ein Plätzchen. Also, Herr Thomas, was halten Sie davon und wann können wir nun endlich mit ihrem ersten Knaller-Artikel fürs Internet rechnen? Heute noch?“

„Heute ist ja schon fast vorbei…“ wand ich mich mit Blick auf die Uhr.

„Sie haben vollkommen Recht. Morgen ist auch in Ordnung.“ entschied Frau Wisch grosszügig, hievte sich aus meinem Sessel und machte sich auf den Weg nach unten. Vorher sah sie mich noch einmal scharf an und züngelte vielsagend:

„Herr Thomas, Sie erinnern sich doch sicherlich, dass Ihr Bleiberecht in Buxxhofen nur bis auf Widerruf gilt? Wir dulden hier nämlich keine Nestbeschmutzer, das ist Ihnen hoffentlich klar. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie verstanden haben, was Ihr Dorf von Ihnen erwartet… Fragen Sie nicht, was Ihr Dorf für Sie tun kann, fragen Sie, was Sie für Ihr Dorf tun können! Sie haben verstanden, ooooder?“

Hatte ich und deshalb nickte ich untertänigst. Welches Hirngespinst mich ritt, als ich Frau Wisch dennoch die Frage hinterherrief, ob ich dafür eigentlich bezahlt werde, kann ich nicht mehr sagen. Immerhin bekam ich eine Antwort:
„Vergelt´s Gott!“

Und nun sitze ich hier, in der Zwickmühle also, fühle mich überrumpelt und bin absolut ratlos. Preise ich Buxxhofen in der Art und Weise an, die mir von Frau Wisch vorgegeben wurde, dann arbeite ich aktiv daran mit, die mir so genehme Verschlafenheit des Dorfes in dieser herrlichen Jakobsschlucht zu zerstören. Tu ich es nicht, flieg ich vermutlich raus. Schwere Entscheidung.
Dazu kommt, dass ich keine Ahnung habe, worüber ich meinen ersten Artikel schreiben soll. Vielleicht nehme ich für den Anfang den hier.

 

Hallo & herzlich willkommen hierorts,

lieber tsabi,

ob dieser kleine Text eine Satire wär, bezweifle ich eher. Die Begründung ist – warum dürfte sie’s bei einer Satire auch nicht? Satire darf schließlich alles! – seltsam: da ist Witz drin, aber zum teil so alte als mein Bart lang ist – oder anders gesagt: Frau Wisch trägt ihr Gebiss nicht an der angemessenen Stelle. Aber ein alter Witz ist darum immer noch ein Witz – ob mit oder ohne Zähne, ob mit oder ohne Bart - und die Generationen von Lesern/Hörern wachsen ja auch nach. M. E. ists eher eine Humoreske, freilich mit wenigen Stärken und umso mehr Schwächen. Das entscheidende ist, dass der Text von grammatischen Fehlern wimmelt, obwohl der Icherzähler angeblich der schreibenden Zunft angehört (ich zitier:)

„ … Sie schreiben doch mit Ihrem Computer immer solche Sachen… ?“ / „Sie meinen Artikel für Zeitungen?“ / „Ja. Und für andere Leute den Lebenslauf, nicht wahr?“ / „Sie meinen Memoiren. Als Ghostwri…“
Zu diesen Schnitzern gesellen sich überflüssige Formulierungen. Nehmen wir den ersten Absatz:

Früher war alles besser.
Ja, so sagt man gelegentlich und darum ist’s bei Gott kein schlechter Einstieg!

Gestern noch beispielsweise …
Warum dieses überflüssige Konstrukt „beispielsweise“? Merkt es nicht der Leser von ganz allein, dass da ein Beispiel aufgeführt wird?

… konnte ich mich daran erfreuen, in einem beschaulich-gottverlassenen Nest …
Warum dieses verdoppelte und zudem per Bindestrich zusammengezogene Attribut? Sind das eineiige Zwillinge, dass das eine nicht ohne das andere könnte?
Beschaulich eine Steigerung, vermutlich der Superlativ von gottverlassen? Am gottverlassesten sind Nester, die von ihren Bewohnern verlassen worden sind. Tote Orte. Ruinenstädte. Dagegen ist Nekropolis ein lebendiger Ort. Der Ort ist deshalb beschaulich, weil er gottverlassen, d. h. ohne Fremde ist – Du verrätst es doch nachher … Eins reicht m. E. bereits: entweder beschaulich oder gottverlassen (da setzte man aber Gott mit Fremden gleich, obwohl er doch immer der Stammesgott ist). Wenn denn beide unbedingt D. E. sein müssten, dann doch mit Konjunktion „beschaulich und gottverlassen“.

… zu wohnen, in dem die Bürgersteige am späten Nachmittag hochgeklappt werden
Was auch in Großstädten geschieht, also gar kein besonderes Merkmal des Nestes wäre …

… und in dem an manchen Tagen sogar überlegt wird, ob man sie morgens überhaupt herunterklappen soll.
Das freilich wäre ein besonderes Merkmal, würde es denn gelegentlich realisiert.

Diese Zeiten sind vorbei.
Schließt den einleitenden Absatz kongenial ab, wie der erste Satz einschlägt.
Usw. usf.

Die Kleinkrämerseele sucht zu den genannten kategorien jeweils ein, max. zwo Beispiele heraus:

Konjunktiv

Zumindest, wenn es nach dem hiesigen Ältestenrat geht, …
Besser Konjunktiv „ … Ältestenrat ginge, …“

Hinter der Gardine wartete ich kurz ab, ob sich Herr Bittermann aus dem ersten Stock oder wenigstens die Ungarn von Parterre angesprochen fühlen würden.
Hier ist die würde-Konstruktion überflüssig: „ … angesprochen fühlten.“

Wörtl. Rede (K7 bis K 10, Duden Bd. 1)

„Ja, Sie!“KOMMA kreischte Frau Wisch zurück.

„Kein Problem.“ gab Frau Wisch einsichtig …
Dafür hier am Ende des Aussagesatzes vor den auslaufenden Anführungszeichen weg mit dem Punkt, stattdessen hinter diesen Gänsefüßchen ein Komma. (Anders bei Frage- / Ausrufesatz – siehe zuvor!)

Flüchtigkeit (unterstell ich mal so)

Etwas, das die Leute in seinen Bann zieht und ihnen das Gefühl gibt, über etwas zu lesen, dass sie danach unbedingt mit eigenen Augen sehen wollen!
Dem dass kann ein s beurlaubt werden.

riessengrosses
Dto, dem Riesen

Starke & schwache Beugung

„Heute ist ja schon fast vorbei…“KOMMA wand ich mich mit Blick auf die Uhr.
Neben dem notorisch auftretenden, weil eben bei Dir nicht auftretenden Komma, ist das Verb „wenden“ fehlerbehaftet, kann es doch stark und schwach gebeugt werden. (ich wandte / ich wendete), wobei die starke Beugung öfter verwendet wird, dann aber mit „dt“ endete. Also: „’Heute ist ja schon fast vorbei…’KOMMA wandt’ ich mich mit Blick auf die Uhr.“

Gruß

Friedel

 

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