Buxxhofen:1, Winterschlaf:0
Gestern, Mitte November und kurz vor 17 Uhr, zu einer Zeit also, zu der ich mich für gewöhnlich in den Winterschlaf begebe, ertönte ein lästiges Klopfen an meiner Wohnungstür, welches sich im Laufe der Minuten zu einem bedrohlichen Donnern steigerte und auch nach längerem Warten nicht von allein abzustellen gedachte. Selbst auf mein gefährliches Hundegebell hin reagierte es nur böse und mit noch höherer Intensität, was mich schließlich und endlich dazu veranlasste, den Schlüssel zu suchen, mich genervt zur Tür zu begeben, sie mit dem Schlüssel noch ein drittes Mal zu verriegeln und ein „Mieter verreist!“-Schild unten durchzuschieben. Das Klopfen aber war zu blöde zum Lesen, es donnerte unbeeindruckt weiter.
Als es sich kurz darauf überraschend auch noch an meinem Küchenfenster vernehmen ließ, beschloss ich verärgert, einen vorsichtigen Blick aus selbigem zu wagen. Leider nur, um noch verärgerter feststellen zu müssen, dass das betreffende Klopfen am Fenster auf den gezielten Einschlag mehrerer Dutzend Eier zurückzuführen war, die offensichtlich von der Schäfer-Jonathan-Straße aus zu mir in den zweiten Stock des Turms abgefeuert wurden. Und bevor man mir das Küchenfenster großflächig zugeklatscht hatte, glaubte ich erkennen zu können, dass sich halb Buxxhofen rund um den Turm versammelt hatte und man also offensichtlich nicht nur gewillt war, mir meine Winterruhe zu nehmen, sondern auch jeden Hauch einer Fluchtchance.
Herrje, dachte ich, da sind sie nun also, die aufgebrachten Dorfbewohner mit den gespenstischen Fackeln und den erhobenen Mistgabeln. Es musste ja so kommen... Es gelang mir noch, rasch unters Bett zu kriechen, da stand auch schon Erna Wisch im Zimmer, in der rechten Hand einen Vorschlaghammer, in der linken die Reste der aufgebrochenen Tür.
„Frau Wisch!“ schmetterte ich ihr fröhlich entgegen, nachdem Sie mich an den Beinen unterm Bett hervorgezogen hatte. „Auch mal wieder in der Gegend? Hätt ich gewusst, dass Sie vorbeischauen, hätt ich Schwefel da…“
„Ganz ruhig, Herr Thomas!“ redete die ältere Dame auf mich ein. „Wir müssen uns unterhalten, hören Sie aber vorher gefälligst mit diesem dämlichen Zittern auf, das macht mich ganz meschugge! Sie wissen doch, warum ich Ihnen heute hier erschienen bin?“
„Haustürgeschäfte?“ tippte ich ins Blaue hinein, während ich versuchte, mich im Kleiderschrank zu verbarrikadieren. „Sie führen neuerdings Vorschlaghämmer in Ihrem Sortiment? Feine Sache. Hau drauf–flutsch–peng–kaputt! Lassen Sie mir so ein Prachtstück da? Rechnung bitte auf dem Postwege. Wir sehen uns dann im Frühjahr? Finden Sie allein hinaus? Ich glaube, die Tür steht offen…“
„Die Redaktion wartet, Herr Thomas!“ gab Frau Wisch unserem Smalltalk nun die - meiner Meinung nach - sehr vorschnelle und dramatische Wende, welche ich von Anfang an befürchtet hatte. Da war doch was mit dieser verdammten Webseite und Buxxhofens angeblichem Glanz und der erfundenen Gloria… Ich wartete ab, bis Frau Wisch mich aus dem Schrank gezerrt hatte und stand ihr dann Rede und Antwort:
„Welche Redaktion? Welche Webseite? Welche Artikel? Welcher Thomas? Wir sehen uns im Frühjahr?“
„Wollen Sie mich für dumm verkaufen? Sie wissen genau, wovon ich rede! Wo bleiben Ihre Artikel über unser beneidenswertes Dorf? Sollen wir alles alleine machen? Sie möchten doch auch von unserem künftigen Reichtum profitieren, oder etwa nicht, Herr Thomas?“
„Nicht, Frau Wisch. Oder doch, Frau Wisch?“
„Natürlich doch, Herr Thomas. Haben Sie etwa nicht die Nase voll davon, in dieser wetteranfälligen Schlucht zu leben, in einem baufälligen Dorf, welches sogar Fuchs und Hase meiden, weil sie einschlafen, bevor sie Gute Nacht sagen können? Es soll sogar Selbstmörder geben, die dankend abgelehnt haben, in die Schlucht zu springen, weil hier unten nun mal keiner verrotten will. Ist es da zu viel verlangt, ein paar glanzvolle Artikel in ihre Computertastatur zu hauen, um diesem Elend ein Ende zu setzen? Wie sonst sollen wir reiche Touristen anlocken? Und hören Sie doch um Himmels willen auf, an Ihren Laken herum zu knüppern! Was soll das werden? Ein Fallschirm? Glauben Sie mir, Herr Thomas, damit kämen Sie nicht weit. Da draußen wartet der Buxxhofener Mob. Ein Dorf, eine Meinung, eine Faust…“
„Aber könnten Sie dann bitte aufhören, mir mit dem Vorschlaghammer vor der Nase rum zu wedeln? Frau Wisch, das schwächt gewissermaßen meine Konzentration auf die Kernpunkte unserer Konversation. Dankeschön. Wenn ich unser unerwartetes Aufeinandertreffen also abschließend noch einmal zusammenfassen dürfte: Ich schreibe nette Artikel über Buxxhofen für Ihr Internet-Blabla und wir sehen uns dann im Frühjahr. Sie wissen, wo die Tür ist, Frau Wisch, Sie haben sie ja gleich mit reingebracht. Und würden Sie dem aufgebrachten Mob dort draußen bitte mitteilen, dass ich verreist bin? Tschüß, ich verschwinde dann mal wieder in meinem Schrank…“
„Heute noch!“ rief Frau Wisch. Wie ich zu Recht befürchtete, ohne damit auf mein Anliegen einzugehen. „Sie setzen sich heute noch an Ihren Computer und schreiben etwas Großartiges über Buxxhofen! Sagen wir, über unsere Knecht-Adam-Brücke.“
„Über das alte, klapprige Ding?“
„Alt? Schreiben Sie: Antik. Und klapprig? Machen Sie sich nicht lächerlich! Wegen der paar Löcher? Abgesehen von kleineren Hunden ist da noch keiner durchgefallen… Oder wie wär´s mit unserem hübschen Holetschka-Turm? Schreiben Sie etwas über den. Den Turm kennen Sie doch in- und auswendig, da wohnen Sie doch selber drin.“
„Inwendig… Auswendig… Naja, das wäre wohl übertrieben, Frau Wisch. So lange wohne ich ja dann doch noch nicht hier. Beispielsweise ist es mir bis zum heutigen Tage ein Rätsel, ob es wohl aus dieser Wohnung heraus einen geheimen Fluchtweg nach draußen und aus der Schlucht gibt. Wissen Sie da wohl Bescheid, Frau Wisch?“
„Kokolores und Hirngespinst! Was für ein Blödsinn, Herr Thomas! Ein Fluchtweg nach draußen? Und aus der Schlucht? Dass ich nicht lache! Beim alten Buxx, ich glaube, dass Sie nicht ganz verstanden haben, welche Rolle wir Ihnen bei der Gestaltung unserer Webseite zugedacht haben. Der kleine Moritz meint, Sie wären da irgendwie in die Grafik eingebunden und da bekäme er Sie im Leben nicht wieder raus! Wenn wir Ihre Rubrik streichen, bricht die ganze Seite zusammen und mit ihr vermutlich das gesamte schöne Internet! Wollen Sie das? Betrachten Sie es positiv, Herr Thomas: Selbst wenn wir es wollten, nun könnten wir Sie auf gar keinen Fall mehr aus der Jakobsschlucht werfen. Diese Schlucht wird auf ewig Ihr schnuckeliges Zuhause bleiben, zumindest aber so lange, bis wir jemanden gefunden haben, der ordentliche Artikel verfassen kann, mit Sinn und Verstand, ohne Rechtschreib- und Grammatikfehler und der sich auch nicht zu schade dafür ist, als unser willenloses Werkzeug zum Ruhme der Buxxhofener… Herr Thomas? Ist Ihnen schlecht? Herr Thomas? Was scharren Sie da am Fußboden herum? Versuchen Sie, sich nach draußen zu graben? Gott, ist das Schaum vor Ihrem Mund? Und nicht immer mit dem Kopf gegen die Wand! Den Kopf brauchen Sie noch, nehmen Sie um Himmels willen meinen Hammer… “