Was ist neu

Bussi Schatzi!

Mitglied
Beitritt
21.06.2001
Beiträge
75

Bussi Schatzi!

Wir sitzen nebeneinander und du redest, und redest immer weiter. Deine Worte dringen nur mehr vage an mein Ohr....die Musik, so laut, immer wieder das Hämmern, Bomm, Bomm, und immer weiter geht es. Ich grinse, nicht weil es so besonders viel zu grinsen gäbe, aber ich fühle mich leicht, und während ich deine Worte ohne Mühe ignoriere, geht das Hämmern weiter, hinein in Kopf und Bauch.

Du redest mit deiner besten Freundin, soviel habe ich ja noch mitbekommen. Ihr habt euch "zusammengesetzt", wie du das so gerne nennst, und jetzt wird geredet, und wenn ich tratschen dazu sage, ernte ich immer einen halbstrengen Blick von dir, diesen einen Blick, den man nicht deuten kann. Meinst du's ernst, oder doch nicht? Mir ist es egal. Ich sitze in meiner Ecke, gemeinsam mit, aber doch allein neben dir, und habe schon vor längerer Zeit aufgegeben, deinen Worten zu folgen, Worte, die ohnehin nicht für mich bestimmt sind. Deine Freundin scheint sie mit gierigen Ohren aufzusaugen, deine Worte, die jetzt, nachdem dich einige Bacardi-cola gelockert haben, nur so aus dir heraussprudeln. Ich höre nur undefinierbares Quacken durch das Hämmern der Musik, und langsam aber sicher gleite ich davon. Ich weiß zwar nicht wohin, aber ich lasse es mit mir geschehen.... ich fühle mich so leicht, ich grinse, und nur durch die halbgeschlossenen Augen bemerke ich das irre Blitzen der Lichtorgel, bomm, bomm, immer schön im Takt.
".... nicht? Ist doch so, oder?"
Die ersten Worte, die ich verstehe... jemand hat mit mir gesprochen. Erschrocken reiße ich die Augen auf, und komme mir blöd vor sie hier unter all den Leuten geschlossen gehabt zu haben. Das Licht blitzt wilder als je zuvor, ich versuche die Augen krampfhaft offen zu halten und ebenso krampfhaft auszumachen, wer da mit ir gesprochen hat. Meine Freundin sieht mich mit abgeklärtem Blick an. Ich grinse, weil mir nichts anderes einfällt, das Gesicht meiner Freundin ändert sich kaum, außer... es wird ein wenig ernster, etwas... böser, und verzweifelt beginne ich mich zu fragen warum. Und als es mir einfällt, als mir plötzlich klar wird: Sie hat mit mir gesprochen!! - da ...
"Was ist denn? Sag mal, hast du geschlafen, oder was?"
Ihr Blick noch immer streng, aber jetzt mit diesem leichten Hauch eines Lächelns, keinem freundlichen Lächeln, sondern dieses schadenfrohe.... ich richte mich ungelenk auf und merke erst jetzt, dass ich schon beinahe von der Bank gerutscht wäre.
"Nein", antworte ich übertrieben laut. "Nein, hab' ich nicht."
Sylvie dreht sich wieder zu ihrer Freundin, und im Wegdrehen meine ich noch so etwas wie ein skeptisches "jaja" von ihr zu hören. Ich gehe dieser Vermutung nicht nach, meine Augen wollen sich wieder schließen, die Lichtorgel blitzt wie verrückt, und schickt ihr beschissenes Licht direkt in meine wunden Augen. Ich zwinkere, auf dem Nebentisch bricht Gelächter aus, aber nachdem ich bemerke, dass es nicht wegen mir ist, sondern wegen eines Mädchens, das nach dem Trinken eines Jägermeisters beinahe hinter den Tisch gefallen wäre, bin ich beruhigt, und lasse meine Lider langsam wieder nach unten sinken. Auf leisen Sohlen taste ich mich vor, nicht zu schnell, nicht zu langsam, vor, bitte alles nur um dieses gottverdammt beschissene, verfickte Licht aus meinen Augen zu bekommen.
Als meine Augen geschlossen sind, macht sich eine ungeheure Erleichterung in meinem ganzen Körper breit, endlich loslassen, endlich Ruhe. Die Stimme vermischen sich zu stumpfen Dröhnen, das einmal an- und dann wieder abschwillt. Und jetzt ist es mir plötzlich auch egal, ob ich schlafe, ich lasse mich fallen - und ich falle.
"...bussi, Schatzi!"
"Schatzi?"
"Hör mal, du schläfst ja wirklich..."
Leichtes Rütteln an meinem rechten Arm. Ich ziehe ihn weg. Wieder Rütteln, diesmal etwas stärker.
"Schatzi!! ..."
Die Stimme energisch, und ziemlich nah an meinem Ohr. Plötzlich durchzuckt es mich, und ich reiße beinahe panisch die Augen auf.
"Was is...?"
Gott sei dank, die Lichtorgel hat Pause, der DJ ruft zu irgendeinem blöden Partyspiel auf, ich will mich wieder aufrichten, aber merke, dass ich noch ganz gerade dasitze.
"Hast du jetzt echt geschlafen?" fragt mich Silvie.
Sie sieht mich an, als ob etwas ganz und gar unglaubliches geschehen wäre. Ich blicke zurück, und plötzlich ist mir so gar nicht nach Grinsen zumute, statt dessen murmle ich nur leise:
"Ja, und, darf ich nicht, oder was?"
"Naja, mitten in der Disco, schaut ja aus, als ob du total besoffen wärst."
Jetzt grinse ich wieder, und bevor ich mich unter Kontrolle habe, wird das Grinsen zu einem lauten Lachen, und nachdem ich mich wieder beruhigt habe, sage ich:
"Ich BIN total besoffen, Schatzi."
"Jaja", sagt sie, und bemüht sich, den Unmut in ihrer Stimme nur ja kräftig durchklingen zu lassen.
"Was is denn...?" sage ich, versuche sie anzusehen, aber mein Kopf schwankt komisch von einer Seite zu anderen. "....darf ich mich denn nicht ansaufen? Bin schließlich ein freier Mensch."
"Jaja, freier Mensch", sagt sie frustriert, und dreht sich wieder zu Anna, die ein wenig "indigniert" in der Ecke sitzt, und als sich Silvie zu ihr dreht, plötzlich wie auf Kommando zu lächeln beginnt. Wahrscheinlich wird sie sie mit irgendwelchen halblustigen Weisheiten zu trösten versuchen, die liebe Anna, ein wahres Füllhorn an solchen Weisheiten. Silvie blickt noch einmal kurz zu mir und wendet sich dann wieder ab, demonstrativ wie sie es immer macht, wenn sie beleidigt ist, und wenn ich weniger getrunken hätte, würde es mir auch etwas ausmachen. So sitze ich nur da, beobachte die vier Jungs und Mädels, die sich auf der Tanzfläche für irgendein Spiel zum Affen machen und langweile mich. Ich spüre die Müdigkeit schon wieder in meinem Körper, wie sie langsam aufsteigt, und sich ihren Weg zu meinen Augen zu bahnen versucht. Soll ich wirklich wieder einschlafen? Ich sehe kurz zu Silvie hinüber. Sie ist ganz versunken in ein Gespräch, ich sehe nur ihre Schultern, die sich im Takt ihrer Worte heben und senken. Sie hat das Scheiß-Auto, denke ich und verfluche mich, dass ich nicht gefahren bin, weil ich dann nichts getrunken hätte, weil ich dann nicht hier in dieser öden Ecke sitzen müsste, weil ich dann nicht diesen ganzen Stumpfsinn hier ertragen müsste.
Ich rüttle an Silvies Arm. Sie dreht sich zu mir um, ihr Blick... neutral, aber nicht besonders liebenswürdig, wie ich sofort feststelle.
"Was is denn?" fragt sie, auch nicht sehr liebenswürdig.
"Fahren wir!", sage ich.
"Was jetzt schon", sagt sie, und es klingt nicht wie eine Frage, sondern wie ein Vorwurf. "Ist doch grad einmal halb zwei. Ich will noch ein bissl mit der Anna reden."
Ohne ein weiteres Wort dreht sie sich wieder zu Anna, und sie beginnen wieder zu reden. Ich weiß, was für ein Spiel sie spielt. Sie will mich zappeln lassen, und für einen kurzen Moment denke ich darüber nach, ob ich ihr etwas sagen soll, etwas in der Art wie: "Den Schmarrn, den du und die Anna zu bereden habt, könnt ihr morgen auch am Telefon ‚austauschen'". Aber natürlich sage ich nichts von dem, statt dessen zupfe ich an ihrem Arm, sie dreht sich wieder zu mir, ihr Gesicht noch kein bisschen friedvoller, und ich sage:
"Ich geh' aufs Klo."
"Ja, dann geh halt", sagt sie, und dreht sich schon während des letzten Wortes wieder von mir weg.
Dann geh' ich halt, du blöde Kuh, denke ich mir. Ich stehe auf, überprüfe kurz, wie wackelig die ganze Angelegenheit bis zum Klo wohl werden wird, aber es ist nicht so schlimm. Zielstrebig bahne ich mir den Weg durch die Menschen, von denen ich nur schemenhafte Abbilder wahrnehme, Körper ohne Gesichter, die mir meistens nur im Weg stehen. Auf halbem Weg höre ich diese druchdringend hohe Stimme von Christine, auch einer von Silvies Freundinnen, die sie überall gestreut haben zu scheint.
"Hey, Tommy.... wo gehst denn hin?" fragt sie und grinst dabei über das ganze Gesicht, als ob sie gerade im Lotto gewonnen hätte.
"Schiffen", sage ich nüchtern, und ihr Grinsen friert ein wenig ein.
"Achso, na ja, so genau wollt' ich's gar nicht wissen. Wo ist denn dein Liebling?"
"Wenn du die Silvie meinst...", sage ich und grinse. "..die sitzt irgendwo da hinten in der Ecke."
"Achso, ich muss nämlich noch was mit ihr bereden, bevor ihr beide wieder heimfahrts."
"Jaja, geh zu ihr, sie sitzt eh da hinten", sage ich, wanke und gehe weiter.
Im Klo bin ich allein. Ich stelle mich vor die Schüssel, fange an zu pinkeln, und lehne meinen Kopf an die Wand. Heiß ist es hier drin, denke ich mir, und ich mache mir den oberen Hemdknopf auf. Ich will nur mehr heim. Aber natürlich wird sie nicht fahren, jetzt erst recht nicht, und wenn's eine Belohnung dafür gebe, sie würd's nicht tun. Weil sie mich wieder mal so weit hat, und das will sie natürlich auskosten. Ich lache bitter in mich hinein.
Als ich fertig bin, und die Hose wieder schließe, wird plötzlich die Tür aufgerissen, ein Mann stürmt herein und ruft laut:
"Aus dem Weg, sonst schiff' ich mich an."
Er läuft beinahe auf die Schüsseln zu und ich grinse. Am Waschbecken ist ein Spiegel, ich sehe hinein. Wie der lebendige Tod, denke ich mir, als ich mein blasses Gesicht betrachte, die Augen scheinen seltsam geschwollen, nur ganz leicht, aber doch zu sehen. Das Scheiß-Licht, denke ich, und wasche mir kurz die Hände. Neben mir gibt der Eilige seltsame Geräusche von sich. Ich verlasse das Klo wieder. Die Musik hat wieder angefangen. Etwas Langsames, es kommt mir irgendwie bekannt vor, aber der Titel fällt mir nicht ein. Ich gehe vom Seitengang wieder hinein in den "Gastraum" und komme auch wieder vorbei an der Theke. Ein Hocker ist frei, bemerke ich im Vorbeigehen, und plötzlich bleibe ich stehen. Ich sehe auf den Hocker, dann nach links, über die Köpfe der tanzenden Menschen hinweg, versuche irgendwas von Silvie zu sehen, aber die Ecke, in der sie zusammen mit Anna, und jetzt wahrscheinlich auch Christine sitzt, liegt völlig im Dunkeln. Scheiß drauf, denke ich mir, und setze mich auf den Hocker. Ich bestelle mir ein Bacardi-Cola und muß die Bestellung zweimal wiederholen, weil ich zuviel lalle. Der Kellner bringt sie mir und sieht mich ernst an, und sein Blick erinnert mich an den von Silvie zuvor. Ich grinse und sage:
"Keine Angst, ich fahre heute nicht mehr, ich habe einen Chauffeur."
"Dann ist es ja gut", sagt der Kellner und widmet sich einer jungen Frau, die so unbedingt bestellen will, dass sie beinahe über die Theke klettert. Ich habe einen CHAUFFEUR, denke ich und grinse in mich hinein. So'n Scheiß, Chauffeur ist Scheisse, alles Scheisse.... die Gedanken beginnen sich zu drehen und ich lasse sie. Beinahe vorsichtig nippe ich an meinem Bacardi und bin enttäuscht, dass er nicht mehr so gut schmeckt wie die ersten. Der Schnapsgeruch steigt in meine Nase auf und ich stelle den Becher wieder ab. Mühevoll schlucke ich hinunter. Ich drehe meinen Kopf wieder nach links, versuche in die Ecke zu sehen, wo Silvie sitzt, aber es ist zu dunkel, und ich beginne zu überlegen, ob sie mich von dort sehen kann, als sich plötzlich ein Mädchen dicht neben mir vorbeidrängt, sich über die Theke lehnt und irgendein Getränk bestellt. Ihre Brüste sind kaum eine Handbreit von meinem Gesicht entfernt, auf Augenhöhe. Ich starre auf das weiße T-Shirt, das sich über die Rundung spannt. Irgendwann blicke ich nach oben, in ihr Gesicht. Sie sieht mich an und grinst.
"Na? Geilspecht!", sagt sie, und nimmt dann ihr Getränk entgegen, dass ihr der Kellner genau in diesem Moment bringt. Ich schaue auf meinen Becher, und es ist mir peinlich, nicht dass ich geschaut habe, sondern dass sie mich ertappt hat. Das Mädchen geht wieder, ich sehe verstohlen von meinem Becher auf. Sie geht Richtung Tanzfläche, bleibt aber nach ein paar Schritten kurz stehen, dreht sich zu mir um, und grinst. Ich grinse zurück und zucke mit den Schultern, obwohl ich keine Ahnung habe, was Schulterzucken in dieser Situation bedeuten könnte. Sie verschwindet irgendwo unter all den anderen. Ich kippe den Bacardi in einem Zug hinunter, weil ich ihn schon so abscheulich finde, dass er nur mehr mit der Augen-zu-und-durch-Methode zu schaffen ist.

Als ich an den Tisch zurückkomme, finde ich alles so vor, wie ich es mir gedacht habe. Silvie, gemeinsam mit Anna und Christine. Alle drei sehen mich wortlos an, während ich mich setze.
"Na, bist du ins Klo gefallen?" sagt Silvie und man hört, dass sie keinen Scherz gemacht hat. Anna und Christine lachen ein wenig hilflos.
"Nein, bin ich nicht, Schatzi", sage ich. "Weil wenn ich wär', würd ich jetzt nämlich stinken."
Sie sieht mich an, ich sehe sie an, beide wissen wir, wie es in uns zwei aussieht.
"Na ihr zwei?" sagt Christine. "Habt ihr zwei was? Gibt's dicke Luft?"
"Besoffen is er", sagt Silvie wie als Begründung.
"Hättest mich halt aufhalten sollen", sage ich und kichere.
"Red' nicht so einen Blödsinn. Du wirst ja schon alt genug sein, damit du weißt, wie viel du verträgst."
Ihre Augen funkeln, und ich weiß, dass sie es darauf ankommen lassen will.
"Hört doch auf", ruft Anna, aber niemand beachtet sie.
"Sicher weiß ich, wie viel ich vertrage, aber vielleicht hab ich mich ja ganz absichtlich besoffen.... weil manchmal ertrag ich dich ja nur so!"
Plötzlich wird es still. Die Musik ist laut, auf der Tanzfläche wird ausgelassen geschrien, aber an unserem Tisch ist es plötzlich still. Sie schaut mich an, noch immer mit diesem zornigen Blick, doch plötzlich bricht dieser Blick, fällt ihr förmlich aus dem Gesicht. Auf einmal ist da nichts mehr von Wut und Zorn zu sehen, statt dessen beginnen ihre Augen sonderbar zu glänzen, und wie in Trance bemerke ich das leichte Zittern um ihre Lippen. Sie senkt den Kopf und dreht sich von mir weg, wischt mit der Hand über ihre Augen. Anna, die alles wortlos verfolgt hatte, rückt näher an sie heran, sieht mich strafend an, geht mit ihrem Kopf ganz nah an Silvies, und flüstert ihr etwas ins Ohr. Silvie antwortet nichts, Anna flüstert weiter. Ich sitze wortlos daneben. Ich starre gerade aus auf die Tanzfläche. Das hast du davon, denke ich. Ich lass mich eben nicht frozeln, da siehst du, was du davon hast. Aus den Augenwinkeln bemerke ich, wie Anna weiter auf Silvie einredet, und ich bemerke auch das leichte Zittern, das ihren Körper zu ergreifen scheint. Sie weint, denke ich, und bevor ich noch etwas anderes denken kann, steht sie auf, läuft an mir vorbei, und Anna, nach einem kurzen Moment der Überraschung, hinterher. Ich bleibe sitzen, starre weiter auf die Tanzfläche, und versuche so zu tun, als ob mich das alles nichts angehen würde. Christine sagt schließlich:
"War das notwendig? Das war wirklich nicht nett..."
"Jaja, nicht nett, nicht mehr und nicht weniger nett, als sie zu mir war", sage ich und fühle mich plötzlich ganz nüchtern.
Christine schweigt kurz und sagt dann:
"Was war denn?"
"Nix war...", antworte ich. "Sie will ihre blöden Spielchen spielen, aber nicht mit mir. Sie glaubt wohl, sie kann mich zum Narren halten..."
"Aber sie hat ja gar nichts gemacht!"
"Nix gemacht, nix gemacht", sage ich wütend. "Natürlich hat sie was gemacht. Aber ich will das jetzt nicht erklären...ich will nur heim."
Christine schweigt, und ich denke daran, dass Silvie das Auto hat, und plötzlich ist dieses Bild in meinem Kopf, von Silvie, wie sie hinter dem Steuer sitzt und davon fährt, einfach so und mich hier sitzen lässt. Ich überlege mir aufzustehen, rauszugehen, auf den Parkplatz und nachzusehen, doch dann kommt mir der Gedanke doch zu lächerlich vor. Lieber hier sitzen gelassen werden, als ihr nachzulaufen wie ein Hund. Denke ich. Und dann kommt Anna wieder herein. Ihr Gesicht ernst, und ich versuche darin zu lesen, was mit Silvie los ist. Sie kommt zu uns, ich sehe sie an und sie sagt:
"Sie ist gefahren. Ich hab' sie noch abhalten wollen, aber sie hat sich einfach nichts sagen lassen..."
Ihre Stimme und ihr Gesicht bekommen einen mitleidsvollen Unterton, und ich finde es blöd, von ihr auf diese Weise Mitleid zu bekommen. Sie sieht mich an, als erwarte sie eine Antwort von mir, aber ich sage nichts, sondern starre jetzt erst recht auf die Tanzfläche. Zwanzig Kilometer, denke ich, während ich versuche so zu tun, als ob mir das alles nichts ausmachen würde. Zwanzig Kilometer sind's bis nach Hause und am liebsten würde ich loslachen. Sitzengelassen, hier, und sie fährt alleine nach Hause, lässt mich einfach zurück.
Anna setzt sich neben Christine und plötzlich schauen mich beide an, und alle zwei haben diesen Blick drauf und ich spüre wieder die Wut in mir hochkommen. Aufstehen und gehen, denke ich, aufstehen, gehen und dieses ganze Desaster hinter mir lassen, aber gerade das kann ich nicht, weil meine Freundin beschlossen hat, alleine nach Hause zu fahren....
"Ich trinke noch was", platzt es aus mir heraus, einfach so, ohne dass es mir eigentlich bewusst ist.
Christine und Anna antworten beinahe im Chor:
"Nein, du trinkst jetzt nicht mehr. Am besten fährst du heim!"
"Ich kann nicht nach Hause", sage ich eindringlich. "Mein Über-Drüber-Super-Freundin hat mich ja hier zurückgelassen."
Ich lache kurz und bitter in mich hinein.
"Du kannst mit mir fahren", sagt Anna.
Ich sehe sie ein wenig verwirrt an.
"Mit dir? Aber K. liegt doch gar nicht auf deinem Weg..."
In Gedanken beginne ich den Umweg, den Anna fahren müsste in Kilometer umzurechnen, aber noch bevor ich zu einem Ergebnis komme, sagt sie:
"Ist doch egal, den kleinen Abstecher werde ich wohl noch schaffen. Ich fahr' dich heim...und dann entschuldigst du dich bei ihr, ok?"
"Is' das jetzt eine Bedingung, oder was?"
"Nein, von mir aus, mach' was du willst. Also? Fährst du mit?"
Ich schweige kurz, grinse dann und sage:
"Ok, Madam."
"Du hast echt zuviel getrunken", sagt Anna, während wir aufstehen und nach draußen gehen.

Im Auto ist es arschkalt, und obwohl Anna die Heizung eingeschaltet hat, will es einfach nicht wärmer werden. Ich versuche das zittern zu unterdrücken, während ich in die nächtliche Winterlandschaft hinausstarre, die an uns vorbeizieht. Wir schweigen beide, und mir ist es nur recht so, das letzte was ich jetzt gebraucht hätte, wären die Vorwürfe der besten Freundin gewesen. Wir lassen S. hinter uns, tauchen hinein in das Waldstück, an dessen anderem Ende F. liegt. Die Müdigkeit hat mich wieder, aber das unterdrückte Zittern hält mich wach. Ich denke darüber nach, was ich zu Silvie gesagt habe. Vor zehn Minuten war mir diese eine Satz noch so logisch und gerecht vorgekommen, hatte mich über ihr verletztes Gesicht und über ihr Weinen hinwegsehen lassen, war mir so etwas gewesen wie die gerechte Strafe, aber je länger ich dasitze und die Bäume an mir vorüberziehen sehe, desto schneller verbleicht die Überzeugung, dass das, was ich getan hatte, richtig war. Die anfängliche Selbstzufriedenheit zerbröckelt.
Anna schaltet das Radio ein, und ich überlege mir, ob sie das Schweigen vielleicht nicht mehr erträgt, ob ich etwas sagen soll. Aber Anna sieht nur starr auf die Straße und wirkt ganz so, als ob sie alleine im Wagen säße. Ich schließe die Augen, lehne meinen Kopf gegen die Kopfstütze und sage mir, was für ein Idiot ich doch bin. Warum musste ich auch so eine Scheiße sagen? Hatte ich überhaupt einen Grund dafür? Und während ich gerade darangehen will, die wirren Gedanken zu ordnen, ruft Anna plötzlich:
"Da ist sie!"
Ich reiße die Augen auf, zwei Scheinwerfer, eines entgegenkommenden Autos blenden mich und im nächsten Moment ist der Wagen an uns vorbei.
"Das war Silvie", sagt Anna und beginnt das Auto sanft abzubremsen. Ein paar Sekunden später stehen wir am Straßenrand. Sie schaut in den Rückspiegel. Ich verstehe für einen Moment gar nichts, und weiß nicht, ob es am Alkohol liegt.
"Das war Silvie, die uns da entgegengekommen ist", wiederholt Anna. "Vielleicht bleibt sie ja stehen..."
"Na und? Dann bleibt sie halt stehen", sage ich dumpf. "Aber selbst wenn, sie will mich ja nicht mitnehmen...ich glaube der kleine Ausflug heute wird dir nicht erspart bleiben."
"Jetzt hör auf so blöd zu reden", sagt Anna, und starrt weiter wie gebannt in den Spiegel. "Im Moment seh' ich nichts mehr von ihr, aber vielleicht sucht sie nur eine Stelle, um umzukehren."
"Sie will nichts mehr mit mir zu tun haben", sage ich laut. "Sie hat mich sitzen lassen wie einen Idioten..."
"Vielleicht lag's ja daran, dass du dich wie ein Idiot benommen hast."
Und plötzlich huscht ein Lächeln über Annas Gesicht und im nächsten Moment erfüllt Scheinwerferlicht eines Wagens hinter uns das Auto.
"Sie hat uns bemerkt", strahlt Anna.
Ich grinse:
"Jetzt bist du nur froh, nicht nach K. fahren zu müssen."
"Trottel.." sagt sie und grinst auch.
Wir steigen beide aus und gehen zu Silvies Wagen und plötzlich komme ich mir total blöd vor. Wie der gang zum Henker, denke ich. Anna ist zuerst bei Silvie, und spricht mit ihr irgendetwas. Ich stehe vor der Motorhaube und schaue belanglos in den Wald. Ich fange an wie wild zu zittern, es ist eiskalt.
"Steig ein, mein Held", ruft Silvie abgeklärt aus dem Auto, und ich gehe zur Beifahrertür. Anna geht an mir vorbei und sagt:
"Siehst du, sie ist zurückgekommen, wollte dich nicht alleine sitzen lassen. Ist das nicht romantisch...?"
"Ja, sehr romantisch, scheiß-romantisch..."
Anna lacht.
"Ciao, Tommy, und trink in nächster Zeit nicht mehr so viel."
"Ciao, und danke fürs Fast-Mitnehmen."
Ich steige zu Silvie in das Auto und merke voller Zufriedenheit, das es hier drin war ist. Trotzdem zittere ich noch. Silvie sagt nichts, und fährt los. Sie sieht genauso aus wie Anna zuvor, ihr ganzer Körper eine einzige stumme Anklage. Ich sitze wortlos daneben, und jede ihrer Bewegungen, selbst das Betätigen des Blinkers kommt mir auf einmal wie ein Vorwurf ihrerseits vor. Die Fahrt nach K. dauert ungefähr zwanzig Minuten. Keiner von uns spricht auch nur ein Wort.

Als wir schließlich zuhause ankommen, bin ich eingeschlafen. Nicht nur halb wie in der Disko, kein Dahindämmern in einem Teppich aus Lärm und blitzendem Licht, sondern tiefer fester Schlaf. Erst als Silvie an mir rüttelt werde ich wach, schaue verwirrt durch die Gegend und finde mich nicht zurecht. Häuser links und rechts, die Straße, dass Licht der Laterne, die in den Wagen strahlt.
"Was is los", sage ich schlaftrunken und Silvies Gesicht taucht vor meinem auf.
"Wir sind da", sagt sie knapp. "Steig aus, ich muß abschließen."
"Ja, steigen wir aus", sage ich zu mir selbst.
Ich fühle mich schlecht, mir ist plötzlich nur mehr zum Kotzen, nichts mehr da von dem leichten, unbeschwerten Gefühl und während ich die Tür schließe, sage ich mir, dass ich nie mehr was trinken werde. Ich beobachte Silvie. Sie werkelt mit dem Autoschlüssel an der Tür herum, zieht ihn dann ab und geht auf das Haus zu. Ich gehe neben ihr. Normalerweise hätte ich jetzt die Hand um sie gelegt, denke ich, während ich neben ihr hertrotte, als gehörte ich gar nicht zu ihr. Sie schließt die Haustür auf und wir gehen hinein, im Haus ist alles dunkel. Ihre Eltern schlafen wahrscheinlich schon seit ein paar Stunden. Ich sehe kurz auf meine Uhr, knapp zwei vorbei. Wir gehen ins Wohnzimmer, auf dem Tisch steht eine Flasche Mineralwasser, ich sage:
"Ich nehm' mir noch was zu trinken", und deute dabei auf die Flasche.
"Ja, nimm' dir..."
"Und ich rauch' auch noch eine", füge ich hinzu, während ich mich an den Tisch setze und in ein Glas einschenke, das noch unbenutzt aussieht.
"Mach was immer du willst", sagt sie und es ist nicht schwer, den Sarkasmus aus ihrer Stimme herauszuhören. Ich zünde mir die Zigarette an, trinke, und Silvie setzt sich ans andere Ende der Couch. Sie zupft an ihrer Kleidung herum, als wäre da etwas, dass es wegzuzupfen gäbe, aber ich merke ihr gewolltes Schweigen. Als ich gerade wieder ansetze zu trinken, platzt sie heraus:
"Aber trink nicht zuviel, sonst wirst du noch nüchtern - und dann erträgst du mich vielleicht nicht mehr."
Sie sieht mich strafend an, ich schaue sie an und dann zu Boden, und obwohl ich nur den braunen Parkettboden vor meinen Augen habe, weiß ich, dass sie mich noch immer ansieht und wie sie es tut.
"War ja sehr nett, mir das so ins Gesicht zu sagen, unter all den Leuten und neben Anna und Christine. Ganz toll, dass die das auch mitbekommen haben, hast du ja gut hingekriegt."
Sie redet sich in rage, denke ich, aber ich kann nichts tun, außer weiter auf den Boden zu starren, während ich ihre nächsten Worte erwarte, Worte die treffen würden, weil sie wahr waren. Doch Silvie sagt nichts mehr, statt dessen nur leises Wimmern. Beinahe erschrocken blicke ich auf, stelle das Glas hin und rücke zu ihr. Sie hat ihren Kopf zwischen ihren Händen begraben und weint leise in sich hinein. Vorsichtig versuche ich meinen Arm um sie zu legen, doch sie stößt ihn weg und....

Es ist elf Uhr als ich auf den kleinen Wecker neben meinem Bett sehe, und ich wundere mich, dass es schon so spät ist. Eine Stunde lang habe ich nur so dagelegen und an die Decke gestarrt, trotzdem kommt es mir jetzt so vor, als wären es nur zehn Minuten gewesen. Ich streiche mir mit den Händen übers Gesicht und drehe den Kopf zur Seite. Ausgebreitet neben mir liegen wirr durcheinander Kuverts und Briefseiten. Ich nehme das erstbeste Blatt und beginne zu lesen.

Hallo Schatzi!

Wie geht's Dir denn? Seit einer Woche haben wir uns nicht mehr gesehen, Du weißt ja gar nicht wie ich dich vermisse. Freue mich schon auf nächstes Wochenende, es bleibt doch dabei, dass wir auf dieses Sommerfest fahren, ich freue mich nämlich schon total darauf. Wenn du nicht willst, brauchst Du erst gar nicht zu mir kommen (grins). Die anderen werden auch alle dort sein, ich habe heute mit Anna telefoniert, die haben auch nichts anderes vor.
Dir geht's hoffentlich gut mit Deinen Professoren und sie zwingen Dich nicht dazu allzu viel zu lernen, mein armes Schatzi.
Muß jetzt leider aufhören, mein Chef hat mir gerade einen ganzen Berg Arbeit auf den Schreibtisch gepackt, kann Dir leider nicht mehr schreiben. Aber wir sehen uns ja bald. Tausend Küsse an Dich und...

Bussi Schatzi

In Gedanken rechne ich zurück. Acht Monate, ja, ziemlich genau acht Monate. Das Sommerfest, kannst du dich noch erinnern, wie wir dort oben gestanden sind, die Lichter, die Musik und die Dunkelheit unter uns, und wie wir uns dort geküsst haben? Als würde die Zeit nie mehr vergehen. Eine kleine Ewigkeit in uns, wir wollten sie doch nicht verlieren...
Langsam streiche ich mit meinen Fingern über die letzten beiden Worte deines Briefes.

[Beitrag editiert von: Martin am 11.03.2002 um 18:23]

 

Hallo Martin!

Wenn jeder jetzt anfangen würde, seine Wochenenderlebnisse bzw. Sauftouren aus seiner Mittelstufen - / Oberstufenzeit dem breiten Leserpublikum zugänglich zu machen... :susp:
Bei allem Feingefühl :rolleyes: ; aber als ich den Titel erblickte, dachte ich zuerst, die dazugehörige Geschichte könnte nicht bescheuerter sein – nun, da befand ich mich wohl auf dem Holzweg...


Hendek

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom