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Business-Hooligans
Unsere blauen Augen machen uns einzigartig. Unsere deformierten Nasen und unsere abgebrochenen Zähne sind unser Kapital. Wie nach jedem Kampf sitzen wir zusammen und würgen Brokkoli und ungewürztes Hühnerfleisch herunter. Kein Gewinn ohne Investition. Das ist völlig klar. Während wir auf trockenen Reiswaffeln herumkauen, mustern wir uns gegenseitig. Vergleichen neidisch unsere Blessuren und überlegen, wo wir vielleicht bei uns selbst noch was nachschminken könnten. So, dass es krass aussieht, aber eben nicht unauthentisch wirkt.
Dann erhebt sich der Erste. Er ist kaum zu verstehen, weil er ziemlich was auf den Kiefer bekommen hat. Der glückliche Bastard. Nuschelt irgendeine fadenscheinige Entschuldigung und gibt somit das Startsignal für uns andere. Nach und nach humpeln wir alle nach Hause zu unseren Laptops. Es gilt, die besten Bilder herauszusuchen und zu bearbeiten. Pathetische Posts auf diversen Plattformen müssen verfasst, Videos der Kämpfe mit Musik unterlegt und auf unseren Youtube-Kanälen hochgeladen werden. Statements über Sieg oder Niederlage eingesprochen und die Wunden unseren wartenden Followern präsentiert werden.
Ich hab mir wohl mein Handgelenk angebrochen, als ich meinem Gegenüber die Faust ins Gesicht gedroschen habe. Leider wertlos, denn es ist rein gar nichts zu erkennen. Nicht mal eine vernünftige Schwellung, die man vorzeigen könnte. Zum Glück ist wenigstens mein linkes Auge zugeschwollen und meine Lippe aufgeplatzt. Ich drücke auf dem Wundschorf herum, bis es wieder beginnt zu bluten, mache diverse Selfies und erhöhe anschließend den Kontrast auf den Bildern, damit das Rot besser zur Geltung kommt.
Mein Onkel war sicherlich kein schlechter Mensch. Hatte einen einfachen, aber sympathischen Sinn für Humor, verbrachte ausreichend Zeit mit den Kindern und ging einem soliden Job nach. Aber vom Geschäft verstand er einen Scheiß.
Während andere am Wochenende ihren Rasen mähten oder Tischtennis spielten, traf er sich mit seiner Crew auf brachliegenden Äckern und Waldwegen. Verwackelte Filmchen auf denen sich erwachsene Männer in gleichfarbigen T-Shirts gegenseitig umboxen. Zwei Gruppen rennen aufeinander zu, zwanzig Sekunden wilde Keilerei und der ganze Spaß ist vorbei. Während der Mann hinter der Kamera mit überschlagender Stimme das kommentiert, was sowieso zu sehen ist, anstatt das Bild ruhig zu halten.
Wenn sich mein Onkel mal ausnahmsweise nicht am Wochenende mit anderen schlug, sah er sich zusammen mit seinen Kumpeln die Aufnahmen ihrer verwackelten Schlachten an. Dazu wurde Bier getrunken, Fußballhymnen gegrölt und sich gegenseitig versichert, dass man gegen alle Widerstände zusammenhalten werde und überhaupt die allerbeste Truppe aufs Feld brachte. Was für unschuldige Zeiten. Und was für eine unglaubliche Verschwendung.
Wir sind keine Schläger, wie mein Onkel einer war. Wir sind Unternehmer. Unsere workspaces sind die verlassenen Lagerhäuser oder halb fertigen Baustellen dieses Landes. Dann braucht es noch ein paar Bauzäune, drei-vier Lichtstrahler, professionelle Kameras, schmissige Beats und natürlich uns selbst. Wir? Wir sind sozusagen Produkt und Werbefläche gleichermaßen. Wenn wir uns gegenseitig blutig schlagen, dann ist das eine geschäftliche Investition. Je brutaler der Kampf, je übler die Blessur, desto mehr Klicks. Wenn du trotz gebrochener Nase und erheblichem Blutverlust deinem Gegner solange Kopfstöße verpasst, bis der endlich zu Boden geht und beginnt, in zwei unterschiedliche Richtungen zu schauen, dann ist das nicht böse gemeint. Dann ist das eine rein geschäftliche Interaktion. Wenn du es dann noch schaffst, dich auf deinen wackligen Beinen zu halten, dein kaum noch zu erkennendes Breigesicht in die Kamera zu drehen und durch das Blut irgendwas von Mindset und Selfmade zu nuscheln, hat sich der Abend schon gelohnt. Denn dann steigt dein Markenwert. Dazu trägst du am besten noch ein Shirt oder Shorts deiner Geschäftspartner. Wenn zum Beispiel auf so ein enges weißes Shirt mit stylishem Aufdruck ordentlich Blutspritzer draufkommen, steigt der Verkauf am Abend um 30 %. Kein. Scheiß.
Zwischen den Kämpfen ist es ziemlich ruhig. Keine Drogen, niemand raucht und natürlich gibt es auch keinen Alkohol. Stattdessen unterhalten wir uns interessiert über Aktienkurse. Über lohnende Invests. Geben mit unseren Werbedeals an. Spekulieren darüber, ob es sich auszahlt, beim nächsten Kampf vielleicht mal den Mundschutz wegzulassen, weil abgebrochene Zähne eben auch mehr Likes bedeuten. Außerdem könnte eine vergoldete Zahnreihe, so teuer sie auch ist, eine langfristig durchaus ertragreiche Investition darstellen.
Ein Fight-Club? Nein, das trifft es nicht. Ich habe den Film das erste Mal gemeinsam mit meinem Onkel gesehen. Ehrlich gesagt war ich ziemlich enttäuscht. Ich weiß nicht, was ich mir erhofft hatte. Was ich bekam, war jedenfalls ermüdende Konsumkritik. Statt selbst was zu reißen, sprengt dieser Loser am Ende einen Häuserblock, um die Menschheit wieder in die Vormoderne zu stürzen. Ziemlich destruktiv. Unsere Gewalt ist profitabel.
Mein Onkel mochte den Film auch nicht. Seiner Meinung nach waren die Kampfszenen peinlich und er verstand diesen ganzen dissoziativen Identitätsstörungsquatsch nicht.
„Hätten die da wirklich zwei Personen draus gemacht, wärs n besserer Film gewesen.“ Seine Worte.
Trotzdem, kann nicht behaupten, dass das Ganze keinen Eindruck auf mich gemacht hätte. Ich begann zwar nicht damit, die eine Starbucksfiliale in unserer Stadt zu meinem Hauptfeind zu erklären, aber ich nahm mit, dass Gewalt sich offensichtlich gut verkauft. Eine Woche später meldete ich mich beim Muay-Thai an. Ein halbes Jahr später kaufte ich mir meine erste Kamera und belegte Kurse in BWL und Business and Management.
Mein Onkel hat sich schließlich in seinem Keller erhängt. Kam einfach nicht darauf klar, dass ihn alle seine Kumpels verrieten, nachdem ihre Crew als kriminelle Vereinigung verboten worden war. Nicht ein Einziger hatte dichtgehalten. Alle hatten versucht, durch irgendwelche Deals ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Und ihn hatten sie sowieso gleich alle belastet.
Der Knast war ihm egal. Ihm ging es darum, dass seine Welt nicht mehr so funktionierte, wie er es gewohnt war. Es gab kein Wir gegen die, sondern nur ein Jeder für sich. Nachdem er aus der U-Haft kam, soff er zwei Tage lang durch. Dann ging er mit Tränen in den Augen in den Keller.
An diesem Tag habe ich jeden Respekt vor ihm verloren.
Wenn mir nach Heulen zumute ist, setze ich mich in meine Dusche und rechne mir aus, wie viel Geld ich alleine dadurch gemacht habe, dass vor meinem letzten Kampf die Werbung einer Zahnzusatzversicherung lief. Dann geht’s mir meist deutlich besser. Und wenn das immer noch nicht hilft, schlage ich solange auf Pratzen ein, bis ich vor Erschöpfung kaum noch stehen kann und meine Fäuste bluten. Mein Onkel hat nicht verstanden, dass alles, einfach alles einzig eine Frage des richtigen Mindsets ist.