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Busfahrt
Wenn ich etwas über die Welt lernen will, steige ich in einen Bus.
Der Platz ganz hinten rechts muss es sein, von dort aus kann ich die Menschen um mich herum beobachten, kann ich ihr Verhalten sezieren, kann sie auseinandernehmen und schauen, aus welchen Teilen sie zusammengesetzt sind.
Als ich in den Bus einsteige, ist er so gut wie leer; außer dem Fahrer sitzt noch eine alte Frau drin, in dem Vierer auf der linken Seite, mit dem Blick zurück.
Ich nehme meinen Platz ein, lege die Beine hoch und stöpsle den Discman ein. Während Saxon mit den Wheels of Steel etwas von mir hinwegträgt, weit hinaus, verbleibt nur noch der logisch-analytische Teil meines Ichs im Bus, irgendwo zwischen Heimat und Ungewissem.
Die Frau sieht unmöglich aus, denke ich mir; obwohl für mich eigentlich das Innere einer Person das Entscheidende ist, sagt auch das Äußere viel über die Art aus:
Ziemlich ausladend, ein pinkfarbender Pulli zu knallengen Stoffhosen mit Blümchenmuster, dazu weiße Sandalen, aus denen vorne die Hühneraugen und hinten die Laufmaschen rauskommen.
Ist Geschmacklosigkeit angeboren oder eine Alterserscheinung? Falls letzters zutrifft, will ich nicht 50 werden müssen!
Eine Zeitlang passiert nichts und ich blicke aus dem verdreckten Fenster; Bäume säumen die Straße, ihre Äste anklagend zum Himmel erhoben ob der grellen Werbeplakate für Boleropartys, Bekanntmachungen des Katzenliebhabervereins und Reflektorbänder, die ihre Nägel unerbittlich in die Rinde der Bäume pressen.
Warum dürfen wir nicht einfach Bäume sein statt Litfasssäulen, rufen sie mir zu, wir können doch nicht fliehen!
Ich bemerke, dass die Frau mich mittlerweile ungeniert anstarrt, Schwarz bis zur Provokation scheint nicht in ihr kleinbürgerliches Weltbild zu passen, das seine Grundfesten auf Häkelbildern an den Fenstern und allabendlicher Volksmusik-Berieselung errichtet hat.
Ich starre zurück. Einfach so, ohne einen Muskel zu bewegen. Sie weicht zur Seite aus, erst aus dem Fenster, dann, nach einiger Zeit, als sie sich unbeobachtet fühlt, richtet sie ihre Fischaugen wieder auf mich; als sie bemerkt, dass ich sie immer noch anstarre, wird sie rot und fängt an, in ihrer Tasche zu kramen, bis sie endlich eine Frauenzeitschrift herausgenestelt hat und sie, scheinbar desintersessiert an der restlichen Welt, sich vors Gesicht hält und liest.
Ich schließe meine Augen und versuche, mich nur auf das Gefühl des sich bewegenden Fahrzeugs zu konzentrieren, werde eins mit dem monotonen Geräusch des Motors, spüre die Kurven schon am sanften Abbremsen, ehe wir sie erreichen, weiß, dass jetzt eine lange Gerade folgen wird und sehe vor meinem inneren Auge eine weitgezogenen Piste ins Unendliche, wir rasen darauf zu, immer schneller, yeah...
Doch daraus wird nichts; der Bus verlangsamt und fährt schließlich rechts ran, eine Haltestelle. Ein Mann steigt ein, so um die 30, klein, unwahrscheinlich dünn, braune Haare, die hinten länger werden und ein Pony, das ihm irgendwie in die Stirn fällt.
Ein silberner Ohrring, schwarze Jeans und ebensolche Lederjacke, setzt er sich ein paar Reihen vor mir hin und ich überlege, ob er einer von uns ist.
Irgendwie erinnert er mich an ein Eichhörnchen, wie er sich ständig mit kleinen Bewegungen umschaut, erst auf den Text neben dem Notfallhammer über seinem Kopf, dann das Muster der Sitze, schließlich die alte Frau; nie sitzt er still.
Mittlerweile bin ich ziemlich sicher, dass er auf Entzug sein muss.
Plötzlich klettert er in seinem Sitz um 180 Grad und dreht sich zu mir um, ich sehe in seinen Augen, dass er genauso ist wie ich, ein Fremder in dieser Welt, die er genauso wenig versteht wie sie ihn, und ich blinzle ihm zu, er zwinkert zurück, dann zuckt er mit der Hand zum Stopknopf, steht auf und springt flink aus der Tür, kaum dass der Bus angehalten hat.
Nun drängeln sich viele Leute hinein, sie lachen und und schreien sich gegenseitig an, es sind Schüler und Berufstätige, die endlich Feierabend haben, sie kämpfen um Sitzplätze.
Ich nehme meinen Collegeblock und einen Stift zur Hand und beginne, von dieser Busfahrt zu schreiben, während draußen die Landschaft vorbeizieht und in den Bus hineinblickt, drinnen viele Menschen sieht, alte und junge, verliebte und von der Arbeit zermürbte, alle zusammengedrängt auf wenige Quadratmeter und doch jeder für sich allein in seinem kleinen Universum.