Buschfeuer 2005: Ungelesen gelöscht
Die Erzählung bezieht sich auf die Wandmalerei ( Bild 3 ).
Über dem düstergrauen Brei der Stadt, ihrem Smog, ihrem Schmutz, der mich durch das Fenster erreichte, lastete heute noch schwerer als all die vorrangeflossenen Tage die Gewissheit absoluter Trostlosigkeit, Verlorenheit, Sinnlosigkeit.
Allzu schnell wende ich den Kopf ab, fahre mir über das unrasierte Kinn und ekele mich ein wenig vor der fremd wirkenden Haut, die ich berühre. Lange schon habe ich mein Spiegelbild gescheut.
Stattdessen versuche ich lieber verzweifelt, meine Seele in dem Computermonitor vor mir zu spiegeln, soweit es mir gelingen mag. Die unzähligen Buchstaben, die vor meinen müden Augen flackern, scheinen mir auch um einiges ansehnlicher als meine heruntergekommene Visage, als dieses Gesicht des verbrauchten, überflüssigen Stückes Mensch, das ich noch darstelle.
Etwas fahrig greife ich nach einer Zigarette. Seit kurzem sind die Stars and Stripes auf den Schachteln abgebildet. Das macht inzwischen beinahe jeder Hersteller so, nicht nur die Tabakkartelle, nein, es scheint, alle schwimmen mit auf der Welle unseliger, faschistoider Vaterlandsbegeisterung, die unsere gotteseigene große Nation seit den letzten Jahren mit einer unaufhaltsamen, frommen Gewalt erfüllt. Sie kam wie ein Buschfeuer über uns, wie lange mag das schon hersein?
Es kommt mir wohl länger vor, als es tatsächlich ist. Und seit dieser Zeit ging es aufwärts für uns, abwärts für mich.
In dieser Stimmung des erbittert langen, heiligen Krieges gegen den Terrorismus erhob ich die Stimme. Kein Blut für Öl, hämmerte ich in den PC und gegen das Bewusstsein der Nation. Brot statt Bomben. Fragte ketzerisch nach Demokratie.
Unser Way of Life scheint sich wohl auf die dröhnenden Blechlawinen vor meinem Fenster zu beschränken, auf den Konsum, den man uns bietet, auf das begeisterte Mitlaufen in den Wogen der immer weiter hochschaukelnden patriotischen Begeisterung.
Ich, der ich dagegen versuchte anzuschreiben, ahnte noch keine Zensur, als immer weniger meiner Artikel und Essays veröffentlicht wurden. Ich machte mir keine Gedanken über Repressalien, bevor ich eines Tages vor meiner aufgebrochenen Wohnungstür stand, den Computer zerschlagen, kurz darauf aus der Redaktion verstoßen. Dass ich einfach zuviel gedacht hatte, fiel mir erst an Kleinigkeiten auf, wie den Blicken meiner Mitmenschen, dem Tuscheln der Kinder, die mich seltsam, verstohlen, ansahen.
Ich kaufte mir einen neuen Rechner und schrieb weiter, immer weiter, wurde nicht mehr eingeladen zum Grillen oder zu Partys bei Bekannten und Ex- Kollegen, schrieb und schrieb all die Jahre mein eigenes Versagen – ins Leere. Niemand wollte mich noch drucken. Ich war unbequem. Die Verleger sahen in mir die schlimmste Ausgeburt des geifernden Vaterlandslosen, glaube ich, wimmelten ab.
Ich schrieb in die Arbeitslosigkeit hinein, in die Verwahrlosung, in die Frustration, die ganzen letzten Jahre, ohne wirklich wieder beachtet zu werden.
Ich schrieb mich mit krampfhaftem Elan in die Isolation, in die Verabscheuung.
Das Anschreiben gegen die Zustände wurde trotz alledem immer mehr zur störenden Nadel, die ich in das Fleisch der andersdenkenden Gesellschaft, gefangen zwischen Ost- und Westküste, trieb. Und obwohl immer öfter zornige Briefe von „Nationalisten“ und „Patrioten“ kamen, war ich durch den Lauf der Dinge dazu gezwungen, an diese störenden Nadel meine Existenz zu hängen.
Der „Kampf für Freiheit“ war längst zur propagandistischen Floskel verkommen, die vor der Masse der Menschen den Imperialismus verbarg. Diese Menschen, meine Mitbürger, wenn ich sie noch so nennen kann, immer mehr sah ich in ihnen nur noch Vieh, blökend, fressend und saufend auf der Weltweide stehend. Und mir, der ich die begeistertgleichgeschaltete Herde verließ, die unsichtbaren Barrieren des „Du sollst nicht...“ durchschrieb, erging es grausam.
Jener düstergraue Tag sollte mein letzter als Schreiber sein. Die Nadel brach ab, so wie mit einem wütenden Ansturm der gerechten Entrüstung meine Wohnungstür zerbrach. Ich fuhr herum, eher vollkommen überrumpelt als erschrocken, da hatten sie den Flur bereits überwunden und drangen in mein schäbiges Kritikzimmer mit Blick zur Stadt ein.
Die Situation war wahrhaft kafkaesk; wie die schwer atmenden Männer vor mir standen, mich mit verabscheuendem Blick fixierend. Sie trugen Räuberzivil, und es war klar, was sie in ihren Taschen verbargen. Jemand musste mich verleumdet haben, denn ohne dass ich etwas böseres getan hatte als verfassungsrechtlich verbürgte Meinungsäußerung, wurde ich an diesem trüben Tag von dieser Ausgeburt gerechthassenden Volkszorns verhaftet.
„Mitkommen,“ herrscht ihr Wortführer mich an und durchbricht damit das beklemmende Schweigen. Ich unterschätze, vom Arbeitstisch aufstehend, die Situation und setze zu einer Erwiderung an, bevor meine ungebetenen Gäste aus ihrer zwischenzeitlichen Erstarrung erwachen und man meinen spitzzüngigen Einwand durch mehrere harte Faustschläge in mein unansehnliches Gesicht noch im Rachenraum erstickt. Die Welt wird mir schwarz, mit vielen weißen Sternchen.
Als ich halbwegs das Bewusstsein wiedererlange, das rostige Blut zwischen den schmerzenden Zähnen schmecke, ist außer dem Dröhnen meines Schädels noch ein monotones Motorengeräusch. Ich saß gefangen zwischen meinen Richtern, der Mob bringt mich per Pick-up zu Ende. An den Schultern der muskulösen jungen Kerle neben mir vorbei - wohl N.R.A. Mitglieder, schießt es mir durch den Kopf - huschen hinter der Scheibe Neonreklamen und Betonfassaden vorüber. Wir passieren einen Cop, dessen Blick mir wie zufällig zu begegnen scheint, um sich sofort darauf abzuwenden, dann ist der Wagen schon vorbei. Ich weiß, dass es für mich keine Rettung mehr gibt. Und ich schluchze, ich kann diese Schwäche gegenüber meinen lächelnden Peinigern nicht zurückhalten.
Ich taste nach meiner Brust, als der Pick-up endlich ruckartig stehen bleibt. Der rasend schnelle Schlag, dieses mühevolle Krampfen und Entkrampfen des Muskels unter meinem schwitzenden Handteller, ein wenig unregelmäßig, erfüllt mich mit Schrecken. Was, wenn – denn so fühlt es sich mit einem Male an – mein rasendes Herz plötzlich kalt werden würde? Noch bevor mich die Panik völlig übermannt – es hilft nichts, mir einzureden, dass sie mich nur einschüchtern, mir schlimmstenfalls meine Hände nehmen würden, die Todesstrafe sie vom Äußersten abschrecke – stößt man mich ins Freie.
Halb betäubt von Schmerz und Angst taumele ich über den schmalen Bürgersteig, finde kein Gleichgewicht, kollidiere kläglich mit hartem Beton.
Erst im Zurückgeworfenwerden erkenne ich bunte Farben. Um den Eindruck völliger Hilflosigkeit nicht noch mehr zu unterstreichen, wische ich das Blut nicht weg, sondern rappele mich auf, taumelnd, schwankend, gebrochen.
Ich lache kehlig, ich kann es nicht unterdrücken, ignoriere die wütenden Stimmen des Mobs: ich erkenne eine recht gelungene Wandmalerei vor mir, bunt, schwarz. Nehme all die Eindrücke noch einmal in rasender Geschwindigkeit auf. Links von mir eine vor dem Geistlichen kniende Frau, die Gewänder weiß, die Körper jedoch schwarz. Rechts die naive graue Abbildung einer Kirche, in seltsamer Nähe dazu entrückt scheinende, im Vergleich riesengroße Azteken, unbeeindruckt heidnischen Ritualen frönend.
Und dazwischen, sogar noch ein wenig größer als ich, direkt vor mir den Oberkörper eines Mannes in Frack, dessen Haut so schwarz, dass ich, kaum zwei, drei Schritte entfernt, Mühe habe, seine Gesichtszüge zu erkennen.
Die bemalte Mauer erscheint mir viel zu hoch.
Zumal man mich in diesem Moment an der Schulter packt, mich grob und kraftvoll herumwirbelt. Da noch der winzig kurze Eindruck eines großen roten Herzens links über dem Mann im Frack, Fetzen Himmel, Übelkeit. Ein Stoß mit der flachen Hand, mein Rücken knallt gegen den bunten Beton. Wüste Beschimpfungen. Ein Jüngling mit germanischem Collegegesicht prescht aus dem Mob meiner Entführer, presst mir seinen glänzenden Revolver unter das Kinn. Zischt ein „weißt du, was jetzt kommt?“ hervor.
Ich habe keine Kontrolle mehr über meine Exkremente, die Verzweiflung nimmt noch einmal Überhand. Fürwahr ungewöhnlich, wie man in einer Situation wie dieser reagiert. Obwohl unendlich erniedrigt, kaum in der Lage, mich auf den vollgepissten Beinen zu halten, höre ich mein eigenes, höhnisches, etwas gurgelndes Lachen, unmenschlich.
Der mit dem Silbercolt zögert, Verwirrung in den jungen, harten Zügen. „Ihr wollt mich...“ bringe ich lachend, schmerzvoll heraus, „...ihr wollt mich vor einem Negerbild erschießen?!“
Mein Lachen verebbt, immer mehr Blut und Speichel läuft mein Kinn hinunter, so dass der Junge angewidert seinen Revolver zurückzieht.
Ich werde erneut gepackt, etwas sanfter dieses Mal, und stolpere unter höllischen Schmiedehämmern in Kiefer und Schläfen ein paar Schritte weiter, an der Kirche vorbei und vorbei auch an einem Pick-up, der die Vorderachse wie ein Präriepferd zum Sprung erhebt. Mehr kann ich kaum noch erkennen.
Man greift nach meinem Hinterkopf, drückt mein Gesicht, dieses zerschlagene, verwahrloste, unrasierte Gesicht, gegen die kalte Wand. „So besser?“ höre ich noch, mein verschwommener Blick nimmt nur noch wildes Bunt wahr, da, ein Sternenbanner, eine Sonne, archaische Faust davor zwischen zwei Schnellfeuergewehren, Schmerz und Perspektive verzerren alles, Stahl auf meinem Schädel. Von der Ferne Sirenengeheul. Noch ein unmenschlich hartes „Niemand wird dich vermissen, Zecke,“ dann höre ich, wie der Hahn gespannt wird.
[Beitrag editiert von: Paranova am 11.04.2002 um 11:24]