Bus Nummer 7
Bus Nummer 7
Und wieder stieg ich also um exakt sieben vor sieben vom Bus Nummer 7 aus. Das freute mich wie immer ungemein, obwohl ich ohne Brille auf der Rathausuhr nie genau die Zeit erkennen konnte. Vielleicht war es auch 5 oder 8 vor 7, aber das war egal. Ich nahm zwei große Atemzüge. Das hatte ich mir angewohnt, seit ich festgestellt hatte, dass das Leben ja immer zusammenhängend abläuft und es keine Abschnitte gibt. Jeder Augenblick folgt einem anderen, der aus einem vorherigen herausging. Außer man schneidet eben ab und beginnt einen neuen Augenblick. Um das zu erreichen, machte ich vor Allem ein kurzes Überlegen. Vor grossen Ereignissen ging ich früh ins Bett, um abzuschließen und vorzubereiten. Vor alltäglichen Situationen nahm ich einen großen Atemzug und es endete und begann. Und da ich seit meiner Verkühlung längere Zeit nicht mehr zum Denken in der Stadt war, schon länger nicht mehr um 7 vor 7 von Bus Nummer 7 beim Rathaus ausgestiegen bin, nahm ich also zwei. Und ging in mein pub.
Außer mir waren nur verliebte Pärchen. Das gefiel mir. Ich ging an die Bar, bestellte einen gekühlten Wodka und nahm die verliebte und angenehme Stimmung auf. Natürlich schmeckte mir der gekühlte Wodka überhaupt nicht, jedoch hat mich eine Szene in einem Krimi, in der ein halber Bösewicht alleine in einer Bar sitzt und kalten Wodka trinkt, sehr beeindruckt. Ich hab natürlich auch nicht gelächelt, sondern mich sehr bemüht, wenn nicht schon verwegen, dann zumindest philosophisch dreist dreinzuschauen. Lässig zündete ich mir eine Zigarette an und bemühte mich gleichzeitig, beim ersten Rauch nicht wieder dümmlich zu zwinkern. Mein Blick schweifte umher, um etwas zu finden, worüber ich nachdenken konnte. Über den alten Barkeeper? Nein, das wäre zu kurz gewesen. Nachdem ich seit meiner Verkühlung nun nicht mehr hier gewesen bin, musste es nicht nur ein amüsanter, sondern auch ein interessanter Abend werden. Ich sah ein sehr schönes Mädchen mit einem Junior quatschen, sie wäre es evtl. wert, sich Gedanken zu machen. Ich sah sie, wie sie gleichzeitig erzählte und langsam ass. Sie war sehr süß. Nach kurzer Zeit legte die Bezaubernde die Gabel bei Seite und umfasste mit beiden Händen die Hände des Juniors. Auf dem Teller ließ sie sehr viel zurück. Das ärgerte mich sehr. Denn war es denn fair, dass Tiere auf übelste Art gehalten werden, nur damit eine Bezaubernde etwas bestellt und dann doch nicht isst? So, da war es wieder! Das Moralische. Ich hatte mich sehr bemüht, es zu ignorieren, aber da war es nun wieder da. Das ärgerte mich noch mehr. Denn ich dachte damals, Moralisches kann man mit klarem Denken nicht rechtfertigen. Aber es muss doch irgendwie so sein, dass eine Moral natürlich ist. Ich nahm zur Strafe einen Schluck gekühlten Wodka, der mir das Gesicht verzog. Ich musste versuchen, aus nicht moralischen Gründen einen Weg zu denken, der meinen ersten Ärger rechtfertigt.
Doch wo beginnen? Denn es liegt ja in der Natur, das Fressen und gefressen werden. GRRRR!! Aber es war immer im Gleichgewicht. Ist die jetzige Situation noch im Gleichgewicht? Gute Frage, dachte ich mir und zog mit in Falten gelegter Stirn an der Zigarette. Thema gefunden. Der Spürhund nahm die Witterung auf und blies eine qualmende Rauchwolke theatralisch aus dem Mund. Es war also immer so gewesen, Fressen und gefressen werden. Warum war das fair? Vielleicht weil die Evolution es jeder Art erlaubte, sich weiterzuentwickeln. Nachdem der Mensch ein Stadium erreichte, in dem er auch den Geist entwickeln konnte, nach erkennen und handeln, plötzlich das Denken, begann das, was wir heute als Geschichte der Menschheit betrachten. Und auf diesem Level ist er im Räuber- Beute Verhältnis eindeutig überlegen. Er kann sie so züchten, dass sie keine natürlich Tiere im ursprünglichen Sinn sind. Sie sind zu Material umfunktioniert worden. Würde man nun davon ausgehen, dass der Mensch mit seiner Welt die Welt meint, die er geschaffen hat, was durch die Emanzipation des Geists durchaus oft der Fall ist, und nicht die Welt, auf der wir als Lebewesen leben, könnte man davon ausgehen, dass, wenn der Mensch k.o. geht, seine Welt mit k.o. geht, da Tiere, die auf Material getrimmt sind ja nicht lebensfähig im eigentlichen Sinn sind. Die gesamte von ihm geschaffene Welt wär nach ihm nicht lebensfähig. Dann wären wir eben bei der Tatsache, dass „der Mensch seine Welt zugrunde richtet“. Aber das ist ja auch wieder moralisch. Eigentlich ist es eh egal, da es ja dann wieder weitergeht, halt ohne uns. Sukzession! Na ja, dann passt’s. Aber war es das, was der Spürhund ausfindig machen wollte? Wenn man ein Kommissar des Geists ist, aber kein echter, ist das egal, denn dann ist’s immer interessant. Lässig trank ich das kleine Glas leer, nahm einen letzten sehr bedeutend ausschauenden Zug an der Zigarette drückte sie im Moment des Aufstehens sorgfältig aus und zahlte dann. Voll guter Laune ging ich um 1 vor sieben auf den Rathausplatz, nahm einen tiefen Atemzug und freute mich auf eine Fahrt mit Bus Nummer 7.