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Bus 13
Neidisch blicke ich rüber zur „Sieben“. Alle Plätze sind bemenscht und die Scheiben beschlagen vor Leben. Lachende Kinder spielen miteinander Karten und zeitungslesende Gestalten mit Aktenkoffern zwischen den Beinen schauen manchmal zur Anzeigentafel hin und dann wieder in die Zeilen. Die warmen Körper der Passagiere tun sicher so gut.
Gleich wird sie abbiegen und ich schaue so lange hinterher, bis sie aus meinem Blickfeld entschwunden ist. In vier Stunden schon sehe ich sie hier wieder. Jeden Tag die selbe Verlegenheit und immer ist die Linie voll besetzt.
Am liebsten würde ich gar nicht erst hinschauen, aber das kann ich nicht. Auch wenn es so einen starken Schmerz in mir auslöst und mein Motor Öltränen weint.
Wie bekommt es die „Sieben“ nur hin, dass sie immer so voll ist?
Wenn ich Glück habe, befruchten Menschen meinen Bauch für kurze Etappen, aber durchgängig war ich noch nie besetzt. Mich nimmt man für kurze Strecken oder gar nicht. Noch nie beherbergte ich für eine Kurzweil Kontrolleure. Warum auch? Wen sollen sie kontrollieren?
Es wird an meiner Strecke liegen. Ja, das wird es sein. Die „Sieben“ fährt mitten durch die Stadt hin zum Einkaufszentrum durch bewohnte Siedlung. Ich fahre zu einem Vorort indem einmal eine Klinik stand. Heute ist sie abgerissen und so fährt da auch keiner mehr hin.
Letzten Sommer hatte ich einmal eine alte Frau auf dem 18. Platz am Fenster sitzen. Die hat ein Buch gelesen und war darin so vertieft, dass sie bis zur Endstation mitgefahren ist. Sie trug einen großen Hut, Stöckelschuhe und aus ihrer Einkaufstasche lugte eine Packung Cornflakes. Wie Hasen huschten ihre braunen Augen über die Seiten. Das man so schnell lesen kann, hatte ich nicht gewusst.
Ich hatte genug Zeit sie zu betrachten. Stellte mir vor, wie ihre Wohnung wohl riecht, ihre Eltern sie genannt haben und ob sie alleine ist oder nicht. Das war einer meiner schönsten Momente. Wenn ich heute versuche mich in einen Menschen hineinzudenken, steigt er auch schon aus und ist für immer weg. Die Strahlen, die ich auf ihn warf, brechen ab und ich enttäuscht.
Die anderen Linien, besonders die „Sieben“ können sich den ganzen Tag, an anderen Menschen laben. Nie, wird Ihnen langweilig. Sie lauschen den Gesprächen, können in fremden Liebesbriefen luschern und bekommen etwas von der Welt mit. Sie fühlen die warmen Hände in sich, an den Haltestangen und das Vibrieren der Stimmen in ihren Wänsten.
Alles was ich spüre, sind harte Schuhe oder gähnende Leere. Mein Hunger nach Trubel wird nicht gestillt.
Es liegt an meiner Zahl. An meiner Linie, die draußen in Leuchtschrift ins Dunkle strahlt. „13“ wer steigt schon in eine „13“, die ins Nirgendwo fährt?
Ständig wechseln die Busfahrer. Mich fährt keiner gerne. Ich konnte mal ein abfälliges Gespräch mit anhören, dass ich teilweise verdrängen konnte, aber ein bitterer Geschmack der bleibt trotzdem. Man hat einen Busfahrer gefoppt, weil er mich fuhr. Das hat damals weh getan. Sehr sogar. Keine Beachtung und dann kann ich mich selbst nicht einmal in der Beförderung beweisen.
Wie wird auch mein Bauch einmal voll?
Als der Busfahrer seine Schicht begann, kontrollierte er die Spiegel, legte seine Bildzeitung auf das Armaturenbrett und trank heißen Cafe.
Die Straßen waren noch leer. Ab und zu fuhr ein Taxi die Straße hoch. Sicher um Leute pünktlich zum Zug zu bringen.
Den Cafebecher warf er in eine Mülltüte, die in der Fahrerkabine aufgestellt war, zündete dann per Knopfdruck und lenkte den großen Bus auf die Fahrspur.
Am Marienplatz hielt er kurz an, wollte schon weiterfahren, da sah er durch die Rückspiegel sehr viele Kinder und Erwachsene durch die Bustür springen. Verwundert überlegte er, was denn wohl beim alten Klinikgebäude los wäre. Ihm fiel nichts ein. Auch die nächsten Stadtstationen brachten massig mitfahrende Menschen. Als der Bus dann langsam aus der Stadt herausfuhr, wurden ein paar Stimmen laut. „Sag mal, ist der Busfahrer besoffen oder was?“. Ein paar Leute gingen nach vorne übersahen absichtlich, dass „Mit dem Fahrer während der Fahrt“- Schild und tippten ihm auf die Schulter.
Später beim Chef der Verkehrsbetriebe musste der Busfahrer seinen Kopf hinhalten.
„Mensch Petersen, wie konnte Ihnen das passieren?“
„Ich weiß es nicht. Es tut mir leid, aber ich schau immer zweimal nach, bevor ich losfahre.“
„Dann wäre es wohl nicht passiert.“
„Ich kann mich noch genau erinnern, dass ich, wie immer 13 in den Display eingegeben habe und nicht 7.“