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Burgverteidigung
Donner dröhnte beim Einschlag der Steinbrocken. Ein Großteil brennender Geschosse zerschmetterte an der äußeren Ringmauer. Andere verwüsteten dahinterliegende Gebäude. Die Katapulte wurden bereits seit Wochen gelagert, ehe sie die Festung einzureißen drohten. Jetzt zermalmten steinerne Geschosse Dorfbewohner und Soldaten. Brennende Fackeln und Pfeile erhellten die Nacht und sorgten für schwere, rußige Luft. Der mit Stroh ausgelegte Stall stand in Flammen und Menschen rannten panisch umher, um Wasser aus dem Brunnen zu holen.
Er stand auf dem westlichen Wachturm und verschanzte sich hinter einer der Zinnen. Als er die Lage erspähte, zischte ein Pfeil an ihm vorbei und schnitt sein bärtiges Gesicht. Holdemir wäre in die Tiefe gestürzt, hätte Thorades ihn nicht aufgefangen. Dankbar, mit aufgerissenen Augen, packte er Thorades an den Schultern, schüttelte ihn und stammelte:
„Thorades, alter Freund. Ich verdanke dir mein Leben!“
Thorades lächelte, legte Holdemir seine Hand auf dessen Schulter und nickte mit seinem Kopf.
„Diese dreckigen Hunde werden nicht eher ruhen, ehe sie in der Hölle schmoren“, sprach er.
„Ja, du hast recht. Lass uns diese Schweine auf die Schlachtbank schicken!“
Das Schwingen der Pfeilbogen surrte von beiden Seiten. Die Barbaren grölten fremdartige Kampflieder und schienen Stunde um Stunde entschlossener zu werden. Von den Türmen sahen sie die Scharen, die sich wie wilde Tiere gegenseitig anstachelten und der Klang ihrer Waffen, die sie gegen ihre Schilde schlugen, erscholl im ganzen Tal. Dieses Bild jener gottlosen Wilden ließ Holdemirs Haupt senken. Wusste er doch, dass die Soldaten seiner Burg diesen Kreaturen nicht standhalten werden. Holdemir und sein Begleiter blickten über den Wall hinüber zum südlichen Turm. Die dortigen Truppen brauchten Unterstützung. Holdemir ergriff sein Kreuz, das an einer Kette um seinen Hals hing, küsste es und steckte es wieder unter seine Rüstung. Mit seinen Lippen formte er einen kurzen Gebetsspruch, dann eilten sie zu ihren Soldaten.
„Bist du sicher, dass Voldariel noch kommt?“, rief ihm Thorades im Rennen zu.
„Natürlich. Ich vertraue ihm“, antwortete Holdemir.
„In Gottes Namen, hoffentlich behältst du recht!“
Einer Gruppe der Wilden gelang es, einen hölzernen Turm auf Rädern bis an die steinerne Mauer zu bewegen. Von dort aus versuchten sich die Ungläubigen, einen Weg in die Burg zu verschaffen. Die Katapulte zielten mittlerweile nur noch auf die westliche Seite der Burg, wobei vereinzelte Brocken ihre Richtung verfehlten, große Löcher in die Erde schlugen und eigene Krieger darunter vergruben. Innerhalb der Burg herrschte Panik. Angsterfüllte Schreie der wild umherirrenden Dorfbewohner rissen blutige Wunden in Holdemirs Herz. Mütter, die nach ihren Kindern schrien, wildgewordene Pferde die herumirrten und züngelnde Flammen, die sich von den trockenen Hütten nährten.
Während die Barbarengruppen dem Holzturm entgegenrannten, schossen Bogenschützen von den Mauern Pfeilsalven auf die Angreifer. Ein Pfeil traf einen großen, glatzköpfigen Hünen zwischen den Augen und bohrte sich seinen Weg durch dessen Kopf. Jeder Tod der eigenen Krieger spornte die Feinde jedoch nur mehr an. Als die ersten Angreifer oben angelangten und auf die Oberfläche der Mauer trafen, wurden sie von Pfeilen aus Nahdistanz durchsiebt. Aber schon bald waren sie in der Überzahl und so klirrten Langschwerter gegen hölzerne Schilde und stumpfe Äxte prallten auf verziertes Stahl. Kampfgebrüll und Todesschreie übertönten jedes andere Geräusch. Die gehisste Flagge, das Wahrzeichen des Landes, das den Turm schmückte, wurde niedergerissen.
Ein Katapultstein traf die Mitte des westlichen Turmes. Steine zerbarsten und schlugen etliche Soldaten und Dorfbewohner nieder. Ein Bild des Entsetzens offenbarte sich. Eine Mutter musste mit ansehen, wie ihr Kind vor ihren Augen begraben wurde. Bogenschützen stürzten schreiend in die Tiefe.
„Holdemir! Ich gehe zum Westturm und helfe unseren Leuten. Meine Hilfe wird dort benötigt“, schrie Thorades, nachdem er einen der Barbaren mit seinem Schwert enthauptete.
„Gehe hinüber und halte die Barriere! Ich verlasse mich auf dich!“
Thorades rannte über die Mauer zum westlichen Turm, während Holdemir weiterhin den heranströmenden Angreifern trotze und einen um den anderen niederstreckte. Von unten erschollen laute Schreie und Rufe, die einen gewissen Rhythmus erkennen ließen. Die Wilden formierten sich und stürmten gezielt in zwei heraneilenden Strömen auf die Burg. Sie rannten sowohl auf den eingeschlagenen Westturm, als auch auf den hölzernen Angriffsturm zu. Von innen preschten weitere Soldaten auf die Mauer, um Holdemirs Standpunkt zu halten. Doch es stand schlecht um Zahlenverhältnis. Die Barbaren waren eindeutig in Überzahl und im Blutrausch. Manche der eigenen Bogenschützen sprangen vor Angst einer Konfrontation von der Mauer, andere schrien aus Verzweiflung und fuchtelten mit ihren Waffen wild um sich.
Holdemir war ein erfahrener Krieger und seit Jahren ungeschlagen im Zweikampf, doch er wurde müde. In früheren Zeiten hätte er diese Angreifer lange beschäftigt, doch der Zahn der Zeit nagte an ihm. In einem Moment, in dem er verschnaufen musste und zum Westturm blickte, gelang es einem kleinen, drahtigem Krieger ihm ein Kurzschwert in die Rippen zu stoßen. In jenem Moment wurde der Angreifer von zwei Speeren Holdemirs Soldaten durchbohrt und von der Mauer getreten. Holdemir sank auf die Knie. Blut glitt durch seine Hände.
„Holdemir! Holdemir ist verwundet! Er muss zu einem Arzt!“, brüllte der hochgewachsene Soldat neben ihm. „Er benötigt sofort ärztliche Versorgung. Wir müssen ihn ins Lazarett bringen!“
Zwei kräftige Krieger in edlen Rüstungen legten Holdemirs Arme um ihre Schultern und stützten ihn in Richtung der Treppen. Die Schlacht tobte währenddessen weiter an beiden Fronten.
Thorades war mit dem Spalten von Köpfen beschäftigt, als er die Lage Holdemirs gewahrte. Atemlos verließ er seinen Posten und eilte zu seinem Freund. In jenem Moment brachen die Angreifer über die Trümmer des Westturmes und metzelten die Verteidiger nieder. Sie machten kurzen Prozess und schlachteten alles ab, was ihren Weg kreuzte. Einem alter, humpelnder Mann, der sich in Sicherheit bringen wollte, wurden im Laufen die Kniekehlen durchgeschnitten. Anschließend fiel er zu Boden, kurz bevor sein Rücken mit einer Axt zerhackt wurde.
Die Schlacht erschien nahezu besiegelt, als ein Wachmann plötzlich vom Südturm eine Horde Reiter sah. Die berittene Armee hisste große, weiße Flaggen mit zwei gelben Drachen als Abzeichen.
„Die Truppen Voldariels sind gekommen! Es gibt noch Hoffnung!“, rief der Turmposten.
Als Holdemir das hörte, riss er sich von seinen zwei Begleitern los, schnappte sich einen Speer seines linken Begleiters, spurtete auf die Treppen zu und rannte nach oben, noch ehe ihn jemand abzufangen vermochte. Daraufhin schrie er aus Leibeskräften und schwang den Speer wie ein Berserker um sich. Er tötete fünf Barbaren, nahm die am Boden liegende Flagge und hisste sie hoch, nachdem er sie an seinem Speer befestigt hatte.
„Voldariel ist gekommen! Wir werden siegen! Lasst uns diese Schweine vernichten! Nieder mit diesen kulturlosen Wilden!“, brüllte er mit geschwollenen Halsschlagadern. Beim Blick über auf die brennende Stadt war er von Trauer und Stolz gleichermaßen erfüllt. Er wischte sich seine Tränen aus dem Gesicht und lächelte Thorades zu, der herangeeilt kam. Kurz darauf stützte er sich ab und hielt sich seine Wunde mit beiden Armen. Die übrigen Soldaten fassten neuen Mut, riefen laute Schlachtrufe und mobilisierten die restlichen Kraftreserven.
Die Reiter, deren Markenzeichen die rötlich schimmernden Rüstungen waren, sprengten auf den Südturm zu und durchbrachen die feindliche Front. Von hoch oben auf ihren Rössern stießen sie ihre Speere herab und spießten die Barbaren auf. Andere zückten ihre Langschwerter und rissen eine breite Schneise in die Reihen der Wilden. Sie schnitten Köpfe und Arme ab. Sie tränkten das Schlachtfeld mit rotem Blut und zeigten keine Gnade. Die Reiter teilten sich und eilten den Soldaten am Westtor zur Hilfe. Dort massakrierten sie ihre Widersacher und bedeckten den Boden mit abgetrennten Körperteilen.
„Thorades, mein Freund. Du bist ab jetzt für dieses Stück Land verantwortlich. Berichte dem König von diesem Ereignis und kümmere dich gut um unser Volk. Wir sehen uns im nächsten Leben“, hauchte Holdemir seinem Freund zu, ehe er zu Boden sank und seinen letzten Atemzug von sich gab.