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- 02.01.2011
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Bunte Haare
"Heute Abend", schmatzte Hannes und schob sich die Gabel zwischen die Backen, "heute Abend, das spür' ich, das wird 'ne große Nummer."
Wir saßen da, über uns thronte eine Reihe Geweihe: Stolz, mächtig, tot. Sie schauten voller Ekel herab, auf unsere zerrissenen Hosen, unsere versifften Shirts, die selbst geschnittenen Frisuren. Wir nippten am Bier, stocherten auf unseren Tellern herum.
"Ey Basti." Er deutete mit dem Löffel auf mich, kaute, schluckte. "Hast du die CDs mitgenommen?"
Ich nickte.
"Yeah." Hannes lehnte sich zurück, und da sah ich es wieder: Dieses Glitzern in seinen Augen, diesen verträumten Blick. "Ich sag' euch, wenn wir heute geil auf die Scheiße hauen, dann reißen die uns das Zeug nachher aus den Händen."
Ich lutschte an der Flasche, beobachtete, wie wir Pasta in uns schaufelten und dabei so taten, als sei das hier nichts Besonderes, bloß Routine.
Die Tür schob sich in den Raum, und ein grauer Kerl mit kurzen Beinen und Hängebauch watschelte in die Backstage.
"Na, ihr Rockers, seid 's ihr fertich?"
Wir schlangen die restlichen Nudeln in uns hinein, nickten.
"Ha!" Er lachte, deutete auf die halbleere Kiste Bier, die er vorhin mit Nudeln und Bändchen zu uns herein geschleppt hatte. "Ihr Musikerleut' habt 's ja 'en ordentlichen Durscht, hä?"
Er nahm die Teller, schüttelte den Kopf, stieß beim Hinausgehen ein letztes "Ha!" aus.
"Sag mal", fragte ich Hannes, "weißt du, wann die Honky Tonk Fuckers kommen?"
Er zuckte mit den Schultern, schmunzelte.
"Die werden wohl gerade mit irgendwelchen Groupies rummachen, oder noch was einspielen, für 'ne Platte oder so."
"Mhm." Ich blinzelte auf meine Armbanduhr. Halb sieben. "Hoffen wir 's mal, wir hatten ja ausgemacht, dass wir um fünf -"
"Jetzt chill' doch mal!"
"Na ja, ich wollte nur -"
"Basti, das sind Künstler, verstehst du? Nicht solche verkackten Dorfspießer." Er verdrehte die Augen, stopfte sich eine Kippe zwischen die Lippen. "Anarchie leben, das heißt auf Konventionen zu scheißen."
Ich saß da, wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, sah mir Hannes verpickeltes Gesicht an, sah den Flaum, den er seit Monaten unter seiner Nase züchtete. Ich drehte mir eine Zigarette, zündete sie an. Wir bliesen den Rauch vor uns hin, schwiegen. Unser Drummer, Schneider, griff in die Innentasche seiner Lederjacke, schmiss ein kleines Plastiktütchen auf den Tisch.
"Scheiße", sagte ich, "wo hast 'n das Kraut aufgegabelt?"
"Tja!" Er grinste mich an, schob sich die Brille zurecht. Ich dachte an das letzte Mal, als er dieses Zeug mit zur Probe genommen hatte, nach einem Zug stundenlang über der Schüssel gehangen war.
Jemand stieß die Tür auf. Eine hagere Gestalt mit Tartanhose, Igelfrisur und Sonnenbrille stolzierte herein, gefolgt von ein paar Kerlen, deren Gesichter nur aus Ringe und Falten zu bestehen schien. Der Typ riss sich die Brille herunter, ließ seinen Blick durchs Zimmer wandern.
"Sebastian!" Er drehte sich um, schien jemanden zu suchen, fand ihn nicht. "Sebastian! Fuck it, wo hast 'n uns da hingebracht!"
Er sah wieder in den Raum, hoch auf die Geweihe, dann runter zu mir. "Backstage?"
"Ja ... Äh-ähm, hi Tobi, wir sind -" Hannes schoss von der Couch auf, streckte ihm seine zittrige Hand entgegen. "Wir sind Generation brainhole."
Der Mann ließ Hannes stehen, ging zum Bierkasten und verteilte ein paar Flaschen an seine Entourage.
"Wir äh", haspelte Hannes, trippelte auf den Füßen herum, zog seinen Arm wieder zurück, "waren in Hamburg dabei, letzten Dezember."
Der Typ starrte hoch an die Decke, streifte sich durch die Haare. "Ja, ja, Dezember ... könnte hinkommen."
Er setzte sich die Sonnenbrille auf die Nase, machte ein paar große Schritte.
"Oh no! Was is' 'n das?" Er deutete auf das Plastiktütchen auf dem Tisch. "Rauchen die Kids hier so 'n Zeug immer noch?"
Schneider wurde noch blasser als er ohnehin schon war, räusperte sich. "Na ja, wenn wir nicht gerade saufen, weil das ist eher unser Ding, und -"
"Wir ziehen uns halt alles rein, was es gibt!", rief Hannes dazwischen, strahlte.
Der Kerl lächelte, zeigte seine gelben Zähne. "Ach, da werden bei mir memories wach." Er deutete auf einen seiner vollgetackerten Kumpane. "Der da drüben, Jimi, mit dem habe ich das früher kiloweise verbrannt, in den Neunzigern, you know. Weißte noch, Jimi?!"
Jimi murrte irgendetwas, schleppte zwei Gitarren in die Ecke.
Der Sonnenbrillentyp musterte uns einen Augenblick, grübelte.
"Also, wenn das so ist ..." Er beugte sich zu uns herunter, dämpfte seine Stimme. “Soll ich euch mal zeigen, mit was ich mich fresh mache?"
Wir nickten, und ein Schmunzeln fuhr uns über die Lippen. Erst jetzt wurde mir klar, wie sehr mein Herz pumpte, wie nass meine Hände eigentlich geschwitzt waren: Das waren tatsächlich die Honky Tonk Fuckers, die da vor uns standen; die, die in den langweiligen Mathestunden in meinen Kopfhörern saßen, von Revolte sangen und mir das Gefühl gaben, dass es irgendwo da draußen mehr als Schützenfeste und Bausparverträge gab.
Er zog ein kleines Alufolienknäuel hervor, legte es auf den Tisch. Wir tauschten aufgebrachte Blicke aus.
"Schon mal was von Speed gehört?"
Wir schüttelten den Kopf.
"Noch nie?" Er faltete den Ball auseinander. Wir machten große Augen, beäugten das weiße Pulver.
"Mensch Tobi, lass doch mal die Kinna in Ruh'!", schnaubte einer der gepiercten Kerle herüber, schleppte Gitarren und Verstärker in die Backstage.
Der Sonnenbrillenmann nickte ihm zu, fing an, übertrieben laut zu lachen.
"Ha ha ha!" Er sah uns wieder an. "Also, what up Kids, eigentlich mach' ich das ja nicht, aber für euch gibt 's 'ne Ausnahme."
"Wie meinste das?", fragte ich.
"Alter!", fauchte mich Hannes an. "Sorry, äh, Tobi, aber mein Kumpel ist manchmal nicht so helle."
Er lachte, zeigte uns wieder sein Gebiss. "Also gut, seid ihr dabei, Kids?"
Die anderen nickten, schauten mich an. Dann tat ich es auch, es fühlte sich irgendwie falsch an, mein Bauch kribbelte.
"Dann krieg' ich von jedem 'nen Zehner."
Wir kramten unsere Geldbeutel heraus.
"Seid nich' blöd Kinna, der alte Wichser will bloß sein' Dreck verkäff'!", brummte der gepiercte Typ wieder.
"Ach komm schon, Jimi, mach' den Kids doch nich' die Party kaputt!"
"Boa, ich weiß nicht, ob ich da echt Bock drauf habe, Leute", murmelte ich, hielt die Münzen schon in der Hand.
"Wie jetzt?" Tobi starrte mich entsetzt an.
"Na ja weißt du, wir haben schon was getrunken, und -"
"Come on, Basti!", stöhnte Hannes, verdrehte die Augen. "Sei doch nich' immer so 'n Spießer!"
Tobi seufzte, war gerade dabei, das Zeug zu vier Linien zu formen. "Dein Kumpel hat recht, don't be negative, man. Don't be."
Ich nahm mein Bier, schluckte, hörte den Puls in meinen Ohren pochen. Ich legte ihm das Geld hin.
"Wenn ihr punkrock sein wollt, Kids, dann ist das genau das Richtige. Elvis, Vicious, Cobain – die haben das alle gezogen."
Ich blickte ihn an. "Elvis?"
"Klar! Das gibt dir die power, you know. Jimi!" Er winkte seinem Kumpel zu, "pass mal auf, dass der fette Besitzer hier nich' reinkommt!"
Er nahm einen Schein, rollte ihn rohrförmig zusammen, hielt ihn mir hin. Ich stopfte mir das Ding in die Nase, beugte mich zum Tisch, spürte, wie es sich hoch brannte, dann meinen Rachen herunter sickerte. Ein furchtbar bitterer Geschmack breitete sich in meinem Mund aus. Ich hob den Kopf wieder an, versuchte es weg zu schlucken, nippte am Bier, schniefte noch etwas herum, wartete darauf, dass irgendetwas passiert. Die anderen starrten mich gebannt an.
"Und?", fragte Hannes.
Ich zuckte mit den Schultern. "Weiß auch nicht."
Ich gab ihm das Röhrchen. Tobi wischte meine Reste ab, rieb sie sich gegens Zahnfleisch, zählte das Geld.
Ich kann mich daran erinnern, dass eine Backstage in meiner Vorstellung immer ein magischer Ort gewesen war: Eine Horde Musiker, die nach den Strapazen on the road zusammen jammen, feiern, blonde Groupies befummeln. Doch jetzt hockten wir seit Stunden einfach nur da, küssten Flaschenöffnungen, hatten kein Gesprächsthema, schoben uns gegenseitig doofe Blicke zu. Im Hintergrund sang Jürgen Drews von irgendeinem Kornfeld.
Ich beobachtete die Honky Tonk Fuckers, wie sie am Nachbartisch Pasta verdrückten, dabei vor sich hin starrten; und ich konnte nicht aufhören, an die hunderte von Augen da draußen zu denken, an das Scheinwerferlicht, das sich auf einen legt, kurz bevor diese drückende Stille das Stimmengewirr der Leute verschluckt, sich alle umdrehen, dich anglotzen.
Mein Magen schlug Purzelbäume, der Schweiß floss mir die Achseln herunter. Ich versuchte, eine abgebrühter-Rockstar-Maske aufzusetzen, doch mein Gesicht zuckte bloß komisch herum. Ich saugte am Bier, wartete auf die beruhigende Wirkung. Sie kam nicht.
"Scheiße", murmelte Schneider, "ich glaub', mir ist schlecht."
"Was?" Hannes trommelte mit den Fingern auf dem Tisch, wippte den Kopf im Takt mit. "Wie jetzt?"
Ich sah mir Schneider an, stellte erschrocken fest, dass seine Hautfarbe mittlerweile fast dem Gelb der Tapete glich.
"Willste 'n Wasser?", fragte ich.
"Ja, wär' nicht -"
"Ach kommt schon!", stöhnte Hannes, "macht mal nicht 'ne, äh, Fliege zu 'nem Elefanten, wir trinken 'nen Schnaps, dann läuft dein Motor wieder!"
Er lief zu seinem Rucksack, brachte einen Jägermeister mit, riss den Deckel ab.
"Jo, Punks, wollt ihr auch 'nen Schluck?" Er hielt das Ding dem anderen Tisch hin, die brummten irgendetwas, gaben es durch, stellten die Flasche vor Schneider. Hannes zwinkerte ihm zu.
"Come on!"
Schneider legte an, sprang vom Stuhl auf, hielt sich die Hand vor dem Mund, rannte zum Klo. Gelächter hallte durch die Luft.
"Also Kinnas", schrie der Kerl mit dem Pfannenkuchengesicht zu uns herein, "in fünf Minudden isses soweit, macht 's euch ma' fertich!"
Wir nickten, und er zog die Tür zurück in den Rahmen.
Ich blickte Hannes an. "Alter, wir müssen Schneider mal vom Scheißhaus schleppen."
Er sprang vom Sofa, klatschte in die Hände, stieß ein grölendes Uh aus, dann nochmal: "Uh!"
"Biste jetzt total bekloppt, oder was?"
Er schaute mich an, streifte sich durch die Haare. "Ne' Mann, das ist für die Stimme. Uh! Das macht man halt so als Sänger, stimmt 's Tobi?"
"Uhuhuh!", äffte der ihn nach, und die gepiercten Typen grunzten.
Ich musterte meinen Bandkollegen, sah die Schweißperlen auf seiner Stirn glänzen.
"Uh!"
Der Raum war nicht halb so voll, wie er in meiner Vorstellung gewesen war; ein ehemaliges Wirtshaus, mit Holztresen gegenüber der Bühne, dazwischen ein paar Irokesen, Karohemden, birnenförmige Zahnspangenmädchen. Es roch nach Mottenkugeln und Zigarettenrauch.
Ich atmete tief ein, strich mir den Schweiß von den Händen, spürte, wie meine Waden verkrampften. Ich drehte mich zu den anderen um: Schneider hockte apathisch hinter seinen Trommeln, nippte am Wasser, und Hannes tänzelte im Stehen herum, drehte an den Rädchen seines Topteils, brabbelte irgendetwas vor sich her, kicherte.
Wir gingen auf unsere Plätze, ich vorne rechts, er vorne links. Es wurde dunkel. Ich spitzte auf die Setlist vor meinen Füßen, versuchte, meine zitternden Finger zum ersten Akkord zu formen, nickte Hannes zu.
"Yeaah, Kids von überall her! Yeah, yeah, yeah!", kreischte er ins Mikrofon, und ich zuckte zusammen, Scham sickerte in meinen Bauch. "Wer uns noch nicht kennt, wir sind Generation brainhole!"
Er stockte kurz, wartete wohl auf irgendeine Reaktion. Nichts tat sich.
"Auf jeden Fall habt ihr heute die große Ehre, Punkrockgeschichte mitzuerleben!"
Er beugte sich mit seinem Oberkörper übertrieben weit nach hinten, schlug einen stechenden Ton an.
"Jetz' fangt mal an, ihr Penner!", fauchte uns eine Stimme aus der Dunkelheit an.
Hannes stellte sich wieder gerade hin, warf mir irritierte Blicke zu.
"Äh ... hier kommt 'Bullenknüppel'!"
Schneider zählte an, und ich schrubbte mein Plektrum in die Saiten, versuchte in lässiger Pose mit zu nicken, so, wie ich es schon oft zuhause vor dem Spiegel geübt hatte. Aber irgendwie war es nicht dasselbe, ich kam einfach nicht aus mir heraus, stand wie ein menschlicher Wackeldackel da, starrte auf meine Finger, traute mich nicht, den Kopf zu heben und in ihre Gesichter zu schauen.
Dann plötzlich ein Knall. Ich und Hannes hörten das Spielen auf, drehten uns um, suchten nach Schneider, sahen ihn nicht. Murmeln durchflutete den Raum.
Da zog er sich an einem Beckenständer hoch, der Kopf purpurrot, setzte sich wieder hin, zeigte uns den Daumen, versuchte seine Lippen zu einem Lächeln zu biegen.
"Ha ha ha", jaulte es aus aus dem Publikum, "ihr haut uns ja vom Hocker, ha ha ha!"
Wir senkten unsere Häupter, warteten darauf, dass Schneider anzählte: Klack, klack, klack.
Wieder hämmerte ich mit meiner Rechten auf mein Instrument ein, hörte, wie Hannes irgendetwas über Bullen und Prügel grölte, spürte das Adrenalin in meinen Beinen kribbeln. Ich wagte ins Publikum zu lugen, wurde aber sogleich mit einem leichten Schwindelanfall bestraft.
Der Song war zu Ende, der nächste begann, und ich tat das, was man auf der Bühne nie tun sollte: Grübeln. Ich schaute aufs Griffbrett, beobachtete meine Finger, die wie die Arme einer Minikrake auf und ab tänzelten, dachte über das weiße Zeug nach, das mich angeblich in Elvis verwandeln sollte, dachte an Scheißhaus-Schneider, Pfannenkuchengesichter, dachte, dachte, dachte … Ich wachte auf, stierte immer noch auf meine Hände, war mir plötzlich gar nicht mehr so sicher, was ich da eigentlich tat. Diese Bewegungen kamen mir absolut fremd vor. Hatte Gitarrespielen schon immer so ausgesehen? Ich hörte den Verstärker in meinen Rücken dröhnen, und es klang eher nach einem Esel beim Koitus, als nach knackigem Punkrock. Ich brach in Schweiß aus, blickte zu den Leuten hinunter, dann zu Hannes, aber niemandem schien etwas aufzufallen. Ich schlug ein paar leere Saiten an, wartete darauf, dass es endlich vorbei sein würde.
"Oh-mein-Gott!” Hannes strahlte, als wir unser Zeug zurück in die Backstage trugen. "Das war ja mal wohl der absolute Wahnsinn!"
"Mhm ja", murmelte ich.
"Alter!" Er packte mich an der Schulter. "Wir müssen jetzt noch einen drauf machen, ich meine, jetzt spielen die Honky Tonks!"
Ich nickte, lächelte, war froh, dass der Abend bereits an dieser Stelle angelangt war.
"Geht 's dir wieder besser, Schneider?", fragte ich.
"Ja ja, jetzt geht 's wieder, weiß auch nicht, was das war ..."
Wir blieben ein bisschen unter den Geweihen, tranken Bier, rissen Witze, bekamen wieder Fahrtwind, gingen hinaus.
Der Saal hatte sich seit unserem Auftritt stark gefüllt, wir hatten große Mühe damit, uns bis zum Tresen durchzuquetschen. Hannes orderte irgendein grünes Zeug und wir standen da, lehnten an der Bar an, schauten zur Bühne, auf der wir vorhin noch gestanden hatten. Wir fühlten uns groß, mächtig, überlegen. Wir waren die Jungs von der Band.
Plötzlich zupfte mich etwas am Arm. Ich drehte mich um, und da sah ich sie: Zwei Augen, die mich wie runde Smaragde anfunkelten. Ich schmunzelte, fühlte mich bereit. Bereit dafür, mich hinunter zu beugen und ihr Worte zuzuflüstern, die die coolen Jungs aus den Highschoolfilmen meiner Ansicht nach benutzen würden.
"Na, wer bist du denn, Mäuschen?"
Sie lächelte, zeigte mir ihre Zahnspange, spielte sich an den Haaren herum. "Die Nadine."
"Oh, süß. Hi Nadine."
"Du hast gerade gespielt, oder?"
Ich nickte, nippte am grünen Fusel.
Sie starrte mich an, lächelte immer noch. "Kennst du den Tobi?"
Erst verstand ich nicht, dann deutete ich zur Bühne hinüber, wo die Honky Tonks gerade ihr Equipment aufbauten. "Den da?"
"Genau, den!"
Ich dachte einen Moment lang nach, blinzelte zu Schneider, der zwinkerte mir zu. Ich kratzte mich an der Stirn.
"Klar kenn' ich den. Musikerkollege und so." Ich nahm einen großen Schluck, schaute in die Ferne, setzte mir diesen Blick auf, als hätte ich Ahnung von der weiten Welt da draußen. Ich spürte, wie Hannes mir von hinten auf die Schulter klopfte.
"Stellst du mir den mal vor?", nuschelte sie, sog mich mit ihren Augen auf, nahm meine Hand.
"Äh ... ja, mal schauen … normal darf man nicht einfach so Leute in die Backstage bringen."
Jetzt schob sie ihren Kopf dicht an meinen. "Und wenn ich vorher mal mit dir rausgehe?"
Ich schluckte, war mir nicht sicher, was gerade geschah; aber egal was es war, irgendwie lockte mich diese Göre langsam aus der Reserve. Mein Bauch kribbelte, ich fühlte mein Herz gegen den Brustkorb trommeln.
"Okay."
Sie zog mich mit nach draußen, über den Parkplatz hinweg in ein abgelegenes Eck. Wir blieben stehen, sahen uns an.
"Ja, da wären wären w-"
Blitzschnell schlang sie ihre Arme um meinen Hals, drückte ihre Lippen auf meine, funkelte mit ihren Smaragden herum.
Ich wusste nicht, was ich mit meinen Fingern anstellen sollte, stopfte sie mir in die Hosentaschen.
"Du bist süß."
"Ähm ... danke."
Einige Sekunden lang schwiegen wir, lauschten dem Zirpen der Nacht.
Plötzlich küsste sie mich am Hals, glitt an mir hinunter, ging auf die Knie, grinste hoch, öffnete den Knopf. Ich war mir selbst nicht sicher, was ich hier draußen erwartet hatte, aber damit hatte ich dann doch nicht gerechnet. Ich stand ratlos da, war mit meinem Highschoolfilm-Latein am Ende. Sie zog mir die Shorts herunter. Ich kniff die Augen zusammen, wollte mich sammeln, konzentrieren.
"Alles klar bei dir?", fragte sie von da unten. Ich schaute zu ihr.
"Ja ja, klar ..." Ich blickte hoch in den Himmel, sah den Mond da oben hängen, spürte ihren warmen Mund.
"Du bist aber nicht schwul, oder?"
Ich schüttelte den Kopf. "Ne', ne', ne', warte, gleich ..."
Sie machte weiter, tat ihr Bestes. Ich hörte, wie die Honky Tonk Fuckers die ersten Akkorde anspielten, die Leute applaudierten. Beim zweiten Song stand sie dann auf, lächelte mich doof an. "Ja 'schuldige, aber da kann ich nichts machen … Stellste mir trotzdem den Tobi vor?"
Ich zuckte mit den Schultern, riss mein Bändchen vom Handgelenk, hielt es ihr hin. “Sag einfach du gehörst zu uns. Ich komm' schon so rein.”
"Mhm.” Sie nahm es, spitzte noch einmal nach unten, drehte sich um.
Ich blieb noch einige Zeit da stehen, ohne Hosen, versteinert, wollte im Boden versinken.
"Na Casanova?", brüllte Hannes, als ich zurück ins Backstage kam. "Haste die Alte gut ausgecheckt?"
Ich räusperte mich, blickte mich um: Nur meine zwei Kumpane saßen da, die anderen schienen noch ihr Equipment abzubauen.
"Ja, klar."
Hannes strahlte, hob die Hand zum Einklatschen. "Yea! Erzähl mal."
Ich druckste herum, schaute auf meine Schuhe. "Ja, na ja, wie 's halt so läuft, weißt schon."
Schneider schaute mich verwirrt an. "Wie meinste das jetzt?"
Ich hörte die Tür hinter mir knarzen, sah einen der gepiercten Typen einen Verstärker hereinschleppen.
"Hast du sie geknallt, oder was?"
Die beiden starrten mich neugierig an.
"Ja ... ja klar hab' ich die Alte geknallt." Ich klatschte mit Hannes ein. "Hab' sie voll ..."
Das Grinsen in ihren Gesichtern erlosch, stattdessen rissen sie jetzt die Augen weit auf.
"... weggeknallt, war sau geil, ich mein', die is' voll abgegangen, die Alte, war total verrückt."
Plötzlich stieß mich etwas zur Seite, klatschte gegen meine Backe.
"Sag mal, geht 's noch du Penner?"
Ich erschrak; ihre Smaragde funkelten nun nicht mehr, sie brannten.
"Was laberst du für 'ne Scheiße?"
Ich konnte mich nicht bewegen, schluckte.
"'Nen Schwanz wie 'n toter Wurm, und dann erzählen, du fickst mich?!"
Sie gab mir noch eine, diesmal auf die Linke. "Assi!"
Sie stöckelte zum Sofa, schlug ihre Beine übereinander, zündete sich eine Zigarette an, blickte an uns vorbei.
Der Raum schwieg, fror eine Zeit lang ein. Tobi kam herein, Schneider stand auf, packte sein Zeug zusammen. "Na ja, lasst uns dann mal gehen, mein Bruder kommt dann ..."
Wir schleppten alles zum Parkplatz, warteten, sagten nichts.
"Ach, jetzt haben wir das mit den CDs ganz vergessen ...", murmelte Hannes vor sich hin.
"Mhm", brummte Schneider.
Ich schaute uns an, sah, wie wir dastanden; in unseren lächerlichen Verkleidungen, unter unseren verschnittenen Haaren, mit Instrumenten in den Händen, von denen wir genauso wenig verstanden, wie von allem anderen. So jung würden wir nie wieder sein.