Brust weg - Entscheidung fürs Leben
Es ist still. Ich sitze am Küchentisch in meinem Elternhaus. In der Hand einen lauwarmen Kaffee. Als ich aufschaue blicke ich in die angstvollen Augen meiner Mama. Sie sieht mich an als würden alle ihre Hoffnungen für mich in einem See aus Verzweiflung und Angst ertrinken. Ich bin 25 Jahre alt. Ich bin gesund. Und doch habe ich das Gefühl es hängt ein unsichtbares Damoklesschwert an einem hauchdünnen Faden über meinem Kopf und droht jeden Moment auf mich herabzufallen. Sie sagt man könne doch warten. Vielleicht bekommst du keinen Krebs. Und wenn du es doch bekommst kann man immernoch etwas dagegen machen.
Ihre Worte sind wie eine Ohrfeige. Ich bin sprachlos. Sie versteht mich nicht. Meine eigene Mutter versteht mich nicht. In meinem Kopf drehen sich Gedanken. Ich habe das Gefühl gegen eine Wand aus Verzweiflung und Ablehnung anzukämpfen.
Wie kann sie mich nicht verstehen? Wie kann sie sagen warte ab? Sie müsste doch am ehesten mein Vorhaben nachvollziehen können.
Ich bin enttäuscht. Habe ich zu viel erwartet?
Es war ja schon eine Herausforderung sie zum Bluttest zu überreden. Aber ich selbst konnte mich nur Testen lassen wenn die Mutation im Blut einer erkrankten Verwandten nachgewiesen werden kann.
Als ich es endlich schaffte sie zur Humangenetik zu zerren willigte sie nach der Beratung schließlich ein sich testen zu lassen.
Jetzt sitzen wir hier und starren in unsere halbleere Kaffeetasse.
Als ich den den Brief bekam mit der Einladung zu einem Gespräch wegen meiner eigenen Ergebnisse wurde mir das erste mal mulmig. Ich hatte bereits ,seit die Genmutation bei meiner Mutter festgestellt wurde, das Gefühl es auch in mir zu tragen. Aber es jetzt tatsächlich genau zu wissen war noch einmal etwas ganz anderes. Nach außen hin gab ich mich stark und versuchte meine Unsicherheit zu überspielen. Doch in mir drinnen sah es anders aus. Ich hatte Angst. Angst vor den Entscheidungen die zu treffen waren. Und plötzlich auch Angst vor meiner eigenen Courage. War es richtig was ich tat? Was würde das Ergebnis mit mir machen?
Am Tag des Termins begleitete mich eine gute Freundin. Ich war überzeugt diesen Gendefekt in mir zu tragen. Mit dieser Überzeugung ging ich in das Gespräch. Die Ärztin begrüßte uns freundlich und wir setzten uns. Und noch bevor sie etwas sagen konnte platzte es aus mir heraus. "Sie müssen gar nichts sagen... Ich weiß dass ich es habe" Die Worte kamen einfach aus mir herausgesprudelt.
Sie sah von ihren Unterlagen auf und musste mir zu ihrem Bedauern recht geben.
Bumm, da war es. Das Damoklesschwert.
Groß und glänzend über meinem Kopf.
An das weitere Gespräch kann ich mich nicht mehr erinnern. Es ist wie in Nebel gehüllt. Leere Worte die nicht in meinem Hirn ankommen. Ich habe eine brca1 Mutation. In ECHT. Schwarz auf weiß liegt das Ergebnis vor mir. Ich habe das Gefühl weg zu wollen. Fort von hier. Nichts wie raus, ich muss atmen.
Draußen scheint die Sonne und es ist warm. Es ist ein schöner Tag. Irgendwie passt das gerade so gar nicht zu meinen Gefühlen. Es fühlt sich so falsch an. Meine Freundin schlägt vor eine Runde spazieren zu gehen. Mir ist nach weinen zumute aber es wollen keine Tränen kommen. Wir laufen eine Weile einfach nebeneinander her. Menschen gehen an mir vorüber und nehmen keine Notiz von mir und dem Chaos in meinem Kopf. Sie sind mit sich beschäftigt, ihre Welt dreht sich weiter während meine gerade ins schwanken geraten ist.
Ich dachte ich wäre gut vorbereitet auf das Ergebnis. Habe ich mir die ganze Zeit doch schon gesagt dass ich es habe. Es war doch nur die Bestätigung dass ich richtig lag sage ich mir. Und doch fühlt es sich so falsch an. Immer wieder denke ich an die verrückt hohe Prozentzahl zu der ich erkranken würde.
Das ist doch Wahnsinn.
Meine Freundin ist die ganze Zeit einfach nur da und hört sich meine Gedanken an. Sie urteilt nicht und lässt mich einfach reden. Ab und an sagt sie etwas aufbauendes wenn meine Gedanken zu abstrakt werden. Es war gut sie zur Verstärkung mitzunehmen.
Irgendwann als wir nach Hause fahren hat sich mein Kopf endlich etwas beruhigt. Mit dem weißen Kuvert, in dem so scheint es,meine Lebensprognose steckt kehre ich zu meinem Mann und meinem kleinen Sohn zurück.