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Bruchstücke

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08.08.2002
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Bruchstücke

Wo gehe ich hin, wenn ich aufbreche, ohne Ziel, ohne den Weg zu kennen? Womit breche ich denn eigentlich beim Aufbruch? Was breche ich ab und was bricht an?

Da war doch die Treue zum Durchboxen. Was ich nicht haben wollte, das lief doch alles an mir ab wie Wasser. Und dann stand es mir plötzlich unter dem Kinn. Schwappte bei jedem Schritt in mein Gesicht. Wollte es mich wecken oder ertränken? War da noch ursprüngliche Lebensintensität? Nein, die war unkenntlich gemacht, gebrandmarkt mit den Brandzeichen von Viehdieben. Ich blickte nach innen, weil das Außen immer nur Abhängigkeiten bot, ließ mich nicht brechen, bis ich zusammenbrach. Ständig fühlte ich, dass ich an etwas Wichtigem vorbeiging. Hinter meiner unerkannten Angepasstheit schlummerte Abenteuerlust. Heißt Aufbrechen, sie hervorbrechen zu lassen?

Tag um Tag, reihte ich mich ein in den Kreislauf bis ich erbrach. Die Zwänge drückten meine Individualität zusammen wie die Presse ein rostiges Auto. Erst verbeulten sie mir die Stoßstange und sahen es als geringen Sachschaden an. Dann machten sie die Scheibenwischer kaputt und ließen mich bei strömenden Regen durch meine Kindheit tappen. Im sterbenden Licht der geborstenen Scheinwerfer sah ich meine Mutter die sich durch das Leben biss, im wahrsten Sinne des Wortes. Was sie zornig vermisste, war die gleiche Freiheit, welche mein Vater aufgab um es auszuhalten.

Nun sitzen sie da und starren aus den Fenstern. Jeder in seinem Zimmer, an der gleichen Front, getrennt durch eine Wand des Schweigens, nur ab und an niedergerissen um den anderen mit Vorwürfen kleiner zu machen. Vaters Traum vom Reisen in ferne Länder war längst zerfressen vom Krebs, zerfiel in Unwichtigkeit. Mutters grauer Körper, fest eingeschnürt mit einem Spagat zwischen Angst und Wut.
Kehrt Marsch, weg von diesem Bestreben es einem von ihnen nachzumachen.

Ich begehrte auf und schwamm gegen den Strom, ohne das gemauerte Flussbett auch nur einen Zentimeter zu verlassen. Dann, als das Leben mich bereits zu überholen schien, forderte ich es ein. Das ist mehr als viele je zusammenbringen und dennoch ist es nichts. Hatte das Wegggehen vom Vertrauten tatsächlich je begonnen? Alles gewechselt, alles vertauscht alles verblieb im selben, wenn auch eigenwillig bemalten und frisch begrünten Rinnsal.

Lacht euch nur kaputt, ihr Engel, die ihr mich von oben betrachtet. Habt ihr deswegen immer so aufgeblasene Wangen, weil ihr vor Lachen zu ersticken droht? Habt ihr euch auf die Schenkel geklopft, wenn ich meine Seele aus unterschiedlichsten Perspektiven, mal humorvoll und gelassen, dann wieder mit bestürztem Entsetzen betrachtet habe? Kichernd habt ihr euch die Flügel vor die Augen gehalten, wenn ich auf immer neuen Umwegen unbewusst auf das immer gleiche Ziel zuging. Ihr braucht mir nichts erzählen, ich weiß wie leicht es ist, die Heimatlosigkeit anderer Seelen zu durchblicken. Aber das eigene Niemandsland, das ist verwachsen und voll Gestrüpp. Da irrt jeder allein durch die Gegend. Wo fängt es an, wo hört es auf? Wisst ihr es?

Aufbrechen also. Wohin und womit? Die Überwindung der Haltegriffe ohne gleich den Boden aufzugeben ist ein gewagter Balanceakt. Die tappende Hand greift ins Leere. Die Füße wollen stattdessen abheben und müssen doch am Boden bleiben. Nun denn, ich werde einfach nach Irgendwo gehen. Abstand nehmen vom fremden Ich um dem wirklichen zu begegnen.

Wer wird am Ende mehr lachen, du dort, du mit der Posaune, oder jener dort hinten mit der Harfe? Oder werde ich es selber sein?

 
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Hallo Schnee.eule!
Mh. Irgendwie verstehe ich den Sinn dieser "Gedanken" nicht. Vielleicht liegt es daran, das ein Vergleich den anderen jagt und ich den Kern/Sinn der Geschichte nicht sehe... ist es die Verzweiflung?
Vielleicht kannst Du mir deine Geschichte erläutern? Würde mich interessieren!
(Das ist nicht böse gemeint!)

Gruß Joker

 
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Servus Joker!

Es freut mich, dass du dir Gedanken um den Sinn der Geschichte machst und sie nicht gradweg als wirr zurückweist. ;) Sie ist ohne Zusammenhang nicht leicht nachvollziehbar, emotional entstanden. Es interessiert mich "welche" Gedanken das Lesen auslöst.

Denn es ist nicht Verzweiflung. Nicht einmal Zweifel. Mich fragte vor ein paar Tagen jemand "Was würdest du tun, wenn du wüsstest du hättest nur noch ein Jahr zu leben" und ich antwortete: "mein Malzeug einpacken und durch die Welt ziehen. Menschen kennenlernen, ihre Geschichten malen und aufschreiben". Und dieser Gedanke riss was auf in mir, das ich nicht mehr unterdrücken kann. Ich habe mehr Zeit - und deshalb tu ich es nicht?

Jetzt hab ich mir vorgenommen mit wenig Mitteln im August einfach einen Rucksack zu packen und loszugehen. Ich weiß nicht wohin, aber allein die Möglichkeit ein paar Wochen etwas ganz anderes zu leben fasziniert mich ungemein. Vielleicht entsteht aus der Erfahrung eine Vision, vielleicht passiert auch nichts.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Liebe Eva,

ist Dein Text wirklich im strengen Sinn eine Kurzgeschichte? Ich glaube eher nicht... Aber davon abgesehen, hat er mich sehr berührt und zwar auf zwei Ebenen.

Auf der sprachlichen Ebene hat mir sehr gut gefallen, wie Du die vielen Facetten des Wortes "brechen" verarbeitet und mir dadurch bestimmte Blickwinkel gezeigt hast, an die ich bisher noch gar nie gedacht habe.

Auf der inhaltlichen Ebene macht mir Dein Text Mut, etwas Neues anzufangen, immer wieder aufzubrechen und Erfahrungen zu machen. Besonders Dein letzter Satz hat dies Gefühl in mir geweckt, denn ich bin sicher: Du wirst es sein, die am Ende am meisten lacht! Verzweiflung habe ich Deinen Zeilen nicht entnommen, nur ein Eingesperrtsein in Zwänge und Routinen, wie wir es alle kennen.

Toll finde ich auch den Titel. Er ist so zweideutig. Aus der einen Seite bedeutet das Wort doch, dass etwas zu Bruch gegangen ist, also kaputt ist. Aber auf der anderen Seite erreichst Du es, dass man durch diese Bruchstücke oder Scherben in eine andere Welt blicken kann, die vorher verschlossen war - und das macht Hoffnung!

Viele Deiner Bilder gefallen mir sehr! Nur zwei Beispiele: das Gestrüpp im eigenen Niemandsland, das gemauerte Rinnsal, in welchem Du gegen den Strom schwimmst.

Eine Bemerkung noch zur Kommasetzung: vor Nebensätzen mit "um...zu" setzt man, soweit ich weiß, ein Komma.

Liebe Grüße
Barbara

 
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Servus Barbara!

Im strengen Sinn eine Kurzgeschichte?
Wenn man diesen Text als ein bestimmtes Bruchstück all der Möglichkeiten sieht, das Leben und seine Facetten durch Worte zu beleuchten, davon zu erzählen - ja. Wenn ich mich in die Anordnungen und Richtlinien einfüge die von Betrachter zu Betracher wechseln, was eine Geschichte erfüllen muss - nein. Also entscheide ich mich für das Erstere!;)

Das Zerbrechen des Wortes Aufbruch hat schon einen eigenen Reiz gehabt. Zum anderen finde ich es wirklich schön, wenn du einen gewissen Mut herauslesen konntest, ihn gleichermaßen für dich kultiviert hast dabei. Dafür, dass du ihn nun mit deinen Worten sofort reflektierst, ihn in mein Bachbett einfließen lässt - danke ich dir.

Die Beistriche sind mein ewiges Problem welches ich nur durch Erlernen der Regeln lösen könnte. Ich hab mir mal eine Liste darüber geben lassen und akzeptiert die Regeln noch eine Weile zu brechen, bis meine Einstellung dazu einen Umbruch erfährt.

Einen lieben Gruß an dich - Eva

 

Liebe Eva,
irgendwann geht es bestimmt vielen Menschen so wie Deiner Prot. Man blickt auf die Bruchstücke seines Lebens zurück und weiss, dass man noch lange nicht alles gemacht und alles gesehen hat. Und dann braucht man den Mut aus dem Gewesenen und dem Heute auszubrechen und zu Neuem aufzubrechen.
Ein sehr schöner Text, mit guten Formulierungen und Bildern, der zum Nachdenken anregt.
Meine Lieblingsstelle:
Mutters grauer Körper, fest eingeschnürt mit einem Spagat zwischen Angst und Wut.
Tolle Formulierung, habe ich vorher so noch nie gelesen.
LG
Blanca

 

Servus Blanca!

Ausbrechen hast du als neue Spielvariante eingebracht. Das ist interessant, denn ich glaube, dass man tatsächlich erst mal ausbricht aus dem was fesselt, bevor man mit dem eigentlichen Aufbrechen beginnt. Das Stadium dazwischen braucht seine Zeit und ist vielleicht der wichtigste Abschnitt überhaupt.

Schön, dass dir gerade dieser Satz gefiel. Es ist immer eine Herausforderung mit einem Wort zweifacher Bedeutung zu spielen und beide im selben Satz zum Tragen kommen zu lassen. Lieben Dank für deine Kritik.

Herzlichen Gruß Eva

 

Hallo schnee.eule,

ich denke, dass es sich bei Deinem Text um eine Geschichte handelt, schließlich wird eine Entwicklung beschrieben, die auf verschiedenen Ebenen abläuft.
Letztlich handelt die Geschichte von Selbstreflexion, dem Aufbegehren gegen innere und äußere Zwänge, dem `eher wissen, was man nicht will´, als dem `wissen was werden soll´. Also: Diagnose klar, Therapie - ein Versuch.
Immerhin geht die Selbstkritik so weit, dass die beschriebene Person merkt, welche Illusionen ihre Entwicklung gefährden (das Rinnsal nicht verlassen, aber neu anmalen...).
Sie ließ sich „nicht brechen, bis sie zusammenbrach“ - solche Ausdrücke und die vielen kreativen Bilder lassen den Text zu etwas besonderem werden, die vielen feinen Schwingungen der Gefühlswelt der Prot. werden dem Leser vermittelt, die Symbole sind also nicht nur Selbstzweck, sondern geben der Geschichte eine zusätzliche Tiefe.

Eine Kleinigkeit ist mir aufgefallen:

„vermisste, war die gleiche Freiheit, welche mein Vater aufgab, um es auszuhalten“ - hatte die Mutter keine Freiheit zum aufgeben, um es durch die Aufgabe aushalten zu können? Erst dachte ich, es muß `die Freiheit, welche mein Vater sich nahm´, heißen, doch der nächste Absatz spricht dagegen. Deshalb vermute ich , der Sinn ist folgender: Beide gaben ihre Freiheit auf, um es auszuhalten.

Liebe Grüße (und eine Feder mit auf die Wanderung),

tschüß... Woltochinon

 

Servus Woltochinon!

Danke, dass du über das tatsächlich Gelebte, auch darüber Hinausgehendes erkennst. Die Verwirrnisse, die daraus resultierenden Erkenntnisse, die selbsttrügerischen Illusionen, und das Suchen wonach auch immer, ist in einen Ablauf eingebunden der auch hinterfragend und erzählend aufgebaut ist.

Zur Stelle mit der Freiheit der Eltern - eine Frau die mit 17 das erste von vier Kindern bekam erlebte sich nie als frei. Ihr Mann, der frei lebte seit er 13 war, legte Schritt für Schritt seine Freiheit ab, hält den Frust nun mit ihr gemeinsam aus.

Einen besonders lieben Dank für die Feder Siegbert. Sie lässt sich leicht tragen, hat ja kaum reales Gewicht, aber symbolisches :kuss:

Herzlichen Gruß - Eva

 

hallo Schnee.eule...

"Erst verbeulten sie mir die Stoßstange und sahen es als geringen Sachschaden an. Dann machten sie die Scheibenwischer kaputt und ließen mich bei strömenden Regen durch meine Kindheit tappen."

Dein Text ist wunderschön fließend und locker geschrieben, gelichzeitg aber sehr bitter und vorwerfend.
Aufbruch ist imemr gut, denn er verspicht neues, neue Wege und Möglichkeiten im Leben, neue Menschen und Situationen.

"Wer wird am Ende mehr lachen, du dort, du mit der Posaune, oder jener dort hinten mit der Harfe? Oder werde ich es selber sein?"

Ich wünsche Dir, dass Du es sein kannst, aus Freude.

liebe Grüße
Anne

 

Servus Anne!

Fein dass du den Text flüssig lesen konntest und die positive Möglichkeit meines Lachens nehme ich gerne an.
Ein ganz klein wenig Bitterkeit mag schon noch mitschwingen. Aber vorwurfsvoll ist er bestimmt nicht gemeint. Es steckt vielleicht ein bisserl der liebevolle Zynismus drin, den du schon ab und an entdecken konntest. ;)

Alles Gute für dich - Eva

 

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