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Briefgeheimnis

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04.09.2007
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Briefgeheimnis

Wie wohl die meisten Geschichten beginnt meine mit einem ganz normalen Tag. Ich bin Postbote, müssen Sie wissen. Ich bekomme die Briefe für meinen Bezirk, sortiere diese und trage sie aus. In meinem Bezirk, einer von 12 in der Stadt, gibt es auch einen Briefkasten, den ich leeren muss. Meist leere ich diesen direkt nachdem ich die Briefe ausgetragen habe, aber immer öfter vergesse ich es und leere ihn erst nachdem ich mein Fahrrad beim Postamt abgegeben habe und nach Hause gelaufen bin. Das hat den Vorteil, dass ich mir die Briefe genauer anschauen kann. Sie müssen wissen, dass es für einen Postboten kaum Gelegenheiten gibt, die Briefe, die er selbst austrägt, anzuschauen. Erst sortiere ich sie danach, ob sie überhaupt zugestellt werden könnten. Sie würden es nicht glauben, wenn sie wüssten, wie viele Briefe mit unvollständiger Adresse und ohne Absender eingeworfen werden. Die restlichen ordne ich nach Inlandspost, Auslandspost, nach einzelnen Ländern, nach Luft- und Normalpost, nach allem eben, was man an der Adresse ablesen kann. Dann schaue ich mir den Absender an. Ist es ein Mann? Ist es eine Frau? Verheiratet? Kenne ich sie? Dann überlege ich mir Geschichten zu den Briefen. Geschichten von unerfüllten Lieben, von edlen Helden, von Tragödien.
Ein älterer Herr aus meinem Bezirk schreibt zum Beispiel gern an eine Dame aus Thailand mit schön klingendem Namen. Es ist immer ein kleines Bündel Geldscheine beigelegt, das ertasten meine geübten Finger sofort. Sie dürfen mich jetzt nicht sofort verurteilen. Die Bezüge eines Postboten sind nicht üppig und wenn ich mir nicht einen Teil des Kuchens hole, dann tut dies irgendein Namenloser, der keinen Bezug zum Absender hat. Das Geld des alten Mannes hab ich nie angerührt; ich kann ihn gut verstehen. Die Briefe, die später ihre Adressaten finden werden, sind zwar interessant, aber die, die nie ankommen werden - Ich nenne sie die Verlorenen – diese Briefe sind Schätze unermesslichen Werts. Es sind Hilfeschreie der Kranken, der Verwirrten, der Senilen. Ich will das hier gar nicht zu stark ausführen; Sie werden gleich sehen, was ich meine. Da ist zum Beispiel die alte Frau, die ihren Enkeln schreiben will. Die Adresse lautet immer gleich: „An meine Kleinen/ Bismarckstraße“ Keine weitern Daten sind auf dem Umschlag, nicht einmal die obligatorische Briefmarke klebt dort. Ich glaube an die Berufsehre und ich finde es ist auch richtig, dass im Grundgesetz das Briefgeheimnis steht, aber ich kann einfach nicht widerstehen. Ich muss die Briefe öffnen. Nikita hat Recht, wenn er den Menschen als weit entfernt von der Perfektion, als schwach gegenüber allen Versuchungen beschreibt. Aber ich greife vor, sie kennen Nikita ja noch gar nicht. Er ist ein großer Prophet, aber dazu später, erst müssen meine Hintergründe klar sein. Also, ich öffne die Briefe und lese sie. Irgendjemand muss diese Briefe lesen; dazu wurden sie ja geschrieben. Was ist ein Brief, den niemand liest? Später stellte sich zwar heraus, dass sie manchmal dennoch den Richtigen finden und es gibt auch Empfänger, die man überall erreichen kann. Aber ich greife schon wieder vor. Ich lese also diese Briefe. Mal sind sie leserlich und verständlich, mal kryptisch und das nicht nur wegen der Schrift. Ich liebe diese Briefe, sie bewegen mich. Ich leide mit den Adressaten, freue mich mit ihnen, oder versuche es zumindest. Ich bin ihr Freund, auch wenn sie es nicht wissen. So ist es zumindest noch bis vor kurzem gewesen; bis zum ersten Brief Nikitas.
Seine Briefe sind immer gleich. Der Umschlag ist nur mit einem Wort beschrieben. Beim Adressfeld steht groß und breit GOTT. Ja, Nikita schreibt immer an Gott. Ich bin ja nicht gläubig, oder war es zumindest lange nicht. Aber laut Nikita gibt es auch, oder gerade für mich Hoffnung, denn er schrieb einmal: "Wir können unser Heil nur durch die Reue erlangen. Wie soll man bereuen, wenn man nicht vorher gesündigt hat? Wenn uns also Gott die Versuchung schickt, ist es unsere Pflicht, ihr zu erliegen."1 Das war bei einem seiner ersten Briefe, Sie werden sehen, dass dies eher als Provokation verstanden werden sollte denn als Ansicht. Also der erste Brief kam an diesem eigentlich ganz normalen Tag. Ich ging ganz normal zum Postamt, holte meine Briefe. Ich trug sie aus und so verging der Tag. Es war ein Freitag irgendwann Anfang Oktober. Es wehte ein leichter Wind und nieselte. Kurz gesagt: ein ganz normaler Tag. Nach der Arbeit leerte ich noch den Briefkasten und lief nach Hause. Es war ein Freitag, weshalb ich die Briefe nicht sofort öffnete, Zeit hat man am Wochenende ja genug. Erst spät abends, nachdem ich vom obligatorischen Barbesuch zurückkam, legte ich mich aufs Bett und öffnete die Verlorenen. Es waren an diesem Tag nur zwei, was bei meinem überalterten Bezirk schon ungewöhnlich ist. Den ersten konnte ich gleich identifizieren, die alte Frau, die diesen geschrieben hatte, versendet etwa alle zwei Monate einen. Sie schreibt von Einsamkeit und Schmerzen. Das war genau das, was ich zu dieser Zeit nicht lesen wollte. Also schaute ich mir den zweiten an. Ich sah zum ersten Mal Nikitas Handschrift und las die großen schwarzen Buchstaben im Adressfeld. Ich musste mich erst besinnen, wie viel ich an diesem Abend getrunken hatte, kam aber nicht auf genug, um die Existenz des Briefs anzuzweifeln. Ich hatte schon viele ungewöhnliche Adressaten, aber an Gott hat noch niemand geschrieben. Ich öffnete den Briefumschlag, es war ein ganz normaler DIN C 4. Darin steckten zwei mit sauberer und gut lesbarer Handschrift beschrieben Blätter. Der Brief begann mit den Zeilen, mit denen Nikitas Briefe immer beginnen: „Großer Gott. Ich habe die Vision erhalten und fühle mich gezwungen, dir zu antworten…“. Mein erster Gedanke war, dass ich hier die Aufschriebe eines Irren vor mir hatte, aber dann begann ich zu lesen und die Klarheit der Worte und Gedanken erschütterten die These von der Verwirrtheit. Im ersten Brief antwortet Nikita auf eine Art Vision, einen Traum, in dem Gott ihn auffordert, die Welt zu lieben und das Leben zu genießen. Nikita protestiert vehement dagegen, er sieht die Welt als schlecht, als falsch, als verdorben an. Er zählt die vielen Möglichkeiten der Menschen auf, zu leiden, die vielen traurigen Schicksale, den Hass und die Gewalt, die die Welt dominieren. Er sieht Gottlosigkeit, leere Kirchen, menschliche Kälte, kurz: er sieht „den Gegenentwurf einer perfekten Welt“, wie er sich ausdrückt. Das hat mich beeindruckt. Dieser Mensch glaubte, er könne so Gott erreichen und widerspricht ihm komplett, wirft ihm auch noch vor, die Welt schlecht gemacht zu haben. Er fordert sogar am Ende des Briefs, Gott solle ihm zeigen, dass er wirklich der allmächtige und vor allem gute Herrscher sei, der propagiert wird. Er erwähnt auch das „Theodizee-Problem“, mit dem ich zwar nichts anfangen kann, aber ich glaube, damit ist genau die Frage gemeint: Warum hilft Gott nicht, wenn er allmächtig und gütig ist? Ich habe mir diese Frag nie gestellt, aber jetzt, wo sie vor mir liegt, ist sie beängstigend. Sie scheint Gott zu widerlegen.
Sie dürfen jetzt nicht glauben, dass ich nicht gebildet bin, nur weil ich Postbote bin. Ich bin studierter Geologe, habe aber keine Anstellung gefunden und arbeite deshalb bei der Post. Es war die einzige Anstellung, die ich bekommen konnte. Dies nur kurz, damit sie meine Grundbildung nicht in Zweifel ziehen. Nikita hatte also die Position des Zweiflers übernommen und erwartete nun von Gott Wunder, oder das Ausbleiben der Wunder und damit die Bestätigung seiner Zweifel.
Nikita ist übrigens nicht sein ganzer Name, aber ich kann den restlichen Namen weder aussprechen, noch kann ich ihn mir merken. Ich habe mir lange überlegt, wozu Nikita den Brief eingeworfen hat. Er muss gewusst haben, dass dieser nicht zugestellt werden kann. Ich glaube er wollte den Brief nur loswerden. Wenn man jemandem einen Brief schreibt, sei es ein Mensch oder sei es Gott, so verschickt man ihn per Post. Wenn man ihn nicht abschickt, so kann er auch nicht ankommen. Man hat das Gefühl, es nicht richtig gemacht zu haben. Ich kann das nicht präzise genug ausdrücken, aber es ist, als hätte man den Brief nicht geschrieben. Sobald der aber im Kasten ist, liegt es nicht mehr in der Macht des Absenders, ob er ankommt oder nicht. Ich bin an diesem Abend irgendwann eingeschlafen und war überrascht, dass der Brief immer noch da war. Ohne ihn wäre es wohl viel einfacher gewesen. Das ganze Wochenende über überlegte ich, was ich machen sollte. Sollte ich Nikita suchen und mit ihm reden? Ausgeschlossen! Er darf nicht wissen, dass sein Brief gelesen wurde. Wie meistens, wenn man eine folgenschwere Entscheidung treffen will und lange über sie nachdenkt, konnte ich mich nicht entscheiden und tat nichts.
Am Montag ging ich ganz normal zur Arbeit. Als ich mein Fahrrad holte, kam mir eine Idee. Wenn noch weitere solcher Briefe geschrieben werden, dann war es wohl im Sinne des Verfassers, wenn sie alle zusammen aufbewahrt werden würden. Das war meine Rechtfertigung für meinen Versuch, weitere Briefe zu lesen. Der Grund war wohl in Wirklichkeit meine Neugier, die durch den ersten Brief geweckt worden war. Ich suchte also den Kollegen vom Wochenenddienst und fragte ihn nach Briefen mit der Adresse GOTT. Ich begründete meine Suche mit einem alten und kranken Onkel, dessen Brief ich dem Psychiater geben müsse. Damit war sicher, dass ich auch in Zukunft solche Briefe bekommen konnte, ohne viele Fragen stellen und beantworten zu müssen. Leider hatte Nikita noch keinen zweiten Brief geschickt. Ich kam mir etwas bescheuert vor. Warum war ich mir so sicher, dass er nochmals einen Brief schicken sollte? Warum gleich am Tag danach? Ich hatte mich wie ein Kind sofort für eine Sache begeistern lassen und hatte ohne zu denken sofort euphorisch daran geglaubt. Die miese Stimmung begleitete mich die ganze Woche, das Nieselwetter übrigens auch. Ich leerte nun, obwohl ich mir eigentlich sicher war, keinen Brief an Gott mehr zu bekommen, den Briefkasten immer abends. Das führte dazu, dass ich immer mehr Briefe zu Hause hatte, auch wenn die „normalen“ Verlorenen mich immer weniger interessierten. Tief in mir war doch noch ein Funken Hoffnung, nochmals von Nikita zu lesen.
Diese Hoffnung wurde dann am darauf folgenden Freitag erfüllt. Ich fand in meinem Kasten den Umschlag mit den vier großen schwarzen Buchstaben. Erst beim Öffnen des Briefs merkte ich, wie wichtig dieser für mich war. Meine Hände zitterten in Erwartung des Gottbeweises, von dem ich sicher war, ihn im Umschlag zu finden. Warum sollte Nikita nochmals schreiben, wenn er glaubte, der Brief sei nicht erhört worden? Zu meinem Erstaunen begann der Brief wieder mit den Worten des ersten Briefs: „Großer Gott. Ich habe die Vision erhalten und fühle mich gezwungen dir zu antworten…“. Wieder keine Einleitung, keine Erfurchtsbezeugungen. Warum auch? Wie redet man den Gott an? Es gibt kein Wort der menschlichen Sprache, um etwas zu beschreiben was außerhalb des menschlichen Verstands existiert. Gott kann man nicht mit dem Verstand fassen, also kann ihn auch die Sprache nicht erfassen. Nikita beschreibt seine zweite Vision als Beweis für die Allmacht, nicht aber für die Güte Gottes. Er wurde von einem Seraphin aus seinem Bett geholt und an einen Ort gebracht, an dem es viele Mensche, aber keinerlei Nahrung gab. Die Vision dauerte Tage, vielleicht auch Wochen; nach langen Qualen waren die Menschen alle gestorben, nur Nikita war trotz der Schmerzen nicht tot. Der Seraphin nahm ihn mit und zeigte ihm noch ein kleines Hüttchen inmitten eines Slums. Die Hütte war aus einfachem Wellblech, der Engel forderte ihn auf, einzutreten. Dort sah Nikita eine Frau mit einem etwa zwei Jahre alten Kind. Dieses Kind war sehr abgemagert und verstarb innerhalb weniger Minuten. Der Seraphin brachte ihn wieder an sein Bett und sprach zu ihm: „Das war das Leiden des Hungers“. Er verschwand im Nebel. Nikita brachte in diesem Brief vor allem sein Unverständnis über diese Vision zum Ausdruck. Was will Gott ihm mit dem Bild der leidenden Menschen sagen? Er sollte es bald erfahren.
Bei mir stapelten sich unterdessen langsam die Verlorenen in meinem Arbeitszimmer. Es mussten schon um die 200 Briefe sein. Ich hatte weder Zeit, noch Lust, sie zu öffnen. Deshalb lagen sie einfach nur auf dem Tisch und wurden immer mehr. Wen interessiert schon ein Brief von einem senilen alten Mann an eine Person, die wahrscheinlich schon lange tot ist, wenn man auch den Kontakt eines Menschen mit der göttlichen Welt miterleben kann? Ich habe in der Zeit seit dem ersten Brief viel nachgedacht, sehr viel. Ich war meistens zerstreut. Dies führte dazu, dass ich immer wieder Briefe versehentlich nicht austrug oder in der Tasche vergas. Ich weiß nicht wieso, aber zu dieser Zeit fand ich es logisch, diese Briefe zu den Verlorenen zu legen, statt sie am nächsten Tag wieder auszutragen. Bis zum nächsten Freitag wuchs der Stapel der Verlorenen zu einer imposanten Größe an; so groß, dass Schätzungen wohl sehr ungenau wären. Ich konnte noch nie gut schätzen, vor allem nicht bei solchen Mengen. Als ich einmal darüber nachdachte, was wohl passieren würde, wenn es auffiele, dass ich Briefe verschwinden ließ, hatte ich Angst, sie würden mich entlassen. Aber diese Angst war wohl sehr unbegründet. Die Suche nach verlorenen Briefen ist bei der Post nicht sehr erwünscht und wird meistens schon mit Beseitigung der Suchmeldung erledigt. Falls die Suchmeldung weitergeleitete wird, endet ihr Weg oftmals in der Hauptstelle im Papierkorb eines höhergestellten Beamten. Und falls die Meldung wirklich alle Schreibtische durchläuft, dann werde ich gefragt, ob ich mich an den Brief erinnern kann und falls nicht, so prüft das auch keiner nach. Alles in allem bin ich in Sicherheit.
Dann kam also der Freitag. Ich erwartete eine Aufklärung, warum diese Vision Nikitas Fragen beantworten sollte, satt dessen kamen noch mehr Fragen. Ich rannte mit dem Brief nach Hause. Nachdem die Tür geschlossen war, öffnete ich den Umschlag auf und las. Nikita hatte eine ähnliche Vision wie letzte Woche. Er lag in seinem Bett, der Seraphin trat auf und nahm ihn wieder an den Ort des Hungers. Diesmal gab es aber Nahrung. Diese traf genau dann ein, als Nikita auftauchte. Schnell kamen die ausgezehrten Menschen zusammen. Jeder wollte an das Essen, jeder kannte nur sich selbst, jeder drängelte, jeder schob. In der Masse wurde ein Kind zertrampelt, es schlugen sich zwei Männer, daraus entwickelte sich eine Schlägerei. Inmitten dieser Schlägerei stand Nikita, wollte unbeteiligt sein, wollte nur essen, wurde am Kopf getroffen, blutete. Der Seraphin nahm Nikita wieder mit; er war nun wieder unverletzt. Der Engel führte ihn in eine dunkle Straße, in der ein Mann von drei anderen zusammengeschlagen wurde. Sie standen daneben, bis der Mann starb. Daraufhin brachte der Engel Nikita wieder in seine Wohnung und sprach noch: „Das war das Leiden der Gewalt“ und verschwand. Nikitas Zweifel an Gottes Barmherzigkeit waren nicht ausgeräumt, sondern eher verstärkt.
Was wollte Gott Nikita damit sagen? Ich wusste es damals noch nicht. Ich dachte lange nach, wurde immer zerstreuter und unaufmerksamer. Zuhause stapelten sich die Briefe schon in mehreren Reihen. Ich hatte wenig Zeit für sie, meine Gedanken kreisten wirr umher. Wissen Sie, wie viele Folgen es hat, wenn man sich die Welt mit einem Gott ohne Barmherzigkeit vorstellt? Gibt es dann überhaupt das ewige Leben? Ist es dann nach dem Tod einfach vorbei? Wenn Sie sich meine Gefühle nicht ganz vorstellen können, die ich an diesen Tagen, nein eher Wochen, hatte, müssen sie nur versuchen, sich vorzustellen, einfach nicht mehr zu sein. Stellen sie sich die absolute Leere vor. Sagen sie sich „Ich existiere nicht!“. Wenn sie das ernsthaft versucht haben, dann stehen sie am Rande einer Depression. Ich war psychisch am Ende, betrank mich fast jeden Abend und wartete auf den nächsten Brief.
Doch weder der nächste noch die darauf folgenden Briefe brachten die erhoffte Erlösung. Nikitas nächste Vision zeigt ihm den Krieg in all seinen Facetten. Zeigt ihm wieder den Tod eines Menschen. Der Engel nannte dies „das Leiden des Krieges“. Nikita verstand es nicht, warum zwischen Gewalt und Krieg differenziert wurde, ich aber finde den Unterschied gravierend. Gewalt ist meist ein spontaner Affekt, ausgelöst von Leiden oder niederen Instinkten. Kriege sind geplantes Töten für ein Ziel, das weit entfernt vom Kämpfenden ist und von dem der einfache Soldat gar nichts hat. Das ist auf jeden Fall meine, nach langem Überlegen, gebildete Meinung. Worauf ich immer noch keine Antwort hatte, war die Frage der Barmherzigkeit, und was diese ganzen Visionen sollten. Wenn das Ziel sein sollte, Nikita Gottesfurcht einzuimpfen, oder ihn ganz einfach niederzumachen, so war es der richtige Weg. Nikitas Handschrift wurde immer krakeliger, er klagt über Kopfschmerzen und bittet Gott um rasche Antworten. Ja er bittet. Seine anfänglich frechen Forderungen sind untertänige Bitten geworden. Für mich änderte sich mit diesem Brief nichts. Ich konnte weder bei der Suche Nikitas nach dem Wesen Gottes, noch bei meinen Überlegungen in dieselbe Richtung einen Fortschritt feststellen. Das einzige, was sich definitiv veränderte, war der Stapel Briefe auf meinem Tisch. Ich war einfach nicht mehr in der Lage, sie zu öffnen, oder sie einfach zum Postamt oder in den Müll zu bringen. Ich schaffte sie in den Keller, kiloweise. Mein Leben war ein einziges Dahinsiechen zu dieser Zeit, nur mangelhafte Pflichterfüllung und die Erwartung der Erleuchtung, sei es durch einen Brief, oder, diese Hoffnung hatte ich immer noch, durch einen genialen Gedanken. So ging das eine Weile. Es passierte wenig bis gar nichts. Nikitas Visionen brachten ihn zur Abhängigkeit, zur Angst, zur Unterdrückung, zur menschlichen Kälte, zum Hass und zur Ignoranz. Nikita schrieb weiterhin jede Woche einen Brief. Ich las ihn jeden Freitag und war Mal um Mal bestürzt. Man sollte meinen, man könnte sich daran gewöhnen, aber die Erwartungshaltung, die sich innerhalb der Woche langsam aufbaute, stürzte mich jeden Freitag in eine Krise. Es begann immer Freitagabends. Erst war die Welt schlecht, dann so gegen Sonntag baute sich langsam Hoffnung auf, die bis Donnerstag immer mehr wuchs. Freitags war es dann eine Gewissheit, diesmal sei es der erlösende Brief.
Dieser kam dann auch. Es war der zehnte Brief Nikitas; ich sah sofort die Veränderung. Die Schrift sah sicherer aus, irgendwie ruhiger. Man konnte wieder jedes Wort, jeden Buchstaben lesen, was in den vorangegangenen Wochen nicht selbstverständlich gewesen war. Ich entspannte mich als ich dann im Brief die vermeintliche Antwort auf die Frage las, zugegeben, nur eine Teilantwort, aber besser als Erzählungen über die Leiden der Menschheit. Diese zehnte Vision war klar und deutlich. Der Seraphin erschien, brachte Nikita aber nicht aus seinem Zimmer, sondern stellte ihm einfach eine einzige Frage: „Welches Übel ist das Schlimmste, welches soll Gott aufheben, ohne die Entscheidungsfreiheit des Menschen einzuschränken?“ Nikita hat sich seine Gedanken dazu gemacht, ich ebenso. Er meinte, die Aufhebung allen Leids sei die Erfüllung des Paradieses auf Erden. Die Entscheidungsfreiheit ist dem göttlichen Frieden unterzuordnen. Er ging nun alle Leiden durch, die er erfahren hatte: Den Hunger, die Gewalt, den Krieg, usw. Er tat sich mit der Entscheidung sehr schwer, da die Leiden irgendwie zusammenhängen. Er kam auf ein Ergebnis, an das ich nicht einmal im Ansatz gedacht hatte: Er bat Gott, den Mensch vom irdischen Leben zu erlösen. Diese Idee war für mich überraschen und beängstigend. Was war, wenn Gott dieser Bitte nachginge? Was, wenn Gott darauf gewartet hat, dass ein Mensch dies erkennen könnte? Aber es passierte nichts. So kam ich dazu, auch meine Gedanken zu diesem Thema anzustellen. Um den Hunger abzustellen müsste Gott eine andauernde Nahrungsversorgung für jeden Menschen gewährleisten. Einfach nur den Boden fruchtbarer werden lassen, würde ja nicht reichen, da dann die Abhängigkeit der Armen von den Reichen nicht geschmälert würde und wahrscheinlich immer noch Menschen hungern müssten. Diese stetige Intervention würde wohl gegen die Einschränkung des Engels verstoßen, man müsse die menschliche Entscheidungsfreiheit unangetastet lassen. Ähnlich verhält es sich mit den anderen Leiden. Sie sind alle durch den Menschen verursacht und können zwar von Gott beseitigt werden, aber dazu müsste er es z.B. dem Menschen unmöglich machen, Kriege zu führen.
Ich hätte gerne Nikita irgendwie mitgeteilt, dass meiner Meinung nach Gott ihm sagen wollte, dass die vom Menschen verursachten Probleme auf Erden nur durch Menschen gelöst werden dürften. Vielleicht aber hat er das auch eingesehen und deshalb die Beendigung des Lebens gefordert. Ziemlich radikal zwar, aber logisch und eigentlich unausweichlich. Auch wenn ich damit eine Antwort auf die Frage hatte, warum keine göttliche Intervention auf der Erde spürbar ist, blieb immer noch ein ungutes Gefühl. Warum ist die Welt so unausgeglichen, so fehlerhaft? Was ich damit meine ist: Warum sind die Bodenschätze so unterschiedlich verteilt? Warum leben so viele Menschen dicht gedrängt auf wenig fruchtbarem Boden, wenn auf der anderen Seite der Erde wenige Menschen riesige fruchtbare Gebiete besitzen? Warum ist die Erde so anfällig gegen Umweltbelastungen? Warum sterben Tiere so leicht aus? Warum gibt es Krankheiten? Diese und viele ähnliche Fragen beschäftigten mich wochenlang. Ich war wieder sehr zerstreut, aber wenigstens nicht mehr depressiv. Es war klar: Es gibt einen Gott und dieser ist uns gegenüber positiv eingestellt. Die Fragen verfolgten mich im Schlaf, bei der Arbeit und bei jeder anderen Gelegenheit. Es ist schwer zu sagen, ob ich zu dieser Zeit mehr Briefe ausgetragen, oder mehr Briefe nach Hause getragen habe.
Eine Frau sprach mich darauf an, ob ich denn nicht endlich einen für sie sehr wichtigen Brief dabei habe. Hatte ich nicht, aber ich durchsuchte die Stapel im Keller, die sich bis zur Decke türmten. Ein schlechtes Gewissen hatte ich schon, diese große Menge an Briefen nicht ausgetragen zu haben, aber einfach zurückbringen konnte ich sie nicht. Es waren wohl gut mehrere tausend Briefe. Als ich einen Nachmittag mal einen klaren Kopf hatte, dachte ich viel über meine Situation nach und beschloss wieder ein guter Postbote zu werden. Dies wollte ich erreichen, indem ich außer Nikitas keine Briefe las und die Verlorenen In Fünferpäckchen zur Arbeit brachte. Es fiel nicht auf, dass mein Briefkasten im Schnitt fünf Briefe pro Tag mehr hatte. Die nicht zugestellten Briefe trug ich auch nach und nach aus, doch der Briefberg im Keller wurde einfach nicht kleiner. Zusätzlich kam hinzu, dass Nikita nicht mehr schrieb. Ich konnte mich nicht damit abfinden, dass das alles gewesen sein soll. Warum sollte sich Nikita mit diesen Antwortchen zufrieden geben? Er war so frech, so direkt auf Gott zugegangen, es würde nicht zu ihm passen, wenn er jetzt so einfach aufgäbe. Hatte er eine abschließende Vision? Wurde ihm DIE Antwort gegeben? Wenn ja, warum behielt er sie für sich? Warum stellte er sich nicht auf den Marktplatz und verkündete die Botschaft? Die Antwort war so einfach wie banal: Nikita war krank, aber das wusste ich damals nicht. Ich machte mir mehr Gedanken über Nikita, als über meine eigentlichen Probleme: Die vielen Briefe oder mein Glaube.
Unser Postamt war seit mehreren Tagen in heller Aufregung, da sich die Vermisstenanzeigen mehrten. Es ist eine Sache, ein oder zwei Suchanfragen in den Papierkorb zu werfen, aber eine andere, wenn es täglich mehrere sind. Es gab eine Versammlung aller Postboten des Bezirks und unser Chef machte deutlich, dass der Sache nachgegangen werden musste. Ich hätte wohl aus Angst gekündigt, wenn ich nicht jeden Freitag auf einen Brief Nikitas gewartet hätte. Die Situation verschärfte sich noch, als formal eine Untersuchung gestartet wurde. Damit wurde ich aus meiner Lethargie gerissen. Ich musste handeln. Ich musste Nikita suchen, damit ich ohne meinen Job bei der Post, der sowieso gehaltsmäßig nur knapp über Sozialhilfeniveau lag, seine Briefe lesen konnte. Ich meldete mich an einem Montag krank und wartete auf alte Leute, die immer früh morgens aus ihren Häusern kamen, um wer weiß was zu machen. Ich fragte alle nach einem gewissen Nikita. Die Menschen schauten mich komisch an und gingen weiter. Anfangs verstand ich es als Feindseligkeit, aber im Laufe des Tages fand ich dann heraus, dass Nikita im Krankenhaus war und niemand mir die schlechte Nachricht überbringen wollte; sie hielten mich für einen Verwandten. Eine alte Dame erzählte mir von ihm, einem gutmütigen, wenn auch meistens mürrischen Greis, der jeden Vormittag in der Kirche verbringt. Was er für eine Krankheit hatte, konnte mir niemand genau sagen, das Spektrum ging dann von Lepra über Krebs bis zur Pest, was ich selbst bei diesen alten Menschen nicht erwartet hätte. Die Frage nach seinem Nachnamen war dann doch noch schwerer und brachte noch weniger Ergebnisse. „Irgendwas Russisches“, „woher soll ich das wissen“, „der hieß immer nur Nikita“,… solche und ähnliche Antworten den ganzen Nachmittag. Ich ging also abends ins Krankenhaus auf der Suche nach einem alten Herrn mit dem Vornamen Nikita und einem russisch klingenden Nachnamen. Sie können sich wohl denken, was für einen Erfolg ich damit hatte. Es gab freundliche Auskünfte ins Nichts, weniger freundliche, die mich versuchten wegzuschicken und noch unfreundlichere, die mit der Polizei drohten. Diese dachten, ich wollte diesen armen Mann irgendwas tun. „Wer nicht einmal den Nachnamen kennt, der wird wohl die Person auch nicht gut kennen. Ein Verwandter hätte den Namen wohl gekannt und was sollte ich denn sonst sein, bei diesem Altersunterschied?
Völlig demotiviert war ich schon auf halbem Weg nach Hause, als mir eine Idee kam. Wenn er schon lange im Krankenhaus war, dann hat er wohl auch von dort Briefe geschrieben und da diese schon im Krankenhaus sortiert werden, wird man wohl schon seine Eigenart kennen. Ich fuhr also zurück, erzählte der Frau am Eingang, glücklicherweise war es schon eine andere, die Sache mit den Briefen. Plötzlich war es kein Problem mehr, zu Nikita zu kommen. Anscheinend hat er viele Briefe geschrieben, nicht nur freitags, fast täglich. Was den Nachnamen angeht, er war wirklich zu schwer, um ihn sich zu merken; wie kann man sich auch etwas merken, was man nicht aussprechen kann?
Nikita war wach, als ich zu ihm kam, seine Augen waren sofort auf mich gerichtet. Sein alter, fast lebloser Körper lag regungslos da, aber seine Augen hatten eine Schärfe, die jeden verblüffen muss, der ihnen begegnet. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, ich war wie paralysiert. Bevor ich etwas sagen konnte, begann er zu sprechen, leise und irgendwie kränklich. Er habe mich erwartet, das waren seine Worte, keine Vorstellung, keine Erklärung. Seine Zeit sei wohl gekommen, sagte er und bat mich noch, seine Briefe in den Briefkasten einzuwerfen, damit er in Friede sterben könne. Ich war nicht in der Lage, irgendetwas zu sagen und so verließ ich Nikita, den sterbenden Propheten.
In Wirklichkeit starb er nicht sofort, aber ich dachte es damals. Zufällig weiß ich, dass er noch lebt, er hat sogar vor, mich einmal zu besuchen.
Ich warf die Briefe sofort auf dem Weg nach Hause ein, den letzten Wunsch eines Menschen muss man erfüllen, ob man ihn kennt, oder nicht. Ich öffnete natürlich gleich den Briefkasten mit meinem Schlüssel und nahm die Briefe wieder an mich; ich musste sie einfach lesen. Zuerst aber hatte ich Angst: Woher kannte mich Nikita? Wusste er es? Wenn ja, woher? Es gab eigentlich nur zwei logische Antworten, aber diese gefielen mir überhaupt nicht. Erstens konnte Nikita mich verwechseln und am Ende seines Lebens den Verstand verloren haben, oder aber ihm wurde in einer Vision mitgeteilt, dass ich seine Briefe las. Die Antwort habe ich bis heute nicht erfahren, es ist auch nicht mehr sehr wichtig in meiner Situation, aber dazu später.
Erstmal saß ich in meinem Zimmer und war hin und her gerissen; sollte ich die Briefe öffnen oder nicht. Es klingt jetzt seltsam, dass ich, nachdem ich schon so viele Briefe geöffnet habe, plötzlich Schuldgefühle bekomme. Vielleicht lag es am Adressaten, vielleicht aber auch einfach daran, dass an diesem Tag aus dem anonymen Propheten ein alter, kranker und schwacher Mann geworden ist, der mir direkt den Auftrag gab, seine Briefe einzuwerfen. Andererseits war da diese gigantische Neugierde: Was wird wohl passiert sein, während er im Krankenhaus war? Hat er DIE Antwort erhalten? Ich muss wohl in diesem Gedanken eingeschlafen sein, es war jedenfalls schon Dienstagmorgen, als ich erwachte. Ich machte mit seltsamerweise keine Gedanken über meine Arbeit, oder was man sonst so denkt, wenn man verschläft. Es war, als hätte ich das alles schon lange vergessen. Ich hatte vor mir die Briefe liegen, ein kleines Bündel mit vielleicht zehn prall gefüllten DIN C 4 Umschlägen. Ich suchte denjenigen, der mir am ältesten erschien. Den Anblick Nikitas noch vor Augen verwunderte mich die klare und sichere Handschrift sehr. Sie war sauber und gleichmäßig, wie beim ersten Brief. Ich nahm mein Briefmesser und schlitzte vorsichtig den Umschlag auf; nicht, dass es einen Unterschied machen würde, aber als Postbote hat man ein besonderes Verhältnis zu Briefen. Ich las gerade die ersten Zeilen, als es an der Tür klopfte. Ich ging sofort hin, dachte nicht einmal darüber nach, wer es denn sein könnte, sondern öffnete die Tür. Naja, wie sie wahrscheinlich schon wissen, war es die Polizei, die, von meinen Nachbarn angestiftet, meinen Keller und die vielen Briefe entdeckte. Von den einzelnen Kellerräumen kann man bei uns nämlich in die angrenzenden sehen. Die Polizei kam also in meine Wohnung, fand auch noch die restlichen Briefe und deshalb sitze ich jetzt in Untersuchungshaft. Ich komme wohl nicht ins Gefängnis. Meine Tat ist zwar schon in jeder Zeitung unter „Ein Postbote hortete Zuhause 10000 Briefe“ zu finden, aber etwas Schlimmeres als Verletzung des Briefgeheimnisses und Diebstahl kann man mir nicht anhängen. Ich werde wohl auch für mein Geständnis mildernde Umstände bekommen, also um mich muss man sich nicht sorgen. Meine Sorge gilt Nikitas Briefen, die anders als ich, wohl für immer in Polizeigewahrsam bleiben werden. Das aber darf nicht passieren. Schon die Satzfetzen des geöffneten Briefs, die in meiner Erinnerung noch gegenwärtig sind, lassen dessen Bedeutung erahnen: ein Vergleich mit Dante, ein Überblick über unser Universum, über die Institution der Kirche und die Zukunft, um nur ein paar Stichworte zu liefern. Sollten sie nicht im Besitz der Briefe sein, überlegen sie sich erst gar nicht, was in ihnen stehen könnte. Ich habe versucht durch die wenigen Worte in meiner Erinnerung, mir ein grobes Bild des Briefs zu machen – erfolglos. Es ist nicht so, dass es keine Möglichkeit gibt, sich daraus eine schöne, logische und passende Vision vorzustellen, es gibt vielmehr nahezu unendliche Möglichkeiten. Ich saß tagelang in meiner Zelle, immer im Gedanken vertieft, immer mit dem Gefühl, kurz vor der Lösung zu stehen. Als ich bei dem Gefängnispfarrer meine Probleme vortrug, bekam ich ein „Gottes Wege sind unergründlich“ und muss seitdem zweimal pro Woche in psychiatrische Behandlung. Das ist auch der eigentliche Grund, warum ich bei einem so geringen drohenden Strafmaß noch in der Untersuchungshaft sitze. Eigentlich ist es hier ganz in Ordnung. Ich muss mir um nichts Sorgen machen, kann also den ganzen Tag über – im wahrsten Sinne des Wortes – Gott und die Welt nachdenken. Ich habe schon Briefkontakt mit Nikita aufgenommen, er wird mich, wie oben schon genannt, bald besuchen, aber er wird nicht mit mir über seine Erlebnisse sprechen. Das hat er klar gesagt. Der Psychiater findet meinen Abstand zu den Briefen tue mir gut, deshalb bitte ich Sie, mir ein gegenteiliges Zeugnis auszustellen. Ich möchte und ich muss diese Briefe lesen. Nikita darf seine Geheimnisse nicht mit ins Grab nehmen.

1=Zitat Rasputins

 

Hallo Myshkin und willkommen!

Ich habe noch nicht viele philosophische Geschichten gelesen, doch da seit einer Woche noch niemand gemeldet hat, geb ich mir jetzt Mühe.

Ich hoffe, diese Kurzgeschichte passt hierher. Der geforderte Erkenntnisschritt läuft in einer dritten Person ab und wird quasi nur durch einen Zeugen wiedergegeben, der nicht in der Lage ist, diesen Schritt nachzuvollziehen.
Meiner Meinung nach kannst du das weglassen. Der Leser sieht doch, dass der Postbote nichts oder viel nicht versteht.
Anfangs, bevor ich richtig mit Lesen angefangen hatte dachte ich, dass der Postbote verschiedene Briefe von verschieden Personen öffnen wird und dabei Dinge erfährt, die ihn nichts angehen, z.B. die Freundin einer Schreiberin hat versucht Selbstmord zu begehen oder zwei Männer planen im Briefwechsel einen Anschlag oder so. Das dachte ich nach Lesen des Titels. Später hatte ich eher den Eindruck, dass es weniger um das Briefgeheimnis geht, als um religiöse Fragen: Warum lässt Gott das Böse zu? Welches Leiden sollte am ehesten aus der Welt geschafft werden? Gibt es ein Leben nach dem Tod überhaupt? Die Wichtigkeit des Briefgeheimnisses trat dabei fast komplett in den Hintergrund, tauchte aber zum Ende der Geschichte wieder auf.
Deswegen weiß ich nicht genau, was der Leser erkennen soll: Die Bedeutung des Briefgeheimnisses oder ist da noch ein tieferer religiöser Sinn, den ich nicht erkannt habe? Dem Titel nach tippe ich auf ersteres, doch das soll nicht heißen, dass das zweite bedeutungslos ist.

Ansonsten finde ich deinen Schreibstil ausgezeichnet, lässt sich flüssig lesen. Die Gedanken des Postboten sind teilweise etwas fremd für mich, aber durchaus nachvollziehbar. Aber ich muss noch sagen, dass du für meinen Geschmack teilweise sehr wenige Absätze gesetzt hast, was beim Lesen etwas anstrengend war.

Im Großen und Ganzen eine Geschichte, die zum Nachdenken anregt und die meiner Meiung nach durchaus hierher passt. Mach weiter so!

Gruß von Jellyfish

 

Der Autor schrieb folgenden Kommentar zu seiner Geschichte:

Ich hoffe, diese Kurzgeschichte passt hierher. Der geforderte Erkenntnisschritt läuft in einer dritten Person ab und wird quasi nur durch einen Zeugen wiedergegeben, der nicht in der Lage ist, diesen Schritt nachzuvollziehen.

 

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