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Brennendes Vakuum
Brennendes Vakuum
2424 AD
Ich glaube, der Krieg war nie so unsichtbar und anonym. Wir alle kannten die Geschichten von den alten Zeitaltern, als noch Mann gegen Mann gekämpft wurde. Als man seinem Feind ins Gesicht sehen musste wenn man ihm den Tod brachte. Und natürlich die Zeiten des Schießpulvers, als der Gegner manches Mal nur eine Gestalt in der Ferne war. Die Zeiten der Weltkriege, mit ihrer Artillerie, den Schützengräben, den Großkampfschiffen und den Flugzeugen. Dann die ersten Kriege der Postmoderne. Das alte Amerikanische Empire und ihre Anonymen Kriege von Marschflugkörpern auf unbekannte Feinde. Damals hatten die Menschen oft gedacht, es wäre im unmöglich eine noch größere Distanz zum Feind zu erlangen. Vielleicht könnte man grausamer werden oder effektiver- aber sich noch weiter vom Feind entfernen, dies wäre kaum möglich. Sie hatten sich geirrt.
Unter mir lag die Erde. Friedlich wirkte sie von hier. Man vergaß, dass ihre Bewohner einander seit Urzeiten töteten. Ich stieß mich von der Sichtluke ab und schwebte die Röhre entlang. Schon am nächsten Tag kamen wir am Mond an- viel zu früh. In dem Mannschaftsmodul schwebten Zeitschriften. Ich griff hinein. Propaganda. Propaganda. Propaganda. Es spielte keine Rolle. Entweder Propaganda oder eine unpolitische Frauenillustrierte. Oh Nein: Es war keine Mediengleichschaltung, kein Verbot der Opposition. Die Zeitungsmacher würden vermutlich behaupten sie betrieben unparteiische und sachliche Berichterstattung. Investigativer Journalismus. Doch kritische Töne vermisste man. Diese Art der Berichterstattung war so unpersönlich wie deren neue Art des Krieges in dem Kilometer von Nichts zwischen uns- den Soldaten- lag.
„Der Weg zum Krieg!“ las ich die Überschrift vor mich hin. Ich glaube die Diktatoren der Vergangenheit haben einen Fehler gemacht als sie die freie Presse verboten hatten und die Meinungsfreiheit beschränkten. Was kümmert die Masse die Wahrheit? Die Wahrheit verkauft sich nicht gut. Die Medien der ganzen Welt ziehen mit. Senden Girls zu unseren tapferen Jungs- Leuten wie mich. Jeder hatte das Recht zu sagen, dass er diesen Krieg für unsinnig hielt. Durfte sagen, dass er die Regierungen dafür hasste. Es nutzte ihm nichts.
Der erste Schritt: „Der Fusionsbetrug“ Gut recherchierte Lügen über den Bau des ersten Fusionsreaktors. Angeblich mit Hilfe Postmoderner Forscher. Jeder wusste doch, dass die postmodernen Regierungen gelacht hatten als die Modernen uns um Hilfe gebeten haben. Die Journalisten stellten die Behauptung auf, dass der Fusionsreaktor der ganzen Menschheit gehören sollte. Ja er sollte allen gehören! Genau wie die Brennstoffzellentechnik, extra-irdische Kolonien und Brot. Diese „Technologien“ hatten wir den modernen Staaten nämlich schon seit über einem Jahrhundert vorenthalten und behauptet wir würden ihre natürliche Entwicklung stören wenn wir ihnen helfen würden. Wenn wir teilten. In der Zeit als die letzten Ölreserven der Welt zur Neige gingen, hatten wir ihnen unsere Technologien vorenthalten. Als wir den Mond plünderten, hatten wir Technologie ihnen vorenthalten. Ja sogar in der Bekämpfung ihres Hungers hatten wir uns zurückgehalten als 99% unserer Bevölkerung frei von Hunger lebten.
Der zweite Schritt: „Die Gründung der WWM und der Bau der Luzifer“ Wir wussten alle, dass das Raumschiff der WWM nicht Luzifer hieß, sondern Rauschgoldengel. Doch die Gegenseite behauptete auch unser Raumschiff sei die „USS Zerstörung“.
Der dritte Schritt: „Die Eroberung von Neo Patria“ Das einzige mit dem sie Recht hatten. Die Luzifer eroberte die Mondkolonie Neo Patria und löste so diesen Krieg aus.
Ich bin übrigens Wilhelm Lark, zweiter Offizier des Konföderierten Kriegsschiffs „SKRS (Solares Konföderiertes Raumschiff) Friedensbringer“. Und die WWM ist die Organisation „Wahres Wohl der Menschheit“ welcher unter anderem all die Staaten angehörten die wir früher als Staaten der „Dritten Welt“ bezeichnet hatten, als wir noch die Modernen Staaten waren. Vor der Postmodernen Revolution der Technik. Große Teile Afrikas, Südostasiens und Südamerikas gehörten der WWM an. 75% der Menschheit und doch unmündig und benachteiligt unter der arroganten Vorherrschaft unserer Staaten. Die Friedensbringer war das zweite Raumschiff, das jemals als Kriegsschiff gebaut wurde. In den Geschichtsbüchern wird sicher stehen, wir hätten keine andere Wahl gehabt. Doch die Friedensbringer brachte der Welt so viel Frieden wie die Atombombe. Es war der erste große Krieg seit dem Ende des zweiten Weltkrieges und doch weigerten sich die Militärs und die Presse ihn als dritten Weltkrieg zu bezeichnen- dabei stimmte diese Beschreibung mehr denn je.
Todesopfer hatte der neue Krieg bisher wenige gefordert: Nur eine Hand voll Sicherheitsleute auf Neo Patria. Bei den zivilen Todesopfern konnte man nur die Propaganda interpretieren. Doch hier war ein Raumschiff voller potentieller Kriegsopfer, unterwegs das andere Raumschiff mit den feindlichen potentiellen Kriegsopfern zu stellen. Die Friedensbringer war größer und besser bewaffnet als die Rauschgoldengel, doch musste dies nichts bedeuten. Es war immerhin die erste Weltraumschlacht der Geschichte.
Ich versuchte eine Weile zu schlafen, dachte aber nur an die bevorstehende Schlacht. Dachte an die Hunderten Soldaten auf der Rauschgoldengel. Fragte mich, ob diese Kinder der „Modernen Staaten“ genau dieselben Ansichten und Meinungen über den Krieg hatten wie wir, die Bürger der „Postmodernen Staaten“. Ob sie dort drüben, alle der Meinung waren, es sei ein gerechter Krieg gegen die Ungerechtigkeit auf der Welt. Oder ob auch dort Männer und Frauen waren, die meinten, dass dieser Krieg so unnötig und irrsinnig war wie es die meisten Kriege gewesen waren.
„An die Besatzung!“ tönte aus dem Lautsprecher die Stimme des Kapitäns Thomas Taylor, er war Amerikaner. „An die tapferen Männer und Frauen der freien Welt. Es ist üblich, dass ein Kapitän ein paar Worte an seine Besatzung richtet, vor einer großen Schlacht. Diese Schlacht wird der Beginn eines großen Krieges. Des letzten Krieges den die Menschheit sehen wird. Denn in diesem Krieg entscheidet sich, ob Freiheit und Demokratie obsiegen können, gegen die Bösartigkeit von Diktatur und ob die Fackel der Freiheit scheinen wird über allen Staaten dieser, unserer Welt oder ob die Mörder und Lügner der Feinde der Freiheit die Welt unterjochen und das letzte Kapitel der Menschheitsgeschichte anbricht, an dessen Ende der Untergang unserer geliebten Spezies stehen wird. Sie nennen sich: Wahres Wohl der Menschheit. Doch wir alle wissen, dass ihr Sieg der Untergang wäre, für uns alle. Wenn wir in wenigen Stunden das Feuer eröffnen, dann denkt an eure Familien daheim auf der fernen Erde. Denkt an unsere tapferen Bürger auf Neo Patria und denkt auch an die armen Soldaten des Feindes, die unter den Lügen ihrer Führer glauben wir würden sie gerne töten. So Gott es will, wird heute das Schicksal der Menschheit entschieden. Und ich weiß, dass ihr euer Allerbestes geben werdet!“
Durch das Schiff ging ein Jubelsturm. Hunderte Hände klatschten und Hunderte Kehlen schrieen nach Sieg. Selbst ich wurde mitgerissen. Beethovens neunte Symphonie, zum Text von Friedrich Schiller dröhnte durch die Lautsprecher der Bordkommunikation. „Freude Schöner Götterfunke“. Ich weiß nicht, wie andere Kriege begonnen hatten, doch es musste so ähnlich gewesen sein. „Alle Mann auf Kampfstation!“ verkündeten dann die Offiziere auf dem Schiff. Ich schwebte zur Kampfbrücke.
Meine Sinne waren geschärft, ich schnallte mich auf meinen Platz und studierte die Monitore. Auf meine eigenen Kameras schaltete ich mir die Frontansicht. Ich sah die dunkle Seite des Mondes von wo uns die besetzte Kolonie Neo Patria mit tausend Lichtern entgegen leuchtete. Und daneben noch ein Licht, die Rauschgoldengel, pardon, Luzifer. „Alle Stationen melden volle Kampfbereitschaft.“ Meldete ich dem Kapitän. Er war ebenfalls auf seinem Stuhl festgeschnallt und blickte Ausdruckslos auf seinen Bildschirm, der den Rückblick zur Erde zeigte. Auch eine Art dem Kampf zu begegnen, mit der Rücksicht nach hause. Tim Day, erster Offizier nahm für den Kapitän meine Meldung zur Kenntnis. „Danke Lark.“ Tim war Brite, ein alter Freund von mir. Er war Kapitän auf der „Madagaskar“ und ich sein erster Offizier als wir noch Angestellte des Gremiums für Stellare Angelegenheiten waren. Die Regierungen hatten das Gremium auf Eis gelegt, als der Krieg sich abzeichnete und sie sich weigerten ihre Werften zum Bau von Kriegsraumschiffen gebrauchen zu lassen. Sie hatten eigentlich Recht gehabt. Im Nachhinein war ich mir gar nicht mehr sicher warum ich mich freiwillig meldete beim neuen Militär der Konföderation. Sicherlich, die Aussicht auf einfachen Erfolg und die enorme Bezahlung waren gute Argumente. Schließlich gab es nicht viele Leute mit Weltraumerfahrung.
Die Crew war international. Vertreter aus allen Postmodernen Staaten. Postmoderne Staaten waren Staaten die schon seit dem 20. Jahrhundert bedeutend in der Welt waren oder wurden. Die Europäische Union, Russland und die USA als Führungsmächte. Viele kleinere Staaten, nennenswert noch Japan, Australien und Südafrika.
Rechts neben mir saß der Sonderbeauftragte der Solaren Konföderation. Er hatte die Abschusscodes für die Atomraketen die wir mit an Bord hatten. Niemand konnte ihn wirklich leiden. Ein finsterer Mann. Irgendwie sah er nach Politiker aus, aufgedunsen und engstirnig. Ungeschickt und mopsig in der Schwerelosigkeit.
„Effektive Schussweite in etwa einer halben Stunde erreicht.“ Meldete die Oberkanonierin Francis Jean. Sie war Franzosin. Ein klarer Verstand und auch immer guter Dinge. Aber so ernst und besorgt hatte ich sie noch nie gesehen.
Der Kapitän baute nun eine Verbindung zur Luzifer auf. Aus den Brückenlautsprechern ertönte nun die Stimme des gegnerischen Kapitäns. Sein Englisch hatte einen deutlichen Akzent und war doch Fehlerfrei. Asiatisch? Arabisch? „Hier spricht die SFRS Rauschgoldengel von der Allianz Wahres Wohl der Menschheit. Wir grüßen die USS Zerstörung von der Konföderation zur Unterdrückung der Freiheit. Ergeben sie sich und übergeben sie ihr Schiff, und ihnen wird nichts widerfahren.“ Wir auf der Brücke schmunzelten, nur der Kapitän nicht. „Luzifer.“ Entgegnete der Kapitän. “Wir sind ihnen in Feuerkraft und Truppenstärke, sowohl auf der Erde als auch hier im All weit überlegen. Ergeben sie sich oder wir eröffnen das Feuer.“ Einen Moment Stille, dann die Antwort: „Die Zeit ihrer brutalen Unterjochung der freiheitsliebenden Staaten dieser unserer Erde ist abgelaufen!“ Dann brach die Verbindung zusammen.
Von der Luzifer starteten eine Reihe Raketen die in unsere Richtung flogen. „Gegenmaßnahmen einleiten, konventionelle Raketen starten.“ Befahl der Kapitän. Der japanische Raketenspezialist, zwei Stationen vor mir programmierte eine Reihe von Raketen und neben mir gab Francis Befehle an ihre Kanoniere durch, das Feuer auf die sich nähernden Raketen zu eröffnen. Auf meinen Bildschirmen sah ich wie Salven von uns abgeschossen wurden auf die gegnerischen Raketen, kurz darauf unsere eigenen Raketen. Auf einen meiner Bildschirme schaltete ich die Aufschlaganzeigen für unsere Raketen.
Eine der Luzifer-Raketen wurde getroffen. Die Explosion zuckte über meine Anzeigen und ein Rumpeln fuhr durch Mark und Bein der Friedensbringer. Noch eine Rakete abgeschossen und noch eine. Ein heftigeres Rumpeln. Ich wusste, dass es so sein würde aber es erstaunte mich keine Explosionsgeräusche zu hören. Nur das Knarren des Stahls beim Rumpeln. Die Explosionen der gegnerischen Raketen kamen näher. Leise, ganz leise und dumpf hörte ich die nun die Geräusche des brennenden Vakuums von draußen. Nah genug waren sie schon um ein Geräusch zu erzeugen in der Luftleere des Raums, übertragen von nur wenigen Partikeln. Weitere Explosionen schüttelten immer stärker unser Schiff. Dann die letzte, so nah, dass wir sie deutlich durch das Schiff hörten. „Schadensbericht!“ forderte der Kapitän. Ich sah auf meine Anzeigen. „Nichts Ernstes. Alles ganz, niemand verletzt.“
Dann sah ich wieder auf die Aufschlagzünder unserer Raketen. Eine nach der anderen verschwand von den Sensoren, wie es auch ihre getan hatten bis alle verschwunden waren. „Keine Treffer bei ihnen.“ Meldete ich gehorsam. Bis jetzt nur ein Scharmützel. Doch wir hatten den Abstand zueinander verringert.
„Sie sind nun in Reichweite unserer Geschütze!“ meldete Francis. „Feuer aus allen Rohren! Steuermann, auf Breitseite gehen! Weitere Raketen klar machen“ Die Schlacht begann nun so richtig. Die Duzenden Geschütztürme von uns spieen Projektile aus, während die Luzifer es uns mit gleicher Münze heimzahlte. Die Brücke war tief im Inneren des Schiffes, sicher geschützt. Vom Rumpf drangen bis zur Brücke die Geräusche des Einschlages. „Kapitän, wir erleiden ständig Treffer, bei gleichbleibendem Beschuss hält die Panzerung Backbord höchstens noch zehn Minuten. Ähnlich bei der Luzifer.“ Kapitän Taylor drehte sich zum Raketenspezialist. „Volle Breitseite aller Raketenrohre!“
Leise schnurrten die Luken der Backbord Raketenwerfer. Dann surrte es und auf meinem Bildschirm erwachten Aufschlaganzeigen wieder zum Leben. Das Feuer wurde von unserer Hülle abgelenkt und versuchte die Raketen zu treffen. „Navigator! Volle Drehung um die Mittelachse!“ Wie ein Wal im Wasser drehte sich unser Schiff einmal um sich selbst, stand nun auf dem „Kopf“ (obwohl es im All natürlich kein Oben und Unten gibt) und hatte der Luzifer die unbeschädigte Steuerbordseite entgegen gedreht. Gleichzeitig rammten nun unsere Raketen, die sie nicht abschießen konnten, in den Rumpf der Luzifer. „Ja!“ rief ich laut. Die Luzifer wurde geschüttelt und nach hinten geworfen, die Manöverdüsen starteten und versuchten sie wieder zu stabilisieren während im selben Moment unsere Steuerbordgeschütze das Feuer eröffneten. „Vier Direkte Treffer, schätze Schäden beim Feind ein: Gewächshaus getroffen und evakuiert. Schwere Schäden an der Panzerung. Leichte Schäden an Außensektionen. Einzelne Gänge sollten ebenfalls evakuiert sein. Alle Treffer auf Steuerbordseite.“ „Neue Salve Raketen laden!“ befahl der Kapitän und dann unterbrach der Navigator: „Sie dreht ab... die Luzifer dreht ab und geht wieder in einen Mondorbit.“ Der Kapitän lächelte. „Wir werden ihnen gleich auf der anderen Seite begegnen und ihnen den Rest geben!“ per Bordkommunikation rief er den Laderaum, wo zwanzig Landeboote der Konföderations- Marines darauf warteten Neo Patria zu befreien. „Achtung Marines! Eure große Stunde ist gekommen. Ihr habt Startfrei.“
Unter uns fielen die Landungsboote auf die Mondoberfläche. Dort würde auch gleich ein Kampf entbrennen um die Mondkolonie. Und wir würden ihn gewinnen, ganz bestimmt. „Nun der Luzifer entgegen!“ befahl der Kapitän. Die Reiseantriebe heulten auf und gaben vollen Schub. Ich wurde in meinen Sitz gepresst und fühlte ganz kurz wieder so etwas wie Schwerkraft. Wir waren schneller als die Luzifer und würden sie schon bald von vorne treffen. Ich sah mir die Bilder von unserem Raketentreffer an. Zwei Raketen waren in den empfindlichsten Teil des anderen Schiffes eingeschlagen, das Gewächshaus. Eine Explosion und noch eine. Die Atemluft dort wurde hinausgeschossen und versuchte vergeblich einen Druckausgleich mit dem All herzustellen. Die Pflanzen, Bäume, Sträucher und das Wasser von Seen sausten in die Grässlichkeit des Alls hinaus und wurden dort zerquetscht. Und Menschen. Menschen flogen hinaus ins All während sich die Drucktüren schlossen. Jemand hielt sich an irgendetwas fest, doch wurde auch er weggezogen. Sie starben in der Grässlichkeit der Vakuumwüste.
Mein Siegesdurst legte sich wieder etwas. Letztendlich hatte die Luzifer keine Lebenswichtigen Systeme verloren. Und auch sie hatte eine andere Seite die sie uns zudrehen konnte. Also schaltete ich das Video wieder aus und konzentrierte mich auf meine Arbeit. „Schäden bei uns:“ meldete ich dem Kapitän während wir dem Feind entgegen flogen: „Einschläge auf der Backbordseite. Nur Geschützfeuer, keine direkten Raketentreffer. Panzerung durchlöchert, haben kleinere Risse auf den Außengängen, sind aber bereits geflickt. Die Außensektionen der Backbordseite werden gerade vorsorglich geräumt. Evakuierung noch nicht nötig.“
Die Schäden waren minimal. Während sich die Luzifer in der Umlaufbahn des Mondes hielt und treiben ließ flogen wir ihr in der anderen Richtung entgegen, wie ein Schiff das gegen den Wind segelt. Das Ziel war es die Luzifer auf der anderen Seite von einem höheren Orbit zu beschießen. Der Kapitän ging davon aus, dass sie erwarteten, wir würden sie verfolgen. Dann würden sie sich nämlich während der Flucht auch drehen weil sie uns dann die unbeschädigte Backbordseite zuwenden würden. Wir aber kämen von der anderen Seite und würden so ihrer beschädigten Steuerbordseite zusetzen. Gleichzeitig war unsere beschädigte Seite geschützt.
Unruhig tippelte ich mit den Händen auf der Konsole herum. Im Grunde konnte jede Taktik richtig oder falsch sein. Schließlich kannten die Feinde auch alle logischen Taktiken und würden sich auf die vorbereiten die sie am wahrscheinlichsten hielten.
Als wir aus dem Schatten des Mondes heraustraten da war die Stimmung an Bord angespannt. Es hatte über eine halbe Stunde gedauert, eine ewige halbe Stunde die einfach nicht zu vergehen schien. An Bord sprach in dieser halben Stunde niemand, es war still. Jeder hatte Befehle, jeder hatte zu tun. Ich beobachtete nebenbei die Fortschritte der Marines auf der Oberfläche. Den Raumhafen hatten sie schon unter Kontrolle und das Regierungsviertel von Neo Patria war umstellt. Und dann tauchte die Luzifer auf. Katastrophe! Die Luzifer hatte sich gedreht wie wir vermuteten. Aber sie hatte einen Orbit eingenommen der noch höher was als unserer und ihre unbeschädigte Seite unserer beschädigten entgegengestreckt. Es wunderte mich, denn dann wäre sie weitaus schneller als wir vermutet hatten. Auch waren die Anzeigen der Sensoren ungewöhnlich, doch wir mussten nur aus dem Fenster sehen um die Luzifer zu sehen.
Trotz der neuen Situation brach keine Panik aus. Der Kapitän befahl ruhig wieder um die Mittelachse zu drehen und aus den Bugrohren zu feuern. Die Raketen flogen aus den vorderen Abschussrohren und steuerten durch die Leere des Alls. Die Raketen schlugen in die Luzifer ein und sie zersprang in unzählige Teile. Meine Sensoren wurden von tausend Echos getroffen und ich versuchte zu erkennen was passiert war.
„Lark! Was ist das?“ rief der Kapitän ich tippte herum und sah mir noch einmal den Aufprall an. Dann erkannte ich es. Das war nicht die Luzifer. Das war ein großer Spiegel, der das optische Bild der Luzifer abbildete und falsche Signale aussandte. Nun störten die vielen Spiegelsplitter unsere Sensorenerfassung und machten uns halb blind. Ein Rumpeln ging durch das Schiff von unserer beschädigten Backbordseite her. Ich schaltete hektisch auf die Backbordkameras, drei von zehn waren ausgefallen und da erkannte ich die Finte.
Der Feind hatte sich nicht gedreht und er hatte auch keinen höheren Orbit eingenommen. Irgendwie hatten sie diesen Spiegel dort platziert um uns zu täuschen. Und das war gelungen. „Kapitän! Das war eine Falle. Sie sind auf unserer Backbordseite.“ Der Kapitän öffnete einen Kanal zum Maschinenraum. „Sofortige Drehung ausführen! Backbordgeschütze Feuer eröffnen!“ er befahl nicht die Backbordrohe zu laden, denn er glaubte wir hätten uns bis dahin gedreht. Über die Monitore erkannte ich, dass unsere Schützen auf die feindlichen Raketen schossen. Die Raketen jedoch trafen präzise unsere Manövriertriebwerke. Sie wussten ganz genau wo sie uns treffen konnten. Die WWM Staaten hatten einige der besten Geheimdienste der Welt. Irgendwoher hatten sie unsere Baupläne bekommen müssen und uns nun an unserer empfindlichsten Stelle getroffen.
Die Brücke wurde heftig durchgeschüttelt und ich hörte durch das Metall wie es sich verbog und in der Hitze schmolz. Dumpf drangen die Schreie unserer eigenen Leute an uns.
„Alle Rohre Laden! Schadensbericht!“ hörte ich den Kapitän rufen. Ich las meine Monitore: „Haben mindestens fünf Geschütze verloren und die meisten Backbordtriebwerke. Alle Gänge an der Außenhülle sind evakuiert oder dekomprimiert Schutztore haben geschlossen. Panzerung durchdrungen, Außenhülle stark beschädigt- Achtung neue Raketensalve!“ Auf meinem Monitor erschien eine neue Ladung feindlicher Raketen. Augenscheinlich schätzte ich ihre Bahn ein- die wollten sich einen Weg zu unserer Brücke freischießen.
„Kapitän! Die wollen die Brücke treffen!“ Das Rumpeln der berstenden Raketen wurde lauter. „Wir müssen beidrehen und die Schlacht ein andermal suchen.“ Empfahl der erste Offizier. Doch der Kapitän gab andere Order: „Achtung Mannschaft! Sämtliche Rohre und Geschütze ab jetzt Feuer frei!“ und zu uns gewandt: „Wir evakuieren die Brücke und gehen zu der Kommandostation beim Maschinenraum!“ Niemand widersprach. Dennoch stand ich dem Befehl kritisch gegenüber. Ich löste die Gurte und schwebte im Raum. Wir verließen die Brücke, der Kapitän zuletzt und hangelten uns die Gänge entlang zum Heck. In meiner einen Hand hielt ich einen kleinen Computer auf dem ich den Schiffszustand ablesen konnte.
Immer mehr Raketen schlugen bei uns ein und rissen tiefe Löcher in unser Schiff. Die Durchgangsrouten von Bug zu Heck auf der Backbordseite waren schon zu gefährlich, darum schwebten wir auf der Steuerbordseite die unbeschädigt dalag. Immer wieder hörte ich Geräusche und konnte sie schon genau einschätzen. Das eine waren Aufschläge in unser Schiff. Deutlich folgte jedem dieser Einschläge ein Rumpeln. Andere Klänge waren Abschüsse unser eigenen Raketen. Und dann leise Geräusche die sich anhörten wie Regen auf Fensterscheiben. Das waren Einschläge der feindlichen Geschützprojektile. Während wir auf halben Weg durch unser eigenes Schiff waren traf die erste Rakete die Brücke. Wären wir jetzt noch dort gewesen, wären wir ins All hinaus gesogen worden, falls wir die Explosion überlebt hätten.
Ein neuer Gedanke drängte sich mir auf: Wenn die gegenüberliegende Seite der Brücke ebenfalls durchschlagen würde, wäre der Gang hinter uns dekomprimiert. Darum schloss ich ab nun alle Drucktüren hinter mir.
Die lauteste Explosion die ich bisher gespürt hatte durchfuhr die Hülle des stählernen Wals und ich merkte wie mich etwas in die Gegenrichtung zog. Ich hielt mich an dem Geländer fest und sah hinter mich. Hülle war beschädigt. Ein kleines Loch durch das die Atemluft ins All gesogen wurde und mit sich alles sog was im Gang war. Rote Leuchten im Gang erwachten zum Leben und eine Schrille Sirene ertönte. Ganz langsam schloss sich die vor uns liegende Drucktür. Ich war der letzte der Brückengruppe und musste mich beeilen.
Hinter mir zog das All an mir als wäre es der Tod selbst. Das Ziehen erzählte in der Schwerelosigkeit das Gefühl, als wäre das Ende des Gangs die Decke eines Turmes zu dem ich mich hochziehen musste. Ich schleppte mich an dem Geländer entlang so gut ich konnte. Die Drucktür kam immer näher und schloss sich so unerbittlich gleichmäßig. Nur noch ein kleines Stück lag vor mir, der Rest meiner Gruppe war schon hindurch. Kapitän Taylor gab mir die Hand und zog mich durch den schmalen Spalt. Die Tür schlug mit einem Dröhnen zu. Ich blickte durch die kleine Sichtluke. Der Druck und die Explosion hatten die Wände weggerissen und durch das All sah ich die Decks und Sektionen unseres Schiffes, die mir wie ein aufgeschnittenes Modell von sich selbst entgegen blickte. Durch das klaffende Loch im Rumpf erkannte ich die Luzifer die vor der erleuchteten Seite des Mondes aus allen Rohren feuerte. Mit einem kurzen Blick versuchte ich die Schäden einzuschätzen und merkte, dass auch sie große Teile ihrer Hülle eingebüßt hatte.
Endlich erreichten wir die zweite Kommandobrücke. Viel kleiner und weniger komfortabel aber mit einem Ausblick auf den Maschinenraum wo der Fusionsreaktor stand. Ich schnallte mich fest und aktivierte die Monitore, schätzte die Schäden ein.
„Feindliche Außenhülle durchdrungen. Gleichmäßig verteilt sollten alle äußeren Sektionen dekomprimiert sein. Kaum Tiefenschaden.“ Der Kapitän verengte die Augen: „Dann wollen wir ihnen mal die selbe Art Schaden zufügen. Wo sind die größten Freiräume, Wilhelm.“ Fragte er mich. Ich zoomte mich in die Aufnahmen des beschädigten Schiffes. „Hier ist so etwas wie eine Werkstatt, dort die Zentralleitstelle für die Kanonen und da die Brücke.“ Ich lies auf dem Schirm die Bereiche erkennen. „Gut. Machen sie die Atomraketen klar.“ Zischelte der Kapitän zum Sonderbeauftragten der Solaren Konföderation gewandt. Der nickte.
Also Atomraketen. Nicht, dass der Einsatz von Atomraketen im All so gefährlich war wie auf der Erde. Dennoch gab es Befürchtungen über Radioaktiven Niederschlag auf den nahen Mond. „Achtung Mannschaft!“ befahl der Kapitän weiter. „Wir werden nun einen Schleier aus konventionellen Raketen starten hinter denen sich die Atomraketen verstecken können.“ Ein Manöver das wir geübt hatten aber immer hofften es müsste nicht sein. Der Gegner musste ahnen, dass bald etwas Schlimmes kommt, denn unsere Raketen hörten auf zu feuern sondern bereiteten sich auf den finalen Schlag vor.
Und als dann der Feuerbefehl kam da sah ich auf dem Monitor die Raketen wie sie in tödlicher Formation von uns wegflogen. Einige letzte Male spuckten die feindlichen Geschütze Raketen aus die uns nun entgegenflogen. Der Kapitän wusste, dass die Luzifer das nicht überstehen konnte. „Alle Maschinen starten! Bringen sie uns hier weg.“ Befahl er. Wir wussten nicht wie ein Fusionsreaktor reagierte der im All explodierte und so wollte er Sicherheitsabstand gewinnen. Ich beobachtete unsere Raketen. Sie schlugen in das feindliche Schiff und die Explosionen ragten Hunderte von Metern ins All hinaus. Danach erstarben die Geschütze der Luzifer. Das Schiff war dekomprimiert, an den wichtigsten Teilen luftleer. Der Reaktor war nicht explodiert und Überlebende könnten möglicherweise in abgeschotteten Gängen überlebt haben. Die Schlacht gewonnen.
Nur noch wenige Raketen waren auf dem Weg zu uns. Ich sah sie auf dem Monitor. Unsere Maschinen röhrten auf und da schlugen sie doch noch ein. An der schlimmsten Stelle. In den Reaktor. Und es waren auch Atomraketen. Wir hatten nicht geglaubt, dass der Feind überhaupt welche gehabt hatte. Durch die Luke erkannten wir wie die Hülle wegriss und das atomare Feuer den Reaktor wegfraß. Wir mussten mit ansehen wie die Techniker ins All gesogen und vor unseren Augen zerquetscht wurden.
Ich schluckte, doch die dicke Scheibe, die nun den Blick auf das All und den beschädigten Reaktor freigab hielt stand. Ich las meine Anzeigen. Ich las die Anzeigen noch einmal. Dann schrie ich wie ein Wahnsinniger durch die Brücke: „Strahlung! Strahlung überall! Sämtliche Leitungen sind strahlend! Tödliche Dosen!“ Ich war die ganze Zeit ruhig aber nun schossen mir die Tränen in die Augen. „Die Maschinen sind eingespielt. Ich kann sie nicht aufhalten. Die Abschirmung der Triebwerke ist weggebrochen und überflutet das Schiff nun mit Strahlung! Und bei dieser Beschleunigung können wir die Rettungsboote nicht starten.“
Mit beiden Fäusten trommelte ich auf die Konsole. Wir wurden immer schneller und nichts konnte das Schiff stoppen. Wir drifteten hinaus ins offene All. Wir hatte keine Chance den Reaktor zu reparieren, keine Chance die Triebwerke aufzuhalten und keine Chance die Strahlung zu neutralisieren. Und kein Rettungsraumschiff wäre schnell genug gewesen uns noch einmal einzuholen.
Und so schwebte die siegreiche Friedensbringer ins All hinaus. Unsere Leichname würde man Jahrhunderte später in einer archäologischen Mission bergen. Ich brütete den Rest meines kurzen Lebens über meiner ersterbenden Konsole. Wie die anderen dem Tod begegneten? Ich weiß es nicht. Ich glaube ich habe Schüsse gehört. Ich glaube ich hörte wie man sich verzweifelt an eine sinnlose Aufgabe klammerte. Ich glaube ich habe gehört wie irgendwelche Leutnants über den Bordfunk zu Disziplin aufriefen. Ich glaube ich habe Gebete gehört. Aber ich weiß es nicht. Wir hatten im Glauben an die Menschheit gekämpft und wir waren im Glauben an die Menschheit gestorben. Wir haben nicht mehr erfahren wie der Krieg ausging oder ob er wirklich der letzte Krieg gewesen war. Ich jedoch stellte mir vor wie mein Geist nach dem Tod ins All hinaus flog und dort eins wurde mit dem Kosmos. Ich begann es zu glauben und am Ende ist es vielleicht wirklich passiert.