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Serie Bremerhaven - Wer Wind sät ...

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29.05.2009
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Bremerhaven - Wer Wind sät ...

Teil 2: Wer Wind sät...​

Der 25. November war ein stürmischer Tag und recht regnerisch, wie man es hier im Norden Deutschlands um diese Jahreszeit öfter antraf.

Mattes fröstelte und zog die Schultern hoch, als er vom Streifenwagen hinüber ins Bremer Amtsgericht hastete. Heute vor fast genau sechs Monaten war es ihm und seinen Kollegen in Bremerhaven gelungen, einen Raubmörder und dessen Bande zur Strecke zu bringen.

In wenigen Minuten sollte die Verhandlung gegen das Oberhaupt der Bande, Bernhard Oburg, eröffnet werden, und er selbst war als Hauptzeuge der Anklage geladen.

Mattes meldete sich an und nahm dann vorm Gerichtssaal Platz, um auf seinen Aufruf zu warten. Seine Gedanken kehrten zu jenem Tag zurück, als er Oburg durch Zufall auf die Spur geraten und von dessen Bande gefangen genommen worden war. In letzter Minute war es seinem Freund und Kollegen Teo gelungen, ihn schwer verletzt aus den Klauen der Verbrecher zu befreien. Sein gebrochenes Schlüsselbein war mittlerweile gut verheilt, und an den Steckschuß in seiner Hüfte erinnerte ihn äußerlich nur noch die 10 cm lange Operationsnarbe. Dennoch hatte es lange gedauert, ehe er sich wieder normal und fast schmerzfrei hatte bewegen können.

Der Aufruf aus dem Lautsprecher schreckte ihn aus seinen Gedanken hoch. Er betrat den Gerichtssaal. Nachdem die Formalitäten erledigt waren, bat ihn der Richter in den Zeugenstand.

„So, Polizeihauptkommissar Conradsen, jetzt schildern Sie einmal den Hergang jenes 21. Mai. Was genau ist da geschehen?“

Mattes schaute zu Oburg hinüber, den er jetzt zum ersten Mal nach der U-Haft wiedersah. Oburg erwiderte höhnisch grinsend seinen Blick. Irgend etwas in diesen Augen ließ Mattes mißtrauisch werden. Dieses war nicht das Auftreten eines Mannes, der wegen mehrfachen Mordes kurz vor der Verurteilung stand. Was hatte Oburg vor?

Nachdenklich begann der junge Polizist zu berichten. Er schilderte, wie die Gangster einen seiner Kollegen in der Weser versenken wollten und wie der Bandenchef später vor seinen Augen seinen eigenen Komplizen erschossen hatte. Mitten im Bericht sprang Oburg plötzlich auf.

„Lügner!“ zischte er Mattes zu. „Elendes Schwein! Du willst bloß deine eigene Haut retten! Erzähl doch, wie es wirklich war! Daß du meinen Freund Cooler mit seiner eigenen Waffe erschossen hast, obwohl er sich dir ergeben hatte und mit erhobenen Händen vor dir stand!“

Im Gerichtssaal brach ein Tumult aus. Oburg nutzte den Aufruhr und riß sich von seinem Bewacher los. Er stürzte sich auf den Zeugen. Mattes hatte gerade noch Zeit, die Hände zur Abwehr zu heben, als Oburg bei ihm war und ihm plötzlich eine Pistole unter die Nase hielt.

„Ganz ruhig! Und das gilt für alle hier!“

Er packte Mattes, der mitten in der Bewegung erstarrt war, an der Kehle und setzte ihm die Pistole an die Schläfe.

„Keiner rührt sich! Sonst ist dieser Bulle nur noch ein toter Bulle! Und du, Conradsen, die Hände hinter den Kopf... und raus hier! Los, macht die Tür frei!“

Mattes erwog für einen Moment, Oburg die Waffe aus der Hand zu schlagen, aber der Gangster ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. Mattes hob die Arme und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. Der Gangster schob ihn aus der Tür des Gerichtssaales und zerrte ihn dann hinter sich her bis zur Treppe. Hastig durchsuchte er die Taschen des Beamten und zog triumphierend den Autoschlüssel hervor.

„Danke, sehr nett, daß du gleich mein Taxi mitgebracht hast! Unsere Wege werden sich hoffentlich nicht mehr kreuzen, Bulle, aber wenn doch, gnade dir Gott! Und nun - adios!“

Er schlug Mattes den Revolver gegen den Kopf und floh die Treppe hinab. Einen Moment lang wurde es dem Beamten schwarz vor Augen. Er taumelte und stürzte die Stufen hinunter. Instinktiv rollte er sich ab und schaffte es, ohne größere Blessuren wieder auf die Füße zu kommen. Sofort nahm er die Verfolgung auf, mußte aber schnell erkennen, daß Oburg schon zuviel Vorsprung hatte. Als Mattes die Eingangstür erreichte und sie aufriß, konnte er gerade noch sehen, daß Oburg seinen Streifenwagen gestartet hatte und auf die Hauptstraße einbog. Dann verlor er ihn aus den Augen.

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Die sofort eingeleitete Großfahndung verlief im Sand. Weder der Gangster noch das Fluchtauto tauchten in den nächsten Tagen wieder auf. Es schien, als wenn Oburg buchstäblich von der Bildfläche verschwunden war.

Mittlerweile hatte sich auch die Kripo Bremen in die Ermittlungen eingeschaltet und eine Sondereinheit gebildet. Zu dieser gehörte auch Mattes, der zwei Vorteile in sich vereinte: zum einen kannte er sich sowohl in Bremen als auch in Bremerhaven wie in seiner Westentasche aus und zum anderen hatte Oburg nach eigener Ansicht mit ihm noch eine Rechnung offen. Das konnte bedeuten, daß der Verbrecher mit ihm in Kontakt treten würde, und dann konnte die SoKo zuschnappen.

Mattes hatte die Dienstuniform mit seiner Privatkleidung eingetauscht und arbeitete nun in der Sonderkommission mit einem Kollegen aus Bremen, Kriminalkommissar Jörg Neuhoff, zusammen. Jörg war nur ein paar Jahre älter als sein neuer Kollege und glich ihm charakterlich und auch sonst fast bis aufs Haar. Man hätte auf den ersten Blick meinen können, daß es sich hier um zwei Brüder handelte, obwohl Jörg 10 cm größer war, graublaue Augen hatte und im Gegensatz zu Mattes seine mittelblonden glatten Haare raspelkurz trug - ein liebgewonnenes Überbleibsel aus seiner Zeit als Soldat beim Bundesgrenzschutz. Und noch etwas war ihm aus den Jahren als Offizier dort geblieben: die analytische Fähigkeit und die Kunst des Improvisierens.

An diesem Tag hatten beide die Aufgabe bekommen, einem anonymen Hinweis nachzugehen, den eine der beiden Sekretärinnen der SoKo am Morgen per Telefon entgegengenommen hatte. Zunächst hatte sie diesen Anruf nicht für wichtig erachtet, ihn dann aber doch an ihren Chef weitergegeben.

Im allgemeinen Trubel hatte niemand davon Notiz genommen, daß die andere Sekretärin kurz danach für eine halbe Stunde das Büro verlassen hatte. Sie stand erst seit kurzem im Dienst der SoKo, war gebürtige Spanierin, hieß Margarita Espital und glich äußerlich eher einer Hanseatin. Ihr flammendrotes kurzes Haar und ihre strahlendblauen Augen hatten ihr im Nu die Herzen der Kollegen zufliegen lassen, und auch Mattes war mittlerweile nicht mehr sicher, ob er noch auf Brünette oder eher auf Rothaarige stand.

Der anonyme Anrufer hatte angegeben, daß gegen 23 Uhr im Bremerhavener Containerhafen eine Person an Land gehen würde, die im Zusammenhang mit Oburg stehen sollte: der Drogenhändler Don Salvatore.

Als Mattes und Jörg gegen 19 Uhr ihr provisorisches Büro in der Polizeidienststelle Bremerhaven-City verließen und sich in ihren Zivilwagen setzten, funkelten bereits die ersten Sterne am wolkenlosen Himmel und die schmale Mondsichel tauchte den Parkplatz in fahles Licht.

„Na, viel verspreche ich mir ja nicht davon!“ brummelte Mattes, als er den Wagen wendete und Richtung Freihafen fuhr. „Ist bestimmt wieder so eine Finte. Und je mehr Zeit vergeht, um so unwahrscheinlicher wird es, Oburg wieder zu schnappen!“

Jörg sah ihn von der Seite an und grinste.

„Ist ja gut, ich weiß doch, daß du wild drauf bist, ihn wieder hinter Schloß und Riegel zu sehen! Aber im Gegensatz zu dir denke ich, daß an diesem Hinweis etwas sein könnte!“

Der Wagen erreichte jetzt das Gebiet des Freihafens. Die beiden Beamten hielten hinter einer verlassenen Lagerhalle nahe des Piers, wo angeblich Don Salvatore auftauchen sollte.

Mattes stellte den Wagen ab. Als beide ausstiegen, meinte er zu seinem Kollegen:

„Also, an diesem Pier hier herrscht normalerweise tote Hose. Außer dem alten rostigen Kahn dahinten hat bestimmt schon monatelang kein Schiff mehr in diesem Teil des Hafens angelegt.. Der Kahn heißt übrigens "Talibasha" und ist ein iranischer Stückgutfrachter, der hier bereits seit zwei Jahren liegt und vor sich hingammelt. Und ausgerechnet hier soll der Drogenhändler an Land gehen? Ich bin ja mal gespannt!“

Er durchquerte mit Jörg die verlassenen Docks und stoppte schließlich vor einem halbverfallenen Schuppen.

„Okay, laß uns hierbleiben! Wir können den Pier im Auge behalten und auch gleichzeitig sehen, was sich an Land tut!“

Die beiden Männer kletterten durch ein zerbrochenes Fenster in die zugige Lagerhalle. Sie machten es sich, so gut es ging, auf einer alten Sitzbank bequem, die sie aus einem Haufen zerfallener Büromöbel gezogen und strategisch günstig hinter dem Haupteingang plaziert hatten.

Etwa zwei Stunden lang tat sich gar nichts. Jörg gähnte gelangweilt vor sich hin und reckte gera-de seine eingeschlafenen Füße, als Mattes sich aufsetzte und übers Wasser spähte.

„Du, ich glaube, jetzt rührt sich was. Siehst du das Licht da hinten?“

Er setzte sein Nachtglas an die Augen und hatte schnell die Ursache der Lichtquelle entdeckt: ein kleines Motorboot hielt auf Pier 34 zu. Noch konnte er nicht erkennen, wie viele Leute sich an Bord aufhielten, aber er meinte mindestens drei zu unterscheiden.

Das Boot kam schnell näher und legte schließlich an einer Gangway auf ihrer Seite des Piers an. Zwei Männer kletterten an Land und sahen sich aufmerksam um, bevor sie dem Wartenden einen Wink gaben. Der andere Mann erklomm nun ebenfalls die Kaimauer.

Mattes und Jörg betrachteten aufmerksam das Geschehen. Der zuletzt Angekommene schien der Anführer zu sein, die zwei anderen wohl so etwas wie seine Bodyguards. Schon allein an seiner Kleidung konnten die beiden Beamten feststellen, daß sie es bei dem dritten Mann nicht mit einem normalen Gangster zu tun hatten; während die beiden Bodyguards dunkel und unauffällig gekleidet waren, trug der Boss einen schneeweißen Anzug und dazu schwarzweiße Schuhe. Durch seine pechschwarzen, öligen Haare und den dunklen Teint erkannte man in ihm sofort den Südländer. Dieser Eindruck wurde durch den schweren goldenen Siegelring, den er an der rechten Hand trug, und den dunklen Vollbart noch verstärkt.

Die drei setzten sich nun in Bewegung. Nach ein paar Metern hielten sie wieder an, weil der eine der Leibwächter seinem Boss Feuer für sein Zigarillo geben wollte. Für einen Moment wurden ihre Gesichter vom aufflammenden Feuerzeug in flackerndes Licht getaucht. Überrascht sahen sich Jörg und Mattes an.

„Mensch, Jörg, diesen Typen da kenne ich! Das ist Steven Funk, ein ehemaliger Leibwächter aus der alten Gang von Oburg. Als ich seinen Kumpel Rosales vor ein paar Jahren hochgehen ließ, ist Funk nach Amerika abgehauen und hat sich so seiner Festnahme hier entzogen!“

Jörg pfiff leise durch die Zähne.

„Das ist ja ziemlich interessant! Und der Typ in weiß ist Don Salvatore, der kolumbianische Drogenhändler. Was um alles in der Welt macht der hier in Bremerhaven? Und in welchem Zusammenhang mag der mit Oburg stehen? Ist das nicht eine Nummer zu groß für unseren Mann?“

Mattes setzte das Glas ab und meinte nachdenklich:

„Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß die beiden zusammenarbeiten. Dafür ist Oburg wirklich ein zu kleines Licht. Aber laß uns sehen, was die drei vorhaben. Hier gibt’s eigentlich nichts, was für die interessant sein könnte, oder doch?"

Die beiden Beamten schlichen aus dem Schuppen und folgten den drei Männern in gebührendem Abstand, bis diese schließlich die „Talibasha“ erreicht hatten und eine schmale Gangway hinauf erklommen. Oben verschwanden sie durch eine rostige Tür ins Schiffsinnere.

Mattes und Jörg sahen sich kurz an. Dann deutete Jörg auf die Gangway und ließ Mattes hinaufhuschen, während er unten blieb und dem Kollegen den Rücken sicherte.

Mattes näherte sich der Tür, hinter der die Männer verschwunden waren. Einen Moment verharrte er, aber kein Laut drang hinaus. Vorsichtig öffnete er sie und schlüpfte durch den schmalen Spalt hinein.

Währenddessen war Jörg das Dock entlang bis zum Ende des Frachters geschlichen. Nachträglich beglückwünschte er sich selbst zu seiner Vorsicht, immer im Schatten geblieben zu sein, denn am Heck konnte er als Silhouette gegen den Sternenhimmel einen Mann ausmachen, der dort offen-sichtlich Wache hielt.

Jörg huschte hinüber an die Ankerkette des Schiffes. Prüfend schaute er zur Bordwand hoch. Neben der Ankerkette hingen auch einige Versorgungsleitungen bis auf den Kai hinab, wie geschaffen für seine Absicht, ungesehen an Bord zu gelangen.

Jörg faßte eine der dickeren Leitungen und zog kräftig daran. Sie gab kaum nach. Er lächelte zufrieden und begann, sich daran hochzuziehen.

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Mattes hatte seine Infrarotlampe angeknipst und sah sich um. Vor ihm lag ein langer, dunkler Gang, von dem einige angerostete Türen zu Nebenräumen abgingen. Am Ende des Ganges bemerkte er ein schwaches Licht und eine Treppe, die anscheinend hinunter ins untere Deck führte. Die Männer, die er verfolgte, waren nicht zu sehen.

Er knipste die Lampe wieder aus und nahm stattdessen seine Dienstwaffe in die Hand. Lautlos tastete er sich den Gang entlang bis zu Treppe. Als er die erste Stufe abwärts nahm, spürte er plötzlich den kalten Lauf einer Pistole im Nacken.

„Keine Bewegung! Die Knarre fallen lassen und die Hände hoch!“ zischte ihm eine Stimme ins Ohr. Der Polizist ließ die Waffe fallen und hob die Hände. Aus dem Dunkeln tauchten zwei weitere Männer auf, die ihm die Arme auf den Rücken drehten und seine Hände mit Tapeband fes-selten. Nachdem sie ihn nach weiteren Waffen durchsucht hatten, drängten sie ihn unsanft die Treppe hinunter ins untere Deck.

Einer der Männer öffnete eine Tür und sah Mattes ironisch an.

„Schnüffler kriegen bei uns an Bord immer die Luxuskajüte! Aber mache dir keine falschen Hoffnungen, wir holen dich gleich hier wieder ab!“

Er versetzte Mattes einen Stoß in den Rücken, der ihn in die dunkle Kabine stürzen ließ. Die Tür wurde hinter ihm wieder zugeschlagen und verschlossen. Mattes versuchte, auf die Füße zu kommen, aber ein stechender Schmerz in seiner Seite nahm ihm fast den Atem. Er war beim Sturz auf die gerade erst verheilte Hüfte gefallen und hatte sich vermutlich den Knochen erneut verletzt. Ächzend rollte er sich auf den Rücken und blieb so liegen. Um ihn herum war es stock-finster. Es roch nach Diesel und er meinte durch den Metallboden ein schwaches Summen zu spüren, etwa wie es ein Generator erzeugen würde.

Wenn er sich wenigstens von den Fesseln befreien könnte! Aber die beiden Ganoven waren gründlich gewesen und hatten ihm nichts gelassen, was ihm nun von Nutzen sein konnte.

Vorsichtig begann er, sich zur Tür hin zu robben, unter der er einen schmalen Lichtspalt ausmachen konnte.

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Währenddessen hatte Jörg die Bordwand erklommen und war ungesehen an dem Wachposten vorbeigekommen. Im Schutz der Aufbauten schlich er nun auf der anderen Seite des Schiffes nach hinten. Als er an einer Tür vorbeikam, die anscheinend ins Innere des Mittelschiffes führte, kam ihm eine Idee. Jörg öffnete sie und schlüpfte hindurch. Er befand sich nun in einem schlechtbeleuchteten Gang, von dem jeweils eine Treppe nach oben und nach unten führte. Er blieb stehen und lauschte. Von weiter unten glaubte er, leise Stimmen zu hören. Wie er seinen Kollegen Mattes einschätzte, war der den Stimmen auch schon auf der Spur. Jörg machte sich vorsichtig an den Abstieg.

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Es war höchstens eine halbe Stunde vergangen, als die Kabinentür wieder aufgeschlossen wurde und zwei Männer eintraten. Sie rissen Mattes hoch, nahmen ihn unsanft in ihre Mitte und schleiften ihn durch mehrere dunkle Gänge, bis sie schließlich eine größere, hellbeleuchtete Halle erreichten, offensichtlich ein ehemaliger Laderaum des Frachters.

Sie lösten seine Handfesseln und blieben abwartend neben ihm stehen, während sich eine Seitentür der Halle öffnete und mehrere Männer eintraten. Drei davon kannte Mattes nicht, dafür aber den vierten, der kurz hinter den anderen hereinkam, um so besser: es war der entflohene Gangster Bernhard Oburg!
Mehrere Theorien schossen Mattes gleichzeitig durch den Kopf, aber er hatte keine Zeit, sich seinen Gedanken zu widmen, denn auf einen Wink des Gangsterbosses wurde über dem Kopf des jungen Beamten ein Ladekran heruntergelassen und seine Hände nun an den Haken gefesselt. Der Kran setzte sich wieder in Bewegung und zog seine Arme in die Höhe. Als er endlich stoppte, berührten Mattes Füße kaum mehr den Fußboden.

Oburg trat nun dicht an ihn heran und grinste ihn höhnisch an.

"Bulle, ich habe dir doch schon zweimal gesagt: halt dich von mir fern! Aber irgendwie scheinst du mich zu mögen, wenn du dauernd hinter mir herschnüffelst. Aber dieses Mal wird sowieso dein letztes Mal sein, das verspreche ich dir!"

Die Seitentür öffnete sich erneut und einer der beiden Bodyguards von Don Salvatore trat ein. Mattes hatte sich vorhin am Dock nicht geirrt: es handelte sich wirklich um Steven Funk, den alten Kumpanen von Rosales und Oburg. Er hatte in den letzten Jahren offensichtlich eine ziemliche Verwandlung durchgemacht; Mattes hatte ihn noch als unscheinbaren jungen Typen mit einem schmalen Rattengesicht in Erinnerung gehabt, der vor allem, was Polizeiuniform trug, insgeheim Angst zu haben schien, aber der Steven Funk, der ihm nun gegenüber trat, wirkte selbstsicher und arrogant.

Auch äußerlich erinnerte nicht mehr viel an den dürren, pickeligen Halbstarken von einst. Seine dünnen Haarflusen hatte er komplett abrasiert, sein linkes Ohrläppchen zierten zwei schwere Goldkreolen, und quer über der einen Augenbraue verriet eine dunkelrot gezackte Narbe, daß er auch noch andere Feinde als die deutsche Polizei haben mußte. Der Blick, den Funk dem jungen Polizisten zuwarf, erinnerte Mattes fatal an einen Raubvogel, und die Geschmeidigkeit, mit der er sich bewegte, hatte ihm offensichtlich die Tür zu Don Salvatores Bodyguards geöffnet.

Oburg gab den anderen Männern einen Wink, worauf hin diese den Laderaum verließen. Auch Oburg wandte sich zum Gehen, aber dann drehte er sich noch einmal zu Mattes um.

„Ach, was ich dir noch sagen muß: Meinen jungen Freund Steven kennst du ja sicher noch von damals. Er war in der Zwischenzeit bei den Guerillas in Nicaragua und danach noch einige Monate in Kuba. Ich habe ihn da zu einem Spezialisten in den südamerikanischen Verhörmethoden ausbilden lassen, stimmt's, Steve?“

Funk grinste und nickte Oburg zu.

„Und ob das stimmt! Und ich kann behaupten, daß ich diesen Job mittlerweile sehr gut beherrsche. Zumindest hat sich hinterher keines meiner Opfer bei mir beschwert!“

Ein glucksendes Lachen schüttelte ihn und er öffnete nun einen schwarzen Koffer, den er neben Mattes abgestellt hatte. Oburg warf einen kurzen Blick hinein und lächelte.

„Tja, Conradsen, das sieht nicht so gut für dich aus! Steven hat mir vorhin verraten, daß er noch nie einen Bullen mit seinen Methoden ins Jenseits befördert hat. Du wirst also gleich der erste sein! Ich laß euch beide jetzt mal alleine - ich kann nämlich gar nicht sehen, wenn jemand gefoltert wird!“

Er lachte schallend, während er die Halle verließ.

Funk beugte sich nun wieder über seinen Koffer und nahm einige spitze, an besonders lange Nägel erinnernde Metallstifte heraus und legte sie auf den Boden. Er suchte erneut und förderte noch einige Meter Kabel sowie einen Stromgenerator zu Tage.

Schließlich zog er ein schmales Messer aus dem Koffer. Er richtete sich vor Mattes wieder auf und setzte ihm die Spitze auf die Brust. Der junge Polizist zuckte unmerklich zusammen, als er spürte, wie das Messer seine Haut ritzte.

„Oh, keine Angst, Bulle! Noch ist es nicht soweit! Dich zu erstechen wäre auch keine Herausforderung für mich! Ich will dich nur ein wenig von deinen Klamotten befreien, damit ich die Auswirkungen meiner "Erfindung" besser beobachten kann!“

Mattes fixierte ihn mit Augen, die so kalt glitzerten wie Eiskristalle.

„Klasse, Funk, du hast es ja weit gebracht in den letzten Jahren! Was bist du denn mittlerweile? Viertklassiger Bewacher eines drittklassigen Drogenhändlers? Was hast du mit Don Salvatore zu tun? Und vor allem: was will der hier?“

Funk grinste und schüttelte den Kopf, während er Hemd und Shirt des Polizisten mit wenigen Schnitten zerfetzte und ihm dann die Reste vom Leib riß.

„Schnauze, Bulle - das geht dich alles nichts an! Und nebenbei: ich werde dir gleich schon genug Gelegenheit geben, dein Maul aufzumachen! Oh, und noch was: wenn einer singt, dann Margarita Espital! Sie ist nämlich eigentlich ausgebildete Sängerin und meine Verlobte, das wußtest du noch nicht, oder? Wie auch sonst hätten wir wissen sollen, daß zwei Schnüffler auf unseren Fersen sind? Dich haben wir ja schon, und der zweite wird uns sicher auch schon ins Netz gegangen sein! Aber genug davon, fangen wir beide doch jetzt endlich an!“

Während er sprach, hatte Funk die Elektrokabel auf der einen Seite mit dem Generator und auf der anderen mit den Metallstiften verbunden. Er nahm den ersten Stift und trat vor den Gefangenen. Grinsend setzte er ihm die kalte Metallspitze auf die Brust. Fast ansatzlos stieß er Mattes mit einem kurzen Ruck die Spitze zwischen zwei Rippen. Der junge Polizist zuckte vor Schmerz zusammen und ballte die Fäuste in seinen Fesseln, bis die Knöchel weiß hervortraten. Funk sah in sein verzerrtes Gesicht und zog gutgelaunt eine Augenbraue hoch, während er den nächsten Stift zur Hand nahm.

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In der Zwischenzeit hatte Jörg eine Tür erreicht, hinter der die Stimmen, denen er nachgegangen war, am lautesten erschienen. Vorsichtig öffnete er sie einen Spalt breit und lugte hindurch. Er konnte in einen größeren Raum sehen, der im vorderen Teil mit Kästen und Kartons vollgestellt und im hinteren Teil mit einem Tisch und mehreren Stühlen bestückt war. An diesem Tisch saßen mehrere Personen, unter denen Jörg sowohl Don Salvatore als auch Oburg erkennen konnte.

Der Kripobeamte schlüpfte durch die Tür und näherte sich im Schutz der Kartons der Gruppe, bis er nahe genug heran war, um dem Gespräch folgen zu können. Gerade hatte Don Salvatore sich vorgebeugt und schlug nun mit der flachen Hand auf den Tisch.

„Verdammt noch einmal! Genug geschwafelt! Oburg, durch das Abfangen unserer Heroinlieferung in Hamburg vor einem Monat sind uns 20 Millionen Dollar verloren gegangen! Warum zum Teufel denkst du, will ich ab jetzt auf diesen Containerhafen hier ausweichen? Hast du den Drogenhandel in Bremerhaven im Griff oder nicht?“

Oburg hob beschwichtigend die Hände.

„Ja, Don, reg dich nicht auf! Ich habe hier alles unter Kontrolle. Auch wenn die Bullen mir langsam mit ihrer SoKo auf den Nerv gehen, und ich mich noch nicht wieder ungehindert draußen zeigen kann. Aber dank Funks Freundin Margarita im Büro der Bullen sind wir doch bestens informiert!“

Don Salvatore lachte meckernd und nahm einen Schluck Tequila.

„Funks Freundin? Na, Oburg, da irrst du aber gewaltig! Marga ist meine Freundin! Sie hat diesen armen Kerl nur um den Finger gewickelt, weil der dank seiner besonderen Verhörmethoden noch nützlich für uns alle sein kann. Ich denke, er verfeinert gerade seine Fähigkeiten unten im Laderaum bei diesem Schnüffler, oder? Er hatte auf der Hinfahrt etwas von seiner Erfindung einer kombinierten Folter aus Stichwaffe und Elektroschocks gefaselt. Nun, er wird uns bestimmt nachher das Ergebnis präsentieren!“

Wieder schlug er ein meckerndes Lachen an, in das auch die anderen am Tisch einfielen.

Jörg hatte genug gehört. Offensichtlich befand sich Mattes in akuter Gefahr, wenn er den Worten des Kolumbianers trauen konnte. Vorsichtig verließ er den Raum und wandte sich wieder der Treppe zu. Unten im Laderaum, hatte Don Salvatore gesagt. Nur - wo war dieser Laderaum? Jörg hastete die Treppe hinunter und leuchtete in den langen Gang, der nun vor ihm lag. Vermutlich hatte hier die frühere Besatzung ihre Kabinen gehabt. Er nahm die nächste Treppe und ließ erneut seine Lampe aufleuchten. Schon nach wenigen Metern versperrte ein Schott den Weg. Jörg öffnete es vorsichtig und huschte weiter. Er spürte unter seinen Füßen ein dumpfes Vibrieren, das allmählich stärker wurde, je weiter er kam, ein Zeichen für ihn, daß er sich dem Maschinenraum näherte.

Wieder kam er an ein verschlossenes Schott. Plötzlich drang ein markerschütternder Schrei an seine Ohren. Er ließ alle Vorsichtsmaßnahmen außer acht und riß die Tür auf, die ihn auf eine Art Rundgang einige Meter oberhalb des Hallenbodens führte. Was er direkt unter sich sah, ließ ihm den Atem stocken: Mattes hing an den Händen gefesselt an einem Eisenhaken knapp über dem Fußboden. Mehrere Drähte, die an seinem Oberkörper befestigt waren, führten zu einem Generator, der seinerseits mit einer Art Steuergerät verbunden war. Steven Funk stand mit einem breiten Grinsen vor der Konsole und drehte soeben an einem der Regler. Er lachte laut auf, als er sah, daß sein Opfer sich aufbäumte und wie von Fieberkrämpfen geschüttelt wurde.

Jörg zog seine Waffe und sprang über die Absperrung. Er landete genau zwischen Funk und Mattes auf dem Boden, rollte sich ab und kam sofort wieder auf die Füße. Funk, für den Jörgs Auftauchen völlig überraschend sein mußte, erholte sich erstaunlich schnell von seinem Schrecken. Er griff nach seinem Revolver, richtete ihn auf Jörg und drückte ab. Nur den Bruchteil einer Sekunde war Jörg schneller, aber genau dieser winzige Vorsprung ließ Funks Kugel wirkungslos in die Decke klatschen, während Jörgs Kugel ihr Ziel traf und den Verbrecher zusammenbrechen ließ. Sein Körper fiel über den Generator und verhedderte sich in den Elektrokabeln.

Mit zwei Schritten war Jörg an dem Generator und schaltete ihn aus. Mattes sank in sich zusammen, sein Kopf baumelte haltlos zwischen den Schultern. Jörg trat zu ihm und musterte die Metallstifte, die in der Brust seines Kollegen steckten. Die Einstiche waren blutverkrustet und die Haut um sie herum versengt.

„Verdammter Dreck, was hat dieser Funk mit dir bloß gemacht? Ich werde versuchen, diese Dinger zu entfernen, und dann nichts wie weg hier. Wenn uns Oburg erwischt, sind wir beide geliefert!“

Doch bevor er sich um seinen verletzten Freund kümmern konnte, mußte er erst noch etwas anderes erledigen. Jörg griff in seine Hosentasche und holte einen Minipeilsender hervor, den er einschaltete und dann wieder in der Tasche verschwinden ließ. Er wußte, daß nicht nur die Bereitschaftskollegen der SoKo, sondern auch die Gangster hier auf der "Talibasha" in der Lage sein würden, den Sender zu orten, falls sie dementsprechende Geräte einsetzten. Aber dieses Risiko mußten sie einfach eingehen, denn Jörg befürchtete, daß die Bande ohne Hilfe seiner Kollegen wieder entwischen würde.

Er suchte nach der Steuerung für den Ladekran und fuhr ihn ein Stück weiter herunter. Dann löste er Mattes' Hände aus den Fesseln. Er ließ seinen Freund vorsichtig zu Boden gleiten und versuchte, den ersten Stift aus seinem Körper zu ziehen. Mattes griff sich an die Brust und stöhnte.

„Ganz ruhig, Junge, es ist vorbei. Ich habe Funk erledigt und dich von diesem Folterinstrument losgemacht. Aber wir müssen diese Nägel irgendwie aus dir rausziehen, sonst kann ich dich unmöglich mitnehmen, ohne dich vielleicht noch mehr zu verletzen!“

Mattes nickte schwach und setze sich mühsam auf. Er sah an sich herab und schaute dann Jörg mit einem verunglückten Lächeln an.

„Dann fang endlich damit an, Kumpel! Und danach laß uns hier verschwinden, bevor sie uns entdecken!“

Ein paar Minuten später hatte Jörg seine Aufgabe erledigt. Er lehnte sich aufatmend zurück und betrachtete die acht entfernten Metallstifte. Die Wunden hatten durch das Herausreißen der Stifte wieder zu bluten begonnen und verursachten Mattes starke Schmerzen.

„Mattes, ich will nicht drängeln, aber wir müssen los. Die Gangster können jeden Moment hier reinplatzen und dann ist es mit uns beiden endgültig aus!“

Er zog seinen Freund hoch und schleifte ihn zur Tür.

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Oburg und Don Salvatore hoben ihre Gläser und prosteten sich zu. Nach zäher Verhandlung waren sie endlich zu einem Vertragsabschluß über die Lieferung von Rauschgift im Wert von 100 Millionen US-Dollar gekommen.

„Salute! Und ich werde jetzt auf meine Yacht zurückkehren und Deutschland verlassen. Die erste Lieferung schicke ich dir in drei Wochen mit einem Containerschiff. Und die Bezahlung...“

In diesem Moment platzte ein Mitarbeiter von Oburg in den Raum.

„Tschuldigung, Boss, aber ein dringender Anruf für Don Salvatore auf dem Handy, es ist Senora Espital!“

Der Don griff nach dem Telefon und bellte:

„Was gibt es, Marga? Du weißt doch, wie ich es hasse, in meinen Geschäften gestört zu werden!“

„Ja, Don, ich weiß, aber es ist total wichtig! Ich bin noch im Büro und habe gerade mitbekommen, daß die SoKo einen Sondereinsatz in einer halben Stunde durchführen wird. Die haben Neuhoffs Peilsender aufgefangen, und der kommt von eurem Treffpunkt! Also bitte bring dich in Sicherheit, mein Schatz!“

Don Salvatore legte wortlos auf und schaute Oburg an.

„Oburg, wir müssen abhauen. Die Bullen haben rausgekriegt, daß wir hier sind. Meine Freundin sagte mir gerade, daß die hier in einer halben Stunde auftauchen werden. Rodriguez, sag Steve Bescheid! Wir treffen uns in fünf Minuten am Motorboot!“

Der Bodyguard nickte und rannte hinaus, während die anderen Gangster in aller Eile ihre Sachen zusammenrafften und aus dem Raum hasteten.

Auf der Treppe stieß Don Salvatore wieder mit seinem Leibwächter zusammen.

„Don, ich habe Steven unten im Laderaum mit einer Kugel im Leib liegen sehen, und der Schnüffler ist weg!“

„Cagándolas! Läuft denn heute alles schief? Los, versuch ihn, zu finden! Ich habe so die Befürchtung, daß dieser andere Bulle ihn befreit hat. Die können noch nicht weit sein, sonst hätte unser Wachposten was gemeldet. Und, Rodriguez, keinen unnötigen Lärm draußen, und keine Gefangenen, du verstehst?“

Der Leibwächter nickte und rannte noch einmal in den Raum zurück, in dem sie vorhin gesessen hatten. In einer Ecke hatte er einige Harpunen stehen sehen, von denen er sich jetzt eine griff und sich auf die Suche nach den beiden Polizisten machte.

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Mittlerweile hatten die beiden Beamten fast wieder das obere Deck erreicht. Jörg hatte seinen Freund fast nur getragen, weil Mattes immer noch unter den Nachwirkungen der Elektroschocks litt und nicht in der Lage war, mehr als ein paar Schritte alleine zu tun.

Jörg öffnete vorsichtig eine Tür, die hinaus auf das Oberdeck führte und lehnte sich dann schweratmend draußen an die Wand. Er zog Mattes in eine sichtgeschützte Ecke und schlich sich dann an die Reling.

„Oh nein, was ist denn los mit denen? Warum rennen die Gangster alle hier oben an Deck herum?“

Er schlich zu Mattes zurück und sah ihn nachdenklich an.

„Hör mal zu! Die Gangster haben anscheinend entdeckt, daß wir ihnen auf der Spur sind. Es sieht so aus, als wenn sie das Schiff verlassen wollen. Und ich habe da einen gesehen, der mit einer Sprengladung herumhantierte. Es wird allerhöchste Zeit für uns, abzuhauen! An Landseite wird uns das aber nicht gelingen. Meinst du, du kannst mit mir die Bordwand außen runterklettern und auf die andere Seite des Piers schwimmen?“

Mattes nickte schwach und der Anflug eines Lächelns huschte um seine Mundwinkel.

„Klar kann ich das, ich bin schließlich in "Fishtown" geboren und das heißt, daß ich Schwimmhäute zwischen den Zehen habe!“

Jörg grinste und zog Mattes zur Bordwand mit. Er schaute hinunter aufs Wasser. Alles schien ruhig zu sein auf dieser Seite. Er richtete sich wieder auf und drehte sich zu Mattes um. In diesem Moment warf ihn ein fürchterlicher Stoß gegen die Bordwand. Fast im gleichen Augenblick spürte er einen entsetzlichen Schmerz in der Schulter, der ihm fast die Besinnung raubte. Er griff an die Stelle und bekam einen Harpunenpfeil zu fassen, der sich durch seinen Körper bis in die Schiffswand hinter ihm gebohrt und ihn dort quasi festgenagelt hatte. Vor ihm tauchte eine dunkle Gestalt auf, die ein Messer in der Hand hielt und nun ausholte, um ihn endgültig zu erledigen.

Jörg konnte nicht mehr ausweichen. Wie in Zeitlupe sah er die Klinge auf sich zukommen, aber seltsamerweise spürte er keinen Einstich. Stattdessen stieß der Angreifer unvermittelt einen schrillen Schrei aus, bevor er mit einem Harpunenpfeil im Rücken vor Jörgs Füßen zusammenbrach. Mattes lehnte dahinter bleich an der Wand, die Harpune in seinen zitternden Händen.

Die Ereignisse überschlugen sich nun.

Am Ende des Docks flackerte das blaue Einsatzlicht von mehreren Polizeifahrzeugen auf, die sich in atemberaubenden Tempo dem Kai näherten, während zeitgleich unten am Pier ein Motorboot gestartet wurde und sich dann in rasender Fahrt entfernte.

Die Einsatzfahrzeuge hatten jetzt die "Talibasha" erreicht. Die Beamten stürmten mit gezogenen Waffen auf die Gangway zu.

Jörg konnte auf das unter ihm liegende Deck schauen und beobachtete, wie einer der Gangster die Lunte an der Dynamitladung zündete. Verzweifelt zog er an dem Pfeil, der noch immer in seiner Schulter steckte.

„Mattes, um Gottes Willen, die sprengen das Schiff. Hilf mir, hier loszukommen!“

Mattes stürzte zu seinem Kollegen und versuchte, die Harpune aus der Schiffswand hinter Jörg zu ziehen, aber sie hatte sich so tief in das Metall gebohrt, daß Mattes sie nicht bewegen konnte. Kurzentschlossen brach er den herausstehenden Schaft ab und faßte Jörg an beiden Schultern.

„Tut mir leid, mein Freund!“, murmelte er, während er Jörg mit einem Ruck von dem Restpfeil zog. Ächzend brach sein Freund in seinen Armen zusammen, aber Mattes mobilisierte seine letzten Kräfte und schleifte ihn bis zur Reling. Ein kurzer Blick hinunter aufs andere Deck zeigte ihm, daß die Flamme die Sprengladung so gut wie erreicht hatte. Er hievte Jörg über die Bordwand und wartete, bis sein Körper ins dunkle Brackwasser geklatscht war. Dann schwang auch er sich über die Reling und sprang.

In diesem Moment krachte, von der Dynamitladung zerrissen, das obere Deck mit einem ohrenbetäubenden Lärm zusammen und riß alle Gangster, die sich noch an Bord aufgehalten hatten, mit sich in den Tod.

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Einige Wochen später stapften zwei dickvermummte Gestalten durch den frischgefallenen Schnee an Pier 34. Ungefähr an der Stelle, wo noch vor einiger Zeit die "Talibasha" gelegen hatte, blieben sie stehen und starrten aufs Wasser.

„Ich kann es kaum glauben, daß wir hier so kurz vor der Festnahme Don Salvatores und Oburgs gestanden haben - und sie uns einmal mehr entwischt sind!“ meinte Jörg nachdenklich und nahm für einen Moment seinen rechten Arm aus der Schlinge, um aus dem frischen Schnee einen Schneeball zu formen.

Mattes schaute ihn von der Seite an und antwortete:

„Ja, es ist nahezu unglaublich! Aber daß wir beide noch am Leben sind, ist fast genauso unglaublich, und das haben wir allein unserem perfekten Teamverständnis zu verdanken! Und glaube mir - die beiden sind nicht aus der Welt, wir bleiben ihnen auf den Fersen!“

Er knuffte seinen Kollegen freundschaftlich in die Seite, wofür der ihm zum Dank den Schneeball ins Gesicht warf. Spitzbübisch grinsten sich die beiden Männer an und schlenderten dann langsam den Weg zurück.

 

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