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Bremerhaven - Gefahrgut auf Abwegen
Polizeikommissar Conradsen stellte seinen Dienstwagen auf der Senator-Borttscheller-Straße ab und nahm seine Dienstmütze von der Ablage.
Ein Blick auf die Instrumententafel ließ ihn leise aufseufzen – gerade mal zehn Uhr vormittags und schon zeigte das Bordthermometer 28° C! Dieser Sommer war der heißeste seit Jahren und der junge Polizist sehnte sich jetzt schon den Feierabend herbei, den er am Sieverner See verbringen wollte.
Aber bis dahin hatte er noch mehrere Stunden LKW-Kontrollen im Bremerhavener Überseehafen vor sich, und die Aussicht auf einen Tag inmitten der Dieselabgase und in sengender Hitze ließ seine Laune auf ein Minimum sinken.
Mißmutig stieg er aus seinem Bulli und öffnete die Schiebetür. Er zog seine orangefarbene Warnweste über, nahm Kamera und Protokollkladde zur Hand und lehnte sich im Schatten seines Fahrzeuges an eine Wand.
Hier, halb verdeckt von einigen abgestellten Containern, hatte er einen guten Blick auf die herankommenden LKWs, die wegen der quer über die Fahrbahn laufende Schienenanlage langsam fahren mußten und somit dem Polizisten eine gute Gelegenheit boten, Stichproben auf abgefahrene Reifen und defekte Bremsen durchzuführen.
Mattes Conradsen war noch nicht lange bei der Verkehrspolizei, genau gesagt, war er es eigentlich gar nicht, denn seit er vor drei Monaten aus der SoKo zurückgekehrt war, hatte er seinen Dienst als Streifenpolizist zwar wieder angetreten, aber bisher noch nicht wieder ausgeübt. Obwohl er erst Anfang dreißig war, hatte er in seiner kurzen Beamtenlaufbahn schon viel erlebt und war bei seinen letzten Einsätzen zweimal nur knapp dem Tode entronnen.
Conradsens Chef, Polizeirat Harmsen, hatte gemeint, nach den gefahrvollen Sondereinsätzen wäre Mattes mit einem geregelten Innendienst derzeit mehr geholfen. Daß er in dieser Woche dennoch im Außendienst arbeitete, war einem Hilfsersuchen der Kollegen aus der Verkehrskontrolle zu verdanken, die händeringend um eine Krankheitsvertretung gebeten hatten.
Mattes schaute auf, als sich nun ein großer LKW mit unregelmäßigem Motorengeräusch der Eisenbahnüberquerung näherte. Mit stotterndem Motor rumpelte der Vierzigtonner über die Schienen. Der Transporter machte einen recht heruntergekommenen Eindruck; der Tankaufbau wirkte rostig und schien an einigen Stellen Flüssigkeit zu verlieren. Ein Blick auf das rumänische Länderkennzeichnen verhieß Mattes nichts Gutes.
Kurzentschlossen trat der Polizist an die Straße und bedeutete dem Fahrer mit der Kelle, auf dem Seitenstreifen anzuhalten. Zunächst schien es, als wenn der Fahrer wieder Gas geben wolle, aber nach einigen Metern hatte er es sich wohl doch anders überlegt und bog nun langsam in eine kleine Nebenstraße ein.
Conradsen schüttelte den Kopf und spurtete zu seinem Dienstfahrzeug, um dem LKW nachzufahren.
Bereits nach wenigen hundert Metern hatte dieser neben einer alten Lagerhalle angehalten und wartete nun dort mit laufendem Motor.
Mattes stoppte hinter dem Laster und stieg aus. Sofort fielen ihm die Zwillingsreifen der mittleren Achse auf, die so wenig Profil aufwiesen, daß sie gut und gerne beim nächsten Formel-1-Rennen als Slicks hätten eingesetzt werden können.
Er klopfte an die Fahrertür und bedeutete dem Fahrer, auszusteigen.
Polizeioberkommissar Mike Schwarz schlug die Tür seiner Dienststelle im Gatehouse hinter sich zu und blinzelte in die helle Sonne, die gnadenlos vom Himmel brannte.
Sein Schichtdienst war für heute beendet und er freute sich, nach drei anstrengenden Schiffskontrollen an der Stromkaje nach Hause zu kommen und sich in seinem Gartenpool abkühlen zu können.
Schwarz, der sich in den letzten Monaten durch zahlreiche Patente in der Funktechnik, Nautik und Schiffsführung umfangreiches Wissen rund um die Seeschiffahrt erworben hatte, war ein gefragter Beamter, wenn es um schwierige Hafenkontrollen ging. Nicht nur seine direkten Vorgesetzten, sondern auch der Bremerhavener Zoll und die Ortspolizei hatten ihn schon oft um Rat gebeten, wenn es galt, komplizierte Untersuchungen durchzuführen und so schien es auch nur noch eine Frage von Wochen, wann die nächste Beförderung anstand.
Mike gähnte ungeniert und fuhr sich mit den Fingern durch seine kurzen, strohblonden Haare. Dann trat er zu seinem kleinen blauen Buggy, mit dem er bei schönem Wetter immer zur Arbeit fuhr, zwängte seine 1,90m in den Fahrersitz und ließ das wendige Fahrzeug widrigerweise um die Schranke herum vom Gelände der Wasserschutzpolizei rollen. Breit grinsend nahm er den mißbilligenden Blick des Wärters zur Kenntnis, aber bevor dieser überhaupt daran gedacht hatte, die Ausfahrtschranke in Bewegung zu setzen, war Mike schon längst auf der breiten Zufahrtstraße.
Der Polizist fädelte sich in den regen Hafenverkehr ein und überholte einen langsam fahrenden Containertransporter. Schnell hatte er seinen offenen Cruiser auf 60 km/h gebracht und ließ sich den erfrischenden Fahrtwind um die Nase wehen, als plötzlich aus einer Seitenzufahrt ein Tanklastwagen bog und ihm die Vorfahrt nahm. Mike stieg fluchend mit beiden Füßen auf die Bremse, um nicht unter den Auflieger zu geraten. Der LKW-Fahrer schaute nur kurz aus dem Seitenfenster und lenkte mit aufheulendem Motor die Zugmaschine um die Kurve. Ohne anzuhalten, gab er Gas und donnerte mit seinem LKW die Senator-Borttscheller-Straße hinunter.
Schwarz schüttelte aufgebracht den Kopf und versuchte, sich das Fahrzeugkennzeichen einzuprägen, aber entweder war es durch Zufall oder mit Absicht so verschmutzt, daß er nur die Hälfte der Zeichen erkennen konnte. Als er dem LKW hinterher schaute, fiel ihm aber etwas anderes auf: aus der Unterseite des Tanks tropfte fortwährend eine Flüssigkeit auf die Straße, und als er diese nun zurück bis zu seinem Standort verfolgte, bemerkte er, daß er mit seinem Buggy geradewegs in einer kleinen Pfütze stand, aus welcher ihm ein seltsamer Geruch in die Nase stieg.
Eilig startete er den Buggy, fuhr ihn ein paar Meter weiter und stoppte wieder. Eigentlich hatte er nun seine Kollegen der Bremerhavener Gefahrgutkontrolle anrufen wollen, aber sein Blick folgte der schmalen Tropfenspur in die Seitenstraße hinein und nun war sein Spürinstinkt erwacht. Er steckte sein Handy unbenutzt wieder ein und bog langsam in die Straße ab, aus der der LKW vorhin gekommen war.
Bereits nach der nächsten Kurve verlor sich die Tropfenspur auf dem Asphalt. Mike bremste und schaute sich suchend um. Schnell hatte er die Fährte wiedergefunden: sie führte auf das Gelände einer stillgelegten Verpackungsfabrik. Kurzerhand bog auch Mike auf den Firmenhof und folgte der Spur hinter die heruntergekommene Lagerhalle.
Überrascht hielt er inne. Dort stand ein verlassener Polizeibulli seiner Bremerhavener Kollegen mit weit geöffneter Fahrertür und geborstener Frontscheibe. Neben dem Wagen lag ein Klemmbrett, von dem der böige Wind schon einige Zettel abgerissen hatte und Mike nun just einen direkt vors Gesicht wehte.
Schnell griff er nach dem Papier; offensichtlich handelte es sich um einen Vordruck der Kollegen für Straßenverkehrskontrollen.
Mike beschlich ein ungutes Gefühl - das leere Fahrzeug, die verstreuten Formulare, da stimmte doch etwas nicht!
Er verließ seinen Buggy und umrundete in angemessenem Abstand den Polizeiwagen. Insgeheim bedauerte er, seine Dienstwaffe nicht bei sich zu haben, aber die hatte er wie immer zum Feierabend ordentlich in seinem Spind verstaut.
„Hallo, ist hier jemand?“ rief er nun laut über den Hof, aber niemand antwortete.
Langsam näherte er sich dem Bulli und schaute durch die Beifahrerseite ins Fahrzeuginnere. Doch hier schien alles in Ordnung. Diensthandy und Einsatzbuch lagen ordentlich in der Ablage und wohl auch das private Schlüsselbund des Fahrers, an dem ein kleiner goldener Hai baumelte. Und dieser Fisch ließ Mike stutzen, denn genau solch einen Schlüsselanhänger hatte er bei seinem Kumpel Mattes, mit dem er zweimal in der Woche zum Sport ging, schon oft gesehen.
Es fiel Conradsen schwer, richtig Luft zu holen, denn der Knebel, den die beiden Rumänien ihm unsanft zwischen die Zähne gezwängt hatten, schmeckte widerlich. Mattes versuchte, nicht daran zu denken, welche Bestimmung dieses stinkende und ölige Stück Stoff vorher einmal gehabt hatte, sondern ruhig und gleichmäßig durch die Nase zu atmen.
Er lag wie ein Paket verschnürt im Fußraum des LKWs und der Krach des Motors übertönte alle anderen Geräusche. Zudem hatte der Beifahrer auch noch den Stiefelabsatz direkt auf seinem Kehlkopf plaziert und ihm angedeutet „wenn kleinste Mucks – tott!“, und Mattes zweifelte keinen Moment daran, daß er diese Drohung wahrmachen würde.
So verhielt er sich in seiner wenig angenehmen Lage ruhig und dachte fieberhaft darüber nach, wie er sich befreien könnte und was die beiden eigentlich mit ihm vor hatten.
Vor gerade mal einer halben Stunde hatte er den Fahrer wegen seiner abgefahrenen Reifen zur Rede stellen wollen. Als er mit dem Mann zusammen auch noch die Roststellen des Tanks abklopfen wollte, war der plötzlich mit einem Schraubenschlüssel auf ihn losgegangen. Mattes hatte versucht, sich mit einem Spurt zu seinem Bulli außer Gefahr zu bringen, aber der Fahrer und sein Kumpan waren ihm gefolgt. Nach kurzer, aber heftiger Gegenwehr, bei der sogar die Frontscheibe des Bullis zu Bruch gegangen war, hatten die Rumänen ihn mit einem Schlag des Werkzeugs kurzerhand außer Gefecht gesetzt und ihn hinüber zu ihrem LKW geschleppt.
Mattes versuchte, den Kopf etwas zu drehen, um sich zumindest das Gesicht des Beifahrers einprägen zu können. Der Mann hatte tiefliegende dunkle Augen, eine vorspringende große Nase und wirkte fahrig und nervös. Irgendwie kam ihm das Gesicht bekannt vor, vermutlich hatte Conradsen es vor nicht allzu langer Zeit auf einem der zahlreichen Fahndungsblätter gesehen, die hier in der Seestadt fast täglich auf seinem Schreibtisch landeten.
Plötzlich stoppte der LKW. Während das Heulen des Motors nun im Leerlauf auf ein stotterndes Brummen absank, verstärkte sich gleichzeitig der Druck auf Mattes’ Kehlkopf und er wagte es nicht, sich zu bewegen. Dennoch konnte er hören, daß der Fahrer das Seitenfenster herunterkurbelte und sich in gebrochenem Deutsch mit jemandem auf der Straße unterhielt. Mehrmals fiel der Begriff ‚Oxana’ und Mattes nahm an, daß damit ein Schiff gemeint sein müsse. Nach kurzer Diskussion zwischen dem Fahrer und seinem Kumpanen nahm der LKW wieder Fahrt auf, um alsbald von der asphaltierten Straße auf einen unbefestigten, rumpeligen Weg abzubiegen.
Inzwischen hatte Mike Schwarz mit seinem Handy die diensthabende Stelle der Ortspolizei-kollegen informiert, die keine fünf Minuten später mit quietschenden Reifen auf den Hof der alten Fabrik gebogen waren. Mittlerweile war nun auch der Erkennungsdienst eingetroffen und machte gerade einen Gipsabdruck vom Reifenprofil des Lastzuges.
Höflich, aber bestimmt hatte man Mike zu verstehen gegeben, daß man ihm dankbar für die Benachrichtigung sei, die Sache im übrigen aber in den Händen der Bremerhavener Kollegen läge und er beruhigt weiterfahren könne. Es gäbe für alles sicher eine logische Erklärung und sein Freund würde schon wieder auftauchen.
Mike sah das ein bißchen anders. Vor allem für die gleichgültige Haltung des Ermittlungsleiters hatte er kein Verständnis, denn wenn der LKW-Fahrer von vorhin etwas mit Conradsens Verschwinden zu tun hatte, konnte sich sein Kumpel in akuter Gefahr befinden und benötigte vielleicht schnellere Hilfe, als seine Kollegen anscheinend bereit waren, zu geben.
Mike setzte sich in seinen Buggy, startete und fuhr langsam auf die Hauptstraße zurück. Nachdenklich blickte er in die Richtung, in die der Tanklastzug verschwunden war. Schon nach wenigen Metern hatte der Spürtrupp hier keine brauchbaren Spuren mehr gefunden, aber Mike überlegte, wohin der rostige LKW mit seiner zweifelhaften Fracht wohl eigentlich gewollt hatte. Zumindest hier im Hafen bestand keine Chance, die Ladung unbemerkt loszuwerden. Seit den Anschlägen des 11. September waren die Kontrollen dermaßen verschärft worden, daß keine unregistrierten Güter mehr ge- oder entladen werden konnten.
Plötzlich keimte ein Verdacht in Schwarz auf: was, wenn der Tanklastwagen gar nicht hier, sondern im Alten Fischereihafen sein Ziel hatte? Möglicherweise war er von der Autobahn kommend einfach nur an der falschen Abfahrt abgebogen und somit nur durch Zufall im Containerhafen gelandet!
Einer plötzlichen Eingebung folgend stoppte Mike und wendete, um dann in Richtung Gatehouse zurückzubrausen. Er hatte eine vage Vermutung, wo er Mattes vielleicht finden konnte, aber dazu brauchte er einige Unterlagen und vor allem seine Waffe aus der Dienststelle.
Als Mike eine knappe Stunde später dieselbe Stelle noch einmal passierte, kam ihm in diesem Augenblick gerade das Einsatzfahrzeug der Kollegen entgegen. Der Einsatzleiter bedeutete ihm, kurz anzuhalten, fuhr das Seitenfenster herunter und rief Mike zu:
„Hey Kollege, alles in Ordnung! Conradsen hat sich gerade über sein Diensthandy gemeldet, er ist auf dem Weg in die Stadt, um sich frische Klamotten von zuhause zu holen und besorgt danach einen Abschleppwagen, um den defekten Bulli an den Haken zu nehmen!“
„Wieso denn frische Klamotten? Was ist denn passiert?“
„Tja, Mattes sagte, daß bei der Kontrolle die Ladung verrutscht und eine Palette Mineralwasser vor die Frontscheibe geknallt ist und da hat sich wohl das Wasser einmal komplett über unseren Kollegen ausgebreitet! Der LKW-Fahrer, den er gerade kontrollieren wollte, hat ihn dann netterweise mit in die Stadt genommen. Na, Herr Kollege, nun gucken Sie nicht so nachdenklich, ist doch alles geklärt jetzt. Wir jedenfalls rücken ab!“
Der Uniformierte fuhr die Scheibe wieder hoch und lenkte den Einsatzwagen auf die Straße.
Schwarz schüttelte den Kopf. Das, was er gerade gehört hatte, konnte er einfach nicht glauben! Der Tanklastzug, der ihm die Vorfahrt genommen hatte, transportierte sicher alles, nur kein Mineralwasser, und seinen Kumpel Mattes hatte er ihm Führerhaus schon gar nicht sitzen sehen. Da war doch etwas oberfaul!
Endlich stoppte der LKW. Mattes hörte ein Geräusch, das wie ein hochfahrendes Rolltor klang, der Fahrer ließ die Maschine noch einmal aufheulen, der Tanklaster rollte einige Meter und dann war der Motor aus.
„Los, hoch, raus aus LKW!“
Der Beifahrer zerrte Mattes aus dem Führerhaus und stieß ihn unsanft in Richtung zweier Männer, die offensichtlich in einer lauten Auseinandersetzung verstrickt waren. Als der ältere der beiden den Rumänen und den gefesselten Polizisten entdeckte, stutzte er und wetterte los:
„Verdammt noch mal, was soll das? Bogdan, du Idiot, warum schleppst du denn einen Bullen hier an? Was willst du mit dem Kerl, sieh zu, daß du ihn loswirst! Ich will kein Aufsehen, wie oft hab ich euch Schwachköpfen das schon gesagt? Also raus hier, beeil dich, daß die Ladung ins Schiff kommt und laß den Kerl verschwinden!“
Wütend drehte der Mann sich auf dem Absatz um und knallte die Tür hinter sich zu.
Bogdan holte deutlich hörbar Luft und zerrte Mattes zurück zum LKW. Er bedeutete seinem Gefangenen, einzusteigen und half ärgerlich mit Tritten und Hieben nach, als ihm das zu langsam ging. Der Fahrer schaute ihn verwundert an, aber nach einem kurzen Wortwechsel schlugen beide die Türen zu und der Fahrer startete erneut den Motor. Das Rolltor glitt wieder hoch und der Tanklaster nahm rumpelnd Fahrt auf.
Mattes hatte bisher Ruhe gegeben, aber was blieb ihm auch anderes übrig, da der Stiefelabsatz des Beifahrers schon wieder gefährlich nahe über seinem Hals schwebte. Er wußte noch immer nicht, wo er sich befand, glaubte aber aufgrund der alten Halle und der Fahrgeräusche auf dem Straßenbelag zu erkennen, daß er sich irgendwo in der Nähe des alten Fischereihafens befinden mußte. Seit der Fischereikrise Ende der neunziger Jahre waren in vielen Fabriken Bremerhavens die Lichter ausgegangen und das Gelände rund um den ehemals so frequentierten Hafen lag seitdem brach. ‚Wie geschaffen für illegale Aktionen’, dachte Mattes, als der LKW erneut anhielt und der Motor erstarb.
Die beiden Rumänen sprangen aus dem Fahrzeug, packten Mattes und rissen ihn aus dem Führerhaus. Der Fahrer versuchte, ihm einen alten Leinensack über den Kopf zu ziehen und schubste ihn dann vorwärts. Mattes hatte noch einen Blick auf einen rostigen Frachter namens Oxana erhaschen können, der direkt vor ihm an einem verlassenen Kai aufragte, dann hörte er eine Tür hinter sich zuschlagen und er war allein.
Mike Schwarz bremste seinen Buggy ab und ließ das Gefährt langsam ausrollen. Hinter einem Stapel alter Fässer stieg er aus und öffnete die Transportkiste, die hinten auf der Ablagefläche installiert war. Prüfend schaute er sich um, aber er war allein. Hier, an der alten Fischkaje, war normalerweise keine Menschenseele. Nur ein paar Raubmöwen, die sich im Schatten eines Gebäudes ausruhten, schauten neugierig zu ihm herüber.
Mike legte seinen Windblouson ab und zog eine schußsichere Weste aus der Kiste. Als nächstes folgten seine Dienstwaffe, die er in den Hosenbund seiner Jeans steckte und sein GPS, welches er ebenso wie sein Handy nun in den Taschen der Weste verstaute. Zum Schluß nahm er sein rasiermesserscharf geschliffenes Jagdmesser aus der Kiste, zog sein rechtes Hosenbein hoch und befestigte es mit dem Klettband oberhalb des Knöchels.
Prüfend sah er sich um. Wenn er vorhin im Büro die Unterlagen richtig gedeutet hatte, war sein Freund Mattes in eine Sache verstrickt worden, die im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel stank. Und das schlimmste war, daß offensichtlich die Polizei höchstpersönlich mit drinsteckte!
Mike hatte, als er vorhin noch einmal ins Büro zurückgekehrt war, seine Kontakte spielen lassen und per LKA-Computer, in den er sich heimlich eingeloggt hatte, brisante Details zu einer Fahndungssache entdeckt, in der Wasserschutzpolizei und Grenzschutz schon lange ermittelten und noch keinen Schritt weitergekommen waren. Es handelte sich um die illegale Verklappung des Giftes Tributylzinn, kurz TBT genannt, welches früher bei Außenschiffsanstrichen der Farbe beigemengt wurde, um den Ansatz von Muscheln zu verhindern. Obwohl das TBT seit Jahren verboten war, wurde es immer noch heimlich verwendet. Und was genauso schlimm war: nachweislich kam es immer wieder zum Ablassen großer Mengen dieses Giftes in die Außenweser, ohne daß die Polizei den Verursachern bisher auf die Spur gekommen wäre.
Es schien, als wenn es Informanten aus den eigenen Reihen gäbe, und Mike hatte keine Ahnung, welcher uniformierten Institution diese zuzuordnen waren. Sein guter Bekannter beim LKA, der Mike vorhin – natürlich inoffiziell – diese Informationen übermittelt hatte, wußte nur zu berichten, daß ein Verdacht sowohl gegen die Ortspolizei als auch gegen die Wasserschutzpolizei bestand.
Mike faltete einen Lageplan des alten Hafens auseinander und schaute auf die Koordinaten. Er befand sich etwa 500 Meter von einer alten Familienwerft entfernt, die zwar seit einigen Jahren stillgelegt war, aber hin und wieder benutzt wurde. Mikes Kollegen hatten auf ihren Bootskontrollfahrten manchmal Schweißarbeiten und andere Reparaturen bemerkt. Überprüfungen von Land aus und sogar eine Razzia vor einem Vierteljahr hatten aber keine Unregelmäßigkeiten zu Tage gebracht – ein paar Privatleute hatten das Gelände gemietet und werkelten nun angeblich aus Spaß an alten Kähnen herum. Seltsam war nur, daß oft kleinere Frachter abends dort anlegten und morgens beim ersten Sonnenstrahl schon wieder verschwunden waren. Mike war selbst bei einer Kontrollfahrt in der letzten Nacht auf dem Polizeiboot gewesen und hatte mit seinen Kollegen aus einiger Entfernung beobachtet, wie gegen Mitternacht ein alter Frachter in den Hafenarm eingelaufen war und am Werftkai angelegt hatte.
Nun, es half alles nichts, wenn sich sein Freund und Kollege hier irgendwo aufhalten sollte, mußte Mike ihn suchen. Er faltete die Karte wieder zusammen und lief vorsichtig, immer Deckung hinter den verlassenen Gebäuden suchend, hinüber zu der alten Werft.
Nach kurzem Suchen fand er eine rostige Tür, die sich überraschend gut öffnen ließ. Mike schaute sich kurz nach allen Seiten um und schlüpfte dann durch den schmalen Spalt ins Dunkle.
Mattes hatte sich inzwischen von der dilettantischen Fesselung befreien können und erkundete gerade die enge Kammer, in die ihn der Rumäne eingeschlossen hatte. Leider versperrte eine massive Eisentür den Zugang, aber Mattes hatte das hohe schmale Fenster im Blick, durch dessen schmutzige Scheibe gedämpftes Licht fiel. Mattes rückte kurzentschlossen das niedrige Holzregal ein Stück weiter und konnte nun bequem hinauf zum Fenster klettern. Quietschend öffnete sich der alte Riegel und der Polizist drückte behutsam das Fenster nach außen auf. Sein Blick fiel in einen dunklen, engen Innenhof, von dem aus mehrere geöffnete Türen abgingen. Er lauschte kurz, aber nur das Dümpeln der Wellen draußen am Kai war schwach zu vernehmen. Mit einem Satz hatte er sich am Sims hochgezogen und ließ sich nun vorsichtig auf der anderen Seite auf den Hofboden hinuntergleiten.
Sich nach allen Seiten absichernd schlich er lautlos bis zur nächsten Tür und wollte gerade einen vorsichtigen Blick ins Innere werfen, als ihn ein schabendes Geräusch auf der anderen Seite verharren ließ. Blitzschnell drückte er sich in den Schatten, bereit, sich sofort auf den Gegner zu stürzen, sofern er nur seinen Kopf aus dem Eingang stecken würde.
Und der ließ auch keine Sekunde auf sich warten. Mattes nahm für einen Sekundenbruchteil eine Bewegung war und warf sich sofort auf den Mann, der aber seinerseits auch rasend schnell reagierte und sich zurück in das dunkle Gebäude retten wollte. Ein kurzes Handgemenge, beide Männer hatten jeweils den Hals des anderen umschlossen, dann ließ Mattes überrascht los.
„Mike, zum Kuckuck, was machst DU denn hier? Fast hätte ich dir die Luft abgedreht, menno, wie kannst du mich so erschrecken?!“
Mike rieb sich seinen schmerzenden Hals und krächzte: „Verdammig, Mattes, ich suche dich schon seit Stunden und dachte, daß dir wer weiß was passiert ist! Und nun schleichst du hier in den Werfthallen herum und versuchst auch noch, mich ins Land der Träume zu schicken!“
„Na, tut mir leid, alter Haudegen, wußte ja nicht, daß die Kavallerie, oder besser: die Entenpolizei schon auf der Suche nach mir ist!“
Mike schaute ihn aufgebracht an.
„Vonwegen Entenpolizei! Wenn ich nicht wäre, würdest du hier versauern – ich muß dir unbedingt was Ungeheuerliches erzählen! Aber zunächst: können wir uns hier irgendwo für die nächsten Stunden versteckt halten, ohne daß man uns findet?“
Mattes sah ihn verwundert an, verkniff sich aber jede ironische Bemerkung, als er Mikes ernsten Ausdruck bemerkte.
„Ja, ich denke schon. Wenn ich das richtig deute, sind wir doch in der alten Andresen-Werft? Gleich nebenan gibt es ein altes verlassenes Zollbüro, in dem wir uns sicher verstecken können. In dem Gebäude hab ich schon als Halbwüchsiger Räuber und Gendarm gespielt!“
Mike nickte und bedeutete Mattes, ihm leise zu folgen.
„Als Halbwüchsiger, war dann wohl erst letzte Woche, oder? Na, ist ja schon gut und spar dir deine Entrüstung für die Story, die ich dir gleich erzählen muß. Ich sag nur: TBT – und die Bullen stecken mittendrin!“
Schon längst waren die letzten Sonnenstrahlen hinter dem Lunedeich verschwunden und die ersten funkelnden Sterne hatten den tiefblauen Nachthimmel erobert. Eine leichte Brise war von der See her aufgekommen und brachte nach dem heißen Tag endlich die erwartete Abkühlung. Auch an der Andresenwerft erwachte wieder Leben. Gedämpfte Stimmen und allerlei Geräusche wie das Rollen schwerer Fässer und das Quietschen eines alten Ladekranes kündeten davon, daß das dort liegende Schiff beladen wurde und wohl bald auslaufen würde.
Es dauerte auch nicht lange, bis die schweren Dieselmotoren angelassen und die Trossen eingeholt wurden. Nur von ihren Positionslichtern erleuchtet tuckerte die Oxana mit minimaler Fahrt Richtung Neue Schleuse, die sie einige Zeit später ohne Beanstandung passierte. Das Schiff schwenkte in die Außenweser Richtung Norden und nahm Fahrt auf.
Mattes horchte auf, als die Schiffsmotoren plötzlich gedrosselt wurden und schubste Mike kurz an.
„Hey, wach auf, ich glaube, es tut sich was!“
Mike setzte sich augenblicklich auf und spähte durch das schmutzige Bullauge nach draußen. Er und Mattes hatten sich schon vor Stunden in einem unbeobachteten Augenblick an der Andresenwerft an Bord der Oxana geschlichen und in einer Kajüte, die bis oben mit Gerümpel vollgestellt war, versteckt.
„Du hast Recht, Mattes. Da vorn ist ein Leuchtfeuer, warte mal... klar, das ist die Tegeler Plate. Scheint, als wenn der Kahn hier ankern will. Aber wozu?“
Nun spähte auch Mattes aus dem Bullauge.
„Guck mal achtern, da kommt noch ein Schiff, ich sehe die Positionslichter!“
Die beiden Männer starrten in die Dunkelheit, aus der sich allmählich die Konturen eines schnittigen Küstenschiffes schälten.
„Mensch, ich werd verrückt,“ murmelte Mike, „das ist eines unserer Polizeiboote! Das wird interessant... los Mattes, raus hier, ich will wissen, was auf dem Schiff abgeht!“
Die beiden Männer öffneten vorsichtig die Kajütentür und schlichen ins Freie.
Keine zehn Minuten später ging es hoch her auf der Brücke. Der Kapitän der Oxana, zwei Leute der Mannschaft, ein weiterer Passagier und zwei Männer vom Polizeiboot hatten sich um den kleinen Besprechungstisch geschart und redeten heftig aufeinander ein.
Mattes und Mike hatten sich inzwischen ihren Weg übers Deck gebahnt und kauerten nun unterhalb des Heckfensters der Brücke. Mike hob vorsichtig seinen Kopf, um einen Blick ins Innere zu werfen. Fast augenblicklich zog er ihn wieder ein und keuchte:
„Das glaub ich jetzt aber nicht! Mattes, weißt du, wer da drinnen sitzt? Mein Chef, Polizeioberrat Fedder höchstpersönlich! Und da ist noch ein Uniformierter, der gehört vermutlich zu eurer Fraktion, aber irgendwie kommt der mir auch bekannt vor. Sieh selbst...“
Mattes reckte seinen Kopf für einen Moment über den Sims und ließ sich dann wieder in die Hocke zurückfallen.
„Dunnerkiel, stimmt, das ist unser Erster Polizeihauptkommissar Empting. Was geht denn hier bloß vor? Dieser Empting hat sich angeblich freiwillig zur Verkehrskontrolle versetzen lassen, obwohl er einen guten Bürojob hatte. Ganz geheuer ist der mir auch nicht, ich kenne ihn ja erst seit einer Woche, aber irgendwie gefällt der Mann mir nicht.“
Mike nickte.
„Nun weiß ich auch, woher ich den kenne. Der hat heute vormittag den Einsatz geleitet, als ich dein Verschwinden gemeldet habe. Er wollte mir weismachen, daß alles ganz harmlos ist und du schon längst wieder zu Hause bist. Die Suchaktion hatte er schneller wieder abgeblasen, als ich bis drei zählen konnte.
Fragt sich jetzt nur, was dieser Empting, mein Chef Fedder und die Crew hier zu besprechen haben, zwanzig Seemeilen von Bremerhaven entfernt? Und wer ist überhaupt dieser glatzköpfige Mann mit dem Sakko? Wir müssen irgendwie näher rankommen, ich will hören, was geredet wird!“
Mattes deutete auf die gegenüberliegende Seite des Decks, auf der ihm vorhin ein offenstehendes Fenster der Brücke aufgefallen war.
„Komm, ich weiß, wo wir in der ersten Reihe sitzen!“
Inzwischen war es in der Kabine immer lauter geworden. Die Männer hatten sich in Rage geredet und hörten sich gegenseitig schon gar nicht mehr zu, als der Sakko-Mann mit der Faust auf den Tisch schlug.
„Ruhe, verdammt noch mal, so wird das nichts! Einer nach dem anderen!
Also, meine Herren Staatsdiener, was schwebt euch denn nun so vor, ich habe keine Lust, meine Schiffe immer der Gefahr der Entdeckung auszusetzen. Wie kriegt ihr es langfristig geregelt, daß ich den Giftmüll unentdeckt entsorgen kann? Ich darf kurz daran erinnern, daß eure Karriere beendet sein wird, sofern ich auch nur ein Schiff verliere!“
Polizeioberrat Fedder hob den Kopf.
„Mein werter Marohn, jetzt halte mal den Ball flach! Du wirst doch wohl gut genug bezahlt für deine illegalen Aktionen hier. Und Fedder und ich tun alles, damit deine LKWs und Schiffe ungeschoren durch Bremerhaven kommen, oder? Ich rate dir: überspanne den Bogen nicht! Nur weil mein Kollege und ich vor einigen Jahren in diesen unseligen Umweltskandal im Watt verwickelt waren und du uns mit deiner Falschaussage aus der Patsche geholfen hast, heißt das nicht, daß du uns wie eine Kuh auf ewig melken kannst!“
„Stimmt!“ mischte sich nun Empting ein. „Marohn, wir sind dir gegenüber leider verpflichtet, aber ich rate dir dringend, es nicht auf die Spitze zu treiben. Heute wäre dein bescheuerter Transport mit dem Tributylzinn fast in die Hose gegangen, weil einer meiner Leute deinem maroden LKW auf die Schliche gekommen ist.“
„Ach, DIE Geschichte!“ Markus Marohn, der Chef einer großen Entsorgungsfirma mit Sitz in Cuxhaven, winkte gelangweilt ab.
„Den Schnüffler haben wir schon aus dem Verkehr gezogen, der liegt irgendwo gut verschnürt und verpackt im letzten Loch der Andresenwerft und tritt morgen eine lange Auslandsreise ohne Wiederkehr nach Rumänien an.
Aber ich warne euch: wenn ihr aussteigen wollt, lasse ich euch auffliegen! Und dann sind Job, Karriere und Geld weg und ihr könnt euch auf eine längere Haftstrafe freuen. Und Bullen im Knast – dazu muß ich euch doch wohl nichts sagen, oder?“
Und zum Kapitän des Schiffes gewandt fügte er hinzu:
„Radu, mach schon mal alles zur Verklappung klar, ich regle hier noch den Rest mit den Männern.“
Der Kapitän erhob sich augenblicklich und öffnete die Tür zur Brücke. Der helle Schein aus dem Inneren fiel hinaus aufs Deck direkt auf Mike und Mattes, die in ihrer Bewegung erstarrten. Aber zu spät: der Kapitän hatte sie bereits entdeckt und rief mit einem schiefen Grinsen in die Kabine zurück:
„Chef, wir haben ungebetene Gäste an Bord!“
Wie auf ein Kommando wimmelte es an Deck plötzlich von Besatzungsmitgliedern. Mattes wunderte sich noch, woher in Sekundenschnelle die komplette Mannschaft gekommen war, als schon das Feuer auf sie eröffnet wurde.
„Runter, Mattes, los, nach vorne!“ brüllte Mike, während er sich mit einem Hechtsprung hinter ein paar Fässer in Sicherheit brachte und noch im Abrollen seine Dienstwaffe in Anschlag brachte.
Mattes fackelte nicht lange und hetzte in langen Panthersätzen über das Deck. Mit drei weiteren Sprüngen war er am Niedergang und floh diesen hinunter aufs nächste Deck, drei Mann der Besatzung dicht auf den Fersen. Er knallte ein Schott hinter sich zu und verkeilte es provisorisch, um seine Verfolger ein wenig aufzuhalten. Fieberhaft suchte er nach einer Waffe, fand aber nichts, was sich zur Verteidigung geeignet hätte. Schon hatten die Matrosen das Schott fast aufgehebelt. So blieb Mattes nichts anderes übrig, als über den nächsten Niedergang in Richtung Maschinenraum zu flüchten.
Auch Mike befand sich nicht gerade in einer rosigen Lage. Die Angreifer hatten ihn bis nach vorn an die Reling zurückgedrängt und von zwei Seiten umzingelt. Längst schon war seine Munition ausgegangen. Langsam rückten sie auf ihn vor und es schien nur noch eine Sache von Sekunden, ehe sie ihn überwältigen würden.
Aber so einfach wollte er es ihnen nicht machen; den letzten Schachzug hatte er sich bis jetzt aufgehoben. Nun war es an der Zeit, ihn zu setzen – Sieg oder Untergang. Mit einem lauten Schrei sprang er auf und ließ sich über die Bugreling fallen.
Die beiden korrupten Polizisten, die sich an der Einkesselung beteiligt hatten, schauten sich verwundert an. Fedder trat an die Reling und blickte hinunter in das schwappenden Wellen vor dem Bug.
„Hätte ich diesem Schwarz nicht zugetraut“, murmelte er und winkte den Leuten. „Erledigt, der ist Fischfutter. Kümmert euch lieber um den anderen, wo ist der eigentlich hin?“
Auch bei Mattes wurde es allmählich bedrohlich, denn seine Verfolger hatten sich nicht abschütteln lassen und waren ihm bis auf wenige Meter nahegekommen. Mattes hatte keine andere Chance gesehen, als sich zwischen die riesigen Dieselmotoren zu zwängen und zu hoffen, daß sie ihn dort nicht entdecken würden. Außerdem durfte das Schiff auf keinen Fall seine Motoren wieder starten, solange er sich mitten zwischen den stählernen Wellen verbarg.
Die drei Männer kamen nun immer näher und befanden sich fast direkt vor ihm, als plötzlich eine Durchsage von der Brücke kam.
„Maschinenraum, Diesel klarmachen, wir lichten den Anker, danach halbe Fahrt voraus!“
Die drei Verfolger blickten sich suchend um.
„Okay,“ meinte der erste dann, „der Maschinist ist sicher auch noch auf Suche nach den beiden Kerlen. Dann kümmere ich mich mal um seine Maschine!“
Er trat an die Kontrollen und ließ die Motoren langsam wieder anfahren.
Mattes schaute sich verzweifelt um, aber die riesigen Antriebswellen begannen sich zu drehen und der Rückweg war ihm nun abgeschnitten. Es wurde eng für ihn und das nicht nur im übertragenen Sinne. Er drückte sich flach an die Schiffswand und überlegte fieberhaft, wie er entkommen könnte.
An der Bugreling sackte plötzlich ein Besatzungsmitglied in sich zusammen und wurde kurzerhand hinter eine dicke Trosse geschleift. Mike Schwarz war es tatsächlich gelungen, bei seinem Sprung über die Reling nicht im gurgelnden Wasser der Nordsee zu verschwinden, sondern er hatte sich vorher mit einem dünnen Seil an der Reling wie ein Bergsteiger eingehakt und mit seinem spektakulären Hechter über Bord tatsächlich alle Augenzeugen getäuscht.
Mit viel Glück hatte er den Aufprall an der Schiffswand abfedern können und durch den Überbau des Bugs war er somit vor den Augen der Leuten unsichtbar geblieben.
Nachdem er sich an dem Seil hochgeangelt hatte, befand er sich nun wieder an Bord der Oxana.
Schon vor der Entdeckung hatten Mattes und er einen Notruf über sein Handy abgesetzt und an sich mußte jede Minute Hilfe von See her erscheinen.
Endlich! Steuerbords flammte plötzlich ein Suchscheinwerfer auf und ein Schiff der Küstenwache rauschte heran.
„Oxana, hier spricht die Küstenwache! Stoppen Sie die Motoren, wir kommen an Bord!“
Mike konnte sehen, wie Marohn und Fedder von der Brücke rannten und das Beiboot klarmachen wollten, dies aber von Empting, der ihnen gefolgt war und nun wütend auf sie einschrie, verhindert wurde. Die drei Männer gerieten in ein offenes Handgemenge und prügelten wie wild auf sich ein, während nun das Beiboot der Küstenwache längsseits gekommen war und mehrere bewaffnete Beamte an Bord sprangen.
Einer von ihnen kam direkt auf Mike zu.
„Mensch Jörg, das wurde aber auch Zeit!“ begrüßte Mike seinen alten Freund vom LKA. „Hier gibt’s ne Menge Müll zu entsorgen, sowohl menschlichen wie auch flüssigen. Aber mein Kumpel Mattes ist abhanden gekommen, hilf mir bitte suchen!“
Jörg Neuhoff stutzte.
„Doch wohl nicht Mattes Conradsen??? Mein alter Kumpel aus der Sache mit der Talibasha? Der hat wohl auch die Fettnäpfchen gepachtet, wie’s scheint. Na dann laß uns mal suchen!“
Die Männer des Einsatztrupps hatten inzwischen nicht nur die drei Kampfhähne voneinander getrennt und festgenommen, sondern waren auch über die unteren Decks ausgeschwärmt und hatten die restliche Mannschaft festgesetzt.
Jörg und Mike folgten ihnen hinunter bis in den Maschinenraum.
„Stellt mal die Maschinen ab“, ordnete Neuhoff an, „da hinten habe ich doch gerade ein Geräusch vernommen, welches an sich nicht hierher gehört!“
Ein Beamter stoppte die Dieselmotoren, die langsam wieder leiser wurden und ihre Arbeit einstellten. Nachdem auch die Wellen wieder stillstanden, quetschte sich Mike zwischen den Motoren durch und verschwand kurz außer Sichtweite.
„Hab ich es mir doch gedacht! Jörg, schau mal kurz her, hier ist jemand sehr Ölverschmiertes, der dir Hallo sagen will!“
Wankend und schwankend stand nun Mattes auf und schnaufte laut, als er seinen Freund vom LKA entdeckte.
„Immer zur Stelle, um Leben zu retten, was, alter Kumpel?“