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Brachland

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23.07.2002
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Brachland

Der Horizont war nun zum Greifen nahe. Das gleißend helle Licht blendete ihn. Er streckte seine Hand aus, in der Hoffnung etwas zu ergreifen. Doch je näher er an den Himmel heranreichte, desto weiter entfernte er sich von ihm. Er ließ wieder von seinem Vorhaben ab, kehrte zurück auf die Erde, oder wo immer er auch sei. Er wusste das nicht so genau. Er wusste nur, dass er alleine ist. Warum er hier sei, hatte er sich oft gefragt, so oft, dass er sich fragte wie lange er hier sei. Jeder Moment war gleichzeitig meilenweit vom anderen entfernt, und unmittelbar in der Nähe des anderen.
Kahl und weit tat sich ihm die Landschaft auf. Keine Berge, keine Wolken, kein Horizont. Nur staubige Erde zu seinen Füßen. Gierig zog der trockene Boden die Feuchtigkeit aus seinen Fußsohlen. Er hielt an und ließ den Staub durch seine Hände rinnen. Erst entkam er seinen Händen, als er sie offen hielt. Nicht ein Partikelchen verblieb auf seiner Hand, floh regelrecht in die Masse seinesgleichen. Ein anderes Mal packte er zu, ballte die Hand zur Faust, versuchte zu verstehen. Seine Hand fing an zu glühen, Dampf stieg empor. Schreiend und vor Schmerzen gekrümmt ließ er los.
Stille, Nacht, Nirgendwo.

„Wir müssen noch ein paar Besorgungen machen. Ich fahr noch kurz zum ALDI, okay meine Kleine? Soll ich dir was mitbringen?“ Gregors Tochter zögerte. Mit ihren vier Jahren hatte sie noch nicht ganz das Prinzip eines Telefons verstanden.
„Hmh... ja“
„Okay, ich werde dir was mitbringen, werde mal sehen. Tschüß!“
Der Hörer fiel langsam auf die Gabel. Das Klacken suchte sich seinen Weg durch die Telefonleitung, zum Mobilfunkmast, durch die Luft in Gregors Handy.
Ein Geräusch wie ein hämmernder Bassschlag, der fast explosionsartig klang.

Sein Kopf schlug heftig auf dem Boden auf. Er hielt sich immer noch die Hand. Bläschen bildeten sich weiter, zerplatzten. Im nächsten Moment war es vorbei. Er bemerkte einen Bart in seinem Gesicht der handbreit lang war. Vorher war er nicht da. Seine Hand war vernarbt. Die Umgebung, immer noch trostlos, schien ihn weiter mit ihrer endlosen Weite zu erdrücken. Er verlor seinen Mut, fing an zu weinen. Tränen tropften auf den Boden. Auf einmal bemerkte er eine Veränderung der Stelle, auf die seine Tränen getropft sind. Eine kleine Pfütze bildete sich, zeigte ihm sein Spiegelbild. Langsam verselbständigte sich das Spiegelbild. Die Bewegungen wichen ab, der Bart verschwand. Der Himmel verdunkelte sich.

Gregor legte das Handy beiseite und bog an der nächsten Ampel links ab. Es war zur Zeit Feierabendverkehr, aber für den Einkauf würde er nicht zu spät kommen. Er beschleunigte ein wenig, die Strecke war schließlich frei. Nur in entgegengesetzter Richtung rollte der Feierabendverkehr. Er legte noch ein wenig an Tempo zu. Plötzlich brach jemand aus dem Pendlertross aus um in die Abzweigung einzubiegen. Gregor fuhr der Schreck in die Glieder. Er riss das Lenkrad herum, kam von der Straße ab und überschlug sich mit dem Wagen.
Der Wagen in der Luft. Ein Geräusch, kaum hörbar, wurde immer lauter, immer schriller. Die Zeit verging langsamer, wirke wie ein Schraubendreher in einem Komplex aus Zahnrädern. Sie stauten ihre Energie an, soweit bis der Schraubendreher zerdrückt wurde und die Wucht der Zahnräder das Gefüge zerstörte.
Bis dahin wurde das Geräusch unerträglich. Die Zeit hielt nicht nur an, es gab sie einfach nicht mehr.

Er stand jetzt neben sich, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Er sah sich in einem Bett liegen, in einem Raum mit vielen Geräten, an denen sein Abbild angeschlossen war. Die Tristes seiner Umgebung war Vergangenheit. Vergangenheit war auch seine Zeit in der Ödnis, wie er nur zu deutlich feststellte. An der Wand hing ein Kalender vom Jahr 2007.
Eine Person betrat den Raum, es war seine Frau. Überglücklich rannte er ihr entgegen, hielt jedoch nach einem Meter an, als sie ihn nicht bemerkte. Sie ging zum Bett, setzte sich auf den Stuhl neben diesem Mann, der so aussah wie er.
„Ich... mir fällt es schwer her zu sein. Ich habe immer gehofft dass du eines Tages aufwachen würdest. Doch nicht einmal deine Tochter, auch ich nicht, haben es bisher geschafft, dass du wieder den Mut zum Leben findest.“
Ihm wurde es klar, er lag im Koma, genauer gesagt in einem Wachkoma. Er nahm nie etwas wahr, war gefangen in seiner Welt. Nun war er sich bewusst was geschah. Er war am leben, und das brauchte er jetzt nur zu zeigen, seinen Willen. Zeigen dass die Jahre des Wartens nicht vergebens waren. Seine Perspektive wechselte, er lag nun im Bett.
„Aber ich halte das jetzt nicht mehr durch. So ein Leben kann ich nicht führen.“
„Das hat bald ein Ende,“ dachte er sich und nahm seine Kräfte zusammen, um einen Finger zu bewegen.
„Weißt du... ich möchte wieder ein Leben führen...“
Die Tür öffnete sich.
Sein rechter Zeigefinger bewegte sich.
Sie bemerkte das Zucken und erschrak.
Ein Mann kam herein.
„Ach, lass es doch endlich, er hört dich doch eh nicht!“, sprach der Mann.
„Er hat sich eben grade bewegt, Dieter! Geh! Hol unsere Kinder!“
Gregor war sein Entsetzen natürlich nicht anzusehen. Seine Finger kamen zur Ruhe. Oben an der Decke über ihm nahm er wieder den Spiegel wahr. Er sah wieder sein Gesicht. Es machte sich wieder selbstständig, schloss die Augen und verblasste bis es nicht mehr zu sehen war.
Die Tränen seiner Frau fielen langsam auf den Boden. Ihr Aufschlag klang wie eine tonnenschwere Last die auf einen soliden Zementboden fiel.

6 Uhr morgens. Der Wecker klingelt. Er fuhr hoch. Das Schlafzimmer. Neben sich: seine Frau; schlafend. Gefühl: wie gerädert. Er spürte seinen Körper. Er hatte geträumt. Alles nur Spuk.
Er ging zum Fenster, schaute hinaus. Früher Morgen, blutroter Himmel. Seine Frau schlief immer noch. Ein Grinsen setzte sich in seinen Mundwinkeln fest, wurde immer größer. Er lachte und ging in das Badezimmer neben dem Schlafzimmer. Er wurde immer lauter. Der Spiegel zeigte einen erschöpften Mann Mitte Dreißig.
„Spieglein, Spieglein an der Wand...“ Er grinste sich entgegen, lachte laut auf, zog etwas aus dem Schrank.
Die Kugel seines Revolvers durchschlug ohne Mühe seinen Schädel.
Das Explosionsgeräusch würde das Haus nie wieder verlassen.

Fertiggestellt am Montag 15.07.2002 um 1:17 Uhr
Nach einer Idee von vor ein paar Wochen und einigen Traumerlebnissen
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Diese Geschichte entstand in einem Rutsch, ohne große Gedanken über die Story. Was mir einfiel, schrieb ich auf.

 

Hallo Mephisto,

puh, der Schluss ist ziemlich heavy. Solche Träume wünscht man niemandem.

Ich fand die Geschichte lesbar, aber noch nicht gut. Schade, dass Du nur den "Entwurf" geschrieben und die Geschichte nicht überarbeitet hast. Dann wären Dir sicherlich einige holprige Stellen aufgefallen.

Ein paar Beispiele bzw. Anregungen:

"Warum er hier sei, hatte er sich oft gefragt, so oft, dass er sich fragte, wie..." (Wortwiederholung)

"Er bemerkte einen Bart in seinem Gesicht , der handbreit lang war." (Komma fehlt bei Dir; "handbreit lang" klingt nicht so toll, finde ich)

"Auf einmal bemerkte er eine Veränderung der Stelle, auf die seine Tränen getropf sind." ("... getropft waren", sonst Tempuswechsel)

"Ein Geräusch, kaum hörbar, wurde immer lauter, immer schriller." ("zunächst kaum hörbar ..." fände ich besser, sonst widerspricht sich für mich das "kaum hörbar" mit dem "immer lauter")

"Tristes" (schreibt man nicht "Tristesse"?)

"An der Wand hing ein Kalender vom Jahr 2007." ("... des Jahres 2007.")

"Oben an der Decke über ihm nahm er wieder den Spiegel wahr." (Besser fände ich: "An der Decke (über ihm) nahm er den Spiegel wieder wahr.")

Vielleicht setzt Du Dich noch mal an Deine Geschichte. Kann nie schaden.

Gruß

Christian

 

Danke für die Verbesserungen! Am Stil kann man schließlich nie genug feilen. Werde mal etwas editieren.

Zu der Geschichte selbst. Wie fast alle Geschichten von mir, war auch diese ein Experiment. War z.B. "Destiny" (Bereich Gesellschaft) eine Übung in überraschenden Storywendungen, so ist "Brachland" quasi eine "Freestyleübung". Ich wüßte nicht, wie ich die Geschichte groß umschreiben soll, das würde mir kaum gelingen.
Zu den Traumerlebnissen: Nein, Träume die dem letzten Absatz ähnlich sind, habe ich zum Glück nicht. In der Geschichte findet man nur einige Schnipsel davon.
Das Ende zeigt viel mehr meine Unfähigkeit Geschichten zu beenden ;-). Aber wenn man nachts loslegt und einfach alles laufen läßt, muß man schon irgendwie zum Ende kommen.
Ich glaube ich setze mich mal, so denn mir bald eine Idee kommt *fingertrippel*, an eine atmosphärische Geschichte.
Also, vielen Dank für die Kritik, das hilft mir sehr wenn mir jemand ehrlich die Fehler vor Augen hält.

[ 01.08.2002, 15:48: Beitrag editiert von: Mephisto ]

 

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