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Bosnische Realität

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16.08.2001
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Bosnische Realität

Kurz vor Sonnenaufgang überquerte der Bus die gerade neu errichtete Brücke über den Fluss Sava, Grenze zwischen Kroatien und dem jetzt serbisch besetzten Teil Bosniens. Stundenlang hatte ich schon nach den Narben des Krieges Ausschau gehalten, richtete meine Augen aufmerksam in das undurchdringbare Dunkel der Nacht, in der Hoffnung, jene Bilder der Kriegsberichterstattung selbst zu sehen, die jahrelang über österreichische Bildschirme geflimmert waren. Aber außer einer tristen Ebene, die meine Reise stundenlang begleitete, war nichts zu erkennen.
Der Himmel zeigte im Osten einen leichte Grauschimmer, als der Bus kurz nach der serbischen Grenze hielt und die beiden Chauffeure, zwei streng gläubige Moslems, ausstiegen, um ihr Gebet zu verrichten. Und während ich ungeduldig auf die Weiterfahrt wartete, wusste ich gar nicht, wie nötig auch ich so ein Gebet gehabt hätte, um auszuhalten, was sich wenig später vor meinen Augen auftat.
Saftig grün erstreckte sich in leichten Hügeln, stets stark bewaldet in erstaunlicher Üppigkeit das bosnische Land entlang der Straße, die sich wie der einzig richte, da einzig sichere Weg durch die von den Serben hinterlassene Zerstörung zog. Wie aufgerissene Wunden kamen mir die Ruinen ehemals bewohnter Häuser vor, die in nicht mehr enden wollender Regelmäßigkeit die Route säumten. Leere Fensterhöhlen starrten mir entgegen, mit einer dermaßen eisigen Kälte, dass es mir einen fürchterlichen Schauer über den Rücken jagte. Oder war es die zu stark aufgedrehte Klimaanlage im Bus, die mich erzittern ließ? Wohl kaum, denn noch nie zuvor hatte mein an Idylle und Harmonie gewöhntes Auge so viel Verwüstung wahrgenommen, nie zuvor war ich so hautnah an der herzzerreißenden Leidensgeschichte eines Volkes. Mahnenden Fingern gleich reckten sich die zerfetzten Überreste hölzerner Dachbalken gegen den Himmel, wohl um mir die einzig mögliche Fluchtrichtung für die verzweifelten Menschen zu zeigen: den Himmel selbst.
Es war nicht schwer, diese von abgrundtiefem Zynismus geprägte Stimmung aufkommen zu lassen, denn gemeinsam mit jenen Geschichten der serbischen Brutalität und Grausamkeit ergaben diese Bilder ein Kino im Kopf, wobei hier ein Film lief, der mir an die Substanz ging. Bröckelndes Mauerwerk, von Maschinengewehrsalven durchlöchert, aufgerissene Dachstühle, einige lose Dachziegel, die sich wie durch ein Wunder an den hölzernen Balken gehalten hatten mitten in der makellosen Pracht dieses Landstrichs, dessen Natur es ihren bosnischen Bewohnern vormachte und mit ihrer grünen Herrlichkeit gegen die serbische Besatzung Widerstand leistete. Als wäre nie etwas geschehen, bildete die unbeschädigte Landschaft hier die Kulisse für das grausamste und längste Gemetzel in Europa seit dem zweiten Weltkrieg. Und wie zum Spott erhob sich ausgerechnet zwischen den am wüstesten zerstörten Häusern, die als solche gar nicht mehr zu bezeichnen waren, eine neue wunderschön gestaltete serbisch-orthodoxe Kirche.
Angesichts dieser so selbstredenden Momentaufnahme blieb mir sogar der entsetzte Aufschrei im Hals stecken. Doch hatte ich nicht die Zeit, lange über den himmelschreienden Hohn der serbischen Besatzer nachzudenken, denn schon lenkte ein anderes Bild die Aufmerksamkeit auf sich. Ein einstmals recht kleiner Dorffriedhof wucherte in nicht mehr überschaubarem Ausmaß und okkupierte mit seinen dicht an dicht stehenden Gräbern einen ganzen Wald. Ich musste nicht genau hinsehen, um zu erkennen, dass all die Grabsteine neu waren und an die zahllosen Opfer des Bruderkrieges hier am Balkan erinnerten. Einige Meter weiter erzählten von Einschusslöchern in erschreckender Regelmäßigkeit durchsiebte Häuserfronten das letzte Kapitel dieser Geschichte.
Jene Bauten waren inzwischen wieder bewohnt, rundherum hatte man Gärten angelegt, auf den Balkonen hing Wäsche und Satellitenschüsseln thronten auf Mauervorsprüngen. So gut es ging hatte man die Spuren des Krieges verwischt, führte vordergründig wieder ein ganz normales Leben. Doch etwas blieb zurück – und es mag sein, dass es auch die Absicht der Menschen war, diese Mahnmale der Brutalität zu lassen, wo die Serben sie gesetzt hatten, um harmonieverwöhnte Leute wie mich daran zu erinnern, womit dieser Krieg begonnen hatte: nämlich mit Kugeln aus einem serbischen Gewehrlauf.

 

Moin Andrea,
mE im eigentlichen keine Kurzprosa, sondern "legentlich" eine Momentaufnahme, ein Reisebericht. Die Intention, außer einer einseitigen Verurteilung der serbischen Aggressoren bis zum letzten Satz bleibt im Unklaren hängen, irgendwo zwischen Kriegsschuldzuweisung und Gewaltverurteilung.
Ein Problem beim Lesen des sprachlich gut gestalteten Textes stellen lange Schachtelsätze (s.u.) dar. Die Reaktionen des Ich- Erzählers ( man möge mir diese Prolemik verzeihen ), der doch recht übergangslos in "abgrundtiefen Zynismus" zu verfallen scheint und beim Anblick unbeschädigterr Kirchen entsetzt aufschreien möchte, hat mich etwas befremdet.

Was mir auffiel:

als der Bus kurz nach der serbischen Grenze hielt und die beiden Chauffeure
besser: "kurz hinter"
in leichten Hügeln, stets stark bewaldet in erstaunlicher Üppigkeit das bosnische Land entlang der Straße, die sich wie der einzig richte, da einzig sichere Weg durch die von den Serben hinterlassene Zerstörung zog.

Der "einizig richte"?
Der Satz ist zudem unübersichtlich formuliert.
Mahnenden Fingern gleich reckten sich die zerfetzten Überreste hölzerner Dachbalken gegen den Himmel, wohl um mir die einzig mögliche Fluchtrichtung für die verzweifelten Menschen zu zeigen: den Himmel selbst.
Schön.
Es war nicht schwer, diese von abgrundtiefem Zynismus geprägte Stimmung aufkommen zu lassen,
Welcher "abgrundtiefe Zynismus" prägt denn die Stimmung? Unklar.
Bröckelndes Mauerwerk, von Maschinengewehrsalven durchlöchert, aufgerissene Dachstühle, einige lose Dachziegel, die sich wie durch ein Wunder an den hölzernen Balken gehalten hatten mitten in der makellosen Pracht dieses Landstrichs, dessen Natur es ihren bosnischen Bewohnern vormachte und mit ihrer grünen Herrlichkeit gegen die serbische Besatzung Widerstand leistete.
Der Satz ist viel zu lang.
Angesichts dieser so selbstredenden Momentaufnahme blieb mir sogar der entsetzte Aufschrei im Hals stecken.
Der Ich-Erzähler ist ein ziemliches Sensibelchen, noch dazu ein Verteter der Bosnier, bedenkt man, wie einseitig die Serben verurteilt werden. Warum, wird jedoch aus der Geschichte nicht wirklich deutlich; schade.

Grüße,
para

 

Danke für Euer Feedback, Paranova und Existence!

Ich würde gerne etwas zu Euren Kritikpunkten sagen.

1. Intension

@Paranova:
Ich weiß nicht, ob Du schon mal auf einem richtigen Kriegsschauplatz gewesen bist, an dem es noch vier Jahre nach Kriegsende so aussieht, als wären erst vor drei Stunden die Waffen niedergelegt worden. Für mich war es das erste Mal, dass ich einen halben Meter vor ausgebombten Häusern und Fassaden stand.
In diesem Fall kann ich nur für mich sprechen, aber das hat mein Leben verändert. Die vier Tage Sarajevo waren damals so intensiv für mich, dass ich mich bis heute - zwei Jahre danach - nicht von den Bildern erholen konnte.
Dazu muss man kein Sensibelchen sein. Wer einmal mit einem Fuß wenige Zentimeter von einem Minenfeld entfernt gestanden ist, im Begriff, da hinein zu marschieren (aus Versehen, weil man keine Ahnung davon hat, was da gerade unter der Erde liegt) und gerade noch von fünf Leuten festgehalten wird, versteht, wie nahe Leben und Tod nebeneinander liegen.
Und ich möchte jetzt bitte keinen Vergleich mit anderen alltäglichen Situationen als Erwiderung bekommen. Sonst reden wir uns vom 100sten ins 1000ste.

2. Autor = Protagonist

@Paranova:
Du hast mir geschrieben, dass es Dir in der Schule gründlich ausgetrieben wurde, im "ich-Erzähler" den Autor zu sehen. Da muss ich jetzt mal unbedarft nachfragen:

WIESO IST DAS FALSCH?

In diesem Fall ist der ich-Erzähler, der Autor, nämlich wirklich ICH, Andrea. ICH war dort, ICH habe mit eigenen Augen gesehen, was ICH später in einer Kurzgeschichte beschreibe.

Ehrlich gesagt habe ich mich nie mit den "goldenen Regeln der Literatur" (wenn es soetwas überhaupt gibt) befasst, weil ich finde, dass Literatur - wie die Malerei - nur dann Kunst sein kann, wenn alles erlaubt ist. Dass es dann eine Frage des Geschmacks ist, ob der Text gefällt oder nicht, ist klar und kein Problem. Insofern frage ich mich, ob es wirklich so falsch ist, manchmal den ich-Erzähler mit dem Autor gleichzusetzen.

3. Wertung des Autors

@Paranova
Als ich den Text geschrieben habe, war es meine Intension, den Krieg im Allgemeinen, aber auch die serbische Aggression und ihre Ergebnisse im Speziellen zu verurteilen. Dies ist sicher einseitig - da gebe ich Dir recht - aber angesichts der Ereignisse von 1990 bis 1996 durchaus verständlich, wie ich glaube.

@Existence
Du hast meine Aussage richtig herausgelesen. Wo Du ganz sicher recht hast, ist diese Aussage:

_________________________________________________
Der Konflikt, sofern er angesprochen wird, wird
als völlig von den Serben ausgehend beschrieben
und verliert so jede Objektivität (schließlich ist
es keine historische Tatsache, dass die Schuld an
den Kämpfen allein auf den Schultern der Serben
lastet).
_________________________________________________

Dass der Text schwer an Objektivität einbüßt, ist mir klar. Aber ich wollte da auch gar nicht objektiv sein. Ich denke, wenn man soetwas einmal gesehen hast, kann man KAUM noch objektiv sein - also ich zumindest nicht.
Historische Tatsache oder nicht, richtig ist allerdings, dass die serbische Armee den Angriff gestartet hat, zuerst Slovenien (erfolglos), dann Kroatien und schließlich Bosnien-Herzegovina überfallen hat.

Zu einem Krieg gehören immer zwei Parteien, das ist richtig. Aber entscheidend war für mich in diesem Fall, wer zuerst zu den Waffen gegriffen hat. Und das war eindeutig die serbische Armee.

____________________________________________________
...in dem man nicht mehr den Menschen als Mensch,
sondern als "Serbe" oder "Kroate" sieht, wobei eine
der Parteien "gut" und die andere "böse" ist.
____________________________________________________


Da muss ich Dir vollkommen recht geben, Existence. Nach Deiner Aussage gestehe ich, dass das einer der Schwachpunkte des Textes ist. Genau diese Differenzierung "Serbe" - "Kroate" / "gut" - "böse" führt in weiterer Folge zu Krieg, den ich mit diesem Text doch eigentlich verurteilen wollte.
Ja, da gebe ich Dir recht.

3. Schachtelsätze
yes, da habt Ihr beide recht. Ich liebe Schachtelsätze, weiß aber auch, dass es für den Leser ein Greuel ist, wenn die zulange werden. In diesem Sinne, ist ein guter Punkt. Da muss ich dran arbeiten.

4. Tippfehler
Sorry - peinlich. Auf die Word-Rechtschreibungsprüfung ist eben kein Verlass mehr. :-)

Liebe Grüße an Euch beide und vielen Dank für die Kommentare!
Andrea

 

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