Born to Boogie
Born to Boogie
Ich und meine Blockflöte und was für ne große Nummer ich werden wollte.
Ich möchte einmal Gitarre
spielen wie B. B. King.
John Lennon
Es war Frühling ‚68, als bei uns in der Schule die Singstunde zum Musikunterricht aufgepeppt wurde. Das hieß, das dem mir sowieso schon verhaßten Plärren mit Mitschülern, denen es ähnlich ging, eine weitere Grausigkeit hinzugefügt wurde: die Blockflöte.
Zwei Typen wurden vorgestellt, die teure aus dunklem Holz mit einem Loch mehr und die billige, aus hellem Holz.
Beide lagen sie in Schaumstoff gebettet in auf edel gemachten Schatullen vorne auf dem Lehrerpult. Die Bestellscheine wurden ausgeteilt, die Preise unseren Eltern mitgeteilt und nicht lange, da hielten wir unsere neuen Folterinstrumente das erste Mal in der Hand.
Ich saß an meiner Schulbank und starrte mit großen Augen auf den Inhalt des Kästchens.
- „He, Baby! Born to Boogie“ oder „Living with the Blues“, das hätte ich damals meiner Lehrerin am liebsten zugerufen. Der Pädagogin, die doch die Weichen für unser Musikverständnis stellen wollte; mein Gleis zumindest lief allerdings in die verkehrte Richtung, wie ich fand.
Die ersten Übungen mit diesem Ding waren noch einfach, Tonabfolgen, die mit etwas Geschick und richtigem Zupacken nicht in ein hohles Dampfloksignal verhallten.
Jede Übung nahm eine Woche lang eine Stunde nachmittags in Anspruch, nach den Hausaufgaben. Es blieb also genug Zeit, um draußen was mit den Kumpels zu unternehmen.
Jedoch begann die nach jeder mehr oder weniger intensiven Übung vor Speichel triefende und nach Hirschfett stinkende Flöte mir gehörig auf den Senkel zu gehen.
Die ersten Lieder brauchte ich nur einsam für mich zu spielen – furchtbar. Es gab da wohl eine neue Band, Jethro Tull, ein Musiker war dabei, der spielte eine Querflöte aus Metall.
Das ließ mein Ehrempfinden gerade noch zu, aber eine Blockflöte!
Eine Blockflöte war was für einen Schäfer, der seine Herde unterhalten wollte.
> Hast du die Piepe dabei? < Klaus fragte mich, wir waren auf dem Weg zur Schule. Da ich in letzter Zeit das Signalholz mit Mißachtung strafte, war es diesmal passiert. Ich hatte das verdammte Ding vergessen.
> Spiel mir das Lied von Sehnsucht und Hoffnung! < Die Unterhaltung der Menge fiel auf mich. In einem Anfall der Verzweiflung beschloß ich die Tat eines Rock `n’ Roll Rebells, nahm einen Finger in den Mund und blies darauf, während ich mit den Fingern der anderen Hand Löcher zuhielt, wo keine waren. Es klatschte, aber es war kein Beifall und es sollte nicht das letzte Mal sein, das meine Ohren mehr in Anspruch genommen wurden, als ich es eigentlich wollte.
Wir waren auf dem Heimweg, gingen einen Feldweg entlang, der an Äckern und Weiden vorbeiführte. Meine Kumpel schlugen mir auf die Schulter ob meiner letzten Aktion. Ich hielt mir immer noch die schmerzende Backe. Holger blieb stehen, packte die Piepe aus, > ob das auch funktioniert? < Er steckte Mundstück und Rohr zusammen und führte das Ganze seinem Hintern entgegen. Er furzte, volltönend trat ein Mißton aus dem anderen Ende der verhaßten Pfeife.
> Du Wildsau <, schrieen wir im Chor. Ja, ich geb’s zu, wir waren Bauern, from the Field into the Town. Baumwollpflücker, Kartoffelroder aus dem Mississippi Delta.
Und unsere verzweifelte Lehrerin war eine Dame aus dem weißen Haus aus Washington – Hamburg, an der die Crew von „vom Winde verweht „ ihre helle Freude dran gehabt hätte.
Es war wieder Musikunterricht.
Mittlerweile hatte ich herausbekommen, unsere Lehrerin nahm regelmäßig einige Favoriten unter uns 35 Schülern zur Einzelhörprobe. Ich war der Meinung, das erspare mir das Einüben ausgesuchten Liedgutes.
Ich entwickelte eine Professionalität darin, die Backen angestrengt aufzublasen und die Finger zu bewegen. So standen wir also alle vor unseren Tischen und spielten. Ich blies stumm hinein und bewegte die Finger über den Löchern der Blockflöte. Nicht zu schnell, links und rechts dibberte ich mit den Augen und glich die Geschwindigkeit ständig denen der anderen an.
Was soll ich sagen, es ging gut. Nur Stunde für Stunde wurde das Flötenkonzert in unseren Klassenraum leiser und leiser.
> Ihr spielt ja überhaupt nicht <, sagte ich zu den Jungen.
> Nee. Nichts geübt <, bekam ich zur Antwort. In der Tat, wer uns regelmäßig raushaute, waren die Mädchen, welche für den Klang dieses Mörderinstrumentes weit mehr Begeisterung aufbrachten.
Es wurde noch leiser.
Und das hieß, es wurde gefährlich; nicht nur für mich. Aber es nutzte nichts, in der nächsten Stunde zeigte der Finger des Folterknechtes auf mich.
Welch ein Glück, das ich vorbereitet war. Ich hatte wirklich geübt und es klappte so leidlich.
Nun braucht selbst so ein „hohler Stock“ wie eine Blockflöte ein gewisses Maß an Pflege; das ich in diesem Falle maßlos übertrieb. Mit der mitgelieferten Flaschenbürste schrubbte ich ihr nach vergeblichen Spiele ordentlich den Kamin, so als wolle ich ihr damit endgültig sämtliche Mißtöne austreiben. Auch mit dem Töpfchen Hirschfett ging ich nicht zimperlich um. Recht großzügig schmierte ich das Fett rund um den Kork, auf dem das Mundstück geschoben wurde.
Einmal spielte ich vor der Klasse auf meinem Instrument, der Rest der Flöte rutschte mir vom Kork und fiel zu Boden. Statt entsetzt abzubrechen, wandte ich mich zu meinen Mitschülern, hob in Siegerpose beide Arme, zeigte mit Händen das Peace-Zeichen und spuckte gespielt angewidert das Mundstück aus. Ich glaubte, das Joch der Flöte gebrochen zu haben, rechnete aber nicht mit dem hitzigen Gemüt unserer Lehrerin. Es klatschte diesmal zweimal. Mit Tränen in den Augen schrie ich in den Klassenraum, > Ich bin ein Bluesboy! Blues ist mein wahrer Name und Blues heißt mein Spiel! <
Ich wollte den Bombast-Rock einer Band wie Deep Purple, den schmutzigen Beat eines Rolling Stone. Ich wollte wie Marc Bolan auf der Bühne, in schwarzem Leder, einen Fuß abgestützt auf einem Frontlautsprecher, mit schwarzen, lockigen Haaren und einer Flying V lässig in den Händen haltend in die Menge schreien: „I’m your Teenage Revoluzzer!“
Und was hielt ich in Händen – eine Blockflöte, der Marke Hohner C. Pfui!
Rache! Rache, für das, was ihr mir angetan habt!
Wie sollte ich mit diesem hohlen Ding jemals den ohrenbetäubenden, verzerrten Sound einer Stratocuster, gespielt von Jimi Hendrix, der dabei mit den Lautsprechern bumste, erreichen.
Wie dem auch sei, das Ende der Ära Blockflöte läuteten ausgerechnet Mädchen ein. Zwei Mädchen sollten einen Schlußstrich unter der gnadenlosen Quälerei ziehen.
Zwei Schwestern, Heike und Karin. Beide besaßen weit mehr Können als wir anderen. Sie spielten schon länger, besaßen größere Konzertflöten mit dunklem Klang. Mit ihren rotbraunen, geflochtenen Zöpfen und ihren beim Spiel ernsthaft konzentrierten Gesichtern paßten sie auch viel besser zu der Show.
Wir hatten wieder ein Konzert, ich bemerkte es als erster, Heikes unsteter Blick, der doch sonst die Ruhe selbst war, leider, leider... .
> Hört mal alle auf zu spielen <, wir taten gern wie geheißen, > nein, bis auf dich, Heike, du spielst weiter! < Stille!
Heikes Blick beugte sich mehr und mehr, das Instrument sank von ihren Lippen herab. > Ich... Ich hab das nicht geübt. <
Neben ihr stand erhobenen Hauptes die Schwester und triumphierte.
> Das ist alles, was du mir zu sagen hast? <
> Ich möchte einmal Klavier spielen wie Little Richard! <
> Was... möchtest du. < Heike wiederholte den Satz, währenddessen öffnete Frau Lehrerin bereits das Klassenbuch und griff zum Stift.
Ich war entgeistert, hatte ich doch soeben eine Kollegin und heimliche Bluesrockerin aus dem Untergrund kennengelernt. Zusammengesunken saß unsere Musiklehrerin vorn auf ihren Stuhl, wir spürten, es war vorbei.
Im weiteren Verlauf der Stunde sollte ich noch nach Noten spielen, müßig zu sagen, das ich die auch nicht konnte. Und es machte auch nichts mehr, als ich zuletzt rief: > and don’t forget, the Lord gives Rock `n’ Roll to you ... Schwester! <
Wir hatten natürlich weitere Musikstunden, aber ohne Flöte. Das war gut so, denn es geschah auf unserem Heimweg. Wir gingen wie immer an den Kuhweiden vorbei, ich berichtete Klaus, das ich meine Pipe nicht mehr teilen und verpacken konnte. Was vorher an Fett zuviel, war nun viel zu wenig.
> Na, dann her mit dem Ding und laß uns mal kräftig ziehen!< Gesagt, getan. Gar nicht faul, standen wir uns gegenüber und zogen. Mit einem jähen Ruck trennten sich die beiden Teile, das Korkstück brach.
Ich hielt das längere Rohr noch für einen Moment in der Hand, dann machte sich das Ding im Flug auf den Weg über die Weide und fiel schmatzend in den nächsten Fladen Kuhscheiße.
> Das war’s <, sagte ich zu meinem Freund. Beide standen wir Schulter an Schulter und lachten, Klaus schrie, > i believe in Rock `n’ Roll < und warf das Mundstück hinterher. > Was meinst du, kommen sie uns demnächst mit Trompeten? <
> Mach keinen Mist! <
Wir nahmen unsere Ranzen und machten uns mutig auf den Weg, unsere Vorliebe für elektrische Gitarren gegen daß musikalische Kulturgut der Erwachsenen zu verteidigen.
Westen, im Juli 2003
Für Birgit
Ihr Herz schlägt im Zwölftakt und in ihrem Blut tobt der Boogie.
Und die immer da ist für die Menschen, die sie dringend brauchen.
You can’t fight the Fire, before
you go down in the Heat.
I believe to my Soul
Julian Sas