Bommel lötet sich das Glück
"Hast du ne Ahnung, wieviele es sind?"
"Pff... fünf?" Nee, hab keine Ahnung.
"Ey, Typ, verarsch mich nicht."
"Ja, okay. Sorry. Dann zwölf."
"Alter, ich sags dir im Guten..."
"Mann, Bommel, was willst du eigentlich von mir? Ich weiß nichtmal, wovon du eigentlich sprichst!"
"Sterne", sagt Bommel lapidar und winkt nach der Kellnerin. Niedliches Ding, sympathische Einsachtzig, bestehend aus Beinen, Brüsten und nem knackigen Hintern. Die Kellnerin, nicht Bommel. Der hat zwar auch nen Hintern, aber der knackt nur, wenn man fest genug reintritt.
"Ach so."
"Ja. Und? Wieviele?"
"Kein Schimmer. Ein ganzer Arsch voll."
"Ja, kommt hin."
Montag ist Pizzatag. Darum sitzen Bommel und ich heute in der besten Pizzeria der Stadt. Also, normalerweise sitzen wir Montags in der billigsten Pizzeria der Stadt, aber normalerweise hat Bommel auch keine Gutscheine. Hat er sich in der Lotterie vom Kiosk um die Ecke errubbelt. Cooler Typ.
"Was kann ich euch bringen?", fragt das Mäuschen mit dem Knackarsch.
"Für mich ne Diavolo mit Schinken und mein Kumpel nimmt ne Hühnchen Curry."
"Mit doppelt Käse bitte."
"Kein Problem", sagt sie und lächelt dieses Kellnerinnenlächeln. Ich hab dich gern, sagt es, aber sobald du die Rechnung bezahlt hast, kannst du mich mal gernhaben.
"Oh... und dann hätt ich noch gerne ne Rutsche von diesen Pizzabrötchen", ordert Bommel. "Ich hab Gutscheine."
"Das tut mir leid, aber die sind aus", lächelt sie. Ich werfe Bommel ein gespielt bedauerndes Schulterzucken zu. Kann man nix machen. "Aber ich kann dir stattdessen ein paar von den Gefüllten bringen. Zwei davon als Wiedergutmachung aufs Haus?"
"Hervorragend", grinst Bommel und wenig später erklärt er mir auch warum.
Aber nicht sofort. "Sterne", nimmt er nämlich erstmal den Faden von vorhin wieder auf. "Ich hab mich da mal schlau gemacht. Sagt dir der Gürtel des Astrolapagus was?"
"Seh ich aus, als würd ich Kreuzworträtsel machen?"
"Ehrlich gesagt ja. Aber dieser Gürtel beschreibt eine Sternenkonstellation."
"Sowas."
"Pass auf, wird noch besser. Normale Konstellationen beschreiben vielleicht mal so vier-, fünfhundert Sterne. Aber dieser Gürtel beschreibt sie alle. Wenn alle Sterne des gesamten Universums an einer bestimmten Stelle stehen, dann ist Astralapagus."
"Bommel, ich unterbrech dich nur ungern, aber ich müsste lange überlegen, um etwas zu finden, was mich noch weniger interessiert."
"Ja, warts ab, kommt gleich. Weißt du nämlich, wie oft sowas vorkommt?"
"Dieser eine Reissack, der letztens in China...", sinniere ich. "Obwohl... nee, doch nicht."
"Du bist ein Arsch, Typ, weißte das? Aber ich sags dir trotzdem. Genau einmal nämlich."
"Einmal was? Pro Jahr?"
"Einmal überhaupt. Gestern nachmittag um drei."
Die Kellnerin kommt zurück und bringt uns die Pizzabrötchen. Sehr lecker. Beides. Bisschen blöd nur, daß wir vergessen haben, was zu Trinken zu ordern. Ist ja doch ein wenig trocken, so ein Pizzabrötchen.
"Und mweischt du noch wasch?"
"Daß du den Mund voller Tomatensoße hast?"
"Auch. Aber man schagt, mwenn dieser Astralopagus isch, dann bringt dasch Glück."
"Im Moment läuft sie dir übers Kinn."
"Ja. Aber dasch isch nich scho'n Aberglaube. Nee, dasch isch echt."
"Und jetzt tropft sie auf die Tischdecke."
"Is ja gut, Typ! Versuch du das mal, gleichzeitig essen und sprechen!"
"Nee, mach ich nicht. Du hattest also Glück, ja?"
"Ich habe Glück. Hier, guck dir das mal an." Bommel wischt sich erst mit dem Handrücken übers Kinn, dann die Hand an der Serviette ab und steckt sie zum Schluss in seiner Hosentasche. Als er sie wieder hervorzaubert, ist sie nicht nur tatsächlich sehr sauber, sondern hält zudem...
"Cool, oder?", fragt er stolz. "Selbst gemacht."
"Was? Das Kleeblatt?"
"Japp. Vierblättrig."
"Unterbrich mich, wenn ich falsch liege, Bommel, aber werden Kleeblätter nicht normalerweise von..." Keine Ahnung, wer normalerweise Kleeblätter macht. "... anderen Kleeblättern gemacht?"
"Dieses nicht. Dieses hab ich gelötet."
"Du hast dir ein Kleeblatt gelötet."
"Ja. Ein Vierblättriges. Aber, und jetzt kommts, weil ich nämlich genau dann fertig war, als Astralapogus war, funktioniert es." Er setzt eine verschwörerische Mine auf und verschränkt die Arme triumphierend vor der Brust. Der Rest ist Schweigen.
"Wie, das wars? Das war die große Enthüllung, wegen der ich dir jetzt zugehört hab? Leck mich doch, Bommel."
"Du glaubst mir nicht? Pass auf."
Er zeigt auf die Tablettschnitte, die in diesem Moment auf eigentlich viel zu hohen Schuhen an uns vorbeistöckelt. Exakt vor unseren Tisch fällt ihr eine Speisekarte aus der Hand, wodurch sie gezwungen wird, sich zu bücken, was uns beiden wiederum erstklassige Aussichten auf ihren Hintern nebst Unterwäsche bietet. Grün.
"Siehst du?"
"Wer trägt denn bitte grüne Unterwäsche?"
"Du bist mal wieder am Thema vorbei. Auch wenn du inhaltlich Recht hast. Okay, noch ein Beispiel. Meinst du, diese Gutscheine sind von alleine zu mir geflogen?"
"Naja, du hast gerubbelt."
"Hast du schonmal ein Rubbellos gesehen, das keine Niete ist? Und was ist mit den Pizzabrötchen? Na? Na?"
"Okay, du hast ne Glückssträhne, geschenkt."
"Strähne? Alter, ich sag dir, ich hatte heute nicht eine rote Ampel. Mein Boss hat sich krank gemeldet. An der Tanke war ich der millionste Kunde und hab nen Liter Diesel umsonst gekriegt. Nen ganzen Liter, Alter!"
"Okay. Aber seit wann kannst du löten?"
"Hab da mal ein Buch drüber gelesen."
"Aber das Ding ist gar nicht aus Metall. Das besteht eindeutig aus... Blatt oder so."
"Das sieht nur so aus, wegen Nano."
"Nano?"
"Japp. Nano löten ist wie normal, nur eben kleiner."
"Du hast also Nanoteile zusammengelötet? Woher zum Geier kannst du sowas?"
"Warum kannst du sowas nicht?" Punkt für Bommel.
"Und das Ding bringt also Glück, sagst du."
"Entschuldigung, darf ich mich setzen?", fragt der Mann in dem weißen Anzug und setzt sich zu uns an den Tisch. Er legt seinen Hut auf den freien Stuhl neben sich und holt eine Lesebrille aus der Manteltasche. "Kann ich mir das mal ansehen?"
"Wer zum Teufel sind Sie? Und was wollen Sie von meinem Kleeblatt?"
"Oh, Verzeihung. Ich bin ein Dämon", erklärt der Dämon. "Ein Glücksdämon um genau zu sein."
"Hat man Sie auch aus Nano gelötet?", frage ich mitfühlend und ernte Unverständnis. "Junger Freund", tadelt der Dämon mich väterlich, "wenn Sie wüssten, wozu ich in der Lage bin, würden Sie sich solche Respektlosigkeiten sparen." Das mag zwar durchaus sein, ändert aber nichts daran, daß der Typ sich an unseren Tisch gesetzt hat. Und genau das sage ich ihm auch.
"Dieses Kleeblatt", doziert er vollkommen unbeeindruckt, "stellt eine Schieflage im Raumglückskontinuum dar."
"Raumglü..."
"Die proportionale Verteilung von Glück im Raum." Gute Erklärung. Bommel und ich nicken verstehend. "Dieses Artefakt bündelt das Glück in einem unverhältnismäßigen Anteil."
"Siehst du!", triumphiert Bommel. "Hab doch gesagt, das Ding funktioniert."
"In der Tat. Und genau deshalb liegt es an mir, es an mich zu nehmen. Ich kontrolliere die Weltglückskontingente und kann solch eine Subversivität nicht gutheißen."
"Aber wenn das so schlimm ist, hätten Sie als Dämon denn nicht diesen Astrolapogus verhindern können?"
"Nein."
"Ach so. Sorry, wusste ich nicht. Ich hätte jetzt gedacht, Sie könn..."
"Wenn Sie mir das Artefakt jetzt freundlicherweise aushändigen würden."
"Und wenn nicht?"
Der Mann in dem weißen Anzug würdigt Bommel keiner Antwort. Er schnippt mit den Fingern, woraufhin die niedliche Kellnerin ganz unglücklich auf ihrem Absatz umknickt und sich höchstwahrscheinlich das Fußgelenk bricht. Wird ihr aber egal sein, wie mir das hässlich knackende Geräusch verrät, als sie mit dem Kopf auf die Tischkante knallt.
Der Dämon beginnt, rötlich zu dampfen und grinst diabolisch. Wie Dämonen das nunmal so machen. Scheint ihm Freude zu bereiten.
Ein weiteres Schnippsen und dem Liebespärchen vom Nachbartisch bleiben die Canneloni im Hals stecken, worauf einem weiteren Gast vor Schreck ein Stück Pizza aus der Hand und genau auf die Kante seiner Gabel fällt, die eben noch auf dem Tisch lag, nun jedoch in hohem Bogen durch die Luft fliegt und einem Kind im linken Auge landet, das sich schmerzschreiend auf die Erde wirft, woraufhin die Mutter aus ihrem Stuhl aufspringt, jedoch wirklich sehr unglücklich mit ihrer Armbanduhr an der Tischkante hängen bleibt, wobei das Armband zerspringt und die Einzelteile auf dem Boden landen, wo sie den zweiten Kellner zu Fall bringen, der daraufhin... naja und so weiter.
"Also?", sagt der Dämon, das Chaos hinter sich scheinbar vollkommen ignorierend.
"Löten Sie sich doch selbst ein Kleeblatt."
"Sie sind ein sehr trotziger Mann. Aber Sie müssen wissen, daß Glück sehr vergänglich ist. Was wäre denn, wenn Ihrem Freund hier etwas zustoßen würde." Ja, nee. Der meint doch nicht mich, oder? Meint der etwa mich?
"Ich hab soviel Glück, daß ich sofort nen neuen Kumpel finden würde", sagt Bommel und zwinkert mir verschwörerisch zu. Soll wohl soviel heissen wie vertrau mir, ich hab alles im Griff, klingt für mich aber eher wie ja, ich meine das genau so, wie ich sagte. Bevor ich protestieren kann, passiert dann übrigens Folgendes:
Durch eine unglückliche Verkettung von Ereignissen, kippt der Backofen in der Küche um, worauf es zu brennen anfängt. Der Koch versucht, zu löschen, wobei der Feuerlöscher beim Einschalten jedoch einen solchen Druck erzeugt, daß er dem überraschten Mann aus der Hand fliegt und quer durch das Lokal durch das Fenster, direkt in die Seitenscheibe eines vorbeifahrenden LKW. Der Fahrer verliert die Kontrolle und lenkt sein Gefährt in den Gegenverkehr. Die Folge ist allgemeines Chaos und irgendwie landet schließlich ein quietschgelber Jetta bei uns auf dem Tisch und rammt den Dämon in den Fußboden.
"Okay, Bommel", sage ich. "Ich gebs zu. Soviel Glück ist echt einmalig."