Mitglied
- Beitritt
- 29.12.2013
- Beiträge
- 556
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 9
Bogor
Ich war schon fünf Tage auf dem Mars und hatte noch keine Inspiration für meine Science-Fiction-Geschichte, die ich schreiben wollte. Ich saß im „Top of Mars“-Cafe des neueröffneten Casinos und auf meinem Notebook stand ein erster Satz: „Der Sternenkreuzer Mars One trat in den Orbit von Asuris ein.“ Es war die zehnte Variation des Anfanges und er gefiel mir nach wie vor nicht. Also schaute aus dem Fenster auf die rote Wüstenlandschaft und versuchte eine neue Idee zu finden.
„Hey Mark. Was machst Du denn hier?“
Verwundert drehte ich mich um.
„Ich bin’s, Karl. Ich saß in Mathe immer neben Dir…“
„… und hast immer von mir abgeschrieben.“
„Ja, und ich habe deshalb schlechte Noten bekommen.“
Wir lachten, ich stand auf und umarmte meinen alten Schulkumpel.
„Wieso bist Du denn hier?“ fragte ich, ohne vorher seine Frage zu beantworten.
„Ich hab das Casino mit aufgebaut. Und Du?“ Karl lief um mich rum und las meinen Satz auf dem Notebook. „Du schreibst? Was schreibst Du denn“?
„Mein Auftrag war ein Bericht zur Casinoeröffnung. Aber jetzt schreibe ich an einer Science-Fiction-Geschichte.“
„Das ist ja cool. Dann muss ich dir was erzählen“, Karl setzte sich mir gegenüber, knöpfte sich seine Jacke auf und fing aufgeregt an zu erzählen. „Ich habe hier schon seit der Grundsteinlegung mitgearbeitet. Und mit uns war so ein Außerirdischer, ein Bogorianer, dabei. Der war so stark wie fünf von uns und hat der Firma bestimmt eine Menge Kohle gespart. Als Lohn wollte er nämlich kein Geld – klar, was will er auch auf seinem Planeten mit unserem Geld. Er wollte nur, dass ein Mensch seinen Heimatplaneten besucht.“
„Ein Bogorianer?“, fragte ich.
„Ja. Bogor liegt wohl so 430 Lichtjahre weit weg.“
„Wie kam der denn hier her?“
„Ach, die sind wohl immer auf der Suche nach neuen Bekanntschaften. Er hatte ein ganz kleines Raumschiff, vielleicht Platz für drei Leute. Jedenfalls ist er mit einem Kollegen, nach dem der Rohbau hier fertig war, nach Bogor geflogen.“
„Und der Kollege wollte da mit fliegen?“
„Ja, klar. Der war sowieso nur auf dem Bau, um sich ein Ticket für einen Hyperraumflug leisten zu können.“ Karl hielt kurz inne und zog sich einen Reißverschluss in seiner Brust herunter.
„Ganz schön warm hier, oder?“, fragte ich.
„Ja“, antwortete Karl. „Jedenfalls: Kaum auf Bogor angekommen, wird der Bogorianer zum Arschloch. Hier auf der Baustelle war er der netteste Kumpel des Universums und da fing er an, den Kollegen zu jagen.“
„Zu jagen?“, fragte ich ungläubig.
„Naja. Sie waren zum Essen bei der Familie des Bogorianers. Und da bekommt der Kollege mit, wie sie über ihn reden. Er schnallt, dass sie darüber sprechen, wie sie ihn aufschlitzen wollen. Da ergreift er die Flucht, rennt aus dem Haus und rettet sich in einen angrenzenden Wald.“
„Sind das sowas wie Kannibalen?“
„Nein. Lass mich mal weiter erzählen.“
„Ist ja gut. Also weiter.“
„Auf der anderen Seite vom Wald war ein kleiner Flugplatz und der Kollege dachte schon, dass er sich ein Raumschiff kapern könnte. Da erwischt ihn eine scheiß Harpune am Unterschenkel. Die Bogorianerbande zerrte ihn zurück zum Haus und hängte ihn kopfüber an den Füßen auf. Dann schlitzten sie ihm den Bauch auf und fingen an, ihn bei lebendigem Leibe zu häuten. Aber nicht wie so ein Metzger aus dem letzten Jahrtausend, sondern mit so Hightech-Dingern. Keinen Mikrometer zu viel, oder zu wenig Haut. Genau so viel, dass er weiter leben konnte. Das wurde dem Kollegen trotzdem zu viel und er verlor das Bewusstsein.“
Ich wartete die Kunstpause ab, ohne Karl zu drängen, weiter zu erzählen.
„Als er wieder aufwacht – was soll ich sagen – er schaut an sich runter und alles ist in Ordnung. Hände, Beine - alles da. Sein Kopf tat ein bisschen weh, aber das war alles. Er hing auch nicht mehr – sondern lag auf einer Pritsche. Er setzte sich auf, da kommt grinsend der Bogorianer in den Raum. Der erklärt ihm dann, dass sie sein Gehirn in eine Art Maschine verpflanzt und diese dann mit seiner Haut überzogen haben. Das wäre viel besser, weil er dadurch kaum noch altert und viel stärker ist. Letzte Woche sind beide zur Casinoeröffnung wieder hergekommen, da hat mir der Kollege erzählt, was mit ihm passiert war.“
Ich sagte nichts und wartete ab.
„Und? Was sagst Du? Ist das eine Story für Deine Zeitung?“
Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet und überlegte, was ich darauf antworten konnte. Zögerlich nuschelte ich: „Den Pulitzerpreis wird man für diese Story eher nicht bekommen.“
„Na gut. Und als Science-Fiction-Geschichte?“
„Hach, ich weiß nicht“, überlegte ich laut. „Dein Kollege hat es ja erlebt - das ist ja dann kaum Fiktion.“
Karl schaute auf die Uhr, machte ein erstauntes Gesicht und sagte: „Kein Problem. Mach aus der Geschichte was Du willst, ja?“ Als er aufstand blinkten in seiner Brust ein paar grüne Lämpchen. Er zog sich den Reißverschluss in der Brust hoch und knöpfte seine Jacke darüber zu. „Ich muss los, hatte gar nicht bemerkt, wie spät es schon ist.“
Wir verabschiedeten uns so herzlich, wie wir uns begrüßt hatten.
Ich schaute aus dem Fenster auf die bizarren roten Berge hinter der Wüste und war froh, dass Karl wieder weg war.
Dann löschte ich meinen ersten Satz und schrieb: „Der Sternenkreuzer Bogoria trat in den Orbit von Osuris ein.“