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Bodybuilding 2.0
Werner war übergewichtig. Schon seit Kind. Nicht extrem, aber doch. Seine Freundin Pauletta hatte ihn einen Tag zuvor mit den Worten: „Du bist so fett, dass du eine eigene Umlaufbahn hast! Ich trenne mich von dir, Werner. Es hat nichts mit dir persönlich zu tun. Wir können ja Freunde bleiben. Ich liebe dich immer noch extremst. Aber es geht nicht mehr, wir sind nicht füreinander bestimmt. Ich wishe dir all the best“ verlassen. Pauletta war Kubanerin und erst vor einigen Jahren immigriert. Sie hatte damals nichts, und der gutmütige Werner hatte sich sofort in die exotische Schönheit verliebt, als er sie in der Lesbendisco zum ersten Mal gesehen hatte.
Jetzt war er wieder allein. Er wollte sein Leben ändern. Nein, er wollte sich selbst ändern, sein Aussehen. Er wollte schlank und muskulös sein. An jenem Samstagmorgen stand er auf und ging ins Bad. Er legte eine alte Kassette ein, und "Eye of the Tiger" erklang. Er starrte sein Spiegelbild angestrengt an und sagte dann: „Heute ist Tag 0. Es wird nichts mehr so sein wie es war. Ich werde Bodybuilder!“ Eines musste man Werner lassen; wenn er sich erst einmal etwas vorgenommen hatte, setzte er es manchmal tatsächlich um.
Nach dem Frühstück griff er zum iPad und suchte nach einem Fitnessstudio in seiner Nähe. Sofort fand er ein MC-Fit Studio, vis-a-vis vom MC Donalds. Werner pflegte des öfteren in besagtem Lokal zu dinieren, und wusste daher sofort, wo er hin musste.
Eine Stunde später stand er mit viel zu engen, grünen Radlerhosen, einem ärmellosen Unterhemd und einem weissen Stirnband an der Theke des Empfangs. „Ich würde gerne hier trainieren.“, sagte er zur braungebrannten Empfangsdame, welche so gekleidet war als wolle sie selber gerade ins Training.
„Ja klar, kein Problem. Bist du zum ersten Mal hier?“
Werner lehnte sich cool nach vorne und stütze sich mit dem Ellbogen ab. Er liess den Blick durch das halbvolle Studio schweifen. „Haben Sie auch genug schwere Gewichte? Ich möchte nämlich keine Schwangerschaftsgymnastik, sondern Bodybuilding betreiben!“
„Keine Sorge, ich bin sicher wir haben auch für dich geeignete Geräte.“
„Gut. Wer ist mein Trainer? Du?“
„Nein, das wäre der Kevin, ich schick ihn dir gleich rüber. Wärm dich doch schon mal auf.“
Werner kramte seine Jacke aus der Tasche und zog sie an. „Reicht das?“
„Nein, ich meinte ein lockeres Warm-Up-Programm, um den Körper auf das Training vorzubereiten. Am besten auf dem Ergometer.“
Werner blickte zu Boden. „Von wo bis wo geht dieser Meter?“
„Das ist ein stationäres Rad, da sollst du dich erst mal aufwärmen.“ Sie zeigte auf eine Reihe Räder und Rudermaschinen. „Einfach locker zehn Minuten radeln.“
Werner setzte ein künstliches Lächeln auf. „Weiss ich doch, haha! Ich wollte dich nur testen, ob ihr hier auch was von der Materie versteht…“
Er begab sich zu den besagten Geräten, schwang sich auf eines der Räder und strampelte in der niedrigsten Stufe los. Bereits nach einer Minute keuchte er, als ob er mit dem Tod rang. Schweiss schoss ihm aus allen Poren und fühlte sich auf seinem Gesicht an wie Lava. Er musste die Übung abbrechen und legte sich neben dem Rad schnaufend zu Boden.
Kurz darauf erschien ein muskulöser, ebenfalls solariumgebräunter Fitnesscoach. „Bist du der Werner?“
„Ja, und du bist..?“
„Der Kevin, hallo. Ich werd‘ mit dir jetzt n‘ Trainingsplan erstellen.“
„Gut…“, sagte Werner. „Ich möchte bitte alle Muskeln des ganzen Körpers trainieren, jeden einzelnen…“
„Okay, also Brust und Bizeps.“
„… und wie gesagt auf Bodybuilding-Niveau. Keine halben Sachen!“
„Geht klar. Dann machen wir am besten einen Antagonisten 2er-Split mit Clustersätzen nach dem Pyramidenprinzip und hauen noch zweimal die Woche Cardio-Einheiten rein, okay? Später kannst du dann immer noch auf HST oder Zirkeltraining wechseln.“
„Ja… Genau… Genau so hätte ich das auch vorgeschlagen.“
Werner folgte Kevin zur Hantelbank. „Hier sollst du Bankdrücken machen. Leg dich mit dem Rücken auf die Bank.“ Gesagt, getan. Werner lag auf der Bank. „Ich nehme erst mal alle Gewichte ab, und du versuchst es mal mit der leeren Stange.“
„Ach was, komm, hau ordentlich was drauf, ich will jetzt richtig loslegen! Komm, mach!“
„Na gut, aber nicht zuviel. Erst einmal sollst du die richtige Ausführung lernen.“ Kevin bestückte die Stange auf beiden Seiten mit je einer 5-kg Scheibe. „Jetzt hebe die Stange ganz sachte aus der Halterung und achte auf …“
Werner stiess die Stange voller Energie und Tatendrang in die Höhe, merkte aber im selben Moment, dass dies ein Fehler gewesen war. Seine Arme versagten den Dienst und liessen das volle Gewicht der Hantel auf seine Brust niedersausen. „Aaah!“, schrie er wie am Spiess.
„Mein Gott, ich sagte doch…“ Kevin ergriff mit der linken Hand die Stange und hob sie zurück in die Halterung. „…sachte!“
„Schon klar, ich bin nur… abgerutscht. Die Stange war total verschwitzt, verdammte Kacke…“, keuchte Werner.
„Na gut, lass uns was anderes versuchen. Komm mit.“, sagte Kevin. Die beiden begaben sich zur Beinpresse. „Setzt dich mal so hier rein, und winkle die Beine an.“
„Und für welchen Muskel ist diese Maschine?“, fragte Werner.
Kevin verdrehte genervt die Augen. „Na, für den Schliessmuskel natürlich.“
„Alles klar, super, los geht’s!“ Werner drückte mit ganzer Kraft. Die Presse bewegte sich keinen Zentimeter.
„Warte noch, erst muss man den Sicherungsstift hier rausziehen, damit sich die Presse bewegt.“ Er entnahm die Sicherung, und Werner, der schon wie verrückt presste, schoss wie eine Rakete samt dem Sitz über die Schiene und flog in hohem Bogen Richtung Kurzhantelablage, wo er laut schreiend landete und die gesamte Ablage mit sich riss. „Scheisse!“ rief Kevin und eilte Werner zu Hilfe. „Du solltest doch warten!“
Werner rappelte sich hustend auf. „Alles in Ordnung, haha..! Wollte doch nur mal sehen was die Maschine so aushält. China-Ware, typisch…“
„Komm, wir versuchen noch eine letzte Übung.“, sagte Kevin und führte Werner zur Klimmzugstange. „Hier macht man Klimmzüge. Die Fortgeschrittenen verwenden Zusatzgewichte, das sie sich mit diesem Gürtel hier umschnallen. Aber so weit bist du noch lange nicht.“ Er umfasste die Stange und zog sich ein paar Mal spielerisch leicht hoch. „Das sollte jeder gesunde Mensch können. So, ich muss mal für muskulöse Jungs, versuch du doch einfach mal, die Stange zu greifen und dich wie ein Sack Kartoffeln herunterhängen zu lassen. Das wäre schon mal ein Anfang…“ Er verschwand in einer Tür neben dem Empfang.
Werner nervte dieses klugscheisserische Getue. Was bildete sich dieser Schnösel ein? Er packte den Ledergürtel und hängte an der zugehörigen Kette drei 20kg-Scheiben an. Dann schlüpfte er in den Gürtel und wollte sich an die Stange hängen, doch aus einem unerfindlichen Grund steckte in seiner Sporttasche, die neben ihm am Boden lag, eine Handgranate, welche just in diesem Moment hoch ging. Handtücher und Schuhe wurden durch die Luft gewirbelt. Die Explosion riss ein riesiges Loch in die Wand, und ein Teil der Decke stürzte aufgrund der Detonation ein. In der Luft lagen dicke Rauchschwaden, und von der Decke rieselten noch einige kleine Betonstückchen. Dann war es still. Werner war von Hantelscheiben und Betonbrocken bedeckt. Wie durch ein Wunder hatte er die Explosion bis auf ein Pfeifen im linken Ohr unbeschadet überstanden. Er rappelte sich hustend auf und wischte den weissen Staub von sich. Er sah sich um. Einige Menschen lagen stöhnend am Boden. Kevin kam hinter der Theke hervor und starrte ungläubig auf das Chaos. „Oh du heilige Mutter Maria…", stöhnte er mit aufgerissenen Augen. Werner klopfte ihm auf die Schulter. „Ich denke heute geht nicht mehr viel. Morgen um dieselbe Zeit, ok?“ Er packte seine Sachen, hüpfte noch kurz unter die Dusche und holte sich dann gegenüber im MC Donalds noch zwei Big Macs, bevor er erschöpft nach Hause fuhr. Der nächste Tag würde bestimmt anstrengend werden…