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Bodumil Frissgarviel
Bodumil Frissgarviel
Darf ich mich vorstellen? Ich heiße Bodumil Frissgarviel und wohne in Uppstral Nr. 16. Warum ich hier schreibe? Nun, ich will Euch meine Geschichte erzählen. Passt einmal auf!
Vor langen, langen Jahren kam ich als süßer, himmelblauer Drache auf die Welt. Meine Mama und mein Papa waren ganz außer sich vor Freude, als sie mich zum ersten Mal in Händen hielten. Papas Hose habe ich gleich beim ersten Wickeln von oben bis unten mit Urin bekleckert. Er hatte übrigens am nächsten Tag immer noch dieselbe Hose an ... . Mama habe ich Schreihals die ganze Nacht auf Trab gehalten! Ich wuchs schnell heran. Als ich zwei war, entfalteten sich zum ersten Mal meine entzückenden himmelblauen Flügel; gerade einmal drei Zentimeter waren sie groß, so groß wie eine Briefmarke! Mit drei Jahren wurde ich sehr krank, und ich habe schrecklich abgenommen. Meine Eltern sind fast verrückt geworden vor lauter Angst, ich könnte verhungern! Und da begann es...
„Bodumil! Dein Frühstück ist fertig!“ Brummend wälzte ich mich aus dem Bett. „Es gibt deinen Lieblingspudding, sieh mal!“ Mama hatte sich wieder einmal selbst übertroffen: belegte Brote, Kuchen, Schokoflocken, Pudding, weiche Eier, es sah aus wie im Schlaraffenland! Prustend stopfte ich mir ein paar dicke Briochescheiben, einige Puddings sowie zwei Tassen ursüßen Kakaos rein. „Aber, Bodumil! Du hast doch noch gar keinen Kuchen probiert...!“ Vorwurfsvoll hielt mich Mama zurück und schob mir ein riesiges Stück Kuchen in den Mund ... .
Seither sind einige Jahre vergangen. Ich wiege inzwischen ungefähr 100 kg und gehe seit kurzem in die erste Klasse Volksschule. Keiner sagt Bodumil zu mir, alle nennen mich nur „Kuchen-Bodo“! Die vielen Puddings und Kuchen, die unzähligen Schnitzerl und Hamburger, die ich jeden Tag reinbaggere, haben aus mir einen lustigen Ballondrachen gemacht!
Eines muss ich schon sagen! Die Pausen zwischen den einzelnen Stunden in der Schule sind viel zu kurz! Ich schaffe nie meine ganze Jause! Maximal vier meiner Doppeldeckerbrote kann ich reinstopfen, und zwischen den Broten nur drei großen Packerl Kakao trinken! Dass ich während des Unterrichts hungrig bin, ist ganz allein die Schuld des Lehrers! Schließlich hätte ich, um meine Jause zu verzehren, ja eine längere Pause benötigt! Die zwei großen Schokokeksrollen muss ich daher immer unauffällig während der Unterrichtsstunden vernaschen! Das ist auch der Grund, warum meine Schreib- und Rechenhefte ständig mit Schokolade verschmiert sind! Klar, Schokolade schmilzt, wenn es heiß ist! Und in unseren Klassenzimmern ist es heiß! Bei jeder Bewegung trieft der Schweiß von meinen Händen! Mama hat ja sooo recht: Bewegen ist ungesund! Man schwitzt und bringt dadurch seine Hefte in Unordnung, jawohl!
In der Rechenstunde passe ich gut auf; schließlich will ich ja wissen, wie viel fünf Tafeln Schokolade und drei Packungen Chips ergeben! Geht nicht? Ich mische Äpfeln mit Birnen? Sagt mein Lehrer. Apropos Äpfel: Wer isst denn heutzutage noch Äpfel? Kein Drache! Da lobe ich mir doch Apfel-Cini-Minis! Süß, zuckrig – und sehen überhaupt nicht nach Apfel aus! Das schmeckt!
Übrigens: morgen müssen wir zum Schularzt. Na, der wird sich freuen! Endlich einmal ein starker, kräftiger Drache, wird er sagen! Da bin ich ganz sicher.
Ich bin am Boden zerstört! Der Schularzt findet mich dick! Ich sei viel zu dick, sagt er. Dabei wiegt doch meine Mama 160 Kilogramm! Da bin ich ein Floh dagegen! Und er will mir allen Ernstes meine fünf Jausenbrote abnehmen! Er sagt, die zwei Kilo Nutella drauf seien sooo ungesund! Und Cini-Minis mag er auch nicht! Der hat vielleicht einen abartigen Geschmack, findet Ihr nicht auch ??!
Ich soll Äpfel essen, und Bananen, Sauermilch und Joghurt (letzteres nimmt meine Oma immer, gegen Altersflecken), Vollkornbrot und Karotten (ich bin doch kein Hase!) und Fisch! – wo ich doch nicht schwimmen kann!
Mama war ganz entsetzt, als ich ihr den Zettel des Schularztes in die Hand drückte! „Ihr Kind wird nie fliegen können!“, stand da oben und: „Sie gefährden die Gesundheit Ihres Kindes!“ Keine Schnitzerl mehr, keine Bratwurst, keine Hamburgers mit einer Riesenportion Ketchup drauf. Kein Eis mehr. Keinen Pudding – und schon gar keine Kindermilchschnitten! Das ist ein ganz Böser, der Schularzt, sage ich Euch, der will mich quälen! Natürlich hielten meine Mama und ich uns nicht an diesen Blödsinn! Bis...
Eines Morgens fühlte ich mich furchtbar schlapp. Alles war so komisch heute. Ein Schritt, noch ein Schritt, uaaaaaahhhh! Ich floss weg, einfach weg! Wie Topfencreme oder treffender: wie zu flüssige Schlagsahne! Ich lag also da auf dem Boden und konnte mich nicht mehr rühren! Ich hatte Wabbelitis! Eine ganz gefährliche Drachenkrankheit! Ich wollte schluchzen, aber das ging nicht mehr! Mein Drachenmaul war weg! Wo war es denn? Plötzlich entwich meinem Mund ein gewaltiges „Pfft!“. Pfui, das stank ja gewaltig! Oh, Oh,...Es ist nämlich so bei Wabbelitis: alles an deinem Körper wandert irgendwohin. Das eine Auge sitzt vielleicht genau in deinem Ohr, das andere Auge aber befindet sich auf deinem großen Zeh und glotzt dir ins Gesicht! Oder deine Hand: die sitzt am Hinterkopf und klopft dir ständig eine! Na, und wo wird wohl mein Mund jetzt sein?
Mit Tatü-Tata wanderte ich ins Krankenhaus. Acht Pfleger trugen mich in mein Zimmer, das heißt: eigentlich wurde ich in den Turnsaal reingeleert, da war mehr Platz.
Am nächsten Tag erwachte ich. Irgend etwas war da in meinem Ohr. Es juckte, und ich wollte mich kratzen, aber es ging nicht! Verwirrt blickte ich mich um. Mein rechtes Auge, das sich gerade unter dem linken Knie befand, glotzte geradewegs auf den zwei Zentimeter entfernten Fußboden. Das andere Auge starrte auf ein verwirrend blau-rotes Muster, das das komplette Blickfeld ausfüllte. Hä?
Ich hörte Stimmen. Mein rechtes Ohr befand sich geradewegs auf meiner Nase, die auf meiner Stirn stand, und in meinem Ohr war ein Schlauch!
„Bodumil! Kannst du mich hören? Bodumil? Wenn du mich hören kannst, schwabble doch bitte ein wenig!“ Ich schwabbelte. „Sehr gut! Also, Bodumil! Du hast einen Schlauch erhalten, durch den wir dir Medikamente gegen deine Wabbelitis geben können. In ein paar Wochen geht es dir bestimmt viel besser!“, tröstete mich eine sanfte Stimme. Ein paar Wochen ??? Ich schwabbelte kräftig. Spinnt Ihr? Da versäume ich ja sämtliche Folgen von Sponge Bob !!! Aber es half alles nichts. Schließlich konnte ich ja nicht reden und, Hand aufs Herz, wie sollte ich denn mit einem Auge, das den Fußboden musterte und einem anderen Auge, das geradewegs in die Krawatte des Arztes starrte, fernsehen? Ich blieb also wie ein Teppich auf dem Boden des Turnsaales liegen. Manchmal setzte sich ein Patient aus Versehen auf mich, wenn er gerade Pause machte, aber im Großen und Ganzen verhielten sie sich anständig. Wenn ich beim Turnen zu sehr störte, rollten sie mich einfach liebevoll zusammen und verstauten mich vorsichtig in einer Ecke.
Vier Wochen später. Ich liege in einem Bett! Ich habe meine Augen bereits wieder im Gesicht! Den Mund auch – nur ein Ohr schaut noch nach unten!
Ich darf heute zum ersten Mal seit Beginn meiner Erkrankung essen! Vor meinem geistigen Auge tanzen Himbeerpuddings mit Schokocremen, das Wasser läuft mir im Munde zusammen!
Die Tür geht auf. Eine Krankenschwester kommt herein. Über dem Essen liegt ein Sturz. Oh, die machen es aber spannend! Ich reiße den Deckel runter: Was ist das? Grün? Grüner Glibberpudding? Pistazie? Ich tippe vorsichtig mit einem Finger hinein und koste. Brrr! Das schmeckt ja ekelhaft! „Wollt Ihr mich vergiften?“ schnauze ich die Schwester an. „Der Pudding schimmelt ja schon!“ „Aber, Bodumil! Das ist doch kein Pudding! Das ist Spinat!“ lacht Schwester Helga. So also sieht Spinat aus! Grün, schlatzig - und ungenießbar! „Das esse ich nicht!“ stelle ich angewidert fest. „Willst du gesund werden?“, fragt mich Helga bloß. Und Ihr werdet es nicht glauben: ich habe ihn gegessen! Ich aß in den folgenden Tagen lauter mir unbekannte Gerichte: Kartoffelpüree, Erbsensuppe, Grießbrei ohne Zucker, Bananenfrappee (wie ihr sicherlich messerscharf erkannt habt, sind meine Zähne noch unbekannt in meinem Körper verschollen...).
Sechs Monate später. Ich wiege nur mehr 55 kg. Meine Mama ist verzweifelt. Ich nicht. Ich habe erkannt, dass es in meinem Leben noch ganz andere Sachen gibt als Fernsehen, Computer spielen oder Essen. Ich habe begriffen, dass Bewegung für meinen Körper gut ist, ähnlich wie Schmieröl für mein Fahrrad. Und ich habe begriffen, dass mein Körper Vitamine und den richtigen Brennstoff braucht um auf Dauer gut zu funktionieren! Warum ich das alles begriffen habe und wer mir dabei geholfen hat, erzähle ich Euch in meiner nächsten Geschichte!
Übrigens: seit gestern ist meine Mama im Spital. Ratet doch einmal, was sie hat...