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Bodo und das Schiessgewehr

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13.05.2003
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Bodo und das Schiessgewehr

BODO UND DAS SCHIESSGEWEHR

PROLOG

Wie zäher Schleim senkte sich das Orange der untergehenden Sonne über das kleine Städtchen Normstätten. Wie zäher Schleim fliesst Blut aus der Wunde des armen Hans Hasenschart, die ihm gerade erst beigebracht wurde. Das Blut sickerte aus seiner Brust, durchnässte sein weißes Hemd, und lief ihm über die zittrige Hand, die er sich verzweifelt auf die Wunde drückte. Ein netter junger Mann setzte sich auf die Parkbank neben ihm. Er trug Handschuhe, und hielt in einer Hand die Pistole, die Hans Hasenschart diese tödliche Wunde vermacht hatte.
Der junge Mann beobachtete, wie Hans würgte, und begann Blut zu spucken.
Er klopfte seinem Opfer auf die Schulter und sagte 'Nimms nicht persönlich, es hätte jeden anderen genauso erwischen können. Du hast keine Feinde, und jeder mag Dich! Niemand hätte einen Grund Dich zu töten, also zweifle nicht an Dir selbst.'
Hans sah seinen Mörder mit weit offenen Augen an, und probierte nach Luft zu schnappen. Er griff nach den Schultern des jungen Mannes, doch dieser zog sie weg, und Hans landete auf dem Boden. Die Parkbank war blutverschmiert. Hans' Mörder stand auf, und rannte davon. Hans hustete noch ein letztes Mal und erlag der klaffenden und tödlichen Wunde in seiner Brust.
Normstätten war ein himmlisches Fleckchen Erde - wenn man Geld hatte! Wenn man Geld hatte und dazu noch überall bekannt und beliebt war, durfte man sogar hoffen, direkt gefunden zu werden, wenn man mal ermordet wurde. Ein armer Schlucker hätte Tage mitten im Park rumliegen können, ohne daß es jemanden gekümmert hätte, aber ein finanziell ebenfalls betuchter Spaziergänger entdeckte Hans Hasenschart's Leiche, und erkannte Hans als eine durchaus beliebte uind vor allem finanzielle Normstätter Größe. Man hörte nur Gutes von ihm, so jemanden muß man doch erkennen, wenn er tot am Boden liegt, oder?
Der betuchte Spaziergänger rief sofort die Polizei, die natürlich wirklich kam, nachdem sie hörte, wer da ermordet wurde. Innerhalb kürzester Zeit war der Tatort abgeriegelt, und ein Einsatzkommando zur Stelle. Die Polizisten hatten ja nicht weit, das Polizeirevier befand sich mitten im Stadtpark.

KAPITEL 1

Da saß er nun, wie es sich für einen typischen Romanhelden gehörte. Da saß er nun mitten auf einem Normstätter Bürgersteig und grübelte. Über das Leben, die Möglichkeiten, die es ihm noch bieten me, vor allem die Möglichkeiten, die ihm verschlossen blieben. Seine Arbeit hatte er verloren, weil er zum wiederholten Male beim Rauchen während der Arbeitszeit erwischt wurde (Ja, sein Chef war ein altmodisches Arschloch, das betonte er auch oft genug. Eigentlich flog er auch nicht direkt wegen dem Rauchen, sondern weil er eben dies während dem Rauchen eretonte). Seine Freundin hatte er verloren, weil sie zum wiederholten Male beim Bumsen während der Arbeitszeit erwischt wurde - leider nicht mit ihm. Wenigstens seine Wohnung hatte er behalten - denn ein Romanheld ohne Wohnung ist schnell erfroren, und so schnell soll die Geschichte ja nun auch nicht enden! Soll sich seine Ex-Freundin doch mit der nächtlichen Kälte rumärgern...
Eine der wichtigsten Eigenschaften unseres Romanhelden, war sein Name. Er hieß Bodo. So wurde er von seiner Mutter getauft. Eigentlich wurde er von einem evangelischen Pfarrer in einer erhabenen Dorfkirche getauft, wenn man Pfennigfuchserei betreiben möchte, aber die Mutter wollte ihm doch lieber selbst einen Namen aussuchen, denn niemand auf der ganzen Welt ist besser geeignet im Peinliche-Namen-Aussuchen, als eine Mutter. Bodo Bodenständig, den Familiennamen hatte er vom Vater, der jedoch nur halb so bodenständig war wie der Name andeutete. In Wahrheit war er Alkoholiker, Cannabinol-Junkie und auf der Flucht, was es dem Jungen Bodo schon in Kindestagen erschwerte, auch nur einen Pfennig aus seinem alten Herrn herauszuquetschen. Aber Bodo konnte damit leben. Weniger leben konnte er mit den jüngsten Ereignissen.
Bodo war groß, dürr und stinkesauer.
Letzteres war kein permanenter Zustand, er war nur vorübergehend sauer, und zwar
1. weil sein Chef so ein altmodisches Arschloch war, und
2. weil seine Freundin in eben diesem die Spitze der betrieblichen Nahrungskette sah, die es sich hochzubumsen galt.
Nicht die ganzen krotesken Gestalten, die in seiner Ex-Freundin ein- und ausgingen, waren es jedoch, die ihn zur Kündigung des amourösen Verhältnisses trieben (im Gegenteil - manchmal nahm er sogar Eintritt für ihr Schlafzimmer), sondern eine ganz bestimmte Gestalt - Rick Rotznase. Vor Rick Rotznase's Zeit war alles Bussiness. Doch Rick Rotznase machte die Sache persönlich! Rick Rotznase war nur ein kleiner Angestellter - auf dem Weg, den es sich hoch zu bumsen galt, kam er gar nicht vor!
Natürlich war er kräftiger als Bodo. Natürlich hatte er auch mehr Haare auf der Brust als Bodo.
Als Rick aktuell und die ganze Sache persönlich wurde, räumte Bodo seine Wohnung auf. Sämtlicher Abfall aus seinem Leben vor dem heutigen Tage musste raus - darunter seine Ex-Freundin. So flog sie aus der Kellerwohnung in der Normstätter City, und wird wohl erfrieren, wenn sie nicht irgendwer zur Romanfigur macht, und ihr eine schöne kleine, und vor allem gut beheizte Wohnung errichtet...
Doch zurück zu Bodo. Da saß er nun, mit leeren Taschen und dicken Eiern.
In einer solchen Situation können einem wirklich die merkwürdigsten und abstrusesten Dinge passieren.

Bodo, pass auf!

Bodo zündete sich jedoch lieber eine Zigarette an, als nach merkwürdigen Situationen Ausschau zu halten, und so konnte er den Dingen nicht entgehen, die da auf ihn zueilten - mit der Geschwindigkeit eines Düsenjets, der wusste, daß er nach dieser Tour endlich Feierabend haben würde... Nur noch diese eine Tour...


KAPITEL 2

'Fuck', wiederholte Bodo, mittlerweile ungefähr zum zweihundertsiebenundvierzigsten Mal (eine alte Frau, die über Bodo aus dem Fenster starrte, hatte mitgezählt und die Anzahl notiert. Man weiß ja nie, wozu diese Unterlagen noch mal gut sind).
Plötlich kam ein junger Mann um die Ecke gerannt, groß, dürr, unrasiert - irgendwie ein Bodo-Typ. Aber auch nur irgendwie...
Er entdeckte Bodo 'Fuck'-Sagend am Straßenrand und blieb kurz und wie beiläufig stehen.
'Hey, willst Du was von mir haben?', fragte er Bodo.
'Was sollte ich denn von Ihnen haben wollen?', reagierte Bodo gebremst spontan.
'Na, das hier!', rief der Mann, warf Bodo etwas in den Schoß, rannte weiter, und verschwand im Dickicht Normstätter Hochbauten.
Kurz darauf, kamen drei weitere Männer um die Ecke. Bodo erkannte sie als Polizisten. Bodo starrte auf seinen Schoß. Dort lag eine Waffe!
Die Polizisten blieben stehen. Sie starrten auf Bodos Schoß. Dort lag eine Waffe. Auch die Statur stimmte.
'Wir verhaften sie hiermit wegen Mordes, sie haben das Recht... Ach, was solls... Achim, gib dem kleinen Scheißer eins auf die Rübe und laß uns abhauen!'
Patsch.
Achim war ganz schön kräftig!

Der alten Frau am Fenster über Bodo passierte in diesem Moment, was allen Zeugen passiert, die beweisen können, daß ein Romanheld unschuldig ist. Sie wurde von Außerirdischen entführt, die sie in ihre Einzelteile zerlegten. Sie vermutete den Geheimdienst hinter der ganzen Sache. Der Geheimdienst vermutete jedoch, daß die Alte wohl nicht mehr in der Lage sei, irgendwelche Vermutungen anzustellen.
Arme alte Frau...

'Ach Du Scheiße!', sagte ER.
'Das kann doch nicht wahr sein!', betonte ER.
Aber ER wusste, daß es wahr war, denn ER wusste alles.
Jemand anderes, weitaus kleineres versuchte, IHM über die Schulter zu gucken.
'Was denn, Boss?', wand er sich neugierig um IHN.
'Ruf mir Gabriel!', intonierte ER.
'Ja, Boss!', antwortete die kleinere Gestalt, und verschwand in einem himmlischen 'puff'.

'Ach Du Scheiße!', sagte Luzi.
'Das kann doch nicht wahr sein!', betonte Luzi.
Aber er wusste, daß es wahr war, denn er hatte seine Spione sogar bei IHM, und erfuhr somit alles.
Ein junger Mann (er hatte etwas kleinere Hörner als Luzi - Luzi nannte sie immer scherzhaft 'Hörnchen') versuchte, Luzi über die Schulter zu gucken.
'Was denn, Boss?', wand er sich neugierig um Luzi.
'Das könnte eine Deiner letzten Prüfungen werden.', meinte Luzi mit zittriger Stimme.
'Was denn, Boss?'
'Hör auf, mich dauernd Boss zu nennen, Luthor. Jeder hier nennt mich Luzi, nur Du nennst mich Boss! Dich wird niemand Boss nennen, wenn Du bald an meiner Stelle bist! Du kannst hier keine Traditionen einführen, die es nie gab und nie geben wird! Basta!'
Luthor wusste das, aber die Vorstellung, irgendwo zu arbeiten, wo man mit 'Boss' angeredet wurde, gefiel ihm ganz gut, und so probierte er regelmäßig 'Boss' als Anrede für den Teufel einzuführen. Doch es mochte ihm einfach nicht gelingen...
'Na gut, Luzi. Also, was liegt an?'
Hierzu muss man dem geneigten Leser zum besseren Verständnis vielleicht doch eine kurze Erklärung an die Hand geben.
Luthor ist Luzi's Lehrling. Und das ist er schon ziemlich lange aber auch der Teufel wird alt, und benötigt einen Nachfolger. Und das soll niemand geringeres werden als Luthor, der nun vor einer seiner letzten Prüfungen steht - behauptet Luzi.
'Na gut, Luzi. Also, was liegt an?'
'Bodo Bodenständig!'
'Nein!'
'Doch!'
'Aber...'
'Er wird sterben!'
'Nein!'
'Doch!'
'Aber warum?', fragte Luthor, sich wundernd, daß er dieser Konversation überhaupt folgen konnte (mag auch das schon eine der letzten Prüfugen für ihn gewesen sein?).
'Weil man ihn gerade mit einer noch qualmenden Mordwaffe erwischt hat!'
'Ach, Luzi, Bodo lebt in Deutschland! Der kriegt 25 Jahre, und das wars!'
'Lieber Luthor, liest Du keine Zeitung? Heute morgen wurde in Deutschland die Todesstrafe wieder eingeführt! Und ich weiß aus sicheren Quellen (SEHR sicheren Quellen !!!), daß an Bodo das erste Exempel der neuen Ära deutscher Staatsgewalt statuiert werden soll!'
'Irgendwer wird ihn da schon wieder raushauen!'
'Ja, genau! Und zwar Du, Luthor! Es gab keine Zeugen! Der Mörder sah aus wie Bodo. Nur daß der Mörder klugerweise Handschuhe trug, so daß jetzt nur Bodos Fingerabdrücke auf der Waffe sind.'
'Diese Klischees, Luzi... Moment mal... ICH ???'
'Ganz genau! Und es mag sich um Klischees handeln... aber diese... 'Klischees'... treiben ihn uns genau in unsere frisch geputzte Bude. Willst Du etwa Bodo Bodenständig hier unten rumrennen haben? Ich nicht!'
'Au weia. Und mir kommt da grade ein Gedanke!'
'Ja?'
'Ich habe da so eine Vorahnung, wer ihn auch nicht haben will!'

'Luzi? Nein, der will ihn auch nicht. Und er wird... die Hölle in Bewegung setzen, um ihn uns zuzuschustern.', intonierte ER.
'Also soll ich auf ihn aufpassen? Ihn... retten?', fragte Gabriel ungläubig.
'Ja. Und wenn Du das nicht hinkriegst... Sorg wenigstens dafür, daß er sich ordentlich versündigt. Nicht die kleinen Dinge, mit denen sie einen trotzdem zu uns lassen... Du weisst schon, er muß sich die Hölle so richtig verdienen... Luzi hat einen guten Anwalt, wenn Bodo zu wenig ausgefressen hat, haben wir ihn am Arsch!', dokumentierte ER sorgenvoll.
'Keine Bange, Boss. Ich mach das schon. Wenn er schon krepiert, dann sorg ich wenigstens dafür, daß er vorher nochmal so richtig die Sau rauslässt... Ähm... Wie weit kann ich gehen, Boss?'
'Mein guter Gabriel, was glaubst Du, warum ich ausgerechnet DICH für diesen Job ausgesucht habe? Geh soweit Du willst, und ich weiß, Du BIST in der Lage, weit zu gehen! Deshalb bist Du mein Mann für diesen Fall.'
'Na, dann werd ich mal meine Sachen packen und da unten eine kleine Party veranstalten!', erwog Gabriel voller Abenteuerlust.

'Ist das Dein Ernst, Luzi?', fragte Luthor.
'Ich soll ihn auf den rechten Pfad führen? Ich soll ihn vom Sündigen abhalten? Sollte ich nicht lieber irgendwen verführen? Ich kenne da ein süßes junges Ding...', phantasierte Luthor voller lüsterner Wonne.
'Nein, Luthor! Keine Verführungen diesmal! Soll ER sich doch mit ihm schwarz ärgern, mir kommt hier KEIN Bodo Bodenständig rein! Versuche ihn am Leben zu erhalten, und sollte er doch draufgehn - sorg wenigstens dafür, daß er keinen Dreck am Stecken hat. Du weiß ja, ER hat gute Anwälte... Bodo braucht nur sein Kaugummipapier im Stadtpark fallen zu lassen, und - kabumms - wir haben ihn am Arsch!', sagte Luzi.
'Na, dann wollen wir mal dafür sorgen, daß der gute Bodo auch bodenständig bleibt...', überlegte Luthor und verschwand in einer donnernden Schwefelwolke.
'Ah, ich werde dieses Aroma vermissen, wenn ich gehe...', schwelgte Luzi.


KAPITEL 3

Bodo erwachte - wie jeder zu Unrecht angeklagte Romanheld - in einer dreckigen Zelle, die eher an einen mittelalterlichen Hungerturm erinnerte, als an die moderne U-Haft des frühen 21. Jahrhunderts. Das Mauerwerk war modrig, aber nicht modrig genug, um es zu durchbrechen. Der Boden war feucht, aber nicht feucht genug, um ihn als Schwimmbad zu benutzen und Eintritt dafür zu verlangen. Das Fenster nach außen gab es gar nicht, also konnte man auch nicht hinausblicken. Was schade war, denn Bodo hätte etwas erfrischend lustiges entdeckt, hätte er ein Fenster zum hinausblicken gehabt. Etwas wirklich atemberaubend und doch erfrischend lustiges, aber - wie gesagt - die Zelle hatte ja kein Fenster, also sah Bodo nichts. Dafür roch er Moder. Er erwachte in einer fensterlosen, nach Moder stinkenden Zelle. Wo sollte dieser Tag noch hinführen?
Just in diesem Moment, als hätten sich Bodo und der Zellenwart abgesprochen, wurde seine Tür aufgeschlossen. Arme verhedderten sich um ihn. Er erkannte kaum etwas, denn Achim schlug ihm beide Augen so dick, daß er Mühe hatte, zu erkennen, ob er überhaupt noch etwas sehen konnte.
Er wurde auf einen Stuhl gesetzt, und sofort begann er seinen Dämmerblick durch den Raum schweifen zu lassen...
Der Raum war breiter als lang. Er hatte eine Stahltür vorne und ein vergittertes Fenster hinten. Außerdem stand vor ihm ein Tisch, an dem ein Mann saß, den er nicht kannte. Hinter ihm stand Achim. Scheiße!
'Darf ich rauchen?', fragte Bodo klischeebedacht.
'Warum fragt Ihr Idioten immer so'n Scheiß? Statt zu gestehen fragt ihr immer zuerst, ob Ihr rauchen dürft. Achim, gib ihm eine!', sagte der Fremde, der sich als Hauptkommissar in diesem Falle erweisen sollte.
Achim gab ihm eine auf den Hinterkopf. Dieser flog auf den Tisch, der ihm als Andenken einen roten dicken Abdruck mit auf den Rückweg gab.
'Würdet Ihr gleich gestehen, statt große Reden zu halten, hättet Ihr gar keine Zeit hier zu rauchen!', mahnte der Kommissar.
'Soll ich?', fragte Achim.
'Nein, Achim, später wieder! Ich bin Kommissar Dick. Dick wie der Schwanz! Hahaha!', lachte Kommissar Dick.
'Hahaha!', lachte Achim.
' ', lachte Bodo - nämlich gar nicht!
Ihm war nicht zum lachen zumute, und daran sollte sich auch nichts mehr ändern. Die Unterhaltung begann mit Geschichten, in denen Kommissar Dick seinem Namen alle Ehre machte. Sie sollten Bodo wohl einschüchtern, aber nach der Sache mit seiner Ex-Freundin war Bodo der festen Überzeugung, daß keinen Schwanz zu haben manchmal einfach besser wäre...
Die Unterhaltung, oder eher der Monolog des Kommissars, bezog sich dann auf Geschichten, in denen Achim alle möglichen Knochen gebrochen und Dinge gequetscht hatte. Die meisten davon waren unerfreulich - wenn Achim die Sache auch aus einer ganz anderen Perspektive betrachtete...
Dann näherte sich die Unterhaltung ihrem Ende, in dem es darum ginge, daß Bodo den Mord auf jeden Fall begangen habe, und daß es kein Entkommen oder Herausreden gäbe, und daß er in die erste deutsche Todeszelle verfrachtet würde, und daß ein Exempel der neuen Ära deutscher Strafjustiz an ihm statuiert werde. Die Verhandlung (der Richter ist übrigens Achims Onkel, und genau so ein netter Kerl) sei nächste Woche, bis dahin bleibe Bodo in U-Haft, aber Achim würde schon dafür sorgen, daß ihm nicht langweilig werde...
Auch über den Mord an sich erfuhr Bodo einiges. Ein junger Mann namens Hans Hasenschart sei in einer dunklen Gasse, unweit Bodo's Straßenecke, erschossen worden - natürlich mit der Waffe, die Bodo in Händen hielt.
Warum, wusste keiner. Nicht mal Bodo, und das obwohl er doch immerhin offizieller Mörder des Opfers war!
Nach diesem ernüchternden Gespräch wurde Bodo wieder in seine Hungerturmzelle gebracht, wo er als erstes seine ihm von Achim beigebrachten Wunden mit einer ordentlichen Portion Schlaf - soweit das hier möglich war - ein wenig kurieren wollte.
Mitten in der Nacht erwachte Bodo plötzlich. Er sah noch immer nicht sehr viel, aber dennoch erkannte er, daß sich mitten in seinem Zimmer eine hell leuchtende Person befand.
'Pssst, Bodo!', sagte die Leucht-Person.
'Was zum...', setzte Bodo zum Fluch an.
'Um Gottes Willen Bodo, das könnte ja einfacher werden als ich dachte!'
'Was zum...'
'Jetzt bleib mal sachlich, Bodo!'
'Na gut.', willigte Bodo ein und hörte, was die Stimme der Leucht-Person zu sagen hatte.
'Ich bin Gabriel, Dein... nennen wir es mal... Schutzengel. Ich hol Dich hier raus, alles klar?'
'J-ja... D-denke schon...', stammelte Bodo.
Bodo misstraute der Situation von Anfang an, aber als Gabriel die Gefängnisgitter bog wie Franz Eder einen kaum gespannten Expander, ihn an der Hand nahm und mit ihm Richtung Sicherheit flog, erübrigten sich eine Menge Fragen in Bodos Kopf (Bist Du gekommen, um mich qualvoll zu töten? Bringst Du mich zu Achim?), dafür eröffneten sich neue (Was? Wie? Wo? Warum? Hä? Arglfrsgmpfarl? ).
So wie sie für die Außenwelt unsichtbar aus der U-Haft-Zelle geflohen waren, so unsichtbar für die Außenwelt gelangten sie auch direkt in Bodos Kellerwohnungs-Wohnzimmer. Und genauso unsichtbar für die Außenwelt bereitete eine heiße Tasse Schokolade sich selbst zu und erschien vor Bodos gepeinigten Augen.
'So, jetzt trink erstmal. dann schläfst Du Dich richtig aus, und dann sehn wir weiter...', log Gabriel pflichtbewusst.
Die Nacht sollte jetzt erst richtig beginnen...

Luthor war von Natur aus bevorteilt. Als die Außenwelt erschaffen wurde, war jedes einzelne Wesen, das jemals auf Erden wandeln sollte, darin eingeplant. Luthor erschien jedoch erst, als die Planung bereits beendet und der Bau begonnen war. Und wie bei jeder Bauaufsichtsbehörde, die etwas auf sich hält, ließ sich auch damals weder bei der himmlischen noch bei der höllischen eine spontane nachträgliche Änderung durchführen. Folglich gehörte Luthor nicht zur Außenwelt. Folglich sah er auch die Flucht des Engels und seines 'Schützlings', die eigentlich atomberaubend gewesen wäre - hätte die Außenwelt sie sehen können. Und er lokalisierte ihr Ziel.
Er fing an Pläne zu entwerfen...

Achim hatte Nachtdienst. Da war er immer besonders gereizt - wehe jemand kam ihm krumm. Und ihm kam schon den ganzen Abend niemand krumm. Verdammte Scheiße. Er nickte ein und träumte für eine halbe Stunde von Knochen die er brechen, und Rippen die er quetschen konnte. Dann träumte er von Bodos Rippen, und wie sie ihm auf einem Silbertablett serviert wurden... Er wachte auf und seine Augen funkelten. Heimlich schlich er sich zu den Zellen, um sich seinen lüsternen Traum zu erfüllen, doch als er Bodos Zelle öffnete, und sich mit den Ellbogen auf die Stelle fallen ließ, an der er Bodo's Körper erwartete, fiel er auf harten Beton. Seine Ellbogen schmerzten. Seine Augen schweiften umher, und seine Finger suchten nach Licht. Die Zelle hatte keins, also musste er auf seine Taschenlampe zurückgreifen. Na warte, dachte er. Jetzt sind Deine elenden Rippen dran... Und dann brech ich Dir noch beide Beine...
Der Schein der Taschenlampe warf fahles Licht auf den rauhen Boden der Zelle. Achim erschrak. Er durchleuchtete die Zelle wieder und wieder, und dann wurde ihm langsam bewusst: Das Schwein war entkommen!
Jähzornig stürmte er zum Telefon, klingelte Kommissar Dick aus dem Bett und blies zur Jagd.

Bodo lag auf der Couch, und versuchte seine Gedanken zu sammeln.
Er wurde verhaftet.
Seine Personalien wurden aufgenommen... einschließlich Adresse.
Er floh aus seiner Gefängniszelle.
Achim hatte Nachtdienst.
Ach-Du-Grüne-Neune !
'Gabriel...', wandte sich Bodo an Gabriel.
'Was ist denn?', erwiederte Gabriel entnervt.
'Ich glaube, wir müssen hier weg!', bibberte Bodo ahnend.
'Bodo, bleib doch mal sachlich.'
DingDong.
Es klingelte.
PochPoch.
Es klopfte.
'Aufmachen, sonst schießen wir die verdammte Tür zur Splitterbrei!', ertönte eine mächtig furchteinflössende Polizeistimme. Hätte Bodo gewusst, daß der kreischende Polizist gerade mal 1,50 Meter groß war und nur 40 Kilo wog... Ein schmächtiger Polizist, doch aufgrund seiner furchteinflössenden und gewaltigen Stimme wurde er zu dem, was er heute ist - ein Polizist, spezialisiert auf furcheinflössendes 'Machen-Sie-endlich-auf'-Rufen.
'Ich BIN sachlich! Da hast Du's. Benutz nochmal den Trick von eben!', forderte Bodo frech.
'Hmm. Das geht leider nicht, weil es gar nicht MEIN Trick war. ER hat ihn mir zur einmaligen Anwendung mitgegeben, um Dich zu befreien. Wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen...', konterte Gabriel wahrheitsgemäß.
'Dann aber schnell', plärrte Bodo und wanderte panisch auf und ab.

Draussen geschah derzeit etwas merkwürdiges.
Kommissar Dick stand vor seinem Einsatzwagen, und freute sich auf die Verhaftung.
Achim Arschloch stand neben einem kleinen und schmächtigen Polizisten mit furchteinflössender Stimme vor Bodo's Haustür und freute sich auf die kleinen Geschenke, die Verhaftungen jedesmal speziell für ihn bereithielten.
Der kleine, schmächtige Polizist hieß Holger Hurzel, und war eigentlich nur zum Rumbrüllen und Angstmachen hier. Er vollbrachte sozusagen mit seiner Stimme psychisch genau das, was Achim den Leuten anschließend physisch antat.
Das merkwürdige war allerdings, daß draussen plötzlich noch ein vierter Polizist stand, der vorher niemandem aufgefallen war.
Er wandte sich sich zu Kommissar Dick.
'Was geht hier vor sich?', fragte der vierte Polizist.
'Oh, Sie sind das. Wir verhaften Bodo Bodenständig, er wird wegen Mordes gesucht.', erklärte Kommissar Dick ängstlich.
'Bodo Bodenständig wohnt hier nicht mehr.', sagte der vierte Polizist.
'Bodo Bodenständig ist hier ausgezogen, nicht wahr?', fragte Kommissar Dick.
'Ja, so ist es. Er wohnt jetzt woanders. Finden Sie raus, wo!', befahl der vierte Polizist und verschwand wieder, noch bevor Kommissar Dick 'Ja, Sir.' sagen konnte.
'Achim, Holger, hört auf, es ist sinnlos!', rief Kommissar Dick in Richtung polizeiliches Zwei-Mann-Überfallkommando.
Achim und Holger rannten zu Kommissar Dick, und wollten wissen, warum der Spaß hier für sie enden sollte.
'Der...ähm... jetzt hab ich den Namen schon wieder vergessen... Der... Dings... war jedenfalls da, und meinte, Bodo Bodenständig wohne hier nicht mehr. Und ich glaube, so etwas auch im Laufe der Ermittlungen schonmal gehört zu haben...', erklärte Kommissar Dick seiner etwas eigenen Spezial-Einheit.
'Ach, der... ja, ich weiß, wen sie meinen... wie hieß der nochmal... Naja, wenn der's sagt, hat's seine Ordnung... schade...', bedauerte Achim.
Sie stiegen wieder in den Wagen, und verschwanden.
Auf der Rückfahrt musste Kommissar Dick an kleine Hörner denken, aber er wusste nicht warum. 'Hihi, Hörnchen...', dachte er. Aber er konnte sich wirklich nicht erklären, wie er jetzt plötzlich darauf kam...

Luthor war zufrieden.
Das Böse hatte eine so unglaubliche Anziehungskraft auf die meisten Menschen, daß Luthor ihnen jede Gestalt vorspielen konnte. Die Leute glaubten ihm alles, und taten alles, was er ihnen sagte. Das Besondere an Luthors Erscheinung war, daß er jedem wie ein Vorgesetzter, ein großer Bruder, manchen sogar wie ein Vater erschien. Die Leute begegneten ihm, und glaubten ihn als wegweisende Persönlichkeit zu kennen. Nur der Name dieser höhergestellten Person fiel ihnen par tout nicht mehr ein... Allerdings drehten sich die Gedanken der meisten Menschen nach einem Zusammentreffen mit Luthor um kleine Hörner. Ihre Aura schimmerte trotz aller Macht immer wieder durch.
Es gab nur wenige Leute, die Luthors Erscheinungen durchschauten und sich seinen Befehlen widersetzten. Die Verlockungen, die das Böse zu bieten hatte, waren einfach zu groß...

'Sie sind weg.', beobachtete Gabriel.
'Was hast Du getan?', fragte Bodo.
'Nich... Tja, mein lieber Bodo, SEINE Wege sind unergründlich...', gab Gabriel an.
'Vielleicht sollten wir trotzdem verschwinden, man weiß ja nie...', schlug Bodo vor.
'Es wird wohl nicht nötig sein, solange ich Dich beschütze, aber wenn Du Dich dann sicherer fühlst...'
'Ja, tue ich.', betonte Bodo inständig.
'Dann laß uns gehen. Ich habe da eine Bekannte, die Dir mit Deinen Wunden weiterhelfen könnte...', verriet Gabriel und beobachtete Bodos Augen, die an eher an aufgeplatzte Pflaumen als an menschliche Augen erinnerten..
'Dann laß uns dahin gehen!', befahl Bodo und blinzelte durch seine aufgeplatzten Pflaumen.
Und sie gingen dahin.

Beschissener Notdienst.
Was glaubten sie, was außer ein paar Autounfällen nachts passieren sollte? Und selbst die kamen direkt ins Krankenhaus.
Dr. Natascha Nawiegehts und Sylvia Saftig fluchten um die Wette.
Notdienst war immer der letzte Dreck, aber irgendwer musste ja Notdienst haben, falls irgendeine bekloppte Ommi mal wieder ihren Zahnstocher verschluckte, oder sich irgendein Perverser wieder Dinge hinschob, wo keine Dinge reingehörten.
Dr. Nawiegehts benutzte in solchen Fällen nicht die ganze Praxis, sondern nur das eigentliche Behandlungszimmer. Es war groß genug, und hatte dazu einen Hinterausgang, den sie in Notdienstzeiten zum Haupteingang umfunktionierte.
Sylvia war die arme Arzthelferin, die ausgelost wurde, heute nacht die Doktorin bei Laune zu halten.
Wie gesagt:
Dr. Natascha Nawiegehts und Sylvia Saftig fluchten eifrig um die Wette, keiner hatte wirklich Lust auf Notdienst, denn der beschissene Notdienst war der letzte Dreck!
Aber jemand musste ihn tun...
Plötzlich klingelte es.
'Frau Doktor, ein Patient?', wunderte sich Sylvia, und begann schonmal, die Zahnstocherzange zu desinfizieren.
'Wenn Du öffnest, wirst Du's sehen', grummelte Dr. Nawiegehts Sylvia an.
'Oh, na gut', antwortete Sylvia und drückte den Summer.
Schritte kamen die Treppe hinauf, die Tür wurde geöffnet, und zwei Männer traten ein.
'Gabriel, was kann ich für Dich tun?', rief Dr. Nawiegehts fröhlich, als sie den Erzengel erkannte.
'Für mich direkt nichts... Aber Du könntest dafür sorgen, daß aus seinen Pflaumen wieder Augen werden...', schlug Gabriel vor und zeigte dabei auf den angeschlagenen Bodo.
'Sylvia, kümmerst Du Dich darum?', formulierte die Doktorin ihren Befehl, auch wenn er für manche den Anschein einer Frage hatte - Sylvia wusste es besser.
'Ja, gerne. Komm, setz Dich!', sagte Sylvia in einem lieblichen und butterweichen Ton.
Während Gabriel und Dr. Nawiegehts begannen, sich flüsternd zu unterhalten, nahm Bodo auf Sylvia's Stuhl Platz. Bodo wusste natürlich, daß es eigentlich Dr. Nawiegehts' Stuhl war - schließlich war es auch ihre Praxis - aber die Idee, es sei Sylvia's Stuhl, war ihm wesentlich angenehmer. Also blieb es für ihn Sylvia's Stuhl. Und auf eben diesem nahm er nun Platz.
'Uiuiui, was hat Dich denn so zugerichtet?', fragte sie mitleidsvoll.
'...', stammelte Bodo verlegen.
'Bist Du immer so gesprächig?', lächelte Sylvia sanft.
'Nein... Ja... Also, ich meine...', fuhr Bodo stammelnd fort.
'Mach Dich locker, ich tupfe Dir nur die Augen, ich tu Dir nichts.'
'Okay.', sagte Bodo beruhigt, allerdings ohne wirklich beruhigt zu sein. Sylvia's Anblick machte ihn schon ein wenig... Er wusste nicht genau, was Sylvia's Anblick ihn ein wenig machte, aber er machte ihn ein wenig!
'So, das sollte es sein, für die Augen. Du bist ja ganz verspannt. Warte, eine kleine Massage wird Dich endgültig lockern.'
Bodo schluckte.
Aber nun konnte er es nicht mehr verhindern, Sylvia begann, und Bodo ging es seit langer Zeit wieder richtig gut, und er schaffte es, die Geschehnisse der letzten Zeit nicht zu vergessen, aber doch wenigstens zu verdrängen.
Auch Sylvia war ein wenig... Aber das wusste Bodo nicht!
'Wie weit seid Ihr, Herrschaften?', wurde die traute, sich im Aufbau befindliche Zweisamkeit jäh von Gabriel gestört.
'Die Doktorin ist bereit, uns zu helfen. Bodo, Du musst von deutschem Boden verschwinden.', sagte Gabriel.
Ja, dachte Bodo, das sah die Justiz hier wohl genauso...
'Am besten sogar von europäischem...', erweiterte Gabriel seine vorherige Aussage.
'Kann ich auch was helfen?', warf Sylvia fragend in den Raum.
'Ja, still sein kannst Du, Kindchen!', antwortete Dr. Nawiegehts schroff, und sah gebannt auf Gabriel, der erneut zum Wort ansetzte.
'Wir fahren nach Frankfurt, und von dort aus im Flieger weiter nach New York. Dort solltest Du einigermassen Deine Ruhe haben.', schlug Gabriel in gebieterischem Ton vor.
'New... York?', stammelte Bodo ungläubig.
'New York!', betonte Gabriel.

Irgendwo in einer dunklen Kammer.
'Es läuft weiterhin alles nach Plan.', sagte ein Schatten.
Der Schatten saß in einem furchteinflößenden, schlecht beleuchteten Ledersessel.
'Aber... er ist der Polizei entkommen!', rief ein zweiter Schatten hektisch.
'Das spielt jetzt keine Rolle mehr. Er ist vom Pech verfolgt und sie kriegen ihn. Du weisst doch, daß wir ihn deshalb ausgesucht haben... Weil er zu blöd ist, um ihnen zu entkommen...', sagte der Schatten im Sessel, und als würde es seiner Aussage noch mehr Ausdruck verleihen, fügte er ein keuchendes 'Harrharrharr' hinzu.
'Aber es ging etwas schief... bei der Verhaftung.', sagte der zweite Schatten.
'Ja, aber die Verantwortlichen wurden eliminiert. Sie sollten eine Situation ohne Zeugen finden die alte Frau hätte nicht sterben müssen. Aber wo gehobelt wird, da fallen nun mal Späne, nicht wahr? Und außerdem hättest Du die Sache auch noch abblasen können. Immerhin hast Du ihm die Waffe in den Schoß geworfen! Harrharrharr.'
'Ich hab sie nicht gesehen...', entschuldigte sich der zweite Schatten, der sich nun als Bodo-Typ entpuppte.
'Schon gut, ich gebe Dir keine Schuld. Andere hatten Schuld, und andere taten Buße... Es läuft alles nach Plan. Und in einer Woche wird die Todesstrafe die Nation zu genau der Armee von lebenden Toten machen, die wir schon immer haben wollten! Fernsehen und Zeitschriften sind ein Scheiß dagegen. Die Lehrer, die wir geschmiert haben... ein Scheiß dagegen! Wir haben versucht, die Leute zu blenden, aber es war nur eine kleine Vorbereitung. Nun wird es Zeit für die nächste Stufe. Glaube mir, Angst wird die Menschen bändigen! Eine Nation von Sklaven! Harrharrharr.'
'Ich behalte ihn lieber im Auge.', sagte der Bodo-Typ.
'Laß Dich nicht erwischen, oder willst DU als Exempel der neuen Ära deutscher Strafjustiz enden? Harrharrharr!', lachte der Schatten im Sessel.
'N-Natürlich nicht, Boss. Ja, ich passe auf. Adieu dann, Boss.', sagte der Bodo-Typ, und verschwand durch eine von Schatten umrandete Tür.
Im selben Moment krabbelte eine Spinne aus einem gekippten Fenster der dunklen Kammer.
Interessant, dachte die Spinne.
Der Schatten im Sessel hatte plötzlich Gedanken von kleinen Hörnern...
'Hörnchen, Harrharrharr', scherzte er.

Luthor konnte viele Gestalten annehmen, und wenn er etwas in Erfahrung bringen wollte, und nicht wusste, wo er mit der Suche nach Informationen beginnen sollte, dann nahm er im wahrsten Sinne des Wortes 'viele' Gestalten an. Luthor's Körper konnte sich in viele kleine Teile zerlegen, und dann zum Beispiel in Form einer riesigen Spinnenarmee eine ganze Stadt gleichzeitig auslauschen.
Das konnte ganz schön praktisch sein...
Und lustig!

'Dr. Nawiegehts, haben Sie einen Wagen?', fragte Gabriel.
'Nein...', überlegte Dr. Nawiegehts, doch dann kam ihr ein zündender Gedanke.
'Sylvia, meine Gute, erinnere ich mich recht, wenn ich davon ausgehe, daß Du uns eben Deine Hilfe angeboten hast?'
'Ähm...'
5 Minuten später saßen sie in Sylvia's sportlichem Hyundai und brausten durch die Stadt.

'Ach Du Scheiße!', fluchte Luthor, als einer der letzten Spion-Spinnen seinen Körper erreicht hatte.
Es war die Spinne aus Dr. Nawiegehts' Praxis, und die Informationen, die sie Luthor übermittelte, veranlassten ihn, sich beim Einsammeln ein wenig zu beeilen.
Als er alle Spinnen zusammen hatte, rannte er zur nächstbesten Telefonzelle.
6-6-6, tippte er ein - die Vorwahl der Hölle - und dann Luzi's durchwahl: 6-6-6.
Mit 6-6-6-0 landet man übrigens in der satanischen Verwaltungsebene - die gefürchtetste Ebene des ganzen Fegefeuers.
Ein Freizeichen ertönte.
'Hölle, Luzi am Apparat, was kann ich für Sie tun?', fragte eine genervte Stimme.
'Hi, Luzi, ich bin's. Luthor!', sagte Luthor.
'Luthor! Mein Go... Teufel nochmal, wo steckst Du? Hast Du ihn im Auge?' Luzi klang plötzlich gar nicht mehr so genervt.
'Er braust in einem frisierten Hyundai Richtung Autobahnzubringer. Der Gute will nach New York!'
'Im frisierten Hyundai?', fragte Luzi verwirrt.
'Nein, verdammt, mit dem verdammten Flugzeug! Aber er muß ja erst mal zum Bahnhof kommen. Gabriel ist bei ihm. Du kannst Dir denken, was das bedeutet?'
'Heil... Teuflische Scheiße! Dann gib Gas, worauf wartest Du noch, verdammt!', befahl Luzi.
'Ähm... deshalb ruf ich an, Luzi... Ich bräuchte einen Wagen... Ich bräuchte schnell einen Wagen... Ich bräuchte schnell einen schnellen Wagen...', bettelte Luthor.
'Dreh Dich um, da hast Du einen! Verhalt Dich nicht zu auffällig, und pass auf Bodo auf! Wenn der bei uns landet... Dann bekommt das Wort Verdammnis eine neue Bedeutung!', fürchtete Luzi und legte auf.
Luthor legte ebenfalls auf, drehte sich um, und dachte:
Verdammt!
Hatte Luzi nicht gesagt, er solle sich unauffällig verhalten?
Wie zum Geier sollte er sich unauffällig verhalten mit diesem scheiß silber metallic scheiß BMW scheiß Z3 ??? Der Z3 war nicht mal das Problem, das Problem war eher die Aufmachung! Das Ding konnte nicht nur heizen wie die Hölle, es sah auch noch so aus!
Luthor hoffte, seine manipulativen Fähigkeiten würden ihn nicht verlassen, wenn die Bullen seinen Wagen sahen. Das Ding war reine Bullenprovokation, mehr nicht! Na gut, es war auch noch schnell, und genau das brauchte er jetzt.
Er sprang hinein, drehte den Zündschlüssel um - der klugerweise steckte - und gab Gas. Höllisch Gas!

Gabriel, Bodo, Dr. Nawiegehts und Sylvia brausten durch die Stadt Richtung Autobahnzubringer. Sylvia fuhr, Dr. Nawiegehts und Gabriel saßen auf dem Rücksitz und diskutierten.
'Es geht mir langsam zu weit... Ich muß an meine Praxis denken!', fluchte Dr. Nawiegehts.
'Das tun Sie doch, Doktor, oder etwa nicht?', grinste Gabriel höhnisch.
'Langsam scheiß ich drauf!'
'Ist Ihnen jemals ein Patient weggestorben, Doktor?'
'N-nein, natürlich nicht.'
'Und Sie wissen auch warum nicht?'
'Schon gut, Gabriel, ich habe verstanden.'
Dr. Nawiegehts und der Himmel hatten ein ganz besonderes Abkommen. Dr. Natascha Nawiegehts Praxis hatte einen unbescholtenen Ruf, kein Patient war jemals in der Praxis gestorben, Dr. Nawiegehts Genesungsquoten waren unglaublich hoch. Aber dafür stand sie auf Abruf bereit, als Agent des Himmels auf Erden. Natürlich konnte sie den Vertrag einfach kündigen, aber eine Menge Unglück lauerte in ihrer Praxis, und wartete nur darauf, sich endlich ausbreiten zu können. Also machte sie Gabriels launische Spielchen mit - zumal sie stets für einen guten Zweck waren. Immerhin war Gabriel ein Engel!
Während Gabriel die Doktorin zurechtwies, lief auch auf den vorderen Reihen ein nicht ganz so forderndes Gespräch ab.
'Hast Du eine Freundin, Bodo?', fragte Sylvia neckisch.
Bodo lächelte sie an und schüttelte den Kopf.
'Das wundert mich wirklich. Wirklich!', staunte Sylvia und lächelte ihn an.
'Pass auf!', schrie Bodo plötzlich.
Sylvia sah rechtzeitig den Schatten vor ihnen auf der Strasse, und legte eine astreine Vollbremsung aufs Parkett. Dr. Nawiegehts stieß sich den Kopf. Gerade wollte sie anfangen zu schimpfen, als sie sah, daß auch Gabriel sich eine Schramme erntete. Sie grinste und verdrängte die ihr im Kopf befindlichen Worte.
'Himmel nochmal! Was soll das?', fluchte Gabriel.
Sie waren kurz vor der Abfahrt zum Stehen gekommen, und starrten aus dem Wagen.
'Wo ist er hin?', fragte Sylvia, noch immer geschockt?
'Wer?', fragte Gabriel?
'Der Schemen.', wurde Sylvia von Bodo unterstützt.
'Ein Schemen?', fragte Gabriel.
Sylvia und Bodo nickten synchron, als hätten sie es vorher nächtelang einstudiert. Obwohl sie natürlich andere Dinge getan hätten, als synchrones Kopfnicken einzustudieren, hätte es gemeinesame Nächte zuvor gegeben.
'Ich sehe nach. Doktor, kommen Sie mit! Ihr beiden da vorne, passt auf den Wagen auf! Und seid vorsichtig!'
Gabriel und Dr. Nawiegehts verschwanden in der Umgebung.
Sylvia und Bodo sahen sich an.
Sylvia blickte auf den Boden, schloß die Augen, und bemerkte, wie Bodo sie an sich zog.
Sie küssten sich, und sie taten es so voller Leidenschaft, daß das Auto merkwürdige Geräusche von sich gab, als würden die Türen sich öffnen und schließen. Und sie küssten sich weiter, und hätten sie sich in einer dunklen Ecke abseits der Öffentlichkeit geküsst, wäre keines ihrer Kleidungsstücke heil geblieben, und sie hätte Dinge getan, die sich in einem frisierten Hyundai nicht zufriendenstellend tun lassen - zumindest nicht, wenn man auf zwei Leute wartet, die jeden Moment wieder auftauchen könnten.
'Herrschaften?', räumte Gabriel das Kriegsfeld der Leidenschaft.
Als würden Türen sich öffnen und schließen?
Wie lange hatten Gabriel und Dr. Nawiegehts zugesehen?
Sylvia und Bodo erröteten.
Dann rettete Bodo die Situation:
'Irgendwen gesehen?'
'Nein.', antwortete Gabriel, und blickte hektisch aus der Heckscheibe.
'Laßt uns schnell verschwinden!', befahl Gabriel, und hatte gar kein gutes Gefühl.
Auch für Sylvia und Bodo schwang die Stimmung von Leidenschaft um in Beklemmung.
Ihre Beziehung war allerdings noch zu frisch, um die beiden bereits zu beklemmen, also schlossen sie auf Unheil ausserhalb des Wagens.
Oder in einem sichtgeschützten Bereich innerhalb des Wagens...
Doch darauf schlossen sie nicht.
Sylvia fuhr auf die Autobahn auf.
Nächster Stop: Frankfurt, Flugplatz.

Kommissar Dick starrte auf seinen Computer.
'Komisch. Es wurde kein Umzug gemeldet. Wo kann er bloß stecken?', wunderte er sich.
'Vielleicht sollten wir eine Großfahndung einleiten!', brüllte Holger Hurzel.
'ARGL!', antwortete Kommissar Dick!
Holger Hurzel sprach, als hätte er ein Megaphon in der Kehle.
'Ja, das sollten wir tun, aber brüllen Sie mich verdammt nochmal nicht mehr so an!', feixte der Kommissar, und begann mit der Einleitung der Großfahndung.
Er gab sämtliche Daten durch, die er von Bodo hatte. Von Gabriel, Dr. Nawiegehts oder gar Sylvia wusste er nicht. Noch nichts!
'Irgendwo muß der Bastard stecken!', murmelte er giftig, und zog seinen Mantel an.
Er rief Holger und Achim nach draussen, und zu dritt stiegen sie in seinen Einsatzwagen.

Luthor gab Gas, überfuhr rote Ampeln, und tat all das, was man nur als taubstumm geborener Blinder für unauffällig halten konnte. Aber er gab Gas, und nur das zählte. Im Nu war er auf der Autobahn, und nun gab er noch etwas mehr Gas, schließlich wollte er in Bodo's Nähe bleiben!
Wer wusste, was Gabriel ihm anzutun versuchte.


KAPITEL 4

Er hieß Tim Tod, war Auftragskiller und irgendwie von der Statur her Bodo sehr ähnlich. Aber das war auch der Grund, warum es überhaupt funktioniert hatte. Bisher war alles so einfach gelaufen - fast schon ein bißchen zu einfach.
Hans Hasenschart war ein sehr beliebter Mitbürger dieser Gemeinde, jeder kannte ihn und jeder liebte ihn. Das perfekte Opfer!
Schnell war er erledigt, und schnell war die Waffe bei Opfer Nummer 2, auch 'Hauptopfer' oder 'eigentliches Opfer' genannt, deponiert.
Das 'Hauptopfer', Bodo Bodenständig, hatte nicht nur Tims Statur, weswegen auch jeder Bodo als Hans' Mörder identifizierte, sondern auch keine Handschuhe an, was Tim natürlich klugerweise hatte! Schade. Noch dazu war Bodo im Falle einer Flucht zu sehr vom Pech verfolgt, um erfolgreich verduften zu können. Wenn das Leben jemandem ein Stückchen Scheiße irgendwo reindrücken konnte, drückte es auf den Knopf, auf dem 'Bodo' stand. Wenn das Leben fragte, ob jemand ein Stückchen Scheiße irgendwo reingedrückt haben wolle, drückte Bodo auf den Knopf, auf dem 'ich' stand.
Tim's Auftraggeber mussten lange rumspionieren, um all diese praktischen Zufälle ordentlich aufeinander abstimmen zu können, aber all diese netten Kleinigkeiten gehörten zu einem übergeordneten Ganzen. Der Plan!
Tim Tod hatte von dem Plan eigentlich nichts, außer einer großzügigen Geldsumme und der ein oder anderen Bevorzugung, wenn er mal wieder auf seinen Auftraggeber treffen würde.
Der erste Teil seines Auftrags war erfüllt, Hans Hasenschart umlegen, und Bodo zum Tatverdächtigen Nummer 1, ach was, zu einzigen Tatverdächtigen zu machen.
Jetzt musste er nur noch dafür sorgen, daß Bodo auch wirklich rechtzeitig zu seiner Hinrichtung erschien. Das würde ein Spaß werden.
Auftragskiller töteten nicht gerne selbst, das ist ein weitverbreiteter Irrtum. Ja, sie sehen es gerne, wenn Leute sterben, aber sie selbst töten nur sehr ungern. Das liegt daran, daß Auftragskiller nur eine sehr minimale Initiative haben, wenn es ums Töten geht. Irgendwie fehlt es ihnen an Mordlust. Wenn man will, daß ein Auftragskiller jemanden tötet, muß man schon gute Argumente haben. Zum Beispiel das passende Kleingeld. Oder man muß seine Mordlust genügend steigern. Zum Beispiel mit dem passenden Kleingeld.
Es ist wie bei jedem Hobby - sobald es zum Beruf wird, hört es einfach auf, Spaß zu machen.
Gerade im Moment machte es Tim ganz besonders wenig Spaß, Auftragskiller zu sein. Hauptsächlich lag diese Berufs-Unlust an der Tatsache, daß Tim im Kofferraum eines frisierten Hyundai lag, in den er sich geschlichen hatte, während 'Hauptopfer' mit irgendsoeiner Nutte rumfummelte. Wer die beiden Personen waren, auf deren Türschläge er das Schließen des Kofferraums angepasst hatte, wusste er par tout nicht. Aber es war ihm auch egal.
Hauptsache, Bodo würde sich irgendwie hinrichten lassen.

Kommissar Dick war sauer! Niemand wusste wo Bodo Bodenständig steckte. Niemand spürte ihn auf. Und genau der selbe Niemand hatte einen blassen Schimmer, wo es zu suchen galt.
Mit anderen Worten: Die Großfahndung war ein Scheißdreck! So drückte zumindest Kommissar Dick es aus. Natürlich hatte er Recht.
Achim war auch sauer. Er hätte gerne Fressen, oder zumindest Bodo's Fresse zerschlagen, aber er sollte heute einfach nicht mehr zum Zuge kommen.
Kommissar Dick und Achim waren sauer. Beide.
Holger dagegen nahm die ganze Sache leicht, lief neben dem Einsatzwagen auf und ab, und brüllte belangloses Zeug durch die Gegend. Der hat's gut, dachte Achim, und bedauerte, daß er nicht wenigstens ein paar Zivilistenfressen zerschlagen konnte.

'Fahr da rein!', befahl Gabriel, als er ein Schild sah, das eindeutig auf eine Autobahnraststätte hinwies.
'Wozu?', wollte Bodo wissen.
'Ich muß mal für kleine Engel, was dagegen?'
Sylvia fuhr ab, und kurz darauf kam der Wagen an einer Autobahnraststätte zum stehen.
Türen gingen auf, Türen schlossen sich, Geld wurde über Tresen geschoben, Schokoladenriegel und Kaffee-Einheiten in Pappbechern wurden konsumiert, ein Päckchen Kondome wurde gestochen, Leute warteten, während wieder andere Leute ihre frische Liebe auf der Rasthof-Toilette besiegelten. Sylvia und Bodo hatten natürlich nicht viel Zeit, von Romantik nicht zu reden! - aber Sylvia war verliebt, und Bodo hatte noch eine Rechnung mit seiner Ex-Freundin offen. In zweiter Linie war er natürlich auch verliebt.
Es gingen wieder Türen auf, Türen schlossen sich, ein Auto fuhr los, ein Waschbecken wurde benutzt und ein Mann lief auffällig unauffällig nach draussen, wo er bemerkte, daß seine Fahrgelegenheit fehlte! Ach Du Scheiße, dachte Tim!
Verzweifelt sah er sich um, und wenn er schon hier festsaß, dann brauchte er zumindest ein Telefon.

Sylvia und Bodo hatten ein so dämliches Grinsen drauf, daß Gabriel es nicht aushielt. Er wusste natürlich, was sie getan hatten, allerdings nicht weil er aufgrund seines Jobs als Engel gute Informationsquellen besaß, sondern weil Ihr aufdringliches 'Wir-Haben-Gebumst'-Grinsen keine anderen Schlüsse zuließ. Gabriel dachte zumindest, es sei aufdringlich gedacht gewesen. Bodo wollte allerdings niemandem etwas aufdrängen, und Sylvia noch weniger. Sie waren einfach froh, daß es besiegelt war. Und im Radio lief 'Wir-Haben-Gebumst-Wir-Haben-Gebumst' von den Frisch-Verliebten-Rasthof-Toiletten-Fickern, aber das konnten Gabriel und Dr. Nawiegehts natürlich nicht hören, weil Gabriel versuchte, die Grins-Orgie auf den Vordersitzen zu ignorieren, und Dr. Nawiegehts überlegte, wie sie aus der ganzen Scheiße wieder rauskam.
Das könnte schwierig werden, Natascha, Schätzchen.

Das Telefon klingelte.
Ein Schatten hob ab.
'Aha.'
'Aha.'
'Aha.'
'Gut.'
'Das ist nicht mein Problem, sieh zu, wo Du einen Wagen herbekommst, wir sind hier schließlich nicht bei Rent-A-Car!'
'Nein, davon war nie die Rede, als wir Deinen Preis ausgehandelt haben!'
'Nein, ich werde auch keine Verträge nachträglich ändern! Außerdem gibt es gar keinen Vertrag! Was meinst Du, wie die Bullen sich freuen würden, einen Vertrag über einen Mord bei mir zu finden?'
'Ganz genau! Jetzt sieh zu, daß Du weiterkommst, ich habe noch etwas zu erledigen.'
Der Schatten legte auf, hob erneut ab, und wählte eine Nummer.
'Dick?', meldete sich die andere Seite der Leitung.
'Sind Sie an Informationen interessiert, die einen gewissen Herrn Bodenständig betreffen?'

'Hurzel, steigen Sie ein!', schrie Dick!
'Jawoll, Sir!', schrie Holger Hurzel zurück.
Achim saß bereits im Wagen, und träumte von Rippen, Knochen und Fressen.
Dick drehteden Zündschlüssel, und der Wagen machte einen jähen Satz nach vorne. Achim war wieder voll bei der Sache, und der Wagen schoß durch die Stadt.
'Boss?', fragte Achim.
'Frankfurt!', antwortete Kommissar Dick.
'Frankfurt?', fragte Achim.
'Bodo Bodenständig!', erklärte Kommissar Dick.
Achim sagte nichts mehr, er blickte aus dem Fenster, und seine Augen blitzten. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, zumindest nicht auf der Kommissar Dick abgewandten Seite seines Gesichtes.

Währenddessen kam es auf der Autobahn zum Eklat.
Ein höllefarbener BMW Z3 überholte Sylvia's Hyundai, und begann die Geschwindigkeit zu drosseln. Er signalisierte Sylvia, rechts ranzufahren, und - auch wenn Gabriel fluchte und eine schleunige und unbedingte Weiterfahrt verlangte - das tat Sylvia auch, weil sie ihre Chancen, diesen Wagen abzuhängen, im hinteren Minusbereich sah, ungefähr da wo auch die Chancen für Weltfrieden, gesunde Alternativen zu Zigaretten und französische Modelbusse für pubertierende Siebtklässler rumlungerten.
So landeten also die verängstigte Sylvia, der beschützende Bodo, die genervte Dr. Nawiegehts, der erzürnte Gabriel und der strahlende Luthor mitten in einem lautstarken rhetorischen Gerangel mitten auf dem Seitenstreifen der Autobahn Richtung Frankfurt.
Zunächst begann Gabriel, Luthor klarzumachen, daß ihn all dies einen Himmlischen Häufi-Haufen anginge. Dann begann Luthor, Gabriel klarzumachen, daß es genausogut seine Angelegenheit sei, wie Gabriel', wegen er-wisse-warum und allem drum und dran. Von all dem verstanden Sylvia, Bodo und Dr. Nawiegehts recht wenig. Ungefähr so wenig wie von TCP/IP-Protokollen oder Lebertranproduktion für Fortgeschrittene. Sie nutzten die Zeit, um angemessen dumm aus der Wäsche zu schauen.
Gabriel und Luthor hatten sich mittlerweile relativ lautstark und mindestens genauso unverständlich darauf geeinigt, daß Luthor nun seine verdiente Audienz bei Bodo Bodenständig bekommen sollte. Nicht, daß dies Gabriel gerecht erschien, Luthor wusste bloß ein paar Dinge über Gabriel, die IHM da oben gar nicht gefallen würden, und das wiederum ließ Gabriel zu einem weitaus verständnisvolleren Geschäftspartner werden, als er eigentlich zu sein vorhatte.
'Weißt Du, was Du da tust, Junge?', fragte Luthor?
'Bitte?', begriff Bodo, daß nun mit ihm geredet wurde.
'Weißt Du, was Du da tust, weißt Du das wirklich?', wiederholte Luthor.
'Ja... ja, ich glaube schon.', vermutete Bodo.
'Du glaubst schon?'
'Ja. Schon.'
'Du willst Dich also absetzen, denkst das geht so einfach mir nichts Dir nichts, und müsstest nie mehr zurückkehren?'
'Ja.'
'Verdammt, wie blöd bist Du, Junge? Meinst Du, die lassen Dich in New York leben und arbeiten? Die haben Dich in drei Tagen wieder nach hause geschickt. Und was wartet dort auf Dich?'
'Nun...', stammelte Bodo.
'Gabriel, wie hast Du Dir sein Leben in New York vorgestellt?'
'Nun...', stammelte Gabriel.
'Passt auf, ich habe Euch hier angehalten, weil Eure Verfolger...', sagte Luthor, und blickte in die Runde.
'Ver...Verfolger?', stammelte Bodo.
'Ja, ganz Recht! Verfolger! Großes Vau, kleines er, kleines folger. Was dachtest Du? Also, ich habe Euch hier und jetzt angehalten, weil Eure Verfolger (goßes Vau, kleines er, kleines folger) zur Zeit ein bißchen hinten dran hängen. Übrigens eine Hand voll Bullen plus so ein bescheuerter Auftragskiller.'
'KILLER?', blökten Sylvia, Dr. Nawiegehts und Bodo im Chor durch die Gegend.
Gabriel sah in die Luft und pfiff.
'Ach, das hat Gabriel so wohl nicht erwähnt, wie? Naja, egal. Wichtig ist, daß Du zurück fährst, und irgendwie Deine Unschuld beweist!'
'Wie soll ich das denn bitteschön machen?'
'Ich sagte nicht, daß Du das alleine tun sollst. Außerdem hat dieser komische Auftragskiller... Tim Tod hieß er wohl... diesen Hans Hurzel umgebracht. Und Du bist der Sündenbock und außerdem das erste Öltröpfchen für die neue Vernichtungsmaschine, die wohl eindeutig deutsche Ausmasse annehmen soll. Nicht, daß es mich traurig stimmen würde, demnächst soviel Arbeit bekommen zu sollen... Aber irgendwie mag ich Dich, und ich finde, die sollten sich ein anderes Opferlamm suchen.' Luthor sah Gabriel an.
Gabriel widersprach nicht, blickte jedoch zu Boden, nachdem Luthor seinen Satz beendet hatte.
Die vereinte Mannschaft schwieg.
Aber nicht lange, denn schon wenige Minuten später saßen sie wieder ihn ihren Wagen, fuhren die nächstbeste Ausfahrt ab, und kehrten dorthin zurück, woher sie gekommen waren.

Bodo war sehr verwirrt von all dem, was Luthor erzählte. Natürlich würde er gerne seine Unschuld beweisen wollen, aber was all das mit Luthor zu tun hatte, verstand er beim besten Willen nicht. Bei Gabriel konnte er es verstehen, immerhin war er ein Engel, und er kam zur Erde, um Gutes zu tun. Aber wer war dieser Luthor?
Bodo überlegte, aber es wollte ihm kein sinnvoller Zusammenhang zwischen Luthor und all den Geschehnissen einfallen. Und er wusste nicht, woher Luthor so viele und detailgenaue Informationen herbezog. Sollte er ein Agent sein? Worauf hatte er sich eingelassen? Engel, Agenten und schöne Arzthelferinnen? Jaja, und eine Ärztin natürlich auch... Und kleine Hörner...
'Hihi, Hörnchen.', kicherte er.
Dr. Nawiegehts und Sylvia lachten, weil sie gerade das selbe gedacht hatten.
Gabriel kicherte ebenfalls, und bedauerte es ein wenig, daß Luthor diese Szene verpasste...
Armer Luthor...

Tim Tod schlich über den Parkplatz der nächtlichen Autobahnraststätte, als ihm plötzlich ein Lastwagen auffiel, der ein Frankfurter Autokennzeichen trug.
Perfekt!
Der Laderaum war nicht abgeschlossen.
Tim sprang hinein und zog die Tür hinter sich zu.
Es war kalt und dunkel, und Tim kauerte sich gegen irgendetwas weiches.
Zuerst hörte er das Geräusch, das eine Ladetür von sich gab, wenn man sie abschloß, dann nahm er den widerlichen Geruch wahr.
Und dann begann ein melodiöses 'MÄHHH!', das durch den gesamten Laderaum hallte.
Armer Tim...

Am frühen Morgen kamen Bodo und seine Begleiter an einer kleinen Blockhütte nahe Normstätten an, zu der Luthor sie gelotst hatte. Gabriel versuchte mehrmals, Sylvia davon zu überzeugen, wie unklug es sei, Luthor zu folgen, aber sowohl Sylvia als auch Bodo hielten Luthor - wenn sie ehrlich waren - für vertrauenserweckender.
Die Blockhütte war abgelegen, mitten in einem Wäldchen nahe Normstätten. Luthor hatte überall auf der Welt kleine Blockhütten in irgendwelchen Wäldchen stehen - das brachte der Beruf mit sich. Die Blockhütten waren geeignet, um kurzzeitig unterzutauchen, also genau das, was Bodo jetzt brauchte.
'Wir haben jetzt etwas Zeit, was haltet ihr davon, erst mal eine Runde auszuschlafen?', fragte Luthor.
Die Menschlein stimmten zu, und Luthor begann Luftmatratzen aus irgendwelchen Schränken hervorzukramen, in denen sich die Hölle an Dingen zu befinden schien. Schnell waren die Luftmatratzen aufgeblasen und die Menschlein außer Atem. Ebenso schnell waren sie eingeschlafen.
Gabriel hielt Luthor am Arm, als er sich unbeobachtet fühlte.
'Was wird das hier?', fragte er.
'Was hier?', fragte Luthor zurück.
'Du weisst ganz genau, was ich meine, tu nicht so. Was hast Du mit ihm vor?', fragte Gabriel entzürnt.
'Was hast Du mit ihm vor? Ich glaube, wir hegen die gleichen Ziele, nicht wahr, lieber Gabriel?'
Natürlich hatte er Recht: Beide wollten das Gleiche: Bodo nicht bis zum jüngsten Gericht am Arsch haben! Aber keiner sprach es aus.
'Und die wären?', bohrte Gabriel.
'Dafür zu sorgen, daß dem guten Bodo Bodenständig nichts zustösst, nicht wahr?'
'Das oder...'
'Das oder WAS?'
'Ja... D-dafür sorgen, daß ihm nichts zustösst... Aber wir können dabei doch nicht zusammenarbeiten! Das würde... die Gleichgewichte... auseinanderbringen...', stotterte Gabriel.
'Unsinn!', belehrte Luthor, und Gabriel wusste, daß Luthor Recht hatte.
Es war nicht das erste Zusammentreffen dieser Art, und wie immer, würde es darauf hinauslaufen, daß das jüngste Gericht auf Erden einen Vorgeschmack bot - mit genau zwei Beteiligten.
Natürlich hatte Gabriel die Nase voll von all den kleinen Machtkämpfen, aber er hatte auch einen Auftrag zu erfüllen, der, wenn er ihn nicht erfüllte... was?
Verstoßen, in die Hölle gesandt, auf Ewigkeiten mit Luthor zusammen sein müssen - nein, das war nichts für Gabriel. Luthor würde dafür sorgen, daß Bodo sich nicht versündigte, also blieb Gabriel nur, sich ernsthafte Gedanken um Bodo's Gesundheit zu machen.
Luthor hatte ebenfalls so seine Bedenken. Wenn er seinen Auftrag nicht erfüllte... Bodo in der Hölle zu haben, wo er alles mit seiner naiven Art, Chaos hinter sich zu lassen - nicht daß Chaos kein wichtiger Bestandteil der Hölle gewesen wäre, aber auch ein professioneller Tiefseetaucher weiß, von welchen Tiefen er besser die Finger lassen würde - zugrunde richten würde, war nicht unbedingt das, was Luthor sich als Willkommensgeschenk für den Chefsessel wünschte.
Einen Irren zu beherbergen, der eine Brücke ansägte, und sich auf die vielen kreischenden Menschen freute, die sich auf den steinernen Tod zubewegten, war durchaus logisch - für die Maßstäbe der Hölle. Einen jungen Mann zu beherbergen, der achtlos unter einer Brücke durchmarschierte, die daraufhin einfach hinter ihm zusammenbrach, und der sich anschließend mit einem naiven 'upsala' herauszureden versuchte, konnte selbst einen angehenden Höllenfürsten - ja selbst den Höllenfürsten persönlich - in den Wahnsinn treiben. Nicht, daß Bodo dabei über irgendetwas stolpern oder sonst irgendetwas sichtbar auslösen würde - er ging durch's Leben wie jeder andere auch, nur daß Dinge, die er passierte plotzlich willkürlich begannen zu explodieren, herunterzufallen, den Geist aufzugeben, oder mehr Geist zu entwickeln, als ihnen aufgrund Ihres Seins als Dinge zustand. Natürlich geschah all dies nicht am laufenden Band - aber es geschah hin und wieder, und es war oft genug, um diesen Umstand geradewegs und zielsicher in die Rubrik 'merkwürdig' zu schleudern.
Weder Himmel noch Hölle konnten einen solchen Burschen gebrauchen. Natürlich war jede der Seiten auf ein jüngstes Gericht aus, und Bodo war für jeden von ihnen ein mächtiger Verbündeter - solange er auf der anderen Seite seinen Unsinn anstellte....
Gabriel würde alles tun, um Bodo zum Sündiger zu machen, also blieb Bodo nicht viel übrig, dagegen zu wirken, und vor allem, ihn so sicher wie nur möglich durch die ganze Angelegenheit zu manövrieren. Er würde ein wenig dafür sorgen, daß gewisse Leute sich an den falschen Stellen verplapperten, und der wahre Schuldige - dieser Tim Tod - gefasst würde.
Woran Luthor jedoch großes Interesse hatte, war der wahre wahre Schuldige, dessen Schuld über die des lächerlichen mickrigen Tims weit hinausragte. Der Schatten im Sessel. Ihn musste Luthor haben! Er wäre eine Trophäe, etwas, worauf man stolz sein konnte, wenn man so auf seinem Chefsessel saß, und ihn betrachtete. Natürlich durfte Luthor ihn nicht selbst töten, dann wäre das Spiel ja einfach gewesen... Aber er hatte da noch ein paar Ideen im Hinterkopf...
Nachdem sowohl Luthor als auch Gabriel eine ganze Weile wortlos herumsassen, und sich die himmlischen und höllischen Hirne zermarterten, beschlossen sie, einfach auch eine Weile zu ruhen. Natürlich brauchen Engel genausowenig Schlaf wie Teufelslehrlinge, aber es wäre auch langweilig geworden, wenn sie sich die ganze Nacht gegenseitig beim Grübeln zugesehen hätten.


KAPITEL 5

Der Lastwagen kam zum stehen.
Tim spitzte die Ohren.
Eine Tür öffnete sich, blieb gerade lange genug offen, um einem kräftigen, bärtigen, langhaarigen Mann einen Satz aus der Fahrerkabine zu erlauben, und schloß sich wieder.
Es stank erbärmlich, und eine Ziege schien ihn besonders gerne zu haben, so gerne, daß Tim darüber nachdachte, diese Zuneigung mit einem scharfen Messer ein wenig zu mildern. Doch diesen Gedanken verwarf er schnell wieder, schließlich wusste man nie, wieviele Böcke in einer solchen... nannte man dies eine Herde? Schließlich wusste man nie, wieviele Böcke in einer solchen Ansammlung von Schafen und Schafsböcken zugegen waren.
Tim Tod hörte die Schritte auf die Tür des Laderaums zumarschieren. Es waren gemächliche Schritte, Schritte die einem Menschen gehören mussten, der deshalb alle Zeit der Welt hatte, weil er sie sich gewaltvoll nehmen konnte. Tim ging in Pose, bereit jedem ein Messer in die Kehle zu drücken, der dumm genug war, die Tür zu öffnen. Oder nett genug ihn aus der stinkenden Schafsherde zu befreien - wie man's nahm. Was ihn zurückhielt, war der Gedanke - was wenn Zeugen in der Nähe waren? Waren sie bereits in Frankfurt angekommen? In einer Großstadt, die nie schläft? Würden sich draussen mittlerweile 10 Trucker um den Lastwagen versammelt haben, die Fäuste bereit, um Tim all das heimzuzahlen, was er jemals einem Menschen angetan hatte?
Tim schob sich zwischen Massen von lebender Wolle, und hoffte, nicht entdeckt zu werden.
Daß die Masse an lebender Wolle leider keine Masse an genügend lebender Wolle, oder wenigstens an genügend irgendwas zum verstecken war, egal ob es nun lebe oder Wolle sei, bemerkte Tim allerdings erst, als sich die Tür des Laderaums verheissend öffnete, und drei düstere Gestalten mit einer Taschenlampe hineinleuchteten:
'Schafe.', sagte eine der Gestalten.
'Und irgendeine Idiott.', sagte eine andere.
'Was machen wir mit die Schafe?', sagte die erste Stimme.
Tim war wie gelähmt vor Erstaunen.
'Was machen wir mit die Schafe? Idiotte! Frage lieber was machen wir mit die Trottel inmitten von die Schafe?'
'Machen wir mit die Knüppel!'
Tim kam langsam zu sich, begriff, daß hier irgendetwas nicht stimmen konnte, und bekam eins auf die Rübe, noch bevor er irgendetwas dagegen unternehmen konnte.
Was wirklich geschah:
Der Lastwagen kam an seinem Bestimmungsort an, irgend ein Hinterhof auf der Rückseite des Frankfurter Bahnhofs. Die Tür öffnete sich, gerade lange genug um einem kräftigen, bärtigen, langhaarigen Mann das Ermordet-Werden zu erlauben, und schloß sich wieder.
Die 3 Gestalten, die den armen Trucker erwischt hatten, versprachen sich eine üppige Lastwagenladung mit irgendetwas wertvollem. Tim sah zwar nicht nach Mordzeuge aus - dafür war er zu perplex - aber um ihre Wut auszulassen für... Schafe anstatt üppige Mengen mit irgendwas wertvollem, kam er gerade recht.
Etwa eine halbe Stunde später kam Tim wieder zu sich.
Er war sehr erfreut festzustellen, daß sich all seine Gliedmasse noch immer dort befanden, wo er sie benötigte. Seine Briefbörse und folglich sein Geld und seine Papiere waren zwar weg, aber immer noch besser als tot zu sein...
Und sein Messer hatte er gottseidank rechtzeitig in seinen Messerhalfter an seiner rechten Wade zurückgesteckt, so daß sie es nicht fanden. Sie durchsuchten ihn wie man einen Zivilisten durchsucht. (Oh, er hat eine Brieftasche, laß sie uns mitnehmen.) Sie hätten ihn besser wie einen Auftragskiller durchsucht! (Oh, er hat ein Messer. Und eine 45er Magnum. Und einen Säbel. Und eine Schrotflinte. Und ein Bastardschwert. Und einen kleinen Panzer.)
'Hey, Du da!', rief jemand.
Tim kniete noch immer am Boden. Er sah auf, und entdeckte eine Gestalt die auf ihn zuhielt.
'Hey, Du Da, brauchst Du Hilfe?', rief die Gestalt und kam näher.
Tim war für jede Hilfe dankbar, die er kriegen konnte.
'Ja, Freund...', rief er, hielt jedoch sein Messer griffbereit - man weiß ja nie!
'Was ist passiert mit Dir?', fragte der Fremde, der sich nun als kräftiger Endfünfziger entpuppte.
Er trug zerrissene Kleidung und stank fürchterlich nach Schnaps.
Scheinbar hielt er Tim aufgrund des Aussehens und des Gestankes für eine Art Bruder oder sowas, Tim vermutete nur, aber so falsch konnte er damit nicht liegen.
'Ich wurde überfallen. Alles haben sie mir gestohlen.', erklärte Tim.
'Ach...', begann der Penner.
'Dann hast Du gar nichts mehr? Dann verpiss Dich!', führte er seine Rede fort, und gab Tim einen festen Tritt ins Gesicht.
Tim flog zu Boden, doch dabei rutschte ihm das Messer aus der Hand, und landete nach Stahl auf Beton klingend auf dem Asphalt.
Der Penner war bereits am Weglaufen, doch als der den Klang des Messers hörte, drehte er sich um, um zu sehen, ob er sich verhört habe.
'Ach, Du hast ja doch noch was?', rief er, und kam erneut auf Tim zugerannt.
Ehe Tim nach dem Messer greifen konnte, hatte er wieder den Fuß des Penners im Gesicht, der anschließend hastig nach dem Messer griff, noch einen letzten Tritt da ließ, und floh.
Tim rappelte sich auf. Sein Gesicht blutete aus allen Nähten.
Er musste in die Haupthalle des Bahnhofs gelangen, das war seine einzige Chance.
Er wanderte um das Gebäude. Aus einer kleinen Tür sah er einen vagen Lichtschimmer.
Er rannte auf sie zu und zerrte daran.
Abgeschlossen.
Er ging weiter, als die vage leuchtende Tür sich plötzlich öffnete. Er erhaschte einen Blick auf das Innere, und erkannte, daß es sich um eine Art Hintereingang für einen 24-Stunden-Laden handelte.
Dann erhaschte er, was direkt vor seiner Nase passierte.
'Ihr Penner, jedesmal probiert Ihr's von dieser Seite! Nicht genug Mumm, in den Laden zu kommen, und es auf die gute alte Geld-Oder-Leben-Tour zu probieren, hä? Wichser!'
Der Mann, der diese Worte aussprach war groß, kräftig, braungebrannt und - was im Moment das Wichtigste war - hielt eine abgesägte Schrotflinte in den Händen, die sofort nach Beendigung des Satzes losfeuerte und Tims Gesicht über den Hinterhof verteilte.
Der 24-Stunden-Mann ging zufrieden zurück, schloß die Tür hinter sich und freute sich, daß er's endlich einem heimgezahlt hatte...
Armer Tim...

Der Morgen dämmerte bereits, als sie schlafen gingen, mittlerweile war es mittag.
Sie versammelten sich um einen hölzernen Tisch, den Luthor reichhaltig gedeckt hatte - weiß der Teufel, wo er das ganze Zeug herhatte!
'Sylvia, Doktor, Bodo, ich schlage vor, Ihr bleibt hier, während Gabriel und ich sehen, was wir tun können. Nicht wahr, Gabriel?', fragte Luthor.
'Ja, klar, Luthor.'
'Wir können Bodo jetzt nicht da draussen rumrennen lassen. Sylvia...', sagte Luthor.
'Bitte?', fragte Sylvia.
'Würdest Du Gabriel ein vorübergehendes Verfügungsrecht an Deinem Wagen übertragen? Ich werde ihn nämlich nicht mitnehmen!'
'Hmmm. Wenn es sein muß...'
'Es muß.'
Sylvia willigte mürrisch ein, Gabriel und Luthor gaben unzählige Instruktionen, und dann verschwanden sie.
'Woher kennen Sie Gabriel, Doktor?', fragte Bodo.
'Ach, das ist so eine Geschichte... Er tauchte eines Tages auf, und erzählte mir, was er war. Ich glaubte ihm natürlich kein Wort! Zu dieser Zeit lief meine Praxis schlecht. Gabriel sagte, ich solle ihm glauben, wenn er zurückkehre. Das tat er erst nach einem halben Jahr, in der Zwischenzeit lief meine Praxis jedoch komischerweise unglaublich gut. Ich hatte Heilungsquoten von 100%. Als Gabriel zurückkehrte, erzählte er mir wieder, was er war, und was er mit mir und der Praxis getan hatte. Es muß so eine Art Segen sein, jedoch ein Segen, der mich meine Unterstützung kosten würde. Gabriel wollte eine Kontaktperson in dieser Gegend. Er sagte, so jemanden habe er überall auf der Welt, und er wollte mich für Normstätten. Da die Dinge, die er verlangte bis zu dieser Sache nie besonders schwierig oder irgendwie gegen meinen Willen waren, ließ ich es in dieser Form weiterlaufen. Aber ich weiß nicht, ob ich nach dieser Sache wirklich weitermache...', erklärte Dr. Nawiegehts.
'Wusstest Du davon, Sylvia?'
'Teilweise. Ich wusste davon, aber ich habe es nie geglaubt. Ich glaube es eigentlich immer noch nicht so richtig...'
'Aber warum bist Du dann mitgekommen?', fragte Bodo.
Sylvia sagte nichts, lächelte und küsste den Dummkopf.

Es war verdammt heiß hier.
An seinem Tisch saß ein kräftiger, bärtiger Mann mit langem zausigem Haar.
'Wo sind wir hier, zum Teufel?', fragte Tim Tod.
'Keine Ahnung.', sagte der Lastwagenfahrer.
Ein kleines dämonenartiges Wesen kam herein, und rief 'Tim Tod? Sie dürfen jetzt vorsprechen.'
Tim wurde in ein großes Büro geführt. Es hatte nur ein Fenster, und dieses Fenster versprach Ausbick auf ein riesiges brennendes Inferno.
Tim war verdutzt. War er in der Hölle?
'Bingo', sagte eine gehörnte Gestalt, die am Ende des Büros in einem Drehsessel saß.
'Hier werden Deine Wünsche erhört... Und alle anderen Gedanken auch!', frohlockte Luzi.
'Nur daß sie Dir hier erfüllt werden, das wage ich arg zu bezweifeln... Setz Dich, wir müssen reden!'
Tim stolperte in die Richtung des Stuhls, auf den Luzi wies, und ließ sich auf ihn fallen.
'Du bist ein Idiot! Wir hätten Dich gebraucht! Und was machst Du Trottel? Du lässt Dir das Gehirn wegblasen! Wie blöd seid Ihr Menschen eigentlich, hä?'
Und dann fiel Tim in Ohnmacht.

Gabriel sprang in Sylvia's Wagen, drückte das Gaspedal durch und fuhr los. Als er auß Luthor's Sichtweite gekommen war, fuhr er an den Fahrpahnrand, schaltete den Motor ab, und ließ den Kopf auf das Lenkrad fallen.
Was hatte er sich da nur wieder eingebrockt? Wie in drei Engels Namen sollte er Bodo's Unschuld beweisen? Es gab keine Beweise für Bodos Unschuld, sollte er welche zaubern?
Und je mehr er darüber nachdachte, umso mehr kam er zu dem Entschluß, daß dies wohl wirklich die einzige Möglichkeit sei.
Gabriel grübelte, dann drehte er motiviert den Zündschlüssel, und fuhr laut pfeiffend los.

Luthor sprang in seinen Wagen, drückte das Gaspedal durch und fuhr los. In diesem Moment signalisierte seine Armband-Uhr (ein höllisch modernes Modell!), daß der Höllenfürst persönlich ihn unverzüglich erwarte. Luthor war froh über diese Nachricht, sonst hätte er nämlich erst mal anhalten und sich Gedanken machen müssen, wo er denn hinsolle, und wie um Teufels Willen er Bodo's Unschuld beweisen solle, nachdem er vor Gabriel bereits so die Klappe aufgerissen hatte. Aber seine irdischen Probleme hatten Zeit, denn der Meister schien etwas von sehr hoher Bedeutung für ihn zu haben, wenn er persönlich vorbeikommen solle...

Gabriel fuhr Richtung Stadtpark, wo der Mord sich ereignete. Er suchte nach Spuren, aber die gab es nicht, es gab nur einen Engel, der auf einer Parkbank saß, eine Zigarette rauchte, und ihn aufmerksam beobachtete.
Gabriel bemerkte den Engel, doch er kannte ihn nicht.
'Wer bist Du?', fragte Gabriel.
'Ein Himmelsbote zweiten Grades.', antwortete der unbekannte Engel.
Pah, nur ein kleiner Botenjunge, dachte Gabriel. Was er wohl wolle?
'Was willst Du, Botenjunge?', fragte er.
'ER will Dich sehen, ER meinte, ER habe etwas, daß Dich interessieren könnte...', meinte der Bote.
'Ach, was sollte mich im Moment interessieren? Beweise für Bodo's Unschuld? Pah, dummer Botenjunge!', warf Gabriel erzürnt ein.
'Ja', antwortete der Bote.
'Du gibst also zu, daß Du ein dummer Botenjunge bist?'
'Nein, ich werde mich hüten, mein Licht dermaßen unter den Scheffel zu stellen. Ich werde an passender Stelle auch eine saftige Beschwerde einreichen, ich habe die ganze Unterhaltung auf meinem Mini-Com-Diktiergerät mitgeschnitten.'
'Oh, scheiße.', meinte Gabriel in sich gekehrt.
'Aber das klären wir später. Ich meinte: Ja, ER hat Beweise für Bodo's Unschuld.', sagte der Bote.
Gabriel schaute dumm aus der Wäsche. Das hätte er nun bei den heiligen Drei Königen nicht erwartet! Er machte sich sofort auf den Weg.

Luthor fuhr auf eine wenig befahrene Landstraße, um dort den nach-Hause-Knopf seines Z3 auszuprobieren. Dieser Knopf gehört nicht zur Standard-Ausstattung der BMW-Z3-Serie, er wurde von teuflischen Automechanikern zusätzlich eingebaut, wie eine Menge anderer turbulenter Spielereien auch. Luthor gab Gas, und bereitete sich darauf vor, den Knopf zu drücken. Er rechnete mit einem Unwahrscheinlichkeits-Boost, wie nicht mal Captain Kirk ihn überlebt hätte. Er gab weiter Gas, um eine angemessene Geschwindigkeit inne zu haben, und dann drückte er den verheißungsvollen Knopf. Nach Hause!
Doch anstatt die Geschwindigkeit wie erwartet ins Millionenfache zu erhöhen, machte der Wagen eine Vollbremsung. Luthors Kopf schlug schmerzvoll gegen das Lenkrad. Der Vize-Höllenfürst verstand die Welt, inklusive aller höllischer Ebenen nicht mehr. Er stieg aus, und lief um den Wagen, während er mit beiden Händen die Beule massierte, die sich an seinem Kopf bildete - genau zwischen seinen beiden kleinen Hörnern.
Hihi, Hörnchen!
Plötzlich sah er, wie der Boden unter dem Wagen begann, sich aufzulösen. Zuerst konnte man es nur in vagen Schemen erkennen, dann ging alles blitzartig, und der Boden unter dem Wagen tat sich auf. Der Wagen fiel in die Tiefe. Sehr witzig, dachte Luthor, und sprang hinterher.
Als Luthor unten ankam, stand der Wagen bereits unversehrt unter ihm. Luthor landete genau auf dem Fahrersitz, knallte sich aber seine frische Beule nochmal gegen das Lenkrad, als habe er ein neues Hobby entdeckt. Die satanistischen Mechaniker empfingen ihn mit einem wilden Durcheinander-Gerede. Gerade wollte Luthor sich einmischen, und ihnen die Vorzüge eines Unwahrscheinlichkeits-Boosts gegenüber einer Bescheuertheits-Vollbremsung erklären, als er Luzis Stimme vernahm.
'Luthor, Du bist da, wie schön. Kommst Du bitte mal in mein Büro, ich möchte Dir etwas zeigen.'
Luthor folgte Luzi, und als er das Büro mit der wunderschönen Aussicht auf das Hölleninferno betrat, bemerkte er einen jungen Mann, der ihm bekannt vorkam, aber irgendwie auch nicht. Er konnte es sich selbst nicht erklären, war er doch stets ein guter Menschenkenner.
'Luthor, darf ich vorstellen, dies ist ein Kamikaze-Dämon ersten Grades.', präsentierte Luzi den jungen Mann.
'Gut, was soll ich damit?', fragte Luthor.
'Sieh ihn Dir genau an, mein Bester!'
Luthor lief um den Dämon und betrachtete ihn aus allen Winkeln. Er kam ihm so bekannt vor... Er hatte irgendetwas von Bodo, aber es war nicht Bodo. Er sah eher aus wie...
'Kommt er Dir bekannt vor? Tim Tod hieß er im Leben. Ein Auftragskiller, weißt Du?', erklärte Luzi.
'Hans Hasenscharts Mörder! Aber... was tut der hier? Sollten wir nicht seine Schuld beweisen... und Bodo's Unschuld? Und warum ist er ein Dämon ???'
'Ich habe ihn zum Dämonen gemacht! Der Gute war so blöd, sich das Gehirn aus dem Kopf schießen zu lassen, woraufhin auch der restliche Kopf keine sonderlich große Lust mehr hatte, auf Tim's Hals rumzulungern. So kam er hier her, was meinst Du, wie überrascht ich war, als ich seinen Namen auf der Liste mit Neuzugängen las...'
'Aber...', stotterte Luthor.
'Ja, ich weiß. Alle Pläne futsch, so im Großen und Ganzen. Auf der einen Seite!'
'Und auf der anderen?'
'Ich habe Tim vor dem Fegefeuer bewahrt, wenn er ein paar... spezielle Aufgaben für uns erledigt. Ich habe ihn zum Dämonen mit Kamikaze-Auftrag gemacht.'
'Kamikaze?', fragte Luthor schockiert.
'Ach, Worte, mein lieber Luthor, man sollte sie nicht so ernst nehmen. Natürlich kann er gar nicht sterben, er ist ja schon tot. Aber genau das ist seine Aufgabe. Oder... genau das ist NICHT seine Aufgabe.'
'Ich... kann nicht ganz folgen, Luzi!'
'Tim kehrt zurück auf die Erde. Keiner wird merken, daß er ein Dämon ist. Er ist bloß ein bißchen klüger als vorher, sonst nichts... Ansonsten ganz der Alte, was Tim?'
Tim lächelte verlegen und versuchte sich noch immer mit dem Geschenk vertraut zu machen, das Luzi ihm gab... Macht. Natürlich nur eine kleines Stückchen vom großen Machtkuchen, ein Fünkchen vom großen Feuer der Macht, ein Tropfen des mächtigen Ozeans, sowas in der Art, immerhin war Luzi kein Vollidiot..
'Er wird sich stellen, bekommt einen Termin und wird hingerichtet. Besser noch, er wird NICHT hingerichtet, weil man einen Dämonen gar nicht hinrichten kann! Dann wird es ein riesiges Tohuwabohu geben, und ein hohes Tier des Geheimdienstes, das für den ganzen Mist verantwortlich ist, wird zu Fall gebracht. Er ist übrigens mein kleiner Bonus an der ganzen Geschichte. So wie ich Bodo auf keinen Fall hier möchte, sehne ich mich nach der kalten, massenvernichtenden Nähe dieser Bestie...', schwärmte Luzi.
'Ja, so langsam verstehe ich Deine Idee. Ähm... Dieser... Geheimdienstler...'
'Ist für Dich keine Konkurrenz. Er wird mein Spielzeug, ich will ihn mit in den Ruhestand nehmen, mein kleines Abschiedsgeschenk. Kannst Du dafür sorgen, daß die Geschichte nach meinen Plänen verläuft?'
'Klar, Luzi. Wenns weiter nichts ist. Dann schnapp ich mir Tim, und setze ihn vor der nächsten Polizeiwache raus...'
'Okay, viel Spaß! Denk an den Geheimdienstler!'
'Ja, Boss!'
'Und... Luthor?'
'Ja, Boss?', gab Luthor grinsend zurück.
'Ach, vergiß es und verschwinde...'
'Ja, Boss!', und Luthor packte Tim, den Kamikaze-Dämon und verschwand.

Gabriel bekam nie einen Dienstwagen zugeteilt, wenn er Aufträge auf der Erde zu verrichten hatte. Er stellte den Wagen ab, und verschwand in der lautlosen und unscheinbaren Art und Weise, wie Engel erscheinen oder verschwinden. Arrogante Hölle, dachte er. Für jeden kleinen Krimskrams brauchten sie Spezialeffekte, um sich in Szene zu setzen. Pah!
Zuhause angekommen, sah er den Boten zweiten Grades auf ihn zukommen. Er führte eine alte Frau an der Hand.
'Hallo, Gabriel. Ich bin mir sicher, es interessiert Dich, was diese nette alte Dame zu sagen hat.'
Gabriel sah auf die - etwas klein geratene - alte Dame herab.
'Ich habe alles aufgeschrieben... 247 Mal hat der Junge dieses böse F-Wort gesagt! Und dann kam der andere Junge, und der sah aus wie der mit dem bösen F-Wort, der da saß, und der hat ihm dann eine Waffe auf den Schoß geworfen, und ist abgehauen. Dann kamen Außerirdische und zerhäxelten mich.'
Die alte Dame redete wirres Zeug, keine Frage. Aber klar war, daß man die Worte drehen und ordnen konnte, und genau wusste, was sie gesehen und erlebt hatte. Nur leider war die Alte tot, und selbst wenn sie zu einem Botenengel oder sonstwas gemacht würde - ein Engel auf dem Zeugenstand würde durchaus für mehr Unruhe sorgen, als Normstätten verkraften konnte. Also, was tun mit der netten alten Dame?
'Hmm... naja... Das ist jetzt vielleicht meine Schuld...', stammelte der Botenengel zweiten Grades.
'Was meinst Du?', fragte Gabriel.
'Nun, ursprünglich sollte die alte Dame dazu dienen, dem wahren Mörder als Geist ein schlechtes Gewissen zu machen - die klassische Spukgeschichte, Du kennst das ja...'
'Ja, prima, gute Idee, auf geht's!'
'Nein, ganz und gar nicht! Ich sollte Dich bereits heute nacht herholen, aber bei mir... kam was dazwischen. Ähm... wie dem auch sei, könnte sie... höchstens noch einen anderen Geist erschrecken...'
'Einen anderen Geist?'
'Herrn Hasenscharts Mörder, Tim Tod wurde heute nacht mit einem Schrotgewehr enthauptet.'
'Er wurde was? Ach Du heilige Sch... Verd... Halleluja!', keuchte Gabriel, außer sich von dem, was er gerade erfahren hatte.
'Wie konnte das passieren? Wo ist er jetzt? Ist er auch hier?', fragte Gabriel schockiert.
'Er hatte einfach Pech. Er geriet wohl in Bodo's Fahrtwind. Du weisst schon, der Grund weswegen ihn keiner haben will... Nun ja, hier ist er allerdings nicht. Er war nicht unbedingt ein frommer Mann...', abtwortete der zweitgradige Botenengel.
'Oh mein Gott, dann hat ihn... LUZI!'
'Schon, aber er wird nichts mit ihm anfangen können, es sei denn, er hat eine wirklich...'
Der Bote zweiten Grades sah sich um, und als er sicher ging, daß er nicht beobachtet wurde, näherte er sich Gabriel.
'... eine wirklich verdammt gerissene Idee!', fügte er leise hinzu!


KAPITEL 6

Die Tür der Polizeiwache wurde aufgerissen, und ein junger Mann trat ein. Die anwesenden Polizisten musterten ihn ausgiebig. Zielstrebig ging er an die Rezeption.
'Ich bin Zeuge eines Mordes.', behauptete er.
Die Dame am Empfangsschalter musterte ihn argwöhnisch.
'Aha, und wer wurde Ihrer Meinung nach ermordet?'
'Nicht meiner Meinung nach! Ihr bearbeitet den Fall bereits, es geht um Hans Hasenschart.'
Die Empfangsdame wurde hellhörig.
'Oh, diesen Fall bearbeitet Kommissar Dick. Aber er ist im Moment nicht da. Soll ich ihm etwas ausrichten?'
'Ja, sagen sie ihm, ich sei Zeuge, wie ich selbst Hans Hasenschart ermordet habe.'
Die Empfangsdame traute ihren Ohren nicht.
'Ahja, würden sie bitte... ähm... irgendwo Platz nehmen, ich werde Kommissar Dick sofort verständigen...'
Sie machte zweien der in der Nähe befindlichen Polizisten ein Handzeichen, und diese stürmten auf Tim zu, um ihn festzuhalten. Die Empfangsdame griff zum Telefonhörer und rief Kommissar Dick auf dem Autotelefon an.
Ein Freizeichen ertönte.
'Arschloch?', meldete sich eine Stimme auf der anderen Seite.
'Wie bitte?', fragte die Empfangsdame.
'Achim Arschloch hier.'
'Geben Sie mir Kommissar Dick. Polizeirevier Normstätten, Meier hier.'
'Kommissar Dick?'
'Polizeirevier Normstätten, Meier hier.'
'Ah, Melinda, noch nicht genug, wie?', fragte Kommissar Dick.
'Ähm... es geht um etwas anderes.... etwas dienstliches...'
'Oh, achso... Verzeihung.'
'Wir haben den Mörder von Hans Hasenschart hier auf dem Revier. Er hat sich gestellt.'
'Bodenständig? Erst haut er ab, dann stellt er sich?'
'Ich weiß nicht, wer er ist. Er sagte zuerst, er sei Zeuge des Mordes gewesen, und dann sagte er, er sei darüber hinaus sogar der Mörder.'
Die Leitung wurde unterbrochen. Kommissar Dick hatte wohl aufgelegt, sie wusste ja, wie stürmisch er sein konnte. Sie hatte da so ihre Erfahrungen mit ihm gesammelt...

Gabriel kehrte bereits gegen nachmittag zur Blockhütte zurück. Er trat ein und ließ sich auf einen Stuhl sinken.
'Hast Du etwas erreicht?', fragte Bodo interessiert.
Gabriel schüttelte den Kopf. Bodo's Interesse wich Enttäuschung.
Vier Personen saßen um einen Tisch in einer Blockhütte, irgendwo im Normstätter Wald und ließen allesamt den Kopf hängen. Vier Personen, darunter ein Engel, saßen um einen Tisch in einer Blockhütte, die dem Vize-Teufel gehörte, irgendwo im Normstätter Wald und bließen Trübsal.
Die Tür wurde aufgeschmettert, und ein breit über's ganze dämonische Gesicht grinsender Luthor stand in der Tür.
'Die Sache ist gebongt, Jungs! Oh, und Mädels natürlich!'
Die Hölle war auf Frauen angewiesen, um mit dem Himmel konkurrieren zu können. Männer neigten zwar offensichtlicher dazu, sich in gewalttätiger Form zu versündigen, aber die verdeckten, wirklich gemeinen Sünden, die wirklich üblen Dinge, die einen um den Verstand bringen konnten, dazu brauchte die Hölle einfach Frauen.
'???', fragten vier Trübsal blasende Gestalten, darunter ein Engel, an einem Tisch in einer Blockhütte, die dem Vize-Teufel gehörte, irgendwo im Normstätter Wald.
'Wir haben den Täter! Tim Tod! Er hat sich der Polizei gestellt!', jubelte Luthor.
'Moment mal...', bedachte Gabriel.
'Tim Tod... ist tot!', gab er zu bedenken.
'Ach, das übliche Kleingedruckte... Ignoriert es...', überspielte Luthor Gabriels Worte.
'Kleingedrucktes? Luthor... Tim Tod gibt es nicht mehr, wie kann er sich stellen können?'
'Oh doch, es gibt ihn... wieder. Wir mussten die ein oder andere Schönheitsbehandlung an ihm vornehmen, aber, doch, er weilt wieder unter den... ähm... denen, die auf Erden wandeln...'
'Ich fass es nicht! Das ist... Nekromantie! Sünde!', kreischte Gabriel hektisch.
'Erstens bin ich der zukünftige Satan - die Personifizierung der Sünde, ich habe verschiedene Verträge, in denen steht, daß ich sündigen kann bis zum Umfallen! Zweitens: Hältst Du es für ehrenhaft, als Engel ein Komplott gegen Gott zu schmieden?'
Gabriel wurde rot und schaute unter sich. ER wusste natürlich von Gabriel's Komplott, aber er lächelte nur darüber. Gabriel war nur ein Engel, er war bei weitem nicht mächtig genug. Zu Beginn dachte Gabriel noch, ER würde sich dabei in einem Irrglaube befinden, aber mittlerweile wusste er, daß er IHN niemals stürzen konnte. Er fand soch mit kleinen Drangsalierungen ab, die allesamt gegen Menschen gerichtet waren. Er hinterließ Stigmata, und lachte sich ins Fäustchen, wenn die Menschen sich darüber ihre kleinen Köpfe zerbrachen. Einmal verkleidete er sich als Heilige Mutter, um in einer Kirche auf und ab zu gehen und Leute zu erschrecken, aber er wurde erwischt, und bekam eine Therapie beim himmlischen Psychologen - wegen den Frauenkleidern.
Gabriel's Widerworte gegen die plötzliche Wiederauferstehung Tim Tod's verebbten, und Luthor erklärte die gesamte Idee. Nur den Geheimdienst und die besonderen Wünsche seines Chefs zur Pensionierung verschwieg er. In seiner Erzählung starb der Kamikaze-Dämon, sollten die Menschlein doch daran glauben, bis es soweit war. Es würde himml... fantastisch werden: Ein armer kleiner Strassen-Mörder, der nach der Hinrichtung aufsteht und sich einen Kaffee verlangt... Oh, er würde die Blicke der Menschlein genießen - Wie sie versuchten herauszufinden, was schiefgegangen war, wie sie alles auf den Kopf stellen würden, und wie das Chaos seinen Lauf nehmen sollte. Herrlich!

Kommissar Dick erschien auf dem Hauptrevier. Er rannte zu Melinda.
'Wo ist er?', fragte er.
'Da!', antwortete Melinda, und zeigte auf Tim Tod, der von zwei Polizisten festgehalten wurde, was allerdings aus zweierlei Gründen nicht nötig war.
Erstens: Tim wollte gar nicht weglaufen.
Zweitens: Hätte er weglaufen wollen, hätten ihn auch diese beiden irdischen Trottel nicht aufgehalten.
'Aber... das ist nicht... Bodo... Bodenständig.', stotterte der Kommissar.
'Ich bin Tim Tod, und ich habe Hans Hasenschart ermordet. Danach legte ich Bodo Bodenständig die Waffe in den Schoß.', erklärte Tim, der Kamikaze-Dämon.
'H-haben S-sie das?', stotterte Kommissar Dick.
'Ja.', grummelte Achim, der die Aufgabe hatte, das Geständnis auf Tonband aufzunehmen.
'Das erspart uns weitere Verhöre.', sagte der Kommissar, als er sich wieder gefangen hatte.
'Achim, bring ihn in die U-Haft-Zelle, wir sehen zu, daß wir morgen noch eine Verhandlung bekommen.', befahl Dick.
Achim packte Tim Tod grob am Arm, und führte ihn in seine Zelle, die selbe Zelle, in der bereits Bodo eingekerkert wurde. Darinnen schloß Achim hinter sich ab, stieß Tim zu Boden, und begann ihn zu treten.
'So, Du Mörder, Du kommst mir ja gerade Recht.', schrie Achim, als er sich in seinen künstlichen Zorn hineingesteigert hatte. Er trat Tim in den Bauch, immer und immer wieder.
Tim stand jedoch nichtsdestotrotz auf, was Achim schwer verwunderte. Er begann, Tim ins Gesicht zu schlagen.
Tim gefiel das gar nicht. Er packte Achims Arme, einen nach dem anderen, und brach sie ihm reihum. Das Knacken der Knochen bereitete Tim ein unglaubliches Vergnügen, das begann, sich ins Unermessliche zu steigern. Er schlug Achims Kopf so fest gegen die Wand, daß er zerplatzte. Als Dämon begann das Töten plötzlich wieder Spaß zu machen. Als Mensch war es einfach nur ein Job. Doch er nun hatte er seine Leidenschaft wieder entdeckt. Er würde noch eine Menge Zeit zum Töten haben, wenn er erst mal seinen Auftrag hinter sich gebracht hatte.

Die Presse war schnell, und bereits am nächsten Morgen schmückte Tim Tod's Bild die Titelseiten der Regionalzeitungen. Dabei war allerdings nur von einem Mord, die Rede - ach was würden sich die Journalisten freuen, wenn sie für das morgige Titelblatt wieder eine grandiose Sotry haben würden, mit der sie die heutige forstsetzen konnten.
Bodo war entlastet, und betrat seine kleine Normstätter Wohnung. Gabriel kehrte nach Hause, Dr. Nawiegeht's in ihre Praxis zurück, und Sylvia zog bei Bodo ein.
Auch Luthor verließ die beiden Turteltäubchen, um sich um seinen neuen Schützling, Tim Tod, den Kamikaze-Dämon zu kümmern.
Es kam zur Gerichtsverhandlung, und Tim wurde die Schuld an beiden Morden zugesprochen - Tod auf dem elektrischen Stuhl. Die Medien waren heiß auf diesen Event, und bezahlten horrende Summen, um die Hinrichtung live übertragen zu dürfen. Die Verantwortlichen nahmen diese horrenden Summen dankend an, obwohl sie die Genehmigung schon für weitaus niedrigere Summen erteilt hätten. Der Hauptverantwortliche war ein Schatten in einem großen Büro. Es ging ihm nicht um Geld. Es ging ihm um einen glatten Verlauf, der viel Aufsehen erregte, und Angst und Schrecken als Terrorwerkzeug einführen sollte, um das Volk gefügig zu machen. Es sollte möglichst viel Aufsehen erregen. Es sollte mehr Aufsehen erregen, als der Geheimdienstchef sich wünschte...

Der Tag der Hinrichtung kam, und Tim wurde in einen kleinen, runden Raum gebracht, in dem der elektrische Stuhl plaziert war. Er nahm Platz und schaute sich im Raum um. Ringsherum befand sich eine Spiegel-Verkleidung. Tim nahm an, daß sich die gaffende Menge dahinter auf ein Medienspektakel freute. Recht hatte er! Um den kleinen Raum befand sich ein weitaus größerer, dessen Unmengen von Stühlen in Hörsaal.Formation angeordnet waren. Dort befanden sich Kameras, Mikrophone und Unmengen von Fotoapparaten, Notizblöcken, Kugelschreibern und Füllhaltern. Die Menge wartete gespannt.
Inmitten des sensations- und blutgeilen Mobs saß auch Luthor, der sich auf das kommende Chaos freute.
Tim wurde festgeschnallt. Die Arme, die Beine, der Hals. Er bekam Kontakte an die Hände, und eine Krone voller Kontakte auf den Kopf, die dort mit Schraubzwingen zugezogen wurde, damit sie nicht herunterfallen konnte.
Das Licht im Hörsaal wurde gedimmt. Es schien zu beginnen. Kameras surrten und Kassettenrekorder wurden eingeschaltet.
Ein Pfarrer trat in den kleinen Saal.
'Mein Sohn...' begann er.
'Ich bin nicht aus Deinem dreckigen Schwanz geflossen! Und ich komme auch nicht aus der Gebärmutter der häßlichen Hure, die Du jeden Donnerstag besuchst!.' antwortete Tim.
Der Pfarrer lief schamesrot an. Die Menge war teils geschockt, teils erfreut. Luthor war besonders erfreut. Sollten Sie doch ihre Show bekommen. Und es fing bereits so gut an... Wie bei John Carpenter... Wow! Es lief besser, als Luthor erwartete.
'Mein...', wollte der beschämte Pfarrer erneut ansetzen.
'Halt die Fresse, Idiot, und verschwinde!', schnauzte Tim ihn an, er konnte dabei ein Lachen nicht verbergen - stand er doch auf der anderen Seite, hihi. Aber das konnte der arme Pfarrer ja nicht ahnen. Deshalb ließ Tim, der Kamikaze-Dämon ihn nun auch in Ruhe.
Der arme Pfarrer verließ den kleinen runden Raum.
Nun wurde auch dort das Licht gedimmt. Es war nun düster, wie in einer mondfinsteren Nacht, die nur vom seichten Schein einer einzelnen Straßenlaterne erhellt wurde.
Nun war es leichenstill im großen Saal, still, bis auf die surrenden Kameras und ähnliches journalistisches Beiwerk.
Alle warteten gespannt.
Dann begannen blaue Blitze über Tim Tod's Hände zu laufen, kurz darauf erschienen blaue Blitze auf Tim's Kopf, und plötzlich begannen die Blitze, sich ruckartig über den Körper zu verteilen. Rauchschwaden stiegen über Tim's Körper empor, dieser zuckte nur kurz auf, sackte dann in sich zusammen und hörte auf, sich zu regen.
Die Menge hielt den Atem an.
Nachdem sich der Dunst in dem kleinen Raum verzogen hatte, öffnete sich die Tür, und ein Arzt trat ein, um Tim Tod's Tod festzustellen.
Jeder Horrorgeschichten geneigte Leser, wird nun erwarten, daß Tim den Arzt gnadenlos in seine Einzelteile zerlegt, und wahrscheinlich hätte Tim das auch getan, wenn er nicht im Leben einen unerträglichen Hang zu amerikanischen Sitcoms gehabt hätte, und folgendes viel witziger fand:
Der Arzt kam näher und legte zwei Finger auf Tim's Hals.
Er wartete kurz, und sagte dann: 'Ich gebe hiermit Tim Tod's Tod bekannt!'
'Was, der arme Kerl ist tot? Ohje, was wird seine Witwe dazu sagen?', sagte Tim Tod lautstark, als er die Augen aufriß und den Kopf hob.
Der Arzt zuckte zusammen, und rannte schreiend raus. Das Publikum hielt erneut den Atem an.
Irgendwer, der gerade den richtigen Schalter vor sich hatte, gab nochmal eine gute Portion Saft auf den Stuhl, und Tim begann, im Rhytmus der Stromschläge zu tanzen - soweit das mit seinen Fesseln möglich war.
'Ein Wunder, er lebt! Befreit ihn von seinen Fesseln!', schrie Tim enthusiastisch, und der Pfarrer kam angerannt.
'Mein... Sohn?', fragte der Pfarrer ängstlich?
Das Publikum holte tief Luft, um bei all dem Atem anhalten nicht zu ersticken, und hielt dann noch ein bißchen den Atem an.
'Vater?', fragte Tim.
'Tim Tod, was kann ich für Dich tun?', fragte der Pfarrer.
'Tim Tod? Ooch, Mist, ich dachte, ich sei Luke Skywalker! Dann seid Ihr gar nicht mein Vater, Lord Vader!', antwortete Tim lauthals lachend, packte den Pfarrer und brach ihm das Genick mit einem Händedreh.
'Tut mir leid, aber Du arbeitest einfach für die andere Seite! Hey, holt einen Arzt für den toten Pfarrer!'
Jetzt begann das Publikum langsam, sich zu sammeln, um in einer Attacke von hilfloser Panik alle gleichzeitig den Raum zu verlassen, was natürlich schwierig war, da es nur zwei Türen und um die 200 Menschen in dem Hörsaal gab.
Polizisten tauchten auf, um auf Tim zu schießen, aber er lachte sie nur aus.
Luthor fand es mittlerweile nicht mehr witzig. Es war ein wenig zu viel Show, dachte er. Dieser Kamikaze-Dämon ersten Grades übertrieb gerade maßlos. Einen Pfarrer zu töten - nunja - war den diplomatischen Beziehungen nach oben nicht gerade dienlich.
'Pfarrer! Ärzte! Polizeibeamte! Unterdrücker! Nieder mit der Todesstrafe! Tötet die Tyrannen!', schrie Tim, und startete einen mörderischen Run auf eine Reihe von Polizisten. Während die panischen Menschenmassen versuchten, den Saal zu verlassen, hielt eine Reihe von Journalisten plötzlich inne. Hey, DAS war mal eine Story! Ein satanischer Robin Hood.
Langsam begriff Luthor, was Tim vorhatte. Ja, er servierte den Kopf des Geheimdiensttyps auf einem Silberteller. Mal sehen, was die kommenden Tage brachten.
Tim beobachtete die Journalisten, grinste selbstzufrieden, schrie noch einmal 'Freiheit dem Volke! Stürzt die deutsche Strafjustiz!', und ließ sich zufrieden erschiessen.
Wie plump, dachte Luthor. Und doch funktional. Na, prima, Tim, der Märtyrer-Dämon. Die Hölle wusste wirklich, Menschen zu manipulieren - und die Journalisten kritzelten einfrig mit. Luzi hätte seine Freude daran gehabt...
Ach Du Scheiße!, dachte Luthor plötzlich. Das war ihm vorher gar nicht aufgefallen.
Ein paar Reihen hinter ihm saßen Bodo und Sylvia, die nun begannen in seine Richtung zu winken. Niemand wollte Bodo wirklich in seiner Nähe haben. Luthor winkte geduldig zurück, setzte ein gefälschtes Lächeln auf, und suchte das Weite.
Bodo Bodenständig's Auftauchen ist vor allem deshalb von Belang, daß sich ein paar Leute aufgrund der chaotischen Aura, die Bodo überall hin folgte, gegenseitig tottrampelten, die ohne Bodo's Gegenwart die Sache bei lebendigem Leibe überstanden hätten. Die Journalisten hätten Bodo geliebt - machte es die Story doch noch tragischer! - und ihn wahrscheinlich sogar auf eine Tasse Tee eingeladen - am anderen Ende der Stadt, des Landes, oder der Welt auf der man selbst gerade welchen trank...


KAPITEL 7

Am folgenden Tag waren die Schlagzeilen zermürbend - wenn man Geheimdienstchef war. Der Schatten im Sessel hielt die Zeitung in der Hand. In seinem Büro war es ganz und gar nicht mehr schattig, und der Mann mit dem kantigen Gesicht, wirkte auch nicht mehr wie ein Schatten im Sessel, sonder vielmehr wie ein Geheimdienstchef im Sessel. Paul Pssst, so sein bürgerlicher Name, schüttelte den Kopf. Jetzt war er verärgert! Sein eigener Auftragskiller hatte die Sache versaut. Das Volk sollte zittern vor Angst! Und was tat es? Es lehnte sich gegen die Strafjustiz auf! Lästiges Beiwerk, das sein Beruf mitbrachte: Das Volk, pah!
Er hasste diese hirnlose Masse. Sie ließ sich natürlich problemlos manipulieren, und dann liebte er diese hirnlose Masse, aber wenn etwas dermaßen schief ging, dann hasste er sie. Ein Volk das sich auflehnte, war sicherlich nicht in seinem Interesse. Er brauchte eine Idee, nachdem der große Schlag nach hinten losgegangen war. Was konnte man gegen einen Märtyrer anrichten? Was konnte man jemandem antun, der bereits tot war, und der vielleicht zur Legende werden würde? Was hatte der Lord von Nottingham gegen Robin Hood in der Hand? Mary Ann? Doch es gab hier keine Mary Ann, Tim Tod war Auftragskiller, da hält man sich keine Mary Ann zuhause, man hat auch keine kleine Sally und keinen kleinen Peter, man verzichtet sogar auf einen Waldi oder eine Muschi - all das brachte der Job des Auftragskillers mit sich. Und selbst wenn man eine Mary Ann gehabt hätte - was hätte es einen toten Robin Hood gekratzt? Aber Robin starb nicht! Robin war kein Märtyrer! Aber Tim Tod war einer. Was sollte Paul Pssst tun? Er wusste weder ein noch aus.
Für einen einfachen Rat, er hätte sogar seine Seele verkauft, und wenn es sein musste sogar an den Teufel persönlich, wenn er das nicht schon lange hatte...
'Nein, bisher noch nicht.', sagte eine Stimme hinter ihn, als wolle sie auf seine Gedanken antworten.
'Bitte?', sagte Paul, als er sich umdrehte.
'Bleiben Sie ruhig sitzen, verehrter Herr Pssst.', sagte Luthor.
'Bisher haben sie Ihre Seele noch nicht verkauft - jedenfalls nicht uns. Aber wir wären an einem... Geschäft interessiert.', führte er fort.
'Und das... wäre?', fragte Paul.
'Hier.', sagte Luthor, und legte eine Waffe vor Paul auf den Tisch.
'Erschiessen sie sich, und wir regeln das hier.', bot er an.
'Was?'
Paul Pssst traute seinen Ohren nicht.
'Das... Ich... Nein, ich werde einen Teufel tun!', plärrte Paul verstört.
'Darum geht es ja gerade. Der Teufel erwartet Sie. Wenn Sie jetzt bitte sterben würden. Wir können Sie natürlich zu nichts zwingen, und Sie wissen nur zu gut, daß ich Sie nicht töten darf, nicht wahr. Also müssen Sie es schon selbst tun. Machen Sie schon!'
Doch Paul ließ sich natürlich nicht zum Sterben überreden.
Luthor redete auf ihn ein, und irgendwann wurde Paul einfach ohnmächtig. Als er wieder erwachte, war Luthor gegangen.
Verdammt, dachte Vize-Satan.
Es musste doch einen Weg geben...
Und dann kam ihm die Erleuchtung.

Bodo und Sylvia waren gerade mit dem Frühstück beschäftigt, als es an der Haustüre klingelte. Bodo blickte hinaus, und erkannte Luthor.
Luthor wurde freundlich empfangen, bekam einen Stuhl angeboten, eine Tasse Kaffee, ein Brötchen mit Marmelade und ein Frühstücksei.
Und als sie so zusammensaßen und frühstückten, kam Bodo der grandiose Gedanke, daß es möglicherweise sogar einen Grund für Luthor's Besuch geben könnte.
'Luthor, was gibt's?', fragte Bodo.
'Nun... Du weisst, wer ich bin, oder?'
'Ja, Luthor. Also, was gibt's?'
'Nein, nein. Ich meine, was ich bin, das weisst Du oder?'
'Hmm... Ich glaube, Du bist ein Agent.'
Luthor lachte laut schallernd.
'Haha, das ist gut! Ja, ein Agent, so könnte man es auch nennen, haha.'
Luthor fing sich allmählich wieder, gemahnt von Bodo's fragenden Blicken.
Luthor erzählte Bodo und Sylvia, wer er war. Daß er im Moment noch Lehrling des Teufels sei, und demnächst in seine krallenhaften Fußstapfen treten werde. Er erzählte nicht, daß Bodo in der Hölle genau so unbeliebt war, wie im Himmel, aber er erzählte, daß Tim bereits vor der Hinrichtung tot gewesen sei, daß Luthor ihn als Kamikaze-Dämon wiederbelebt habe, und daß er somit Bodo's Arsch gerettet habe.
'Wobei wir beim Geschäft wären. Du schuldest der Hölle noch einen kleinen Dienst.', erklärte Luthor.
'Ach? Und der wäre?', fragte Bodo.
Luthor erzählte Bodo von den finsteren Plänen des Geheimdienstchefs. Luthor erzählte allerdings nichts von dem Pensionierungsgeschenk für Luzi.
'Und Du sollst diesen Paul Pssst beschatten. Als sein neuer Auftragskiller oder Leibwächter, oder wasauchimmer. Na, was hältst Du davon?'
Bodo hielt nichts davon. Sylvia hielt noch viel weniger davon. Aber Luthor hielt eine Menge davon, denn auch hier ließ er einen wichtigen Teil der Fakten kurzerhand beiseite. Es ging Luthor nicht darum, Informationen über Paul Pssst zu bekommen, die konnte er aus anderen Quellen weitaus günstiger beziehen. Es ging um Bodo's Aura des Chaos. Nach einer Weile in Bodo's Nähe musste Paul Pssst früher oder später einen tödlichen Unfall haben. Und deshalb musste Bodo so oft in seiner Nähe sein, wie er nur konnte.
Bodo ließ sich breitschlagen, Sylvia von Bodo besänftigen. Alles schien gut zu laufen. Luthor war zufrieden, und fädelte alles so ein, wie er es benötigte. Ein paar Menschen wurde geschmiert, ein paar Gehirne verdreht, und im Nu war Bodo Leibwächter des Geheimdienstchefs Paul Pssst, der seit seinem Treffen mit Luthor ganz versessen auf die Idee war, den ein oder anderen neuen Leibwächter einzustellen.
Bodo sollte nicht großartig rumschnüffeln, er sollte einfach nur gut zuhören, und alles tun, was Paul Pssst ihm auftrug.
Dieser hatte eine kleine Garde von fünf Leibwächtern um sich, die ständig vor seiner Tür, und gelegentlich auch in seinem Zimmer Wache hielten. Diese fünf Leibwächter wechselten sich wiederum mit fünf anderen Leibwächtern ab, es gab also eine Tag- und eine Nachtwache. Bei der Nachtwache wurde auch Bodo eingeteilt.
Luthor hatte genau das erreicht, was er wollte. Nun hieß es bloß noch abzuwarten.

'Bist Du irre?', fragte Luzi.
'Aber warum denn?', stellte Luthor als Gegenfrage.
'Meinst Du nicht, daß Bodo vielleicht etwas passieren könnte?'
'Ups.', bemerkte Luthor.
'Da haben wir wohl ein bißchen Scheiße gebaut, Herr Azubi!', sagte Luzi.
'Ich halte ein Auge auf ihn, okay?'
'Ja. Ja, das wäre angemessen. Ja, ja eine wirklich gute Idee. Die hätte glatt von mir sein können!'

Die Nacht kam, und Bodo erschien zur Arbeit. Er hatte nicht viel zu tun, er sollte lediglich die Tür zu Paul Pssst's Büro zusammen mit vier anderen Leibwächtern bewachen. Bodo bemerkte ein Schild an der Bürotür, auf dem stand 'Paul Pssst, Chef des deutschen Geheimdienstes', und fand es doch äußerst merkwürdig, daß ein solches Türschild existierte. Er fand es sowieso äußerst merkwürdig, daß der Chef des deutschen Geheimdienstes sein Büro in Normstätten hatte, und so langsam wunderte ihn nichts mehr. Also wunderte es ihn auch nicht, daß plötzlich Gabriel auf ihn und seine Kollegen zukam.
'Mein Junge, was tust Du da?', fragte Gabriel.
'Mein Herr, was tun Sie da?', fragte einer der Leibwächter. Gabriel schnippte mit dem Finger, und vier der fünf Leibwächter fielen schlagartig in sich zusammen und begannen zu schnarchen.
Der fünfte Leibwächter war Bodo.
'Also, mein Junge, bist Du jetzt ein Ein-Mann Selbstmordkommando? Was tust Du hier, zum Himmel nochmal?', wiederholte Gabriel seine Frage.
'Ich... Ich bin jetzt Leibwächter.', sagte Bodo.
'Aha. Und warum, wenn ich fragen darf, bist Du plötzlich Leibwächter des deutschen Geheimdienstchefs?'
'Oh, das hat Luthor eingefädelt.'
'Achso, das hat...', begann Gabriel.
'Das hat wer?', begann er nochmal.
'Der hat was?' setzte er erneut an.
'Du machst das weil der was?', probierte Gabriel zu sagen.
Gabriel nahm tief Luft, überlegte einen kurzen Moment und begann von vorne.
'Luthor hat Dich zum Leibwächter des Chefs des deutschen Geheimdienstes gemacht?'
'Ja.'
'Warum?'
'Weil ich...'
Bodo's Gesicht näherte sich Gabriel's Ohr und begann zu flüstern.
'Weil ich Informationen sammeln soll. Über diesen Herrn Pssst.'
Gabriel überlegte. Er verstand es nicht. Warum wollte Luthor Bodo zuerst retten, und übertrug ihm dann nach gelungener Rettung solch eine selbstmörderische Aufgabe? War Luthor sich etwa sicher, daß Bodo sauber genug war, um im Himmel zu landen? Luthor selbst konnte Bodo nicht töten, das verbot ihm sein teuflischer Codex als angehender Satan. Sollte es also so passieren? Sollte irgend ein Irrer reinstürmen, und Bodo töten? Wenn dem so war, musste er Bodo zum Sündiger machen, bevor er im Himmel landen würde. Aber wie?
'Bodo, warum tötest Du nicht einfach die Wachen, sie behindern Dich doch nur bei Deiner Informationssammlung, oder nicht?'
'Gabriel! Nein, soetwas tue ich nicht!'
Plötzlich stürmte irgendein Irrer herein und hielt Gabriel und Bodo eine Maschinenpistole vor die Nase.
'Was ist hier los?', fragte er, auf die Wachen deutend.
'Ach, die schlafen nur.' erwiederte Gabriel.
'Wo geht's zum Chef des deutschen Geheimdienstes?', fragte der Irre.
'Hier,diese Tür ist es.', antwortete Bodo in Gedanken.
'Danke, erwiderte der Irre, und verschwand.
'Wenn die Wachen aufwachen, könnten sie sauer auf Dich sein, Bodo.', sagte Gabriel.
'Warum sollten sie?', fragte Bodo.
Plötzlich ertönte ein Schrei, gefolgt von mehreren Schüssen aus einer Maschinenpistole.
'Weil Du das gerade nicht verhindert hast.', antwortete Gabriel.
Die Tür öffnete sich, der Irre trat heraus und verabschiedete sich.
'Danke nochmal, Kumpels. Schönen Tag noch.', sagte er und verschwand dorthin, woher er gekommen war.
'Was verhind...', setzte Bodo an, doch dann begriff er.
Auf dem Boden begann es zu dampfen.
Es begann außerdem nach Schwefel zu stinken, noch mehr zu dampfen, noch mehr nach Schwefel zu stinken, und noch viel viel mehr nach Schwefel zu stinken. Inmitten einer stinkenden Schwefelwolke erschien Luthor.
'Danke, Bodo. So ungefähr hatte ich mir das vorgestellt.'
Gabriel und Bodo schauten Luthor schockiert an.
Gabriel blickte schockiert, weil Luthor Bodo so schamlos mißbraucht hatte.
Bodo blickte schockiert, weil er Luthor nicht verstand.
'Gabriel, es gibt nichts mehr zu tun. Bodo, sieh zu, daß Du Land gewinnst. Macht's gut Jungs, vielleicht sehn wir uns ja mal wieder. Ähm... Bodo, wäre ganz nett, wenn Du auf dem Pfad der Tugend bleiben würdest... und vorerst noch nicht sterben, ja?'. Und mit dem Schwefeldampf verzog sich auch Luthor wieder.
'Bodo...', begann Gabriel.
'Gabriel?', fragte Bodo.
'Laß uns verschwinden.'
Gabriel winkte mit der Hand über den schlafenden Körpern der Leibwächter, und Bodo und er sahen zu, daß sie Land gewannen.
Gabriel ließ die Leibwächter vergessen. Vergessen, daß sie mehr als nur vier Leibwächter waren. Vergessen, daß es ihn und Bodo gab.

Zuhause angekommen war zunächst mal ein ernstes Gespräch fällig.
Was hatte Luthor sich ungefähr so vorgestellt? Warum hatten er und der Engel so großen Interesse ihm zu helfen? Was war so besonderes an ihm? Warum waren sowohl Himmel als auch Hölle so an ihm interessiert?
'Nein, um Gottes Willen! Wir sind nicht an Dir interessiert, im Gegenteil!', betonte Gabriel.
'Bitte?', fragte Bodo.
Sylvia hörte gespannt zu.
'Es geht eher darum... daß Du möglichst nicht sterben solltest, und möglichst nicht im Himmel erscheinst. Und Luthor und der Teufel wollen, daß Du möglichst nicht in der Hölle erscheinst.'
'Also mag mich keiner von Euch?'
'Nunja... also... ähm... Naja, es mag hart klingen, aber: Ja!'
'Bin ich dann... unsterblich?'
'Nein, leider nein. Irgendwann wirst Du sterben, und es kommt auf Dich an, wo Du dann landest. Es wird immer einen Engel geben, der versucht, Dich zu verleiten, und einen Teufel, der Dich auf dem Pfad der Tugend führen will...'
'Aber warum wollt Ihr mich nicht?', fragte Bodo.
'Es ist... Deine Aura. Du ziehst eine Spur von Chaos und Unglück hinter Dir her. Du selbst kommst da meistens heil heraus, aber Dein Umfeld kann einem wirklich leid tun. Der Irre, der Paul Pssst ermordet hat... Deine Aura hat ihn irgendwie angelockt. Ich bin mir sicher, Paul Pssst hätte den Tag überlebt, wärst Du nicht in seiner Nähe gewesen. Und Luthor wusste das. Er wollte, daß Paul Pssst stirbt. Aber frag mich nciht, warum.'
Warum Luthor Paul Pssst zur Hölle fahren lassen wollte, interessierte Bodo im Moment eigentlich auch nicht besonders. Bodo musste nun zuerst einmal mit seinem Fluch... seinen Fähigkeiten umzugehen lernen. Lernen, die in Sicherheit zu halten, die er liebte... Sylvia.
Es würde alles so kompliziert werden...
Aber er hatte auch eine neue Aufgabe. Er konnte ein neues Leben beginnen, ein neues Leben mit einem neuen Lebensgefühl und einem neuen Bewusstsein. Irgendwie fühlte Bodo sich wie neu geboren.
Sylvia lief nicht schreiend davon, also nahm er sich die Freiheit, sie in seine Zukunft einzuplanen.
'Ich muß jetzt gehen.', sagte Gabriel.
'Aber denk dran: Ich werde ein Auge auf Dich halten!'
Und mit diesen Worten verschwand er so lautlos, wie Engel auftauchen oder verschwinden. Effektgeile Hölle, mit ihrem Schwefeldampf und ihren Blitzen, pah!
Sylvia und Bodo sahen an die Stelle, an der soeben noch Gabriel stand.
Sie waren sich sicher, daß sie ihm nicht das letzte Mal begegnet waren.


EPILOG

'Alles Gute zur Pensionierung, Boss!', sagte Luthor, und stellte Luzi ein mannshohes Paket vor die Nase.
'Danke schön, Luthor. Das hab ich mir jetzt aber wirklich verdient, nach all den Milliarden von Jahren... Aber ich bin jetzt auch nicht mehr Dein BOSS, Luthor!'
'Ach, Luzi, Du wirst irgendwie immer mein Boss bleiben. Nun pack schon aus!'
Luz packte sein Geschenk auf. Unter all den Schleifen und dem Geschenkpapier befand sich ein Geheimdienstchef, der in unverständlichen Lauten fluchte wie ein Rohrspatz.
'Oh, Luthor, das ist zu lieb von Dir. Vielen vielen Dank, mein Bester!', freute sich Luzi.
'Ach, Boss. Es kommt von Herzen! Was hast Du jetzt vor, Luzi?'
'Ich werde irgendwo mit Herrn Pssst in die Karibik reisen, und sort ein wenig Krieg mit den Eingeborenen spielen. Vielleicht den ein oder anderen Vulkan beleben oder erlöschen lassen, mal sehen. Herr Pssst würde bestimmt auch gerne in einem schönen Vulkan in der Karibik wohnen, nicht wahr, Herr Pssst?'
Herr Pssst fluchte, aber man verstand kaum ein Wort. Luthor hatte ihn ein wenig präpariert, so daß er nicht beginnen konnte zu nerven, und Luzi's Pensionierung zu versauen.
Luthor und Luzi verabschiedeten sich voneinander, und Luzi und sein Geschenk verschwanden.
Nun hatte Luthor also das Ganze. Die ganze Verantwortung - den ganzen Spaß.
Es würde eine lustige Erfahrung für Luthor werden, endlich der eigene Herr zu sein, auch wenn Luzi sich ihm gegenüber nie sonderlich bevormundend gegeben hatte.
Wichtig war nur, Bodo von hier fernzuhalten, dann bliebe alles in Butter, wie man auf der Erde so schön sagte.
Es war schon spät, selbst für Höllenzeiten.
Luthor zettelte noch schnell einen kleinen Bürgerkrieg in irgendeinem unwichtigen Land in der dritten Welt an, und ging dann schlafen - ruhigen Gewissens, daß Bodo sich weit weit weg befand.


ENDE

 

Hallo Chryso

Ich fand deine Geschichte wirklich witzig (abgesehen von einigen Rechtschreibfehlern).

Ich gebe ProgMan recht: Deine Geschichte ist wirklich zu lang. Ich habe sie zwar ganz gelesen, musste aber zwischendurch immer wieder Pausen einlegen...

Stones

 

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