Hei @Wortspielerin,
ganz herzlich willkommen! (Sori, ich finde grad die Zitierfunktion für einzelne Textstellen nicht mehr, daher deinen Part in fett.)
Dunkle Streifen ziehen durch das helle, klare Land.
Als ich mit dem Satz fertig war, hatte ich die ‚dunklen Streifen‘ vergessen, weil mir das mit dem ‚hellen, klaren Land‘ gefiel. So kann man eigentlich nicht sinnvoll eine Landschaft beschreiben, aber es ist hübsch schräg und gibt mir einen guten ersten Eindruck vom Erzähler. Ich habe nicht grundsätzlich etwas gegen eine Häufung von Adjektiven, wenn die ungewöhnlich sind, dem Satz einen besseren Rhythmus geben und ich den Eindruck habe, sie sind nicht wahllos gesetzt, i.e. aus Faulheit. Dann fallen mir die Streifen wieder ein, und ich stoße mich daran, dass ein ‚sich‘ fehlt – ich nehme mal an, die ziehen sich durch etwas, wie die Risse von Torfabbau oder die Siele im Watt. Ohne ‚sich‘ klingt das, als würden die da mit einem eigenen Antrieb durch die Landschaft laufen wie Wanderer oder eine Pferdeherde, und dann hab ich ein unfreiwillig komisches Bild hier. (Klar, man sagt auch ‚Wolken ziehen über den Himmel‘, aber das ist eben physikalisch möglich, wenn auch Jet Streams - streifige Wolken - zu hoch sind, um herumzuziehen.)
Also, dass ich all diese Assoziationen bekomme, spricht nicht für deinen Einstieg – und das ‚dunkle‘ sollte raus, weil a) drei Adjektive bei aller Liebe ein Overkill sind, das b) keine zusätzliche Information bietet und c) das die anderen beiden Adjektive eben wahllos und faul gesetzt aussehen lässt.
Schmerzende Lava explodiert aus der grauen Erde und hinterlässt zitternde Fußabdrücke aus tiefer Dunkelheit. Ein junges Reh, es flieht wie ein goldener Schimmer in die grüne Ferne, ein Funke, nur ein kleiner goldener Reiz schwebt auf die Gräue. Wie eine feuernde Fontäne schießt der Kern in die zähe Luft, schreit das Reh durch das Tal und klappert kämpfenden durch die nasse Erde.
Wiechen? (Meine Reaktion war: What the actual fuck?! Aber du bist neu, ich schätze auch deinen Mut, einen solchen sicher ziemlich persönlichen/emotionalen Text hier einzustellen, und möchte mal höflich sein).
Schmerzende Lava – das geht so nicht, nicht als Symbol, als Bewusstseinsstrom, sonstwas – dies ist ein literarischer Text, also: Ein Autor arbeitet mit Sprache, um dem Leser etwas mitzuteilen. Irgendwie klingt das wie ein billiger 70er Jahre Porno. Surrealismus, assoziatives Schreiben, Symbolismus ist alles okay – aber auch das braucht einen sinnvollen Aufbau, eine ordnende Hand der Autorin, ihre Ideen in eine ästhetische UND zumindest in Ansätzen nachvollziehbare Ordnung zu bringen. Alles andere ist Automatisches Schreiben, und das ist sicher eine gute Übung, aber für fremde Augen / Veröffentlichung ungeeignet.
Das Wort ‚Gräue‘ existiert nicht (ein Funke schwebt oder leuchtet im Grau, von mir aus, das hätte auch eine gewisse Härte, die dem gesamten Text fehlt). Fußabdrücke zittern nicht, weder im konkreten, noch in irgendeinem übertragenen Sinne. Dann ist das Reh (Bambis Mutter ist tot!) ein dermaßener Kitsch-Overkill, dass es mich nun echt komplett aus dem Text wirft. Sori, bei allem gutem Willen, bei sowas kann und will ich nicht mehr mitgehen.
Das Reh klappert? As in: Gerippe? Hufe klappern (obwohl das ein sehr grober Ausdruck in all diesem Drama ist), aber dann auch sicher nicht in nasser Erde.
Das einzige, das alles ist, was bleibt, ist das Wunder der Zeit.
Der Text wechselt öfter unvermittelt die Perspektive zwischen symbolschweren, sehr persönlichen Assoziationen und Behauptungen (XY ist soundso), was es einem erschwert, hier einen Protagonisten oder zumindest Erzähler zuzuordnen – eigentlich liest sich das wie zwischengeschobene Aussagen, die die Autorin machen will, wenn sie mal mit den Bildern eine Pause machen muss (keine Unterstellung, sondern mein Leseeindruck!). Auch die zerfaserte Erzählperspektive macht das Erfassen von etwas wie Plot, Prämisse, Setting etc. sehr mühsam.
Zuckend flattert das Lied durch den zehrenden Rauch.
Zehrend heißt etwas sich einverleiben, wovon nicht viel da ist. Das ergibt für mich zusammen mit Rauch absolut kein Bild.
Nur die Zeit, die nichts ist, hilft dem, der sie nicht kennt.
Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Nicht nur, weil etwas, das nicht ist, auch nix kann. Sondern, weil die Zeit willenlos und unbelebt ist, quasi ein neutrales Konzept (ich sag das mal so, weil sich Astrophysiker immer noch streiten, ob es ‚Zeit‘ überhaupt gibt).
Das Blut ist das Objekt, das Rinnen des Blutes ist abhängig von der Zeit.
Ein Objekt wessen oder wofür? Nicht das Rinnen ist abhängig von der Zeit, sondern entweder auch alles andere oder gar nichts, eben besser: das Rinnen als eine Bewegung/Veränderung selbst beschreiben. (Zeit ist ja nur durch Veränderungen wahrzunehmen.)
lechtzend -> lechzend (Vorsicht: Fehler in Pathostexten erzeugen Komik = Ironie entsteht durch die Diskrepanz zwischen dem Gesagten und der Aussage.)
Zeit und Blut und Macht und Freude und Luft und Atem und Wärme und Sorge.
Wieder so eine Behauptung, die da so reingegrätscht wird, und die Hälfte davon sollte gestrichen werden, um für fremde Augen eine Assoziationskette ansatzweise nachvollziehbar zu machen.
Ich breche hier mal ab.
Da ich nicht genau weiß, was du eigentlich schreiben wolltest, fällt es mir ein bissl schwer, dir einen Tipp zu geben. Aber egal, was deine Intention war, würde ich raten:
- Aus all den Assoziationen maximal vier dominante Bilder herauszusuchen, die du passend und sinnvoll einsetzt und vor allem ein-/herleitest – auch im Sinne eines Plots (selbst wenn das mehr eine innere Handlung denn Action ist).
- Eine in sich stimmige (auch stilistisch stimmige) Erzählstimme zu schaffen, die nicht wechselt zwischen auktorial und die der Autorin.
- Weniger Pathos! Und stimmige Bilder, das meine ich durchaus im physischen/physikalischen Sinne. Also mehr Nachvollziehbarkeit schaffen (das muss ja nicht Mainstream sein). Schön wäre es, wenn die Bilder einen thematischen Fluss - also eine Art symbolischer Folgerichtigkeit, die auch von Fremdlesern erfasst werden kann – bilden würden.
- Wähle ein klares Thema, ein Bild, eine Sache, die du erzählen willst. Lass den Text eine Weile liegen und/oder lies ihn dir laut vor, um mehr kritische Distanz zu bekommen. Es liest sich, als hättest du dich zu sehr von deinen Worten treiben lassen und das dann uneditiert gepostet. Das ergibt selten einen guten Text.
Ästhetische Texte entstehen nicht automatisch durch die massive Anhäufung ‚schöner‘ Wörter, sondern durch die klare, individuelle Hand des Autors, der genau weiß, wohin er seinen Leser wie führt.
Kennst du das Gedicht „Der Gott der Stadt“ von Georg Heym? Das ist auch ziemlich dramatisch oder gar pathetisch, ein expressionistischer Text, der eine deutliche Kritik an der industriellen Großstadt ist. Das ist EINE klare, nachvollziehbare Symbolik, die sich durch das ganze Gedicht zieht, auch wenn die einzelnen Bilder der Phantastik und nicht der Realität entliehen sind.
Ich wär mal sehr gespannt, was du draus machst! Wirklich neugierig.
Viele Grüße,
Katla
p.s. Philosophisches kann ich hier nicht erkennen. Das bedingte, eine These und ihre Herleitung aufzustellen, und durch eine Kette von stark individualistischen Assoziationen allein ist das unmöglich. Und Seltsam enthebt einen Autoren nicht davon, einen literarisch gut strukturierten Aufbau und den Hauch eines Plots bzw. zumindest einer Prämisse zu leisten.