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Blumen
Blumen
Langsam fiel das Licht, weiß schimmernd im Tau des Morgens, über die blassen Kurven des Bauches. Über die Rosen, die sich an den Hüften bis zu den Schultern und über die Armen entlang schlängelten. Auf das faule grün des Grases und auf die dürren Äste der Bäume. Der Morgen war noch jung. Der Himmel schien, als wäre die Nacht gerade schlafen gegangen. Es war Herbst. Der Wind wurde an den Dornen aufgeschürft und brachte einen Hauch des Winters mit sich. Die Augen waren schmal geöffnet, sodass man das Blau in ihnen bloß erahnen konnte. Rosa war immer glücklich gewesen. Eines bunten Tages vergaß sie jedoch zu blühen. Ihre Augen wurden immer müder und müder. Es waren die Augen einer Unglücklichen. Der farbenlose Herbst, meinten sie. Die Blätter fallen von den Bäumen und werden zerrissen durch die Luft geschleudert. Der Baum legt sein Kleid ab und enthüllt seine knöcherne Gestalt.
Durch ein Glas kann man zwar alles wahrheitsgetreu beobachten. Und doch trennt es zwei verschiedene Welten. Was außen welkte und sich der Natur hingab, konnte in einem Glashaus blühen und seine Vielfalt beibehalten. Und was außen im Sommer blühte, durfte im Winter auch im Glashaus blühen. Ähnlich war es auch mit der Frau, die sich um sie kümmerte. Von außen wirkte Rosa lebendig und war schön. Innen aber, fraß der Geist an ihr. Nächte verbrachte sie im dunklen Zimmer. Fieberhaft überlegte sie über dies und das. Hatte sie den einen Gedanken fast zu Ende gedacht, verlor sie ihn kurzerhand und konnte ihn nicht zu Ende denken. Gedanke um Gedanke schoss durch ihren Kopf und sie konnte keine Ruhe finden. Als sie eines Tages nach einem Spaziergang nach Hause kam, es war besonders schön gewesen und die Vögel schenkten ein bisschen Licht an ihr Herz, da kam sie bei der Türe herein und fand auf dem Küchentisch eine Tulpe vor. Sie nahm die Blume mit einem schmalen Lächeln an die Brust und schwelgte in mystischen Abenteuern. Sie ging entlang eines Weges, der durch eine Wiese führte. An ihrer Seite war ein hübscher Junge mit langen Haaren. Selten fiel ein Wort, und wenn eines fiel, war es meist belanglos. Schüchtern blickte der eine der andern in die Seele und umgekehrt. Schimmernd verschmolzen die Farben des Regenbogens mit den Mänteln der wundersamen Geschöpfen. Nun war es so weit. Hand in Hand konnten sie dem Grauen entschwinden. Dieser trostlosen Gegend, in der der Herbst seine Farben abgelegt hatte.
Ab da machte sie diesen alleinigen Spaziergang zu ihrer Gewohnheit. Jedes Mal wenn die Sonne kurz davor war, mit dem Horizont zu verschmelzen, machte sie sich auf den Weg. Jedes Mal wenn sie sich ihre Schuhe zuschnürte und ihr Handy in ihre Tasche packte, hatte sie endlich einen Gedanken, der das Potenzial hatte, zu Ende gedacht zu werden. Und jedes Mal, wenn sie erwartend von ihrer Promenade zurückkam, fand sie eine andere Blume auf dem Tisch. Lilien, Glockenblumen und auch Sonnenblumen. Alle Arten waren unter ihnen vertreten.
Als eines Nachts ein heftiger Sturm tobte wurde Rosa von einem Albraum heimgesucht.
Lebhaft tanzten die Frauen und Männer. Gelächter hallte durch den gesamten Saal. Weiß verhüllt, lachte auch Rosa und trank und schmiegte sich an seine Hand. Der Saal war vollgestopft mit prunkhaftem Gedeck und Tüchern. Bilder füllten die leeren Stellen der Wand aus. Die Menschen schwebten im Alkohol und der Musik, die durch die Luft hallte.
Nicht weit entfernt arbeitete Rosa ansonsten. Sie beschloss frische Luft zu schnappen und entschuldigte sich für einen kurzen Moment. Draußen blickte sie in den funkelnden Himmel. Die Nacht war klar und ein leichter Fön wehte durch die Luft. Auf einmal nahm der Wind jedoch an Geschwindigkeit zu. Rosa wurde überrascht zu Boden geworfen. Sie fiel mit dem Kopf auf einen Stein und verlor die Besinnung. Als sie erwachte, schien der Traum vorbei zu sein.
Das Zwitschern der Amsel und das Lärmen eines Rasenmähers drangen durch das Fenster. Kindergelächter erreichte durch das Vorzimmer ihre Ohren. Verschlafen und noch ein bisschen verängstigt stand sie auf und begab sich in das Vorzimmer. Immer lauter wurde das Gelächter der Kinder. Der Rasenmäher spielte die Musik, zu der sie tanzten. Rosa stand nur herum, wunderte sich einerseits über das plötzliche Auftauchen der Kinder, war aber andererseits begeistert von dem lustigen Schauspiel, dass sich ihr bot. Ein Traum war das mit Sicherheit noch, dachte sich Rosa. Wenn die echte Welt auch so sorgenfrei wäre. Und plötzlich verstummten die Kinder. Sie setzten sich und Rosa konnte ein Glänzen in ihren Augen ausmachen. Immer dunkler wurden die Augen der Kinder. Langsam schlossen sich ihre eigenen Augen und sie spürte wieder die wärmenden Daunen des Bettes. Eine Weile schlummerte sie noch vor sich hin. Draußen brummten die Autos vorbei. Als sie sich im Bad frisch gemacht hatte und eine Tasse Kaffee ihre aufputschende Wirkung zeigte, war sie wieder bei Sinnen. Sie packte ihre Tasche und begab sich auf die Straße. Eine graue Gestalt offenbarte sich ihr. In einen schwarzen Anzug gesteckt, lief sie die Straße entlang auf sie zu. Entsetzt lief sie über den nassen Asphalt davon und konnte sich in eine entlegene Garage retten.
Es war finster. Die Lampen spendeten kaum Licht. Der Mann lachte sehr laut. „Endlich hab ich dich!“, rief er. „Endlich hab ich dich!“