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Blumen für Jimminy

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04.03.2004
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Blumen für Jimminy

Das Gebäude der Universitätsklinik für Tiermedizin in München war bereits vor hundert Jahren zwischen dem damaligen Bohème-Viertel Schwabing und dem Stadtpark errichtet worden. Auch heute noch grenzt das Gelände an die großzügige Parklandschaft des „Englischen Gartens“, welche die Isar beinahe zu einem Viertel ihres Weges durch die Stadt begleitet.
Alessandro Antinori ist neunzehn Jahre alt und schon Frührentner. Er liebt den Park mit seinen weiten und verschlungenen Wegen, auf denen er täglich bei fast jedem Wetter stundenlang spazieren geht. Seine Schritte führen ihn am Ende stets zur Tierklinik; Alessandro liebt besonders die kleinen Nebengebäude, in denen viele kranke Tiere behandelt und umsorgt werden, aber vor allem kommt er wegen seines Freundes Jimminy, der dort schon beinahe seine ganze Schimpansen-Jugend verbracht hat.
Jimminy bewohnt einen eigenen Anbau gleich neben der Kleintier-Ambulanz nahe am Ufer des Eisbachs, wo die Stock-Enten ihre Schlafplätze haben. Alessandro besucht das zutrauliche Tier beinahe jeden Morgen. Es besteht eine Wesensverwandschaft zwischen den beiden, aber der Junge allein weiss, daß es auch eine Schicksalsverwandschaft gibt.
Der Frühling zieht ein in den Park und in die Stadt, er macht die Gesichter der Menschen hell und ihre Herzen leicht. Sein Licht und sein warmer Atem zaubern überall neue Schönheit hervor und die Welt wird aufregend, bunt und fröhlich.
Das ist auch die Zeit, wenn die Bananen aus Südamerika besonders billig werden. Ein kleiner Trost nur für Jimminy und Alessandro, denn der fröhliche Aufruhr von Gefühlen und Instinkten berührt die beiden wenig. Ihre Welt der Empfindungen ist geprägt von Gleichmut und sanfter Geduld.
„Gimme five,“ sagt Alessandro und sein Freund streckt ihm durch das Gitter seine erhobene Handfläche mit den gespreizten Fingern entgegen. Die Pfleger und Ärzte lachen und schütteln gelegentlich ein wenig neidisch den Kopf; noch nie hat der Schimpanse einen von ihnen auf diese kumpelhafte Weise begrüßt oder gar verabschiedet.
„Wie machen sie das nur, Herr Antinori?“ wird er regelmäßig gefragt.
„Ich weiss es nicht, wir verstehen uns einfach,“ ist stets die etwas kryptische Antwort.
Das ganze Frühjahr hindurch beschäftigen sich die beiden hingebungsvoll mit dem Hütchenspiel. Erst sind es zwei, dann drei Hütchen, die Alessandro vor den wachen Augen seines Freundes hin und her schiebt, anfangs ganz langsam und bedächtig, dann mit immer flinkeren Zügen.
Als der Sommer in die Stadt kommt, ist Jimminy in dem Spiel so gut geworden, daß es Alessandro kaum mehr gelingt, ihn hinters Licht zu führen. Irgendwann hört der Schimpanse sogar völlig auf, den Handbewegungen seines Mentors zu folgen. Er weiss von da an stets mit untrüglicher Sicherheit, unter welchem Hütchen das Gummibärchen versteckt ist. Zur Belohnung steckt er sich die Trophäe dann genüßlich in den Mund.
„Das ist wahrscheinlich keine große Kunst, ich glaube, er kann ganz genau riechen, wo die Dinger sind,“ sagt Frau Dr. Concha diplomatisch, weil sie sich langsam um die Zahngesundheit und das zunehmende Körpergewicht ihres Schützlings Sorgen macht. Sein Gebiss ist sehr anfällig für Karies geworden in letzter Zeit.
„Das ist nicht wahr, Frau Doktor, schau‘n sie her!“
Alessandro ersetzt das Gummibärchen durch eine Fünf-Cent-Münze. Jimminy bleibt weiterhin unfehlbar, obwohl er lieber Weingummi kaut als Kupfermünzen.
Die Ärztin wundert sich, daß der Schimpanse schon seit Tagen nicht mehr auf allen Vieren über den Boden seines Käfigs läuft. Jimminy geht trotz seines Übergewichtes aufrecht wie ein Mensch.
„Das ist gar nicht gut für seine Knochen,“ meint Frau Doktor Concha bekümmert, „er hat nämlich stark ausgeprägte Osteoporose, der Arme.“

„Könntet ihr nicht ein hübsches Schimpansen-Fräulein für Jimminy erschaffen,“ fragt Alessandro die Ärztin eines Tages, „ ich glaube, er fühlt sich ziemlich einsam.“
„Das geht leider nicht,“ bekommt er zur Antwort, „wenn es um Primaten geht, können nur männliche Föten geklont werden.“
Die Ärztin ahnt nicht, daß sie damit gleich zwei Hoffnungen zerstört hat. An diesem Tag geht Alessandro zum ersten mal nicht im Park spazieren. Er bleibt den ganzen Nachmittag bei seinem Freund, aber selbst das Hütchenspiel macht irgendwie keinen rechten Spaß mehr.
An einem der folgenden Tage dann kehrt Jimminy von sich aus die Vorzeichen des Spieles um. Er ist es nun, der die Hütchen verschiebt und Alessandro muß raten. Zur Verblüffung der Tierpfleger und Ärzte steht der Junge an Treffsicherheit dem Primaten nichts nach.

Der Sommer scheint endlos in diesem Jahr, aber irgendwann verliert sein Atem an Wärme, wird kürzer und flacher. Unten am Fluß, im gelben Abendlicht, wo die Luft kühl ist und sich anfühlt wie Spinnweben, beginnt der letzte große Schleiertanz der Mückenschwärme. Die Wiesen im Park werden jetzt schon feucht, noch bevor die Dunkelheit anbricht.
„Jimminys Gesundheit macht uns langsam Sorgen,“ sagt Frau Dr. Concha einmal zu Alessandro, „sein Immunsystem ist sehr angegriffen und wir wissen nicht warum. Auch mit seinem Herz ist irgend etwas nicht in Ordnung. Er muß jetzt jeden Tag Medikamente bekommen.“

So wie die Sonne sich langsam wieder von der Erde entfernt, verliert der Schimpanse nach und nach die Lust an den gemeinsamen Spielen, die im Frühling soviel Spaß und Aufregung in sein Leben gebracht haben. Jimminy geht eines Tages auch nicht mehr aufrecht wie ein Mensch, sondern wieder auf allen Vieren. Alessandro ist besorgt und ratlos.
„Er hat Schmerzen in den Hüftgelenken und der Wirbelsäule, Alessandro. Das hängt mit seiner Osteoporose zusammen,“ erklärt ihm die Ärztin.
„Sie müssen Jimminy unbedingt gesund machen, Frau Doktor. Er ist mein einziger Freund.“
„Ich weiss, ich weiss,“ tröstet ihn die Ärztin leise, „wir alle hier haben den kleinen Kerl in’s Herz geschlossen. Glaub‘ mir, wir tun für ihn, was wir können.“

Dann kommt die Nacht, in der die Uhren in der Stadt um eine Stunde zurückgestellt werden. Eine Schleuse am Isarkanal sperrt das Wasser aus dem Bach; sein leeres Bett windet sich nur mehr wie eine schmutzige, braune Schleifspur durch den von Laub verwehten Park. Männer mit dunklen Schnauzbärten in orangefarbenen Overalls und Gummistiefeln holen alte Plastiktüten, Flaschen, Bierdosen und die rostigen Skelette von Fahrrädern und Einkaufswägen aus der schlammigen Rinne. Wenn Alessandro jetzt frühmorgens durch den Park geht, riecht die Luft nach Rauch, nach Nebel und nach modriger Erde. Manchmal, wenn er etwas zu lange spazieren geht, verspürt er Schmerzen in seinen Hüft- und Kniegelenken.

Eines regnerischen Tages betritt Alessandro Antinori das Nebengebäude und findet den Käfig seines Freundes verwaist.
„Was ist mit Jimminy? Wo habt ihr ihn hingebracht?“
„Bleib cool, Alessandro, es ist nichts Schlimmes,“ sagt Jirschi, der Tierpfleger aus Tschechien, „Jimminy ist gerade im OP. Er hat sich heute morgen einen Fuß verstaucht, weil er von seinem Kletterbaum gefallen ist. Jetzt verpasst ihm Doktor Ergün gerade einen anständigen Verband mit einer Schiene. Besser, du kommst morgen wieder.“
„Wie kann denn ein Affe vom Baum fallen,“ fragt der Junge ungläubig, „Vögel stürzen doch auch nie ab, wenn sie fliegen, oder?“
„Doch, sowas kommt schon mal vor,“ meint Jirschi, „auch Tiere haben manchmal Kreislaufprobleme. Dann wird ihnen plötzlich schwindlig und sie verlieren das Gleichgewicht oder das Bewußtsein. Frau Doktor Concha meint, daß Jimminy wahrscheinlich heut‘ früh einen kleinen Herzinfarkt gehabt hat oder so.“
Alessandro wird blass. Er weiss nicht, wie sich ein Infarkt anfühlt, aber er spürt plötzlich, wie eine eiskalte Faust auch nach seinem Herzen greift und es unbarmherzig zusammenpresst. Es ist mehr als nur ein Gefühl großer Angst; die spürt man im Bauch, nicht in der Brust.

Der dichte Morgennebel verleiht dem Park neue, unwirkliche Dimensionen und mystische Abgründe. Spaliere mißtrauischer Raben lauern wie vermummte Antiterror-Kommandos in den kahlen Ästen entlang des Weges. Die Männer in ihren bunten Arbeitsanzügen beginnen damit, die Winterschutzbauten für die Brunnen und Denkmäler im Park aufzustellen. Es ist als würde der Herbst endgültig in eine Reihe skurriler Kisten aus rauhem Holz genagelt. Die Raben werfen den Arbeitern böse Blicke zu und krächzen heiser ihre Verwünschungen von den Bäumen herab.

Alessandro nimmt diesmal den kürzesten Weg zur Tierklinik; das Knirschen seiner hastigen Schritte auf dem Kies klingt seltsam kurz und gedämpft, wie in einem schalltoten Raum. Ein beklemmendes Gefühl erwacht in seiner Brust. Als die neonhellen Fenster der Ambulanz endlich aus dem Nebel auftauchen, verspürt Alessandro plötzlich die bittere Gewissheit, daß seine Eile keinen Sinn mehr hat.

Alessandro spaziert jetzt nur noch einmal in der Woche zur Tierklinik. Gelegentlich betritt er die Ambulanz, um mit Jirschi ein wenig zu plaudern; meistens aber geht er gleich zum hinteren Teil des Gebäudes an‘s Ufer des Eisbachs, wo die Enten noch immer ihre Schlafplätze haben. Geschützt unter den verschneiten Büschen liegt ein Kieselstein aus dem nahen Fluß, groß, schwarz und glatt. Jemand hat mit goldener Farbe den Namen >Jimminy< aufgepinselt.

„Sagen sie, wer ist denn eigentlich dieser dickliche, junge Mann mit den Krücken, der da jede Woche zum Bach hinunter geht? Kümmert er sich um die Enten?“ fragt die neue Tierärztin ihre Kollegin Frau Dr. Concha eines Morgens.
„Ach, das ist eine lange und traurige Geschichte,“ antwortet sie leise, “Ein armer Kerl, er heißt Alessandro Antinori. Soweit ich weiss, ist er der erste geklonte Mensch. Er bringt jede Woche frische Blumen an’s Grab seines Freundes. Blumen für Jimminy, den geklonten Schimpansen“

 

Hallo Cantalupo,

auch diese Geschichte von Dir hat mir ganz gut gefallen.
Arg seltsam fand ich sie allerdings nicht. Natürlich: ein 19-jähriger in Frührente, Hütchenspiele mit einem Schimpansen, aber mit dem Satz

Die Ärztin ahnt nicht, daß sie damit gleich zwei Hoffnungen zerstört hat.
war mir klar, worin die Ähnlichkeit der beiden besteht. Die beschreibst Du übrigens sehr schön, zum Beispiel das Nachahmen des Verhaltens und die identischen körperlichen Reaktionen. Die Auflösung im letzten Satz war eigentlich schon nicht mehr notwendig.

Sprachlich hast Du Deine Geschichte mal wieder gut und sicher erzählt. Ein bißchen habe ich Deine bilderreiche Sprache vermisst. Die hast Du diesmal enorm reduziert.
Zwei Fehler sind mir aufgefallen:

Es besteht eine Wesensverwandschaft zwischen den beiden, aber der Junge allein weiss, daß es auch eine Schicksalsverwandschaft gibt.
Verwandtschaft mit dt, weiß mit ß - das hast Du an einigen Stellen Deines Textes falsch.
„Gimme five,“ sagt Alessandro
das Komma kommt nach den Anführungszeichen, auch dieser Fehler taucht mehrmals in Deiner Geschichte auf.

Liebe Grüße von
Juschi

 

Hallo Juschi,

danke für dein erfreuliches Urteil und deine Fehleranmerkungen. Leider kann ich den Text online nicht mehr korrigieren, weil dieser über den Rechner eines Freundes eingeschickt worden ist.(Mein Mac zickt irgendwie beim Kopieren.) Jetzt habe ich von Zuhause aus keinen Zugriff, weil mich der Server nicht mehr kennt. Macht aber nichts, das Original wird jedenfalls umgehend bereinigt.

Eigentlich sollte die Story ja nur im Kritikerkreis landen, aber mein Spezi wußte das nicht und hat sie abgeschickt. Ich wollte nur, daß er einen Test für mich macht, weil er auch mit Mac arbeitet. Jetzt ist der Käse natürlich gebissen.

Du hast genau die neuralgischen Punkte in der Erzählung entdeckt; ich war mir die ganze Zeit nicht sicher, ob ich die "zwei zerstörten Hoffnungen" und den letzten Teil des Schluss-Satzes nicht doch besser streichen hätte sollen. Ich tu's.

Schönen Gruß von
Cantalupo

 

Jau, die Geschichte ist recht flott geschrieben, hervorheben möchte ich den Lokalkolorit, der dem Text Farbe verleiht. Das ist auch bitter nötig, denn die Handlung gibt nicht viel her - sie zieht sich ziemlich hin, über lange erzählte Zeit, in der nicht viel geschieht. Tja, und die Schlusspointe finde ich ausgesprochen schwach. Da tun sich nicht nur viele logische Fragen auf, sondern vor allem ist es mal wieder eine dieser Pointen, die nur funktioniert, weil Du dem Leser von Anfang an eine wichtige Information verschweigst. Sowas finde ich immer irgendwie künstlich.

Ach ja, wenn Du keinen guten Grund für die Kleinbuchstaben im Titel vorbringen kannst, ändere ich sie wo nötig in Großbuchstaben ;)

Fazit: sprachlich okay, inhaltlich etwas dünn und schwache Pointe.

Uwe
:cool:

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Uwe,

und wenn ich nun vorsichtig dagegen halten würde, daß eine Pointe eventuell erst dadurch funktioniert, daß der Autor dem Leser eine wichtige Information bis zuletzt vorenthält? Dein Einwand ist mir nicht ganz verständlich. (Oder ich kapiere die Pointe nicht). *grins*

Ich denke auch, daß logische Fragen bei dieser Art von Erzählung relativ nebensächlich sind, ich will ja in erster Linie Gefühle ansprechen und nicht auf die Problematik oder Machbarkeit der Gentechnik eingehen.

Und daß dir die Pointe nicht gefällt.....ja mei, so is des hoid amoi mit soiche G`schichtn, oda? Dem oana gfoids, dem andern ned.....

Die Kleinbuchstaben darfst du gerne ersetzten, es wäre mir auch sehr lieb, wenn du das Ding in die Rubrik Sonstiges verpflanzen könntest. Da hat Joschi ganz recht mit dem Einwand, daß die Geschichte nicht seltsam (genug) ist.

Cantalupo

 

eine Pointe eventuell erst dadurch funktioniert, daß der Autor dem Leser eine wichtige Information bis zuletzt vorenthält?
Bei dieser Pointe ist es sicher so - und zwar ganz offensichtlich. Es gibt aber auch Pointen, die sich aus der Handlung heraus ergeben, wo z.B. auch die Hauptfigur erst im letzten Moment Bescheid weiß, und wo nicht in imaginären Buchstaben zwischen den Zeilen steht "ich weiß was was du nicht weißt und das ist die Pointe" :D

auf Wunsch des Autors verschoben nach Sonstige

 

Na ja, das mag schon sein. Mir leuchtet dein Argument zwar immer noch nicht so recht ein, aber "one man´s ceiling is another man´s floor", wie der Brite zu sagen pflegt.
Du siehst das eben so und damit kann ich leben.

Ciao,
Cantalupo

 

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