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Blues
Noch ist es nur das Raunen der Menschen in der kleinen intimen Atmosphäre des Szenelokals, das wie ein sanftes Plätschern an die Ohren dringt. Ein paar Scheinwerfer zentrieren ihr Licht auf eine Ecke gegenüber der Bühne. Die Leute stehen in Grüppchen zusammen, lassen ihre Blicke über die Hinzukommenden gleiten. Finden sich wieder in den Gesten der anderen. Man ist gekommen um die gleiche Musik zu erleben, das Feeling von Damals noch mal zu spüren. Das verbindet auf Anhieb, man ist sich vertraut.
Nach und nach füllt sich der Saal und fast nebenbei, finden sich auch die Musiker ein. Ein Lächeln der inneren Verbundenheit hinunter auf jene die ihre Aufmerksamkeit langsam dem Geschehen auf der Bühne zuwenden, ein feines „ju“ und „wow“ ins Mikrofon und dann der erste Ton der E-Gitarre. Alle fühlen sich angesprochen, rufen, pfeifen, winken, als hätte er nur ihnen allein gegolten.
„There was a girl, I called her little queen ...“ singt er, mit einer Stimme die dem Blues gerecht wird, Leben einhaucht. Sein Gesang findet die Herzen der Menschen und langsam überwinden sie die wenigen Meter vor der Bühne, die zuvor wie eine natürliche Sperrzone geachtet wurden. Die, welche lieber immer vorn dabei sind, als irgendwo hinten versteckt im Abseits, ihr Dabeisein erkämpfen, betreten in wundersamer Erregung dieses Niemandsland zwischen Bühne und Abstand haltendem Publikum.
„I love her but she say I´m bad ...“ . Die ersten Hüften wiegen sich, fühlen die Traurigkeit welche den Gitarresaiten abgerungen wird. Ihre Berührung erzeugt einen Ton dem es selbst überlassen scheint, wo er seinen Endpunkt finden will. Gleich da oben an der Decke des Raumes oder durch diese hindurch um irgendwo im All auszuklingen. Gleichzeitig verhallt der Ton aber im Inneren der ihn aufnehmenden Menschen im Raum. Sie neigen die Köpfe im Takt der Musik, befreien mit kurzen, schrillen Schreien der Ergriffenheit ihre alltagsblockierten Körper.
Freiheit, die gute alte Freiheit, da ist sie wieder spürbar, durch tanzende Bewegung zu vertrauter, tief ins Innere vordringende Musik.
Der Rhythmus wechselt, wird rockiger und das Wiegen der Körper heftiger. Vorne der Alte aus der 68er Generation mit Haaren wie damals, lang und strähnig, inzwischen aber grau und dünn geworden, ist mit geschlossenen Augen längst in seiner eigenen Phantasiewelt gefangen und gleichzeitig hat er sämtliche Gefängnisse seines irdischen Daseins in diesem Augenblick hinter sich gelassen. Mit zuckenden Bewegungen ist er abgetaucht in sein persönliches Woodstock, sein eigenes Nirvana.
Man ist wundersam machtlos der Freude gegenüber, sie umfasst dich und du fühlst die Jahresringe in deinem Körper aufspringen wie Eisenbänder. Dein Schritt beim Durchqueren des Saales ist leicht und locker. „Baby what is right, what is wrong?“ Alles scheint dir bewältigbar. Die Apokalypse, die globale und deine persönliche ist dir mit einem Mal scheißegal.
Eine Stunde spielen sie únd geben sich selbst hin. Dann wird den Künstlern eine Pause gewährt. Einige Leute strömen mit der altbekannten, auf den Handrücken gedrückten Stampiglie der bereits Dagewesenen versehen, hinaus in die kalte Nachtluft. Die Stimmen finden ihren Weg in die Ohren wie durch Wattebäusche. Die Musik hat ihnen doch ganz schön zugesetzt.
„Mama, nimmst mir bitte ein Bier mit“ sagt ein bärtiger Altrocker mit Nickelbrille zu seiner Frau die eingehakt mit ihrem Sohn der Bar zugeht. Über ihr Gesicht gleitet ein verschmitzt stolzes Lächeln, sich nicht bewusst, dass er ihr kaum direkter sagen kann, dass sich ihre Sinnlichkeit und Erotik, ihre einst vielleicht parntnerschaftliche Beziehung nur noch auf den letzten gemeinsamen Nenner der Elternschaft zusammengekürzt hat. Aber hier ist es auch egal, was zählt ist die Leidenschaft der Musik zu lauschen, mit zu summen, dabei zu sein.
Dann erklingen die ersten Mundharmonikaklänge und locken wieder hinein in den Saal. Das Spiel geht weiter. „We all feel the same things, the same love“. Ja Bruder, die Menschen verneigen sich innerlich vor allen, die ihnen Schmerz bereitet haben in ihrem Leben. Sie haben sie die Sprache des Blues gelehrt zu verstehen. „I need you baby. Yeah, I need your love. But the tears come rolling down“. Die Herzen liegen blank, umspült von glücklichmachender Traurigkeit.
„One bourbon, one scotch, one beer ... „ plärrt sich eine junge Frau die Seele aus dem, in schwarzen Hippielook gewandeten, Leib. Ihre schwingende Hand ist ihr Rufzeichen. Sie unterstreicht mit ihrem erhobenen Zeigefinger jedes Wort. Sie bewegt sich im Takt des Schlagzeugs vor und zurück, verschüttet dabei immer ein wenig von ihrem Bier und ist glücklich.
Tobender Applaus leitet jeden song weiter zum nächsten, getragen von einer Atmosphäre der Gemeinsamkeit. Verbündete einer aufwühlenden Musik haben sich zusammengefunden, lächeln einander zu und verstehen. Immer neue Erinnerungen werden wach, jeder hat seine eigene Geschichte mitgebracht um sie hier im Rhythmus dreier Gitarren wieder zu erleben.
Ein wenig Unruhe kommt auf. Zu schnell spürt man das Herannahen des Erwachens, aus dem Traum des immer noch voll drauf seins, der spürbaren Energie. Die Luft, inzwischen als dichte Rauchschwaden im Scheinwerferlicht von den unzähligen, inhalierten und wieder ausgeatmeten Zigaretten sichtbar gemacht, brennt in den Lungen. Noch einmal tobt die Menge, gibt man sich jedem einzelnen Instrumentensolo hin und bewegt sich in einer liebevollen Lust im Rhythmus.
Ein Pärchen umarmt sich zärtlich beim letzten, ausgehauchten „I`ll drink no more, no joint is killing me softly, only music and love are my drugs.“ Pfiffe, Stampfen, Applaus und Schreie sollen die Musiker zum Dableiben bewegen. „ I love you – UUU, I love you all“ und jeder weiß, er ist gemeint. Einen letzten Augenblick sind alle im Raum, die Interpreten und das Publikum, ein Gedanke, ein Gefühl. Dann suchen sie den Weg zum Ausgang - hinaus in den Alltag.