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Bloss nicht lachen
Eine etwas schräge, technikfreie SF-Kurzgeschichte; einfach so zum Lesen. Viel Spass.
Bloss nicht lachen
General Rollum hatte schon viel über die Menschen dank deren Fernsehsendungen gelernt. Die Menschen - humanoide Wesen - waren wohl die einzige Bevölkerungsgruppe, die sich der Eroberung und Ausbeutung ihres Planeten widersetzen würden. ’Wissen ist Macht’ war schon immer Rollums Motto gewesen, und er war sich bewusst, dass Fernsehübertragungen oft ein verklärtes Bild zeigen. Um die letzten Details zu klären, plante er daher einen Direktkontakt: er wollte einen Androiden schicken. An diesem Morgen befand Rollum sich in jener Fabrik, in welcher er einen männlichen Menschenandroiden in Auftrag gegeben hatte.
Der Androide sass auf einem Stuhl und blickte zu Rollum hoch.
„Hervorragende Arbeit“, sagte Müller zum leitenden Ingenieur. „Er sieht wirklich wie ein Mensch aus. Wie ist seine Motorik?“ Er wandte sich dem Androiden zu. „Androide, steh auf, und lauf mal ein bisschen herum!“
Der Androide stand auf und ging mit drohendem, ausgestrecktem Finger auf Rollum zu. „He, Amigo, was glaubst du wohl, wer du bist? Du willst mich herumkommandieren?“
„Treffend!“ sagte Rollum erfreut. „Wie in den Sendungen. Schnell beleidigt, tut aber genau, was man von ihm verlangt. So reagiert ein Mensch! Er is perfekt.“
„Vielen Dank“, sagte der Ingenieur. „Er ist in der Tat sehr menschlich, doch bei der kurzen Lieferfrist haben wir eine Kleinigkeit leider noch nicht im Griff bekommen.“
„Um was handelt es sich genau?“ fragte Rollum.
Statt des Ingenieurs antwortete der Androide mit einem Seufzer selbst. „Ich krieg das Lachen nicht so richtig hin.“
„Soll ich dir etwas Süsses ins Ohr flüstern?“ fragte Rollum leise und hob schon sein Sprachtentakel an das linke Ohr des Androiden. „Schokoladentorte“.
„Ha ha pffff ha ha pffff ha pffff ha pfffffff“, tönte der Androide.
„Wir haben zwar den normalen Atmungsrhythmus zustande gebracht, und auch Humor versteht er, doch die menschliche Reaktion darauf – das Lachen – ist bei den Menschen einmalig. Wir können es einfach nicht kopieren“, erklärte der Ingenieur.
„Und wenn die Menschen merken, dass ich keiner von ihnen bin“, fuhr der Androide ängstlich fort, „mich auseinandernehmen und meinen Datenchip entschlüsseln, sind sie über den kommenden Angriff vorgewarnt.“
„Ach, mach dir keine Sorgen“, sagte Rollum mit mehr Zuversicht als angebracht, während er dem Androiden väterlich einen Pfoten auf die Schulter klopfte. „Viele Menschen scheinen humorlos und einige lachen sogar nie. Du sollst bloss nicht lachen. Heute abend schicken wir dich auf die Erde.“
Der Androide materialisierte in einem sehr kleinen Raum. Er drehte sich um und öffnete eine Türe. Er trat in einen anderen, nur geringfügig grösseren Raum ein. Dort stand bei einem Waschbecken ein Mann, der sich gerade die Hände wusch. Der Androide realisierte, dass er in einem Toilettenraum materialisiert worden war. Der andere Mann schien sich über sein Erscheinen nicht zu wundern. Wahrscheinlich hatte er gar nicht bemerkt, dass das Sitz-WC vorhin gar nicht besetzt gewesen war.
Der Androide verharrte noch kurz, holte tief Luft und trat hinaus. Er stieg eine schmale Treppe hinab, die mitten in einer Art Bar endete. Das Lokal war länglich, eine lange Bartheke nahm fast eine ganze Wand ein; mehrere Tische mit Stühlen und ein schmaler Laufsteg säumten die andere Seite. Auf der einen Breite des rechteckigen Innenraums befand sich die Ein- bzw. Ausgangstüre; die gegenüberliegende Seite endete in einer kleinen Bühne.
Eine lockere, freie Atmosphäre schien vorzuherrschen. Der Androide drängte sich zur Bartheke, setzte sich auf den einzigen freien Hocker und bestellte sich einen Drink. Eine Frau neben ihm lächelte ihm zu. Er lächelte lautlos zurück. Lächeln, das konnte er! Die Frau grinste ihn jetzt geradezu an und lachte plötzlich laut auf. Lachte sie ihn aus? Dies war unerwartet. War den Ingenieuren ein Fehler an seinem Aussehen unterlaufen? Dann bemerkte er sein Versehen. Die Frau blickte gar nicht ihn an, sondern knapp an ihm vorbei. Er drehte sich auf seinem Hocker und sah, dass fast alle Leute in die Richtung des Podiums schauten, worauf ein Mann in einem weissen Kittel hinter einem Mikrofon stand. Die meisten Leute lachten jetzt laut.
Jetzt fiel dem Androiden erst auch die Stimme des Erzählers über die Lautsprecherboxen auf: „ ... biegst du bei der zweiten links ab.“ Der Mann hielt seine linke Hand beim linken Ohr und machte mit seiner rechten Hand - die er auf Hüfthöhe ausgestreckt hielt - drehende Bewegungen. „Danach fährst du über eine kleine Brücke.“ Die Leute brüllten vor Lachen, und der Androide lächelte breit, ob er wollte oder nicht. Verdammt, der Mann war ein Komiker!
„Dann triffst du auf einen Verkehrskreisel“, sagte der Komiker, während seine rechte Hand kreiste.
Er musste hier raus. Der Androide zuckte sein Portemonnaie, und legte schnell einen grossen Schein auf dem Tresen, von dem er annahm, dass es fürs Getränk reichen würde. Bloss raus hier!
„ ... und dann ist es das vierte Haus auf der linken Seite.“
Der Androide glaubte den Witz jetzt zu verstehen und merkte wie er gross grinste, während eine weitere Lachsalve von den Leuten ihm umgab. Er bewog sich durch die gedrängte Menge Richtung Tür.
„Gut, ich sehe dich dann heute abend um neun bei mir. Du musst die obere Klingel drücken.“
Die Tür war nah. Er hörte, wie der Komiker mit erstaunlich hoher, ja weiblicher Stimme sagte: „O Herr Doktor, ich wünschte mir, dass Sie noch eine Strasse weiter entfernt wohnen würden.“
Die Tür! Die Tür! Noch zwei Meter. Schaffe ich es noch? Jetzt bloss nicht lachen! Bloss nicht lachen!